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Archiv "Vermeidbare Fehler in der Psychopharmakatherapie" (24.09.1982)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Vermeidbare Fehler

in der Psychopharmakatherapie

Rüdiger Porep

Aus der Klinik für Psychiatrie

(Direktor: Professor Dr. med. Horst Dilling) der Medizinischen Hochschule Lübeck

Beim Umgang mit Psychopharmaka muß man sich immer vor Augen hal- ten, daß es sich um differente chemi- sche Substanzen handelt, die in das Seelenleben des Menschen eingrei- fen und es zu modifizieren vermö- gen. Mit Recht wird der Gebrauch von Psychopharmaka innerhalb und außerhalb der Medizin sehr kritisch gesehen, weshalb mehrere Voraus- setzungen für ihre Anwendung sorg- fältig beachtet werden müssen. Zu diesen Voraussetzungen gehören fundierte Kenntnisse

~ der normalen psychischen Ab- läufe

~ der pathologischen Zustände und Dynamik des Seelenlebens

~ der Wirkspektren der psychotro- pen Pharmaka

~ der spezifischen Gefahren der Anwendung psychotroper Phar- maka.

Nur so läßt sich die strenge Indika- tionsstellung für die Anwendung der Psychopharmaka gewährleisten, die unverzichtbar gefordert werden muß. Die notwendige Erfahrung in der Psychopharmakatherapie scheint nur dann erreichbar, wenn der Arzt sich auf jeweils wenige der oft innerhalb der verschiedenen Substanzklassen mutatis mutandis austauschbaren Medikamente be- schränkt. Nur durch eine solche Be- schränkung kann eine sichere Hand-

habung erreicht und gewährleistet werden. Die Substanzklassen sind

im wesentlichen folgende:

~ Hypnotika oder Schlafmittel

~ Tranquilizer und Sedativa oder Beruhigungsmittel

~ Thymoleptika oder Antidepres- siva

~ Neuroleptika oder Antipsycho- tika

Hier mitberücksichtigt werden soll auch:

~ Disulfiram (Antabus®)

Als Kliniker mit auch paliklinischer und reichlich konsiliarischer Erfah- rung sieht man nicht selten Fehler in der Anwendung von Psychopharma- ka, die teils auf ärztlichen Verord- nungen, teils auf Unkenntnis der Pa- tienten beruhen. Seide Fehlerquel- len sind bei besserer Unterrichtung vermeidbar. Generell läßt sich sa- gen, daß Psychopharmaka mögli- cherweise insgesamt zu häufig ein- gesetzt werden, die Indikationsstel- lung also zu wenig streng erscheint, daß der einzelne Therapeut häufig mit einem zu großen Repertoire von Substanzen umgeht, daß alternative therapeutische Möglichkeiten zu wenig bekannt sind und eingesetzt werden, daß Patienten zu wenig über die zu erwartenden Wirkungen, aber auch die Nebenwirkungen, Ri-

Einige Probleme und Fehler bei der Anwendung von Psy- chopharmaka werden so häu- fig beobachtet, daß sich bei deren näherer Betrachtung die Hauptschwierigkeiten im Umgang mit dieser Substanz- klasse gut herausarbeiten las- sen. Daraus werden einige wichtige Grundsätze abgelei- tet, die vor allem dem Nicht- psychiater mehr Sicherheit in der Anwendung von Psycho- pharmaka verleihen sollen.

siken und Gefahren unterrichtet sind, die mit dem, besonders länger- fristigen, Gebrauch bestimmter Sub- stanzgruppen verbunden sind. Die Lektüre des Beipackzettels ohne Er- klärungshilfe durch den Arzt über- fordert die weitaus meisten Patien- ten. Im folgenden soll, soweit in die- sem engen Rahmen möglich, auf die häufigsten vermeidbaren Fehler der Psychopharmaka-Anwendung ein- gegangen werden.

Hypnotika

Die Stoffklasse der Barbitursäureab- kömmlinge kann für den Gebrauch in der täglichen Praxis als nahezu obsolet angesehen werden. Der ent- scheidende Nachteil ist die geringe therapeutische Breite, das heißt die Wirkdosis und die Dosis letalis lie- gen zu nahe beieinander, was durch das häufige Vorkommen von schwe- ren Intoxikationen, fast immer in sui- zidaler Absicht, dokumentiert wird. Die Barbituratintoxikationen gehen häufig letal aus. Besser· geeignet sind solche Hypnotika, die eine gro- ße therapeutische Breite haben, wie die klassischen Substanzen Paralde- hyd (Gefahr der Abhängigkeitsent- wicklung) und Chloralhydrat sowie die Benzodiazepin-Abkömmlinge, von denen es eine große Zahl gibt.

Leichtere Schlafstörungen im Rah- men neurotischer Entwicklungen lassen sich gut mit psychotherapeu-

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Psychopharmakatherapie

tischen Methoden behandeln, insbe- sondere durch das Erlernen des au- togenen Trainings; schwere Schlaf- störungen kommen meist im Rah- men psychotischer Erkrankungen vor, haben oft den Charakter von Prodromi solcher Erkrankungen und sollten nicht primär symptoma- tisch behandelt werden. Sie machen eine nervenfachärztliche Konsulta- tion erforderlich.

Ein besonderes Problem stellt Clo- methiazol (Distraneurin ()) dar, das den immer auch antikonvulsiv wirk- samen Hypnotika zugeordnet wer- den kann. Die Domäne der Anwen- dung dieses Medikaments stellt das schwere Alkoholentzugssyndrom dar, besonders des oft mit zerebra- len Grand-mal-Krampfanfällen be- ginnenden Delirium tremens.

Abgesehen davon, daß das oft le- bensbedrohliche Delir ohnehin der klinischen Intensivtherapie bedarf, soll Distraneurin wegen der hoch- gradig suchterzeugenden Wirkung niemals unkontrolliert und länger als unbedingt nötig verordnet wer- den. Die Verordnung von Distraneu- rin an Alkoholkranke außerhalb der stationären Delirbehandlung stellt einen Kunstfehler dar.

Wir kennen eine große Zahl von Pa- tienten, die Alkohol durch Distra- neurin substituiert oder teilsubstitu- iert haben. Das Suchtmittel Distra- neurin wird zum Beispiel in Lübeck auf dem schwarzen Markt zur Zeit mit etwa DM 0,50 bis 1,00 pro Kapsel gehandelt.

In der stationären und ambulanten Entzugsbehandlung ist ein nieder- potentes Neuroleptikum indiziert, zum Beispiel Thioridazin (Melleril®), solange eine manifeste delirante Symptomatik fehlt.

Tranquilizer

Diese Medikamentengruppe löst auf pharmakologischem Wege Angst und Spannungen, wirkt emotional ausgleichend und beruhigend, vege- tativ dämpfend sowie muskelrelaxie- rend. Die Gefahr der Substanzgrup-

pe (Meprobamate, Benzodiazepin- Abkömmlinge) liegt darin, daß sie den Problemen des Alltags entrückt („happy pills"; die „rosarote Brille für die Psyche") und damit zur Ent- wicklung von zunächst psychischer, dann auch physischer Abhängigkeit geradezu prädestiniert ist. Die An- wendung dieser außerordentlich häufig verordneten Substanzgruppe macht besonders strenge Indika- tionsstellung und die Einhaltung sorgfältig zu beachtender Verord- nungsmaßregeln notwendig.

Ein Unterschied in der suchterzeu- genden Potenz, der für die verschie- denen Substanzen immer wieder be- hauptet wird, läßt sich klinisch nicht verifizieren; in dieser Beziehung harmlose Tranquilizer gibt es nicht.

Für die Anwendung, besonders als Krisenintervention, muß eine gleich- zeitige problemorientierte, im weite- sten Sinne psychotherapeutische Arbeit gefordert werden, wozu auch das autogene Training gehört.

Der Anwendungszeitraum muß von vornherein und in Absprache mit dem Patienten auf höchstens einige Wochen begrenzt werden, dann muß ein Absetzversuch gemacht werden; bei abhängigkeitsgefährde- ten Patienten ist besondere Vorsicht geboten.

Bei depressiven Patienten ist die Suizidgefahr zu beachten. Intoxika- tionen mit Tranquilizern in suizidaler Absicht sind häufig, weswegen die verordnete Menge klein gehalten werden muß. Die Dosierung ist so niedrig wie möglich zu wählen. Bei alten Patienten treten häufig para- doxe Reaktionen bis zum deliranten Syndrom auf.

Man muß sich darüber klar sein, daß, das Wirkspektrum einmal von der negativen Warte her betrachtet, die Abnahme der intellektuellen Lei- stungsfähigkeit, besonders der Kri- tikfähigkeit, die Antriebsverminde- rung, die affektive Verflachung bis zur Wurstigkeit, die Minderung der Reizbarkeit und der Verantwortlich- keit negative Folgen für die Fähig- keit der Realitätsbewältigung hat.

Tranquilizer ersparen dem Patienten nicht die Bewältigung seiner Le- bensprobleme und dem Arzt nicht das psychotherapeutische Engage- ment; Ausweichangebote fördern die Suchtentwicklung.

Thymoleptika

Die antidepressiven Substanzen ha- ben in unterschiedlichem Maße drei Wirkkomponenten: Antriebs- und Aktivitätssteigerung, Stimmungsauf- hellung, affektive Dämpfung. Das unterschiedliche Wirkprofil der ein- zelnen Medikamente birgt Gefahren.

Bei der ambulanten Behandlung durch den Nichtpsychiater ist eine scharfe Trennung der depressiven Syndrome oft nicht möglich. Alle de- pressiven Syndrome, besonders auch die endogene Depression/Me- lancholie, bergen ein hohes Suizidri- siko.

Hier kann sich die Wahl solcher Thy- moleptika, die bei geringer oder feh- lender affektiver Dämpfung zu- nächst aktivierend und erst verzö- gert stimmungsaufhellend wirken, fatal auswirken, da durch sie man- chen Kranken erst der nötige Impe- tus verliehen wird, einen Suizid zu begehen.

Deshalb sind guten Gewissens nur die Thymoleptika vom Amitriptylin- Typ, zum Beispiel Laroxyl®, Saro- ten®, Stangyl® und niederpotente Neuroleptika mit antidepressiver Komponente, zum Beispiel Melleril®, zu empfehlen.

Ihr Charakteristikum ist die initiale Dämpfung, die entlastend wirkt und deshalb erwünscht ist. Der Patient muß darüber aufgeklärt werden, daß er Geduld haben muß, denn die stimmungsaufhellende Wirkung läßt oft 8 bis 14 Tage auf sich warten.

Die häufig bis zur Hypochondrie überempfindlichen Patienten müs- sen auch auf die zu erwartenden ve- gatativen Nebenwirkungen hinge- wiesen werden, zum Beispiel auf die initiale Mundtrockenheit, auf Akko- modationsstörungen, vermehrtes Schwitzen und hypotone Regula-

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Psychopharmakatherapie

tionsstörungen. Ununterrichtete Pa- tienten setzen das Medikament oft aus Ungeduld viel zu früh ab und deuten die initialen vegetativen Ne- benwirkungen als Verschlimmerung ihrer Erkrankung. Thymoleptisch behandelte depressive Patienten be- dürfen einer zeitlich engen Führung.

Wegen ihrer kardiotoxischen Wir- kung sind Intoxikationen mit Thymo- leptika auf den internistischen Inten- sivstationen gefürchtet.

Auch hier gilt der Grundsatz der Ver- ordnung möglichst kleiner Gesamt- substanzmengen zu Beginn der The- rapie. Alte Patienten bedürfen meist niedrigerer Dosierung; beim depres- siv gefärbten organischen Psycho- syndrom auf dem Boden einer zere- brovaskulären Insuffizienz steht die Kreislauftherapie neben der ökono- misierung des Hirnstoffwechsels (Digitalisierung, bei ausreichendem Blutdruck Gabe von zum Beispiel Hydergin®) ganz im Vordergrund;

Thymoleptika provozieren bei die- sen Patienten nicht selten delirante Bilder.

Zu beachten ist auch die Senkung der Krampfschwelle unter Thymo- leptika-Gabe. Fixe Kombinationen von Amitriptylin mit z. B. Chlordiaze- poxid (Limbatril®) sind problema- tisch: Während eine thymoleptische Behandlung meist langfristig ange- legt werden muß, soll die Tranquili- zer-Gabe kurzfristig sein. Die Gefahr der Bahnung einer Tranquilizer-Ab- hängigkeit ist deshalb bei der fixen Kombination besonders groß.

Die Gabe eines Thymoleptikums al- lein, z. B. vom Amitriptylin-Typ (La- roxyl®, Saroten®, Stangyl®, Ttypti- zol®) ist unbedingt vorzuziehen, wo- bei die initial dämpfende Wirkung die passagere zusätzliche Gabe ei- nes Tranquilizers in freier Kombina- tion meist überflüssig macht.

Neuroleptika

Diese Medikamentengruppe wirkt spezifisch auf psychotische Sympto- me. In höherer Dosierung bewirken Neuroleptika, besonders die höher-

potenten, eine Verminderung der quälenden psychotischen Sympto- me wie innere und psychomotori- sche Unruhe, psychotische Ängste und Spannungszustände, Wahrneh- mungsstörungen wie Halluzinatio- nen, formale Denkstörungen wie psychotische Konzentrationsstörun- gen und Zerfall des Denkens bis zur Zerfahrenheit sowie inhaltliche Denkstörungen wie paranoide Ideen bis zu Wahnsystemen. Die Indika- tionsstellung für die erstmalige An- wendung von Neuroleptika sollte in der Regel dem Nervenarzt vorbehal- ten sein. Allgemein bekannt sollten bestimmte aus der Vielzahl der mög- lichen Nebenwirkungen sein, wie die Senkung der Krampfschwelle und die extrapyramidal-motorischen Ne- benwirkungen.

Zu Beginn der Behandlung ist am ehesten mit Frühdyskinesien zu rechnen, wozu die Zungen-, Schlund- und Blickkrämpfe ebenso rechnen wie Bewegungsstürme der Gesichtsmuskulatur, klonische Ver- krampfungen der Kaumuskulatur und die Torsionsdystonie. Diese Ne- benwirkungen sind keineswegs streng dosisabhäng.ig und können schon bei niedriger Dosierung oder abrupter Dosisänderung, also auch Verminderung, auftreten. Die indivi- duelle Empfindlichkeit ist außeror- dentlich unterschiedlich. Die Neben- wirkungen bei längerem Neurolepti- kagebrauch und höheren Dosierun- gen sind das Parkinsonoid und die Akathisie (Bewegungsunruhe).

Für die Bekämpfung aller dieser extrapyramidal-motorischen Neben- wirkungen ist Biperiden (Akineton®) das Mittel der Wahl.

Die Frühdyskinesien können auch durch i. v. Injektionen von einer hal- ben bis einer ganzen Ampulle Akine- ton'!, schlagartig beseitigt werden, doch muß die Injektion unbedingt sehr langsam erfolgen, da sonst psy- chotische Symptome bis zu deliran- ten Bildern provoziert werden kön- nen, die bei den ohnehin maximal verängstigten Patienten unbedingt vermieden werden müssen.

Das Parkinsonoid und die Akathisie werden ebenfalls mit Akineton® in

Tablettenform behandelt, doch muß gleichzeitig in der Regel die Neuro- leptika-Dosierung modifiziert wer- den.

Der Einsatz von Akineton erfordert strenge Vorsichtsmaßregeln. Da Aki- neton® bei vielen Patienten durch die euphorisierende Wirkung abhän- gig macht und die Potenz der Neuro- leptika zu mindern scheint, sollte das Medikament nur unter Beach- tung folgender Gesichtspunkte ein- gesetzt werden:

Extrapyramidal-motorische Ne- benwirkungen müssen tatsächlich beobachtet werden und den Patien- ten mehr als unerheblich stören, woraus folgt, daß Akineton® nicht regelhaft prophylaktisch verabreicht werden soll;

Q Die Anwendungszeit muß eng be- grenzt werden, eine Dosisreduktion muß bereits nach wenigen Tagen versucht werden, ein Absetzversuch sollte möglichst bald erfolgen;

0 Die Gabe von Akineton® darf die der Neuroleptika nicht überdauern;

0 Bei Applikation von Depot-Neuro- leptika, die zum Beispiel drei Wo- chen wirksam sind, soll die Akine- ton-Gabe auf die jeweils ersten Tage nach der Injektion beschränkt blei- ben, falls überhaupt störende ex- trapyramidal-motorische Nebenwir- kungen auftreten. Uns sind nicht we- nige Patienten begegnet, die das Neuroleptikum längst abgesetzt ha- ben, Akineton® aber immer weiter nehmen und auf der Verordnung von Großpackungen bestehen.

In geringen Dosen haben Neurolep- tika auch beruhigende, schlafansto- ßende und zum Beispiel auch anti- emetische Wirkung. Auch für den Einsatz insbesondere hochpotenter Neuroleptika in niedriger Dosierung muß eine strenge Indikationsstel- lung gefordert werden. Eine Indika- tion stellen zum Beispiel bestimmte organische Psychosyndrome bei ze- rebrovaskulärer Insuffizienz älterer Patienten dar. Keine Indikation stel- len in aller Regel unspezifische Angst- und Spannungszustände so-

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wie vegetative Dysregulationen dar, für die eine Tranquilizer-Wirkung gewünscht wird. Das gilt natürlich auch und besonders für Depot-Neu- roleptika. Schulte und Tölle stellen dazu fest: "Unverantwortlicherweise werden einige Präparate vom Her- steller auch für diese Indikationen (allgemeine Nervosität oder vege- tative Dysregulation) angeboten, oh- ne immer deutlich zu machen, daß es sich um hochpotente Neurolepti- ka mit starker extrapyramidal-moto- rischer Wirkung handelt.

Dieinitialen Dystonien und späteren

Akinesen werden dann nicht selten als symptomarme neurologische Er- krankungen verkannt, und die Pa- tienten werden unter Diagnosen wie Hirntumor, Subarachnoidalblutung, multiple Sklerose oder Paralysis agi- tans in die Klinik eingewiesen".

Disulfiram (Antabus®)

Diese problematische Substanz wird immer noch, vielleicht zu häufig und zu unkritisch, dazu verwendet, um chronische Alkoholiker in ihrem Be- streben zu unterstützen, abstinent zu bleiben. Es handelt sich um einen Enzyminhibitor (Acetaldehyddehy- drogenasehemmer), der den Abbau des Aethylalkohols auf der Stufe des Acetaldehyds blockiert, was brisante bis unter Umständen tödliche patho- physiologische Reaktionen zur Fol- ge haben kann. Kontraindikationen bilden auf jeden Fall Leber und Nie- renerkrankungen, Diabetes, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, zerebrale Anfallsleiden und Psychosen.

Nimmt ein unter Disulfiram stehen- der Patient Alkohol zu sich, wenige Gramm genügen, kommt es zu einer vegetativen Unverträglichkeitsreak- tion mit Übelkeit, eventuell bis Brechreiz und Erbrechen, Magen- beschwerden, Tachykardie, Atem- beschleunigung, Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, Flush mit Hitzege-

fühl, Schwitzen.

Die Einleitung der Disulfiram-Be- handlung setzt die Entgiftung des Alkoholkranken voraus. Sodann wird die Therapie bei motivierten Pa-

tienten, bei denen die Kontraindika- tionen ausgeschlossen worden sind, durch Gabe von 1 g Disulfiram/die über einige Tage bis 1 Woche einge- leitet.

Um den Patienten mit der Wirkung der Disulfiram-Aikohol-lntoxikation vertraut zu machen, um gleichzeitig aber auch eine vital gefährdende Re- aktion auszuschließen, wird unter Kontrolle des Arztes, möglichst un- ter klinischen Bedingungen, ein

"Probetrunk" verabreicht (1 0 g

Äthanol, was 20 ml 40prozentigem Alkohol, 100 ml Wein oder 200 ml Bier entspricht).

Überstarke Reaktionen können mit Ascorbinsäure (1 g Vitamin C i. v.) oder einem Antihistaminikum wie Promethazin (Atosil® 40 mg i. v.) ab- gefangen werden. Die Langzeitthe- rapie wird mit 0,2 g Disulfiram/die für mindestens ein halbes Jahr fortge- setzt.

Die Nebenwirkungen des Disulfiram wie Hypotonie, Müdigkeit, schwere Leberschädigungen, neurologische Störungen und akute exogene Psy- chosen, die neue Probleme aufwer- fen können, müssen bekannt sein.

Das Auftreten von psychotischen Episoden unter Disulfiram-Gabe wurde von uns mehrfach gesehen.

Manche Autoren lehnen den "Pro- betrunk" ab, um einen entgifteten Alkoholiker nicht erneut mit Alkohol in Berührung zu bringen. Hier hängt wohl viel von der ärztlichen Führung während des Versuchs ab. Betont werden muß, daß bei Nichtbeach- tung der genannten Maßregeln nicht nur der Patient erheblich gefährdet werden kann, sondern daß der Er- folg der Disulfiram-Behandlung sehr fraglich wird und geradezu eine De- motivierung des Alkoholkranken die Folge sein kann. Persaldo kann die mit vielen gefährlichen Risiken be- haftete Disulfiram-Anwendung nicht mehr guten Gewissens empfohlen werden.

Grundsätze

Zusammenfassend soll noch einmal betont werden, daß die meisten Feh- ler bei der Anwendung von Psycho-

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Psychopharmakatherapie

pharmaka vermieden werden kön- nen, wenn folgende Punkte beachtet werden:

~ Exakte Diagnostik und strenge Indikationsstellung

~ Verordnung weniger, dem Arzt gut bekannter Substanzen

~ Verordnung möglichst jeweils nur eines Psychopharmakons, maxi- mal zwei gleichzeitig

~ Vermeidung von Kombinations- präparaten

~ Verordnung kleiner Substanz- mengen bei latent suizidalen und abhängigkeitsgefährdeten Patienten

~ Enge Verlaufskontrollen mit der Möglichkeit der Dosiskorrektur

~ Definierte Anwendungszeiten und von vornherein geplante Ab- setzversuche

~ Ausschöpfung anderer Therapie- formen wie psycho- und soziothera- peutische Maßnahmen

~ Psychehygienische Beratung, eventuell mit Hinweis auf entspre- chende Beratungsstellen

Auf die Erfordernis der internisti- schen Untersuchungen und Begleit- kontrollen bei Anwendung von Psy- chopharmaka wurde hier nicht ein- gegangen.

Literatur

(1) Benkert, 0.; Hippius, H.: Psychiatrische Pharmakotherapie, Springer-Verlag, Berlin/

Heidelberg/New York (1980)- (2) Finzen, A.: Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen, Psychiatrie-Verlag, Rehberg/Loc- cum (1980) - (3) Forth, W.; Henschler, D.;

Rummel, W. (Hrsg.): Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Bibliograph. Institut, Mannheim - Wien/Zürich (1977) - (4) Pöldinger, W.; Schmidlin, P. E.: Index Psy- chopharmacorum, Huber-Verlag, Bern/Stutt- gart/Wien (1979) - (5) Kuschinsky, G.; Lüll- mann, H.: Kurzes Lehrbuch der Pharmakolo- gie Thieme-Verlag, Stuttgart (1981) - (6) Schulte, W.; Tölle, R.: Psychiatrie, Sprin- ger-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York (1979)

Dr. med. Rüdiger Porep Oberarzt der

Klinik für Psychiatrie der

Medizinischen Hochschule Lübeck Ratzeburger Allee 160

2400 Lübeck

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