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Vor allem aber wurde mir deutlich, daß Cinggis Khan auch heute noch die nationale Identifikationsgestalt der Mongolen schlechthin ist

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BEI DEN MONGOLEN

Von Klaus Sagaster, Bonn

Im Jahre 1885 erschien in den Nachrichten der Kaiserlich Russischen Geo¬

graphischen Gesellschaft Grigorij NikolaeviC Potanins Aufsatz Pomin-

kipo Cingis-chane (,,Die Gedächtnisfeiern für Cinggis Khan").' W. Lüdtke übersetzte diese erste ausführliche Darstellung des Kultes des vergöttlichten

Cinggis und seiner Familie ins Deutsche. Er publizierte seine Arbeit 1927 im

Archiv für Religionswissenschaft unter dem Titel Die Verefirung Tscfiingis- Ctians bei den Ordos-Mongolen?

Schon Potanin wies, wie später auch einige andere Forscher, darauf hin,

daß Cinggis Khan nicht nur von den Ordos-Mongolen, in deren Gebiet sich

die wichtigsten Cinggis-Heiligtümer, die sogenannten Acht Weißen Zelte,

befinden, kultisch verehrt wird, sondern daß es sich hierbei um ein gesamt¬

mongolisches Phänomen handelt.' Diese Beobachtung, die bisher noch

kaum näher untersucht worden ist, fand ich bei zwei kurzen Besuchen in den

mongolischen Gebieten Chinas in den Jahren 1985 und 1988 bestätigt. Ich

konnte feststellen, daß dem Begründer des mongolischen Herrscherhauses

nicht nur nach wie vor in traditioneller Form geopfert wird, sondern daß sei¬

ne Verehrung auch moderne Ausdrucksformen gefunden hat. Vor allem

aber wurde mir deutlich, daß Cinggis Khan auch heute noch die nationale

Identifikationsgestalt der Mongolen schlechthin ist. Zum Beweis hierfür

möchte ich einige Einzelheiten mitteilen.

Bei meiner Reise in die Innere Mongolei im Sommer 1985 konnte ich Ende

Juli auch die Stadt Shilinhot besuchen, in deren Nähe gerade ein großer Film

' G. N. Potanin: Pominkipo Cingis-chane. In: Izvestija Imperatorskago Russkago Geograficeskago Obscestva 21 (1885), S. 303—315.

2 In: Archiv für Religionswissenschaft 25 (1927), S. 83—129. Die Überset¬

zung des Berichts von Potanin auf S. 91 — 104 beruht auf dem geringfü¬

gig veränderten Abdruck in G. N. Potanin: Tangutsko-tibetskaja okrai-

na Kitaja in Central'naja Mongolija. Bd. I. St. Petersburg 1893,

S. 121 — 129.

3 Potanin bei Lüdtke: Die Verehrung Tschingis-Chans S. 92. Siehe auch Cyben Zamcarano: Kul't Cingisa v Ordose. Iz putesestvija v Juznuju Mongoliju V 1910 g. In: Central Asiatic Journal 6 (1961), S. 228 f. —

Über die Cinggis-Tempel in der Nordmongolei vgl. Rintschen: Zum

Kull Tschinggis-Khans bei den Mongolen. Opferlieder Tayily-a-yin

dayun. In: Opuscula Ethnologica Memoriae Ludovici Birö Sacra. Buda¬

pest 1959, S. 9.

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366 Klaus Sagaster

über Cinggis Khan gedreht wurde.'' Aus einer Entfernung von bis zu 600

Meilen waren über zweitausend junge Mongolen mit ihren Pferden gekom¬

men, um an einer großen Schlachtszene mitzuwirken. Der chinesische Regis¬

seur des Filmes erklärte mir, daß die jungen Reiter in dieser für die Noma¬

denwirtschaft so arbeitsintensiven Zeit hierzu nie bereit gewesen wären, hätte

es sich nicht um einen Film über Cinggis Khan gehandelt; denn für Cinggis

seien sie willens, alle Mühe auf sich zu nehmen. Und der Regisseur fügte hin¬

zu: ,,Die Leute hier verehren Cinggis sehr. Deshalb opfern sie alles für ihn."

Im Palastzelt hing hinter dem Thron Cinggis Khans ein großes Bild mit

einem Schimmel, dem Symbol der Freiheit der Mongolen. Auch das Dach

des Museums von Höhhot, der Hauptstadt der Inneren Mongolei, ist von

einer überdimensional großen Skulptur eines Schimmels gekrönt. Eine weite¬

re konnte ich im Ordos-Gebiet sehen. Das Bild einer Herde von weißen Pfer¬

den, gemah von einem Künstler aus Shilinhot, hat offensichtlich die gleiche

Symbolbedeutung. Zu kaufen war ein postkartengroßes Bild von Cinggis

Khan, desgleichen eine ovale goldfarbene Bronzemedaille mit einem Porträt

Cinggis Khans in einem mit kaisergelber Seide bezogenen Kästchen. Diese

Medaille wurde mir nicht nur von einer einfachen Frau überreicht, sondern

auch vom Präsidenten der Universität der Inneren Mongolei und vom Insti¬

tut für Geschichte der Innermongolischen Akademie für Sozialwissenschaf¬

ten. Im August 1988 konnte ich bei einem Arbeitsbesuch in Höhhot feststel¬

len, daß der Konferenzraum der Akademie für Sozialwissenschaflen als ein¬

zigen Bildschmuck eine Büste Cinggis Khans und ein Bild des Hügels Altan

Fandari im Ordos-Gebiet mit dem dortigen Cinggis-Heiligtum aufwies. Al¬

tan Fandari ist auch der Name der Kulturzeitschrift von Ordos', deren Um¬

schlag oft eine Darstellung des Cinggis-Heiligtums zeigt.* Das Gebäude des

Heiligtums, das offiziell ,, Mausoleum des Cinggis Khan" (Cinggis qayan-u

ongyon) heißt, wurde 1956 in dem neugeschaffenen Ort Ejen qoruy-a

(Edschin-choroo, ,,Hof des Herrschers") fertiggestellt.'' In ihm wurden die

bis dahin an verschiedenen Orten des Ordos-Gebiets aufbewahrten Cinggis-

" Der Film ist inzwischen in einer chinesischen und einer mongolischen Fassung fertiggestellt und veröffentlicht.

' Erscheint seit 1980. Herausgegeben vom Kulturbund des Yeke Joo-

Distrikts (Yeke Joo-yin Udq-a uraliy-un-kin-u qolboy-a) in Dongsheng, der Hauptstadt von Yeke Joo (Ordos).

6 AUan Fandari, Sammelband 1980—1983 (Heft 1 — 10), vordere Um¬

schlagseite, sowie die vorderen Umschlagseiten von mehreren Einzelhef¬

ten (1/1980, 1/1983 u. a.).

' S. D. Dylykov: Edzen-choro. In: Filologija i istorija mongol'skich na¬

rodov. Moskva 1958, S. 233. — Vgl. auch das im folgenden Absatz ge¬

nannte Buch von SayinJirfal und Saraldai, S. 376.

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Kultobjekte untergebracht. Während der Kulturrevolution wurde das Heilig¬

tum zerstört, doch ab 1980 wieder aufgebaut. Gerade in ihm und in dem dort

auch heute noch praktizierten Kult Cinggis Khans und seiner Familie wird

das Fortleben des traditionellen ideologischen Weltbilds der Mongolen be¬

sonders deutlich.

Die Möglichkeiten, den Cinggis-Khan-Kult der Gegenwart zu untersuchen

und zugleich die bisherigen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Cinggis-

Khan-Verehrung fortzusetzen und zu ergänzen, sind heute besonders gün¬

stig. 1983 erschien in Peking eine ausführliche mongolische Beschreibung des

Cinggis-Khan-Kults im Ordos-Gebiet, das Buch AUan ordon-u tayily-a

(,,Die Opfer des Goldenen Palastes") von SayinJirfal und Saraldai, das

eine reiche Fülle von großenteils bisher unbekanntem Material bietet. Die

Gelegenheit zu eigenen Fragen und Beobachtungen ist dadurch gegeben, daß

das Heiligtum nunmehr auch von Ausländern besucht werden kann. Zusam¬

men mit meinem tibetischen Kollegen L. S. Dagyab habe ich im Sommer

1985 diese Gelegenheit wahrgenommen, wenngleich unser Besuch in EJen

qoruy-a aus technischen Gründen leider nur sehr kurz sein konnte. Dennoch

konnte ich hierbei einige Feststellungen machen, von denen ich hier zumin¬

dest zwei mitteilen möchte.

1. Das Heiligtum von Ejen qoruy-a besteht aus vier Hallen. Die drei ne¬

beneinander liegenden vorderen Hallen sind durch zwei Gänge verbunden.

Die hintere Halle liegt hinter der mittleren Halle. In den zwei Verbindungs¬

gängen wird auf Wandgemälden die Geschichte des mongolischen Gro߬

reichs dargestellt. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen zwei Herrscher:

Cinggis Khan, der Begründer, im westlichen Verbindungsgang und Qubilai

Khan, der Vollender, im östlichen Verbindungsgang.

Es fällt auf, daß es gerade Cinggis und Qubilai sind, welche für die im Zu¬

sammenhang mit dem Cinggis-Khan-Kult entwickelte mongolische Herr¬

schaftsideologie eine entscheidende Rolle spielen. Es ist jene Vorstellung von

einem buddhistischen Universalreich, dessen Regierung auf dem Prinzip des

harmonischen Ineinanderwirkens der beiden Ordnungen Religion und Staat

basiert und an dessen Spitze mit getrennten Funktionen, aber gleichrangig,

der Lama und der König stehen, die in unserem Weltzeitalter durch Buddha

Säkyamuni und Cinggis Khan repräsentiert werden. Buddha und Cinggis

wiederum regieren über ihren Tod hinaus durch ihre Nachfolger, die Lamas

und Könige, weiter. Das Handbuch, in dem diese Idealvorstellung dargelegt

ist, die Weiße Geschichte {Cayan teüke), gehört zu den im Ordos-Gebiet

überlieferten Texten der Cinggis-Khan-Verehrung.* Als Nachfolger Buddha

Säkyamunis und Cinggis Khans erscheinen in der Weißen Geschichte der Sa-

* Klaus Sagaster: Die Weiße Geschichle. Wiesbaden 1976; Liu Jinsuo:

Arban buyantu nom-un cayan teüke. Huhehaote (Kökeqota) 1981.

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368 Klaus Sagaster

skya-pa-Hierarch, d. h. 'Phags-pa-Blo-gros-rgyal-mtshan, und Qubilai

Khan, die wiederum prototypisch für alle kommenden Nachfolger stehen.

Die Ordnung des Staates wird im Cinggis-Khan-Heiligtum durch Cinggis

Khan und Qubilai Khan vertreten und durch die entsprechenden Wandge¬

mälde verdeutlicht. Die Ordnung der Religion findet ihren Ausdruck in

einem Bild der drei Bodhisattvas Avalokitesvara, Manjusri und Vajrapäni,

das zur Zeit meines Besuches im Cinggis-Heiligtum auf dem Altar vor den

Standarten (sülde) Cinggis Khans im westlichen Pavillon aufgestellt war.'

Als Hypostasen von Buddhaqualitäten vertreten die drei Bodhisattvas den

Buddha und damit auch Buddha Säkyamuni. Daß anstatt des Buddha die

drei Bodhisattvas ausgewählt worden sind, ist sicher nicht rein zufällig,

konnte doch hierdurch an das traditionelle Konzept der drei großen Reiche

der Welt erinnert werden: Tibet, das Königreich des Avalokitesvara; China,

das Königreich des Mafijusri; die Mongolei, das Königreich des Vajrapäni.

Eine Verkörperung des Vajrapäni ist Cinggis Khan — eine Vorstellung, die

sich bereits in der Weißen Gescfiicfile belegt findet.'"

Diese Idee ist heute noch auch im privaten Bereich lebendig: Bei einem Be¬

such in der Jurte eines jungen torghotischen Ehepaars in der Westmongolei,

in Xarausu (Chara-usu) nordwestlich von Ürümqi (Urumtschi) im Tienshan,

sah ich im Sommer 1988 als einzigen Bildschmuck die Bilder des Dalai Lama,

des Pantschen Lama, Tsongkhapas und Vajrapänis — eine Kombination,

die sicherlich nicht zufällig ist. Auch hierin spiegelt sich die in der Weißen

Geschiclite formulierte und im Cinggis-Khan-Kult bewahrte ideologische

Grundkonzeption. Wenngleich der Cinggis-Khan-KuU trotz zahlreicher la¬

maistischer Einzelelemente seinen präbuddhistischen Charakter auch heute

noch nicht verleugnen kann, wird die buddhistische Überblendung im Sinne

der Lehre von den zwei Ordnungen nach wie vor besonders dadurch augen¬

fällig, daß buddhistische Mönche an den traditionellen Opfern teilnehmen

und eigene buddhistische Riten durchführen." Zudem sind im Bereich des

' Das Bild gehört zu einer Serie von fünf Rollbildern (Thangka), die der am 28. 1. 1989 verstorbene 7. Pantschen Lama (Pan-chen Rin-po-che) 'Phrin-las-lhun-grub-chos-kyi-rgyal-mtshan bei dem Künstler dKa'-chen Blo-bzah-phun-tshogs im Kloster bKra-sis-lhun-po in Tibet in Auftrag

gegeben hat und 1982 durch die Buddhistische Vereinigung von China

(Zhongguo fojiao xiehui) unter dem Titel Bla-ma yi-dam sahs-rgyas byan-sems bcas-kyi zai-thah Iha-re bzugs-so (in Peking) in wohlfeilen Re¬

produktionen veröffentlichen ließ.

10 Cayan teüke 11,2,11; Sagaster: Die Weiße Geschichle S. 84 u. S. 110.

" Potanin bei Lüdtke: Die Verehrung Tschingis-Chans S. 94. In einer für

Touristen bestimmten Broschüre über das Cinggis-Heiligtum, die ich

1985 erwerben konnte, ist ein Photo von Lamas reproduziert, die bei einem der großen Opferfeste vor einem Berg von Knochen geopferter Tiere sitzen; siehe Chenggisi han lingyuan / Cheng jisi han Mausoleum / Cinggis-ün ongyon, ohne Ort und Jahr, S. 14 (unpaginiert).

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Das Cinggis- Khan-Heiliglum in EJen qoruy-a (Ordos). Aufnahme L. S. Dagyab, Bonn.

Die Büste Cinggis Khans im Konferenzraum der Akademie für Sozialwissenschaf¬

ten der Inneren Mongolei in Höhhot (Kökeqota/ Huhehaote).

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Heiligtums buddhistische Kuhobjekte errichtet worden: ein Obo und Gebets¬

fahnen. — Vom Weiterleben der Verehrung Cinggis Khans auch bei den

Westmongolen zeugt übrigens auch die Tatsache, daß ein Erzähler, den ich

bei dem eben erwähnten torghotischen Ehepaar getroffen habe, einen Lob¬

preis (maqtäl, maytayal) auf Cinggis Khan rezitiert hat.

2. Das Cinggis-Khan-Heiligtum ist mit einer Vielzahl von Votivfahnen

geschmückt. Diese haben, technisch gesehen, offensichtlich die Funktion

von Begrüßungstüchern, Chadaks (mong. qaday, von tib. kha-btags). So

heißt es in einem Text'^, mit dem einer dieser Chadaks beschriftet ist: ,,...

Ich bringe dieses (Tuch) als nindart^-Chadak) dar (nindar bolyan ergübe)"^^.

Die Votivfahnen gehören ohne Zweifel zu den aufschlußreichsten Dokumen¬

ten für das Fortleben der Verehrung Cinggis Khans und für die Wertvorstel¬

lungen, die mit der Gestalt des vergöttlichten Cinggis auch heute noch ver¬

bunden werden.

Die meisten der Votivfahnen, die ich 1985 sehen konnte, stammten offen¬

sichtlich aus der jüngsten Zeit, aus den Jahren 1983 bis 1985. Es gab jedoch

eine bezeichnende Ausnahme: eine große rote Fahne mit goldener chinesi¬

scher und mongolischer Schrift, die im Juli 1952 von keinem geringeren als

Mao Zedong dargebracht worden ist. Ihr Text lautet: ,, Dargebracht dem

Cinggis Khan. Mögen sich die Nationalitäten der Chinesischen Volksrepu¬

blik zusammenschließen!" (Cinggis qayan-du ergübe. Bügüde nayiramdaqu

dumdadu arad ulus-un olan ündüsüten bülgümtetügei!) (Votivfahne 1 =

VF 1).

Der Text ist bezeichnend: Als Nichtmongole spricht Mao Zedong nur von

Cinggis Khan, ohne, wie bei der Anrede durch Mongolen üblich, ein weiteres

ehrendes Epitheton zu verwenden, z. B. ,, Herrscher und Heiliger" (eJen boy¬

da). Und in dem mit der Darbringung der Fahne verbundenen Wunsch spie¬

gelt sich natürlich keine mongolische Herrschaftsideologie, sondern der

Wunsch des Begründers des sozialistischen neuen China nach der Einheit

sämtlicher Nationalitäten, von denen die der Mongolen eine der wichtigsten

ist. Daß Mao Zedong bereits 1952 dem Begründer der mongolischen Identi¬

tät, der nach chinesischer Auffassung als Chinese mongolischer Nationalität

zugleich der Begründer des chinesischen Herrscherhauses der Yüan gewesen

ist, die Ehre erwiesen hat, war sicherlich ein Akt besonderen politischen Kal¬

küls.

'2 Votivfahne 15. Die 21 Votivfahnen, deren Texte ich bei meinem kurzen Besuch in EJen qoruy-a abschreiben bzw. photographisch so aufnehmen konnte, daß sie deutlich gelesen werden können, sollen an anderer Stelle noch einmal ausführlicher behandalt werden.

'3 nindar kommt von tib. hin-dar, «w-Khatag (Chadag). Es handelt sich

hierbei um einen Khaiak der Kategorie hin-bde-ma (= nah-mdzod), be¬

schrieben bei BAtJZAR Baradijn: Slaluja Majlrei v Zololoni chrame v

Lavrane. Leningrad 1924, S. 89.

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370 Klaus Sagaster

Die Untersuchung der übrigen Votivfahnen läßt u. a. folgendes erkennen:

a) Die Verehrung Cinggis Khans ist nach wie vor ein gesamtmongolisches

Anliegen. Die Fahnen stammen nicht nur aus dem Ordos-Gebiet, in dem das

Heiligtum liegt, sondern auch aus anderen Teilen der Inneren Mongolei.

Eine Fahne, deren Text in oiratischer Sprache und Schrift geschrieben war,

war eine Opfergabe eines Westmongolen aus Xinjiang (VF 11). Eine weitere

Fahne war kyrillisch beschriftet und offensichtlich von Besuchern aus der

Mongolischen Volksrepublik dargebracht worden (VF 5).

b) Die Votivfahnen wurden nicht nur von Privatpersonen dargebracht

(VF 5, 11 —14), sondern auch von Angehörigen verschiedener Schulen und

Hochschulen (VF 4, 6, 7, 10, 15), von der Akademie für Sozialwissenschaf¬

ten der Inneren Mongolei (VF 2), ja sogar vom Politischen Konsultativkomi¬

tee des Bezirks Yeke Joo, d. h. des Ordos-Gebiets (VF 8), ferner vom Partei¬

komitee des mittleren Banners der Urad-Mongolen (VF 20) und von der

Staatlichen Kommission für Nationalitätenfragen (VF 21).

c) Die Fahnen wurden in der Regel zusammen mit anderen Opfergaben, vor

allem Geld, Branntwein (sarqud) und Schafen (qoni sigüsü), entweder Cinggis

Khan dargebracht (VF 1—5, 11—15) oder seiner Standarte (sülde) (VF 18, 19)

oder der Seele (sünesü) des Cinggis (VF 16, 17) oder seinem ongyon

(VF 6—10), seinem Geist, der im Heiligtum, im Mausoleum, gegenwärtig ist,

das deshalb ebenfalls ongyon heißt.

d) Die Texte der Votivfahnen verwenden weitgehend die traditionelle Ter¬

minologie und zeugen vom Fortleben der mit Cinggis Khan verbundenen re¬

ligiösen und politischen Vorstellungen. Cinggis ist König (qayan) (z. B. VF 1, 2, 8), Herrscher (ejen) (z. B. VF 4, 6, 7), Heiliger (boyda) z. B. VF 6, 7, 8), Recke (örlüg) (VF 10, 17) und Held (bayatur) (VF 17). Er ist der himmlische König des ganzen Zeitalters (nigen üy-e-yin tengirliq xän) (VF 1 1), als der er

bereits in der Konzeption der Weißen Geschichte erscheint. Er ist der himm¬

lische Herrscher und Ahnherr (tngrelig ejen ebüge) (VF 12). Die altmongoli¬

sche Vorstellung vom Fortleben Cinggis Khans in Form seiner Seele (sünesü)

wird mit der Auffassung, Cinggis sei ein chinesischer Herrscher, in folgen¬

dem Text kombiniert: ,,Möge die reine Seele des Herrschers und Heiligen

Cinggis, des Recken und Helden der chinesischen Nationalitäten, ewig

leben!" (dumdadu-yin ündüsüten-ü örlüg bayatur ejen boydo cinggis-un

ariyun sünesü önide möngkejdügei) (VF 17). Dem König Cinggis wird die

Sorge für alles Hab und Gut anvertraut (aliba-ban mörgün dayadyaba) (VF

14), für Haus und Vieh (ger mal aliba-ban dayadyaba) (VF 13). Dem Schutz

der Majestät seiner schwarzen Standarte, des sichtbaren Zeichens seiner

Kraft und Macht, das vom Ort des Königs Qormusta tngri, des Obersten der

Götter, herabgekommen ist (qan qormusta tngri-yin oron-aca bayuju iregsen

qar-a sülde-yin gegegen), wird das Leben (ami nasu) anvertraut (VF 18).

Besonders bemerkenswert aber sind die Worte, durch welche der in

Cinggis gründende Nationalstolz der Mongolen zum Ausdruck kommt. So

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heißt es z. B.: „Der Name meiner tapferen Nationalität, der Name , Mongo¬

len' meines heiligen Herrschers und Königs, in den Ohren der Welt möge er

erklingen! Der Gedanke ,Für die Mongolen!' ist tief in unseren Herzen. Die

von klein auf erlernte Muttersprache, die unvergeßliche Kultur, meine Hei¬

mat, in der ich bis zu meinem Tode leben werde, das Land von dem ich mich

nicht trennen kann!" (erelkeg ündüsüten mongyol gedeg mini ner-e ejin boy¬

da qayan mini mongyol gedeg ner-e delekei-yin cikin-e dayurasiltai.

mongyol-un tölüge gedeg sanay-a bidan-u Jirüken-dü qolboyatai. öskü-ece

suruysan ündüsün kele. martasi bolusi ügei soyul. ükütel-e sayurisiqu minu

nutuy. salfajju ügei oron) (VF 6). Ein weiterer Text lautet: ,,Der Ruhm des

Herrschers Cinggis erschallt ewig in der ganzen Welt!" (ejen cinggis-ün aldar

yabiy-a eng delekei-dü möngke dayurisun-a) (VF 4). In einer weiteren Votiv-

inschrift heißt es: ,,Die mächtigen Taten des Herrschers und Königs sind der

mannhaften Mongolen beständiger Wunsch!" (ejen qayan-u aoy-a üiles erel¬

keg mongyolcud-un önide-yin küsel) (VF 7). Die Akademie für Sozialwissen¬

schaften der Inneren Mongolei bringt Cinggis Khan zu dessen 823. Geburts¬

tag eine Votivfahne mit folgendem Text dar: ,,Der Weg, den du geschritten

bist, möge in Asien und Europa deutlich sichtbar sein!" (alquysan mörcinu

aziy-a evrop-du iledte) (VF 2). Auf einer weiteren Votivfahne steht: ,,Dein

Ruhm möge auf der goldenen Erde ewig sein!" (aldar ner-e cinu altan

delekei-dü önide) (VF 3). Und die Besucher aus der Mongolischen Volksrepu¬

blik widmen ihre Fahne ,, Cinggis, der den Namen der mongolischen Nationa¬

lität auf ewig verbreitet hat" (mongol ündestnij nerijg mönchöd tügeesen) (VF 5).

Der Stolz auf die Leistung Cinggis Khans und seiner Nachfolger wird auch

aus der auf der Rückwand der mittleren Halle des Heiligtums angebrachten

großen Landkarte von Asien und Europa deutlich, vor welcher die majestäti¬

sche Statue Cinggis Khans thront.

Kommen wir zum Schluß. Es wäre sicherlich nicht angebracht, die Beob¬

achtungen von zwei kurzen Aufenthalten in der Inneren Mongolei mit politi¬

schen Spekulationen zu verbinden. Allein die Tatsachen sind schon erstaun¬

lich genug.

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Abb. 1 (Tafel XIII): Das Cinggis- Khan-Heiligtum in Ejen qoruy-a. (Ordos). Aufnah¬

me L. S. Dagyab, Bonn.

Abb. 2 (Tafel XIII): Die Büste Cinggis Khans im Konferenzraum der Akademie für

Sozialwissenschaften der Inneren Mongolei in Höhhot

(Kökeqota/ Huhehaote).

(10)

DIE BIOGRAPHIE DER MA GCIG LAB SGRON MA —

QUELLENANALYTISCHE VORARBEITEN

Von Karenina KoUmar-Pauienz, Bonn

Vor einigen Jahren übersetzte ich im Rahmen meiner Magisterarbeit' eine

zu Beginn dieses Jahrhunderts verfaßte Biographie^ der Ma gcig lab sgron

ma, einer Mystikerin des 11. Jahrhunderts, die der tibetischen gCod-Tradi-

tion angehört. Schon damals steUte sich mir die Frage, welche älteren Quel¬

len der Autor bei der Abfassung der Biographie wohl benutzt hatte und wie

aus dem vorhandenen Quellenmaterial zum Leben dieser Mystikerin ein hi¬

storisch annähernd gesichertes Lebensbild ersteht werden könnte. Aus dieser

Fragestellung ergab sich in der Folge das Thema meiner Dissertation, an der

ich zur Zeit arbeite.' Anhand einer quellenkritischen Analyse des Zhi byed-

chos 'byung*, eines Geschichtswerks der Zhi byed- und gCod-Schulen, versu¬

che ich die innere historische Entwicklungsgeschichte der beiden Schulen her¬

auszuarbeiten. ' Einen Ausschnitt aus meiner Arbeit möchte ich hier vorstel¬

len.

Eine quellenanalytische Untersuchung läßt sich am besten anhand von

Einzelbiographien bedeutenderer Traditionsträger der betreffenden Schulen

durchführen, da sich über sie genügend Material auch in Kirchengeschichten und Chroniken etc. findet. Da Ma gcig lab sgron ma die zentrale Persönlich¬

keit der gCod-Schule war, eignet sich ihre Biographie besonders für eine

Quellenanalyse; an ihrem Lebensbericht kann die innere historische Ent¬

wicklung einer solchen Heiligenvita exemplarisch aufgezeigt werden.

An dieser Stelle möchte ich den Inhalt der gCod-Lehre kurz ins Gedächtnis rufen. Tib. gcod pa bedeutet ,, abschneiden, durchtrennen". Mit Hilfe dieses

' Karenina Kollmar: Ma-gcigdab-sgron-ma. Eine Mysd/<erin der tibeti¬

schen gCod-Tradilion. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Bonn 1984.

2 Es handelt sich um den im gCod yul ... byin rlabs gter mtsho enthalte¬

nen Text; s. Anm. 30.

' Der Arbeitstitel lautet: ,,Der Rosenl<ranz der Befreiung. "Die Geschich¬

te der Zhi byed- und gCod-Schulen des tibetischen Buddhismus.

* Vollständiger Titel: Zhi byed dang gcod yul gyi chos 'byung rin po che'i phreng ba thar pa'i rgyan. Toyo Bunko 47—724. Ebenfalls in: gCod kyi chos skor. New Delhi 1974.

' Über die gCod-Schule selbst existiert bis heute keine umfassende histori¬

sche Untersuchung. In neuerer Zeit sind einige Aufsätze erschienen, so

z. B. Janet Gyatso: The Development of the Gcod Tradhion. In:

Soundings in Tibetan Civilization. Eds. B. N. Aziz & Matthew Kap- STEiN. New Delhi 1985, S. 320—341. Qyatsos Darstellung läßt jedoch eine quellenkritische üntersuchung des Textmaterials vermissen.

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