"Gesundheitstag '80":
Multiprofessionelle Teamarbeit
"Verschüttete Alternativen" der Gesu nd heitspol iti k darzustellen ist ein Ziel vorwiegend in Berlin aktiver Initiatoren. Am Rande des diesjährigen Ärztetages, aber we- der unbeachtet noch isoliert, ver- anstalteten sie den ursprünglich als "Gegen-Ärztetag" geplanten
"Gesundheitstag" , dessen Veran- staltungen einen Zulauf von an- geblich zigtausend Interessenten hatten.
Studiert man das Schrifttum, das auf einer Pressekonferenz des
"Medizinischen Informations- und Kommunikationszentrums, Ge- sundheitsladen Berlin e. V." (Ber- lin, Kantstraße 148) ausgebreitet wurde, dann geht es den Initiato- ren um eine Sozialisierung des Gesundheitswesens, wie sie in Zeiten der Weimarer Republik vom
"Verein sozialistischer Ärzte"
(VSÄ) und deren internationaler Vereinigung befürwortet worden ist. Angesichts der abweisenden Haltu ng der heutigen Ärzteschaft scheut man nicht davor zurück, unter Hinweis auf die vielen jüdi-
Bericht und Meinung NACHRICHTEN
sehen Ärzte, die einerseits den VSÄ getragen haben und anderer- seits Opfer der NS-Gewaltherr- schaft wurden, die Ärzteschaft "ei- ner ungebrochenen Tradition aus der NS-Zeit" zu verdächtigen.
In Berlin war man bemüht, Tradi- tionsmerkmale, beginnend vom Offiziersdasein des Ersten Welt- krieges bis hin zur antisozialisti- schen und vorwiegend ökonomi- schen Orientierung, zusammenzu- tragen.
Jüdische Emigranten, die man an- läßlich des "Gesundheitstages '80" nach Berlin eingeladen hatte, dienten dabei der politischen Ver- dächtigung des Ärztestandes, des- sen Ansehen zu beeinträchtigen deutliches Anliegen der sich um
Zu einem Sturmlauf gegen die "etablierte Medizin und reaktionäre Standesvertretung" riefen die Initiatoren des alternativen
"Gesundheitstages '80" bei der Eröffnungspressekonferenz am 14. Mai im "Zille-Eck" in Berlin-Charlottenburg auf. Im gleißenden Licht der Fernsehscheinwerler und unterstützt von einem buntscheckigen Aufwand "alternativer" Gesundheitspu- blizistik nahmen die Sprecher des "Medizinischen Informations- und Kommunikationszentrums, Gesundheitsladen Berlin e. V."
(Berlin, Kantstraße 148; Schwarzes Cate, 2. Stock) für sich in Anspruch, die "Dauerkrise des kapitalistischen Gesundheitswe- sens in der BRD" zu beschwören und um die zum Teil weit angereisten Gesundheitsarbeiter zu einem "Bündnis gegen inhumane und unsoziale Entwicklungen in der Medizin und Gesundheitspolitik" aufzurufen. In nahezu 300 Vortrags-, Diskus- sionsveranstaltungen und Happenings wurde über ein weitgefächertes Themenspektrum (vom Nationalsozialismus über Psychiatrie, Medizin der dritten Welt bis hin zu Frauenproblemen und zur Homosexualität) stramm links, zum Teil aber auch chaotisch-kontrovers debattiert. Das selbstgesetzte Ziel der Gesundheitsladen-Leute lautete: soziale Alternativen im Gesund- heitswesen aufzuzeigen und "demokratische Gegenpositionen" pragmatisch zu entwickeln. Der "Gesundheitstag '80" gab vor, endlich einmal keine reine Theorie mehr zu bieten. Behandelt werden sollte die Problematik am konkreten Fall. Doch was bei allem Eifer dabei herauskam, war meist nicht mehr als ein Rundumschlag gegen alles "Etablierte", bei dem auch die Gewerkschaften als "Interessenvertretung des Sozialversicherten" und die sozialdemokratisch-liberale Bonner Koalition nicht ausgespart blieben .. Man wird also geduldig auf den nächsten, bereits angekündigten "Gesundheitstag" warten müssen, um zu beurteilen, wie sich die "Gesundheitstags"-Initiatoren und ihre führenden Köpfe die "heile Welt von morgen" konkret vorstellen. Foto links (von links): Dr. med. Karl-Friedrich Masuhr, Berlin; Dr. med. Ellis Huber, Berlin; Prof. Dr. Stephan Leibfried (halb verdeckt), Bremen; Dr. med. Georg Löwenstein, Clearwater Beach/Florida/USA. Foto rechts: "Kranken und Irren ist menschlich", lautete die Poster-Parole der fünftägigen Veranstaltungen Fotos: Clade
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 25 vom 19. Juni 1980 1615
Die Infonnation:
Bericht und MeinW1g NACHRICHTEN
den jungen Professor Dr. Stephan Leibfried (Universität Bremen) und Dr. med . Karl-Friedrich Masuhr, Berlin, scharende n Gruppe. Es geht darum, aus der " arztkonzen- trierten " Medizin eine " multi pro- fessionelle Teamarbeit " zu ma- chen, die Funktion des Arztes also zu relativieren, so lautet die
Devise.
1Bemerkenswert zugleich die aus ,der Weimarer Zeit zusammenge-
tragenen Materialien des VSÄ. Da- nach gaben sich die sozialisti- schen Ärzte insbesondere, soweit sie im SChul-, Gemeinde- oder Staatsdienst tätig waren, lange Zeit der Hoffnung hin , hier auf dem Wege zur Sozialisierung des Gesundheitswesens zu sein, und hofften , "daß die Gemeinde das Fundament bilden würde, daß die- se Kommunalisierung den Weg in die Zukunft klar erkennbar zeige, zur gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung von der Wiege bis zum Grabe."
Danach ließ es die " gewaltige Zu- nahme und Entwicklung der Kran- kenkassen" wahrscheinlich wer- den, daß diese in Konkurrenz zu den Gemeinden treten würden.
Folglich stellte man sich vor, "daß die Krankenkasse der Zukunft den Mittelpunkt bilden wird, für alle diese, die Gesundheit fördernden Maßnahmen, daß sie die engsten Beziehungen unterhalten wird mit Turn- und Sportvereinen, mit Ab- stinenzorgan isationen, mit den Gemeinden zur Einrichtung von öffentlichen Spielplätzen , Freibä- dern, Luftbädern etc, Daß die gro- ßen.aber trotzdem nicht bürokra- tisch geleiteten (und handelnden!) Kassen Beratungsstellen haben werden, in denen der Arzt nicht nur für die Kassenkranken zu sprechen ist, sondern auch für de- ren Angehörige, "
Das Programm des VSÄ sah Ab- schaffung der Ärztekammern vor, Ausdehnung der Versicherungs- pflicht auf alle , Sozialisierung der Krankenhäuser, Heilstätten und
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Berlin·Mittwoch, 14.Mai 1980 50 Pt
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Basaglia-Veranstaltung Bericht Seite 2
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Die Initiatoren des "Gesundheitstages '80" waren täglich mit einer vier Druckseiten umfassenden, reichlich bebilderten "Zeitung" zur Stelle. Was "Gesundheit! am Morgen" (Herausgeber und veranlwonlich für den Inhalt: Medizinisches Informa·
tions· und Kommunikationszentrum, Gesundheitsladen Berlin e, V.) so alles vermel- dete, lassen bereits die Titelschlagzeilen erkennen: So berichtete beispielsweise die (dritte) Ausgabe vom 16. Mai 1980: "Internationales Interesse am Gesundheits- tag: Gesundheitsminister eingetroffen!" Die Rede war nicht etwa von einem bun- desdeutSChen Minister, sondern vielmehr von Gesundheitsminister Dr. Kühl aus Nicaragua und von Staatssekretär Ramos, Kapverdische Inseln, die dem "Gesund- heitstag '80" ihre Aufwartungen machten