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Archiv "Ambient Assisted Living – Assistenzsysteme: Technik hilft auf Schritt und Tritt" (13.02.2009)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 7⏐⏐13. Februar 2009 A279

P O L I T I K

E

rstmals seit ihrem 40-jährigen Bestehen hat die einflussreiche US-amerikanische Elektronikmesse CES in Las Vegas die Älteren als Zielgruppe entdeckt und im Januar 2009 die Sonderschau „Silvers Sum- mit“ veranstaltet (1). Gezeigt wurden unter anderem seniorengerechte Handys und GPS-Navigationsgeräte für Alzheimer-Patienten, die diesen die Orientierung im Alltag erleich- tern sollen. Dabei sei auch das „Pill Phone“, ein Handy mit Erinnerungs- funktion für die Medikamentenein- nahme, groß herausgestellt worden, obwohl es eine umständliche Eigen- programmierung erfordere, berichte- te Prof. Dr. Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz beim zweiten AAL-Kongress in Berlin* (2). Der kritischen Anmerkung auf dem Fuß folgte der Hinweis, dass man in Deutschland „schon eine bessere und weitergehende Lösung“ aufzuweisen habe, nämlich eine funkgesteuerte elektronische Medikamentenbox.

Außerdem arbeite man an patienten- individuellen „Wochen- oder Mo- natsblistern“, bei denen der Patient beispielsweise seine Wochenpa- ckung mit allen einzunehmenden Arzneimitteln erhalte und per Handy an die Einnahme erinnert werde (3).

AAL-Technologien gefragt

Das weltweite Wettrennen um die Entwicklung lebensunterstützender intelligenter Assistenzsysteme, eine Umschreibung für das Geschäfts- und Technologiefeld Ambient Assist- ed Living (AAL), hat somit begon- nen, und Deutschland liegt dabei bis- lang gut im Rennen. AAL-Technolo- gien sollen mit dazu beitragen, den demografischen Wandel zu bewälti- gen. Bereits heute sind 22 Prozent der Haushalte in Deutschland Seni-

orenhaushalte. Statistischen Berech- nungen zufolge werden im Jahr 2050 23 Millionen Menschen hierzulande über 65 Jahre alt sein. Intelligente Assistenzsysteme sollen ältere Men- schen in ihrem Alltagsleben unter- stützen, damit sie möglichst lange ein selbstständiges und unabhängi-

ges Leben zu Hause führen können.

Für die Volkswirtschaft geht man von einem Einsparpotenzial von rund drei Milliarden Euro aus, wenn nur etwa ein Zehntel der älteren Menschen mithilfe von Assistenzsys- temen ein Jahr länger als bisher im eigenen Haushalt verbleiben könnte.

Das Anwendungsspektrum von AAL reicht von der Unterstützung alltägli- cher Verrichtungen über die Gesund- heits- und Aktivitätsüberwachung, den Zugang zu medizinischen und zu Notfallsystemen bis hin zur Erleich- terung sozialer Teilhabe. (4)

Zu den Schlüsseltechnologien für AAL-Lösungen zählen vor allem die Mikrosystemtechnik, Informations- und Kommunikationstechnik, Medi- zintechnik, Elektrotechnik, Automa- tion und Robotik. Allein für teleme- dizinische Systeme soll der globale Markt jährlich von 4,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 auf 13,9 Milliarden US-Dollar bis 2012 zu- legen. Das gesamte Marktpotenzial

liegt nach Meinung von Experten noch erheblich höher. „Wir haben aber keine Zeit zu verlieren, denn viele Industrienationen sind in einer ähnlichen Situation“, betonte Thomas Rachel, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungs- ministerium (BMBF). Das Ministe- rium will in den nächsten drei Jah- ren 125 Millionen Euro für die Ent- wicklung von AAL-Standards und marktreifen Produkten und Dienst- leistungen bereitstellen. Davon ent- fallen 45 Millionen Euro auf die Fördermaßnahme „Altersgerechte Assistenzsysteme“, für die 17 Pro- jekte ausgewählt und beim Kon- gress vorgestellt wurden. (5)

Übergreifendes Netzwerk

Eine Innovationspartnerschaft mit dem VDE (Verband der Elektrotech- nik Elektronik Informationstechnik) soll dabei zusätzliche Impulse für die Zusammenarbeit zwischen Wissen- schaft und Wirtschaft geben. Ziel ist es, ein übergreifendes Netzwerk aus Technik, Politik, Sozialwissenschaft und Pflege zu schaffen, denn noch handelt es sich um einen sehr unüber- sichtlichen Markt, der sich vor allem durch die Heterogenität der Akteure, Technologien und Standards aus- zeichnet. Darüber hinaus werde En- de März 2009 eine AAL-Begleitfor- schung zu ethischen, rechtlichen, so- zialen und politischen Fragen ausge- schrieben, kündigte Rachel an, denn eines sei klar, „wir brauchen die ge- sellschaftliche Akzeptanz“.

Einer Studie des Berliner Instituts für Sozialforschung zufolge wollen mehr als 58 Prozent der Seniorinnen und 37 Prozent der Senioren mit Un- terstützung technischer Systeme in den eigenen vier Wänden leben (6).

Die höchsten Akzeptanzwerte errei- chen dabei Anwendungen wie die automatische Sicherung der Woh- nung, das Telemonitoring für Herz- Kreislauf-Kranke sowie die mobile

AMBIENT ASSISTED LIVING – ASSISTENZSYSTEME

Technik hilft auf Schritt und Tritt

Viel Geld wird derzeit in die Entwicklung altersgerechter Assistenzsysteme gesteckt. Chancen und Risiken sowie die Akzeptanz der neuen Technologien sind noch längst nicht ausgelotet.

* AAL = Ambient Assisted Living, 2. Deutscher AAL- Kongress, ausgerichtet vom Bundesforschungsmi- nisterium und VDE Ende Januar 2009 in Berlin

Foto:Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme

Räumlich verteilte, körpernahe oder sogar implantier- bare Sensorsyste- me sorgen für die Erfassung notwendi- ger Vital- oder Um- gebungsdaten.

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A280 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 7⏐⏐13. Februar 2009

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Gesundheitsassistenz, etwa durch ein Shirt mit EKG-Funktion.

Dennoch stellen ältere und behin- derte Menschen keine homogene Nutzergruppe dar. Darauf verwies Klaus-Peter Wegge, Leiter des Ac- cessibility-Kompetenzzentrums bei Siemens und selbst blind. Bei der AAL-Zielgruppe handele es sich um Menschen mit alterstypischen Fähig- keiten, um Menschen mit Behinde- rungen in jedem Alter, um solche mit temporären Einschränkungen und al- le diejenigen, die sich Komfort und Unterstützung leisten könnten. Bar- rierefreiheit sei eine grundsätzliche Voraussetzung für die Akzeptanz von AAL-Systemen, betonte Wegge. Al- lerdings werde Barrierefreiheit je nach Alter, Behinderung, Training und persönlicher Erfahrung unter- schiedlich wahrgenommen und teil- weise widersprüchlich bewertet. Die Nutzer sollten generell schon im frühen Designstadium mit einbezo-

gen werden („entwickeln mit“ statt

„entwickeln für“). Wichtig sei die Vermeidung von Stigmatisierung und Diskriminierung. „Entwickeln Sie niemals einen AAL-Service, den Sie nicht auch selbst nutzen würden“, so die Empfehlung des Experten.

Nutzer gut für Überraschungen

Anschauungsunterricht dazu lieferte die Studie zu einem intelligenten mo- bilen Notrufsystem, die Helma Toep- per (Slash Work, Frankfurt/M.) vor- stellte. Gefragt war ein System für die Generation 60 plus, das sowohl Hilfe im Notfall gewähren als auch Infor- mationen über Vitaldaten liefern soll- te, gedacht wurde zunächst an ein Armband. Anhand von Benutzerbe- obachtungen und -befragungen ergab sich während des Designs von Proto- typen, dass störende oder auffällige Geräte abgelehnt werden, weil sie als stigmatisierend empfunden werden.

Am Ende des Entwicklungsprozesses stand daher ein akzeptiertes alltägli- ches Produkt: die Armbanduhr, die zusätzlich Temperatur, Herzfrequenz und Position einer Person messen, die Signale per Funk an die Servicestati-

on weitersenden und so bei Bedarf Hilfe für die ältere Person anfordern kann (7). Die Freude am Benutzen ei- nes Gerätes und das Vertrauen in die Technik seien wesentliche Kompo- nenten eines „behavioral design“, er- läuterte Toepper. Das „mentale Mo- dell“ des Nutzers – das, was dieser kenne und gewohnt sei zu benutzen – müsse mit berücksichtigt werden.

„Alterstypische Einschränkungen älterer Nutzer werden in Innovations- prozessen häufig zu Vorteilen, da aus ihnen bereits hohe Anforderungen an die Bedienbarkeit resultieren, von de- nen auch Jüngere profitieren“, erklär- te Sebastian Glende, Technische Uni- versität Berlin. Intelligente Assistenz- systeme müssen zuverlässig, sicher und vertrauenswürdig arbeiten, sie müssen ihre Komplexität vor den Nutzern verbergen, individuell ein- stellbar, einfach zu bedienen und um- weltverträglich sein und dürfen den normalen Lebensablauf nicht stören.

AAL verändere das Bild vom ein- zelnen Menschen und vom Zusam- menleben, meinte Priv.-Doz. Dr.

theol. Arne Manzeschke, Universität Bayreuth, in seinem Problemaufriss zu ethischen Aspekten. AAL betreffe die Balance zwischen den Polen Sicherheit und Freiheit, Unterstüt- zung und Entmündigung, Kontrolle und Gleichgültigkeit, Normierungs- zwang und Individualismus, Be- und Entlastung. Hilfe verstanden als To- talvereinnahmung, die dem Men- schen alle Last wegnehmen wolle, übersehe, dass zum Leben auch eine gewisse Belastung dazugehöre. Hilfe könne zudem den Druck erhöhen, sich mit gewissen technischen Hilfen zufriedenzugeben und ansonsten so- zial unauffällig zu bleiben (Normie- rungszwang). Seine Forderungen:

AAL darf die assistierte Person nicht überfordern. Die Einwilligung zum Einsatz von AAL muss freiwillig bleiben und darf keine Zwangsan- wendung „zum eigenen Besten“

werden. Robotik darf nicht auf Kos- ten sozialer Nähe gehen. Es bedarf klarer menschengebundener, trans- parenter und intervenierbarer Ent-

scheidungshierarchien beim AAL- Einsatz. „Das heißt, entscheiden muss stets ein Arzt oder Pfleger, nicht irgendein Rechner“, so Man- zeschke.

Technik, die zu Leibe rückt

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alxeander Dix gab zu bedenken, dass die Intensität der Überwachung durch AAL-Technologien wie Sen- sorik, RFID, Telemonitoring oder Body Area Networks (BAN) erhöht wird. Angriffe auf AAL-Systeme könnten möglicherweise lebensbe- drohlich sein, so Dix. „Die Technik rückt dem Menschen im BAN zu Leibe.“

Die Anforderungen des Daten- schützers: Hilfebedürftige und alte Menschen dürfen nicht elektronisch bevormundet werden. Auch bei AAL-Anwendungen ist der Grund- satz der Datensparsamkeit und Da- tenvermeidung zu beachten. Tech- nik ist von vornherein datenschutz- freundlich zu gestalten. Hilfsbedürf- tige dürfen mit AAL-Technologien nicht allein gelassen werden, was ho- he Anforderungen an die Transpa- renz der Technikgestaltung erfordert.

Ganz wichtig: Wer auf AAL-Technik verzichtet, sollte deswegen keine Nachteile befürchten müssen. n Heike E. Krüger-Brand

INTERNETADRESSEN:

1. http://silverssummit.com CES (Consumer Electronics Show) 2. www.aal-deutschland.de

AAL-Website des BMBF 3. www.semprom.de

Semantic Product Memory – Produkte führen Tagebuch

4. www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.

asp?src=suche&id=59594 DÄ-Artikel „Ambient Assisted Living – Assistenzsysteme: Hightech für ein bes- seres Leben im Alter“

5. www.mstonline.de/news/news/

ergebnisse-der-bekanntmachung- altersgerechte-assistenzsysteme Ergebnisse der BMBF-Fördermaßnahme

„Altersgerechte Assistenzsysteme“

6. www.bis-berlin.de/projekte/beendete- projekte.html

Studie „Smart Home für ältere Menschen – Akzeptanz von AAL-Technologien zur Unterstützung der Gesundheit und Sicherheit“

7. www.slash-work.de/projekte/case-stu dies/handy-connection.html Studie „Intelligentes Notrufarmband“

Aus ethischer Perspektive: Der Einsatz von AAL darf keine

Zwangsanwendung „zum eigenen Besten“ werden.

Referenzen

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