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Schnittpunkte von nationalem und unionsrechtlichem Arbeitnehmerschutzrecht: Zum Verhältnis der Gefahrstoffverordnung zur Krebs- und Asbestrichtlinie und zur REACH- und Biozidverordnung

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Academic year: 2022

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Hagener Juristische Beiträge Band 9

Schnittpunkte von nationalem und unionsrechtlichem Arbeit- nehmerschutzrecht

Zum Verhältnis der Gefahrstoffverordnung zur Krebs- und Asbestrichtlinie und

zur REACH- und Biozidverordnung

Philipp Bayer

14,30 € ISBN 978-3-96163-172-8 http://unipress.readbox.net

HJB 9

Schnittpunkte von nationalem und unionsrechtlichem ArbeitnehmerschutzrechtPhilipp Bayer

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Philipp Bayer

Schnittpunkte von nationalem und unionsrechtlichem

Arbeitnehmerschutzrecht

(3)

Hagener Juristische Beiträge

Band 9

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Schnittpunkte von nationalem und unionsrechtlichem Arbeitnehmerschutzrecht

Zum Verhältnis der Gefahrstoffverordnung zur Krebs- und Asbestrichtlinie und zur

REACH- und Biozidverordnung

Dr. rer. nat. Philipp Bayer von

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde von Prof. Dr. Kerstin Tillmanns betreut und hat im Wintersemester 2018/2019 als Masterarbeit im Studiengang „Master of Laws“ der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen vorgelegen.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der FernUniversität in Hagen.

1. Auflage 2019 ISSN 2511-0411 ISBN 978-3-96163-172-8 readbox unipress

in der readbox publishing GmbH Münsterscher Verlag für Wissenschaft Am Hawerkamp 31

48155 Münster

http://unipress.readbox.net

(6)

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ... XI

A. Einleitung ... 1

B. Schnittpunkte des nationalen Rechts mit EU- Richtlinien ... 7

I. Richtlinie 2004/37/EG („Krebsrichtlinie“) .. 7

1. Entwicklung und Regelungsgehalt der Krebsrichtlinie ... 7

2. Umsetzung in Deutschland ... 10

2.1Grundsätze ... 10

2.2Risikobezogenes Maßnahmenkonzept ... 12

a. Das alte TRK-Konzept ... 13

b. Übergang zum Risikokonzept ... 15

c. Das Grenzwertkonzept der Krebs- richtlinie ... 18

2.3Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/2398 ... 19

a. Stoffe mit Wirkschwelle ... 20

b. Stoffe ohne Wirkschwelle ... 21

c. Regelungen in spezifischer TRGS bzw. Bekanntmachung ... 25

d. Ergebnis ... 26

II.Richtlinie 2009/148/EG („Asbest- richtlinie“) ... 27

1. Der Werkstoff Asbest ... 27

2. Entwicklung der Asbestrichtlinie ... 29

3. Das Tätigkeitsverbot in Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie ... 30

3.1Unbeschadetheitsklausel ... 31

(7)

a. Ausnahme nach Anhang XVII Ziff. 6

Abs. 1 S. 2 REACH-Verordnung ...31

b. Ausnahme nach Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung ...32

c. Zwischenergebnis ...34

3.2Verbotene Tätigkeiten...35

a. Grundsätzlicher Verbotsumfang ...35

aa.Erzeugnis ...35

bb.Verarbeitung ...38

cc.Zwischenergebnis ...41

b. Absichtliches Zusetzen von Asbest ...41

c. „Ausgesetzt sein“ ...41

d. Zwischenergebnis ...45

3.3Ausnahmen vom Tätigkeitsverbot...45

a. Abbruch- und Asbestsanierungsarbei- ten gem. Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie ...46

aa.Abbrucharbeiten ...46

bb.Asbestsanierungsarbeiten ...48

cc.Behandlung und Entsorgung ...49

b. Abbruch- und Instandhaltungsarbeiten gem. Art. 11 Asbestrichtlinie ...51

c. Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten gem. Art. 12 Asbestrichtlinie ...52

3.4Ergebnis...55

4. Umsetzung in Deutschland ...55

4.1Grundsätze ...55

4.2Anwendbarkeit der GefStoffV ...56

4.3Das Tätigkeitsverbot gem. § 16 Abs. 2, Anhang II Nr. 1 GefStoffV ...57

a. Ausnahmen ...58

aa.Abbrucharbeiten gem. TRGS 519 ...59

bb.Sanierungsarbeiten gem. TRGS 519 ...61

(8)

(1) Zulässigkeit aufgrund Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verord-

nung ... 64

(2) Ausnahme als Abbrucharbeiten ... 64

(3) Fehlende Exposition ... 65

(4) Zwischenergebnis ... 66

cc. Instandhaltungsarbeiten gem. TRGS 519 ... 67

(1) Zulässigkeit aufgrund Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verord- nung ... 67

(2) Ausnahme als Abbruch- oder Asbest- sanierungsarbeiten ... 69

(3) Fehlende Exposition ... 70

(4) Zwischenergebnis ... 71

b. Ergebnis ... 71

III.Rechte des Arbeitnehmers beim Verstoß gegen EU-Richtlinien ... 72

1. Umgesetzte Richtlinien ... 72

2. Nicht umgesetzte Richtlinien ... 74

C. Schnittpunkte des nationalen Rechts mit EU-Verordnungen ... 77

I. Verordnung (EU) Nr. 1907/2006 („REACH- Verordnung“) ... 77

1. Entwicklung und Regelungsgehalt der REACH-Verordnung ... 77

1.1Hintergrund der REACH-Verordnung ... 78

1.2Wesentliche Inhalte der REACH-Ver- ordnung ... 80

a. Registrierung ... 81

(9)

aa.Verfahren ...82

bb.Expositionswerte in Zulassungen ...83

c. Beschränkung ...84

aa.Verfahren ...85

bb.Expositionswerte in Beschränkungen ....86

2. Schnittpunkte mit der GefStoffV ...86

2.1Ausnahme von der Zulassungspflicht ...87

2.2Unterschiedliche Grenzwerte in Zulassungen oder Beschränkungen und der GefStoffV ...90

a. Nationale Grenzwerte, die auf der Umsetzung unionsrechtlicher Regel- ungen beruhen ...91

aa.Konkurrenzregelungen in der REACH-Verordnung ...92

bb.Umfang der Unbeschadetheitsklausel ....93

cc.Zwischenergebnis ...96

b. Nationale Grenzwerte, die nicht auf der Umsetzung unionsrechtlicher Re- gelungen beruhen ...96

c. Ergebnis ...97

d. Verbesserungsmöglichkeiten de lege ferenda ...98

II. Verordnung (EU) Nr. 528/2012 („Biozid- verordnung“) ... 99

1. Entwicklung und Regelungsgehalt der Biozidverordnung ...99

1.1Vorläufer und Erlass der Biozidverord- nung...99

1.2Zulassungsverfahren ... 100

a. Wirkstoffzulassung ... 100

b. Produktzulassung ... 101

2. Schnittpunkte mit der GefStoffV ... 103

(10)

2.1Sachkundeanforderung in der Biozid- verordnung und der GefStoffV ... 104 2.2Verbesserungsmöglichkeiten de lege

ferenda... 107 III.Rechte des Arbeitnehmers beim Verstoß

gegen EU-Verordnungen ... 108 D. Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse .. 111 Literaturverzeichnis ... 113 Quellenverzeichnis ... 121

(11)
(12)

Abkürzungsverzeichnis

Auf die Wiedergabe allgemein gebräuchlicher Abkürzun- gen wurde nachfolgend verzichtet. Ergänzend wird auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechts- sprache, 9. Auflage, Berlin 2018, verwiesen. Daneben wurden folgende Abkürzungen verwendet:

AGS Ausschuss für Gefahrstoffe ArbMedVV Verordnung zur arbeitsmedizini-

schen Vorsorge

BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

BekGS Bekanntmachung zu Gefahrstoffen BfC Bundesstelle für Chemikalien BG Bau Berufsgenossenschaft der Bauwirt-

schaft

ChemSanktionsV Verordnung zur Sanktionsbeweh- rung gemeinschafts- oder unions- rechtlicher Verordnungen auf dem Gebiet der Chemikaliensicherheit DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversi-

cherung

ECHA European Chemicals Agency [Eu- ropäische Chemikalienagentur]

GRCh Charta der Grundrechte der Euro- päischen Union

HVBG Hauptverband der gewerblichen

Berufsgenossenschaften

(13)

OSHA European Agency for Safety and Health at Work [Europäische Agentur für Sicherheit und Ge- sundheitsschutz am Arbeitsplatz]

RAC Committee for Risk Assessment [Ausschuss für Risikobewertung]

SCOEL Scientific Committee on Occupati- onal Exposure Limits [Wissen- schaftlicher Ausschuss für Grenz- werte berufsbedingter Exposition]

SEAC Committee for Socio-Economic

Analysis [Ausschuss für sozioöko- nomische Analyse]

TRGS Technische Regel(n) für Gefahr- stoffe

TRK Technische Richtkonzentra-

tion(en)

(14)

A. Einleitung

Historisch lassen sich Arbeitnehmerschutzrechte in Deutschland bis auf die beginnende Industrialisierung ab ca. 1800 zurückführen. Das preußische Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in den Fabriken vom 9.3.1839 gilt, wenn auch vor einem kritisch betrachteten Hintergrund, als ein erster Meilenstein in der Arbeitneh- merschutz- und Sozialgesetzgebung.1 Das deutsche Ar- beitnehmerschutzrecht und insbesondere der technische Arbeitnehmerschutz, der sich mit der Abwehr von ar- beitsbedingten Gefahren durch angewandte Technik für Leib und Leben der Arbeitnehmer befasst,2 ist heute aber nicht mehr nur eine Frage nationaler Gesetzgebung; sup- ranationale Faktoren, z. B. ILO-Übereinkommen oder europäische Vorgaben und Einflüsse, haben eine erhebli- che Wirkung.3

Die europarechtliche Grundlage dafür bilden, in Verbin- dung mit Art. 6 EUV und Art. 31 GRCh, insbesondere Art. 153 AEUV und Art. 114 AEUV. Art. 153 Abs. 1 lit. a AEUV erwähnt die Verbesserung des Schutzes der Ge- sundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer ausdrück- lich; die Norm stellt die zentrale Kompetenzgrundlage der EU auf dem Gebiet der Sozialpolitik und des Arbeits- rechts dar.4 Auf Art. 153 AEUV wurden eine Vielzahl von Richtlinien im Bereich des Arbeitnehmerschutzes ge-

1 Kollmer/Kollmer, Vor § 1 Rn. 18; Maunz/Grzeszick, Art. 20 Teil VIII Rn. 6.

2 Säcker/Henssler, § 618 Rn. 10.

3 Kollmer/Kollmer, Vor § 1 Rn. 23 ff.; Säcker/Henssler, § 618 Rn. 21 f.;

Weinmann, Kap. A 3.1 S. 25.

(15)

stützt, insbesondere die allgemeine Arbeitsschutzrahmen- richtlinie,5 neben der 20 weitere Einzelrichtlinien zu spe- ziellen Arbeitnehmerschutzthemen stehen.6

Art. 114 AEUV ist einschlägig, soweit sich Arbeitnehmer- schutzfragen im europäischen Kontext auch unter den Gesichtspunkten der Herstellung und des Funktionierens des gemeinsamen Binnenmarktes, Art. 26 AEUV, stel- len.7 Anders als Art. 114 AEUV, bei dem der Harmoni- sierungsgedanke klar im Vordergrund steht,8 eröffnen Art. 153 Abs. 2 lit. b, Abs. 4 AEUV den Mitgliedstaaten ausdrücklich auch die Möglichkeit strengerer Schutzmaß- nahmen.9

Ausgehend hiervon, und unter Beachtung der mit den verschiedenen Handlungsformen des europäischen Rechts im Sinne von Art. 288 AEUV verbundenen Kon- sequenzen für die Adressaten,10 besteht ein Nebeneinan- der von unionsrechtlichem Arbeitnehmerschutz und − ggf. auch unionsrechtlich geprägtem − nationalem Arbeit- nehmerschutz. Gegenstand dieser Arbeit sind Schnitt- punkte von nationalem und unionsrechtlichem Arbeit- nehmerschutzrecht. Untersucht werden sollen dabei ins-

5 Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12.6.1989 über die Durch- führung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, ABl. L 183 v.

29.6.1989, S. 1-8.

6 Viethen, Kap. 7 Rn. 20; Marcks/Wiebauer, § 19 ArbSchG Rn. 13.

7 Kiel/Kohte, § 173 Rn. 1 ff.; Grabitz/Benecke, Art. 153 AEUV Rn. 14 ff.; Weinmann, Kap. A 3.1 S. 13.

8 Grabitz/Tietje, Art. 114 AEUV Rn. 152 ff.

9 Grabitz/Benecke, Art. 153 AEUV Rn. 5 ff.; Weinmann, Kap. A 3.1 S. 14.

10 Grabitz/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 1, 83 ff.

(16)

besondere folgende Fragen aus dem Bereich des Gefahr- stoffrechts als Teil des technischen Arbeitnehmerschut- zes:

Die Krebsrichtlinie11 enthält Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Kar- zinogene oder Mutagene bei der Arbeit; die Asbestrichtli- nie12 Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern gegen Gefährdungen durch Asbest. Auch die nationale Gef- StoffV enthält Vorschriften zu Tätigkeiten mit krebser- zeugenden Gefahrstoffen sowie Asbest. Während Richt- linien gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV zwar für jeden Mit- gliedstaat hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbind- lich umzusetzen sind, ist es diesen jedoch überlassen, Form und Mittel zu wählen.13 Neben einer − entgegen Art. 288 Abs. 3 AEUV − vollständig fehlenden Umset- zung einer Richtlinie ist hier insbesondere der Fall prob- lematisch, dass in der Richtlinie einerseits und im nationa- len Recht andererseits unterschiedliche Regelungskon- zepte verfolgt werden. Diese Frage wird in Abschnitt B der vorliegenden Arbeit vor dem Hintergrund der Krebs- richtlinie (B.I.) und der Asbestrichtlinie (B.II.) und deren Umsetzung in nationales Recht, insbesondere durch die GefStoffV, näher betrachtet.

11 Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefähr- dung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit, ABl. L 158 v. 30.4.2004, S. 50-76.

12 Richtlinie 2009/148/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 30.11.2009 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Ge- fährdung durch Asbest am Arbeitsplatz, ABl. L 330 v. 16.12.2009, S. 28-36.

(17)

Im Gegensatz zu Richtlinien gelten Verordnungen gem.

Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar; eines Umsetzungsak- tes bedarf es daher nicht.14 Problematisch erscheinen hier die Fälle, in denen gleiche Sachverhalte, d. h. die gleichen Aspekte des Arbeitnehmerschutzrechts, sowohl durch eine Verordnung als auch durch nationale Rechtsvor- schriften eine Regelung erfahren. Unter Abschnitt C der Arbeit wird auf diese Frage zunächst vor dem Hinter- grund von Expositionsgrenzwerten eingegangen, die ei- nerseits im Rahmen der REACH-Verordnung15 und an- dererseits im Rahmen des nationalen Rechts, insbeson- dere durch die GefStoffV, normiert werden (C.I.). Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich im Zusammen- hang mit der Biozidverordnung16, die Anforderungen an die Sachkunde von Verwendern von Biozidprodukten aufstellt, und vergleichbaren Regelungen im nationalen Recht, namentlich in der GefStoffV (C.II.).

In beiden zu untersuchenden Fällen, d. h. sowohl bei Schnittpunkten des nationalen Arbeitnehmerschutzrechts mit Richtlinien, als auch bei solchen mit Verordnungen,

14 Grabitz/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 89 ff.

15 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung ei- ner Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr.

793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommis- sion, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission, ABl. L 396 v. 30.12.2006, S. 1-851.

16 Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, ABl. L 167 v. 27.6.2012, S. 1- 123.

(18)

stellt sich zudem die Folgefrage nach den Rechten des Ar- beitnehmers bei einem etwaigen Verstoß (B.III. und C.III.).

(19)
(20)

B. Schnittpunkte des nationalen Rechts mit EU- Richtlinien

I. Richtlinie 2004/37/EG („Krebsrichtlinie“) 1. Entwicklung und Regelungsgehalt der

Krebsrichtlinie

Die Krebsrichtlinie ist Bestandteil des unionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzrechts und regelt gem. deren Art. 1 Abs. 1 den Schutz von Arbeitnehmern gegen Gefährdun- gen, die aus einer Exposition gegenüber Karzinogenen oder Mutagenen entstehen können.

Karzinogene und Mutagene sind dabei gem. Art. 2 lit. a, b Krebsrichtlinie insbesondere Stoffe und Gemische, die nach der CLP-Verordnung17 als krebserzeugend oder erb- gutverändernd, jeweils Kategorie 1A oder 1B, eingestuft sind. Insoweit existiert jedoch in der deutschen Fassung der Krebsrichtlinie ein Übersetzungsfehler: Der Begriff

„germ cell mutagen“ aus der englischen Fassung von Art. 2 lit. b Krebsrichtlinie wurde mit „erbgutverändernd“

und nicht − richtig − mit „keimzellmutagen“ übersetzt.

Eine Gefahrenklasse „erbgutverändernd“ gibt es in der deutschen Fassung der CLP-Verordnung, auf die verwie- sen wird, jedoch nicht; die in der englischen Fassung der CLP-Verordnung geregelte Gefahrenklasse „germ cell mutagen“ ist in deren deutscher Fassung zutreffend mit

„keimzellmutagen“ übersetzt worden.18 Um den sonst

17 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhe- bung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Än- derung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. L 353 v.

(21)

auch bei den übrigen Sprachfassungen bestehenden Gleichklang von Krebsrichtlinie und CLP-Verordnung auch in der deutschen Fassung sicherzustellen, ist daher

„erbgutverändernd“ in Art. 2 lit. b Krebsrichtlinie richtig- erweise als „keimzellmutagen“ zu lesen.

Die Krebsrichtlinie regelt damit Tätigkeiten mit krebser- zeugenden und keimzellmutagenen Gefahrstoffen. Zum Schutz vor Gefährdungen werden gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 Krebsrichtlinie auch Grenzwerte festgelegt. Diese sind in Anhang III der Richtlinie aufgeführt und dürfen gem.

Art. 5 Abs. 4 Krebsrichtlinie nicht überschritten werden.

Als Grenzwert definiert die Richtlinie in ihrem Art. 2 lit. c

„sofern nicht anders angegeben, die Grenze des zeitlich gewogenen Mittelwerts der Konzentration für ein Karzi- nogen oder Mutagen in der Luft im Atembereich eines Arbeitsnehmers innerhalb eines in Anhang III der vorlie- genden Richtlinie angegebenen Referenzzeitraums“.

Die erste Fassung der Krebsrichtlinie, die Richtlinie 90/394/EWG,19 stammt aus dem Jahr 1990. Ein Mittel zur Begrenzung der Exposition von Arbeitnehmern ist dabei gem. Erwägungsgrund 11 die Festlegung von Grenzwerten für krebserzeugende Stoffe, auch wenn im dafür geschaffenen Anhang III zunächst noch keine Grenzwerte enthalten waren. Der erste Eintrag erfolgte dort erst 1997 mit dem Grenzwert für Benzol; 1999 folgte Vinylchlorid. 2004 wurde die Krebsrichtlinie neu gefasst und in diesem Zusammenhang ein dritter Grenzwert in

19 ABl. L 196 v. 26.7.1990, S. 1-7.

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deren Anhang III für Hartholzstäube aufgenommen. Die nächsten zwölf Jahre erfolgten keine Ergänzungen.20 Seither ist die Krebsrichtlinie bezüglich der Grenzwerte in Anhang III mehrfach geändert worden: Am 27.12.2017 wurde nach ca. eineinhalbjährigen Verhandlungen die Richtlinie (EU) 2017/2398 zur Änderung der Krebsricht- linie − das sog. „erste Paket“21− im Amtsblatt der EU veröffentlicht.22 Damit wurden elf neue Stoffe mit Grenz- werten in Anhang III Krebsrichtlinie aufgenommen, da- runter Chrom(VI)-Verbindungen, Quarzfeinstaub und Keramikfasern. Bei den bisher schon enthaltenen Stoffen Vinylchlorid und Hartholzstäuben kam es zu einer Absen- kung der Grenzwerte.23 Die Richtlinie (EU) 2017/2398 muss gem. deren Art. 2 Abs. 1 bis zum 17.1.2020 in nati- onales Recht umgesetzt werden. Deutschland hat bereits die Umsetzung gegenüber der Europäischen Kommission notifiziert.24 Das „zweite Paket“ mit Änderungen wurde bereits vom Europäischen Rat und Europäischen Parla- ment verabschiedet und am 31.1.2019 als Richtlinie (EU) 2019/130 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.25 Darin wurden sechs neue Stoffe in Anhang III aufgenommen, darunter die besonders umstrittenen Dieselmotoremissi- onen, deren Aufnahme auf Initiative des Europäischen Parlaments erfolgte.26 Das „dritte Paket“, in dem etwa Grenzwerte für Cadmium, Beryllium und Formaldehyd

20 Bayer, Gefahrstoffe − Reinhaltung der Luft 2018, S. 405.

21 Bayer, sicher ist sicher 2018, S. 118.

22 ABl. L 345 v. 27.12.2017, S. 87-95.

23 Bayer, sicher ist sicher 2018, S. 114.

24 Europäische Kommission, Nationale Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/2398.

25 ABl. L 30 v. 31.1.2019, S. 112-120.

(23)

festgelegt werden sollen, hat die Trilogverhandlungen zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Rat und Europäischem Parlament durchlaufen. Die erzielte Einigung wurde auch bereits vom Europäischen Parla- ment bestätigt,27 sodass in Kürze mit einer Veröffentli- chung im Amtsblatt der EU zu rechnen ist.

2. Umsetzung in Deutschland 2.1 Grundsätze

Wie bereits auf S. 4 ausgeführt, wird die Krebsrichtlinie in Deutschland im Wesentlichen durch die GefStoffV um- gesetzt. So werden etwa in § 10 GefStoffV besondere Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit krebserzeugen- den, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Ge- fahrstoffen der Kategorien 1A und 1B geregelt und so die Art. 8 bis 10 Krebsrichtlinie umgesetzt. Durch die Einbe- ziehung reproduktionstoxischer Gefahrstoffe geht die na- tionale Umsetzung in diesem Teil über die Vorgaben der Krebsrichtlinie hinaus, die diese Stoffe nicht einbezieht.

Das in Art. 12 lit. c, Art. 15 Abs. 1 Krebsrichtlinie gefor- derte Verzeichnis sowie dessen Aufbewahrungsfrist wer- den mit § 14 Abs. 3 Nr. 3, 4 GefStoffV umgesetzt.

Nachfolgend wird aus den Regelungen der Krebsrichtlinie auf das Problem der nationalen Umsetzung der in ihrem Anhang III enthaltenen Grenzwerte eingegangen. Dies, da Grenzwerte am Arbeitsplatz objektiv gemessen und Schutzmaßnahmen anhand von Messwerten validiert werden können. Über die inhaltlichen Festlegungen von

27 Europäisches Parlament, Protokoll der Sitzung vom 27.3.2019, S. 23.

(24)

Gefährdungsbeurteilungen als Schlüsselelement des Ar- beitnehmerschutzes28 sind diese für Arbeitgeber, Arbeit- nehmer und Aufsichtsbehörden von zentraler Bedeutung.

Die in Anhang III Krebsrichtlinie enthaltenen Grenz- werte sind dabei nicht in der GefStoffV direkt, sondern im gem. § 20 Abs. 4 GefStoffV veröffentlichten techni- schen Regelwerk − entweder in TRGS oder in Bekannt- machungen des BMAS − enthalten. Dies hat den Vorteil, dass bei einer Neueinführung oder einer Änderung von Grenzwerten nicht das aufwändige Verordnungsgebungs- verfahren mit Kabinetts- und Bundesratsbeschluss durch- laufen werden muss, sondern lediglich das technische Re- gelwerk anzupassen ist. Im sonst ähnlich aufgebauten ös- terreichischen Arbeitnehmerschutzsystem sind die einzel- nen Grenzwerte dagegen in den maßgeblichen nationalen Vorschriften selbst enthalten, die entsprechend oft geän- dert werden müssen.29

Die Umsetzung bestimmter Teile der Krebsrichtlinie im Wege technischer Regeln ist zulässig, da gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV den Mitgliedstaaten die Wahl der Form der Umsetzung von Richtlinien überlassen ist. Zur Umset- zung genügt es, dass durch einen allgemeinen rechtlichen Rahmen verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Grund- sätze die innerstaatliche Anwendung der Richtlinie sicher- gestellt wird.30 Erforderlich ist jedoch, dass eine vollstän- dige Anwendung der Richtlinie durch nationale Behörden

28 § 5 ArbSchG; vgl. Wiebauer, NVwZ 2017, S. 1653.

29 Grenzwerteverordnung 2018, Österreichisches BGBl. II Nr.

254/2018.

(25)

gewährleistet ist.31 Nicht ausreichend ist etwa eine ledig- lich richtlinienkonforme Verwaltungspraxis.32 Durch die Bezugnahme auf das technische Regelwerk in § 7 Abs. 2 GefStoffV ist dieses verbindlich. Damit ist, auch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, die innerstaatli- che Anwendung durch die Aufnahme von Grenzwerten in technische Regeln und nicht in den Verordnungstext selbst sichergestellt. Die entsprechenden TRGS sind ins- besondere die TRGS 90033 und die TRGS 91034. 2.2 Risikobezogenes Maßnahmenkonzept In Deutschland bestehen für krebserzeugende Stoffe zwei unterschiedliche Konzepte, Grenzwerte festzusetzen.

Für krebserzeugende Stoffe mit einer eindeutigen Wirk- schwelle kann in der TRGS 900 ein konkreter Arbeits- platzgrenzwert festgelegt werden. Voraussetzung hierfür ist gem. § 2 Abs. 8 S. 2 GefStoffV, dass bis zu diesem Grenzwert akute oder chronische schädliche Auswirkun- gen auf die Gesundheit von Arbeitnehmern im Allgemei- nen nicht zu erwarten sind. Man spricht daher in diesem

31 EuGH v. 20.3.1997 − C-96/95, Slg. 1997 I, 1653, Rn. 35 − ECLI:EU:C:1997:165; EuGH v. 22.4.1999 − C-340/96, Slg. 1999 I, 2023, Rn. 37 ECLI:EU:C:1999:192; Callies/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 32.

32 EuGH v. 15.3.1983 − 145/82, Slg. 1983, 711, Rn. 10 f. ECLI:EU:C:1983:75; EuGH v. 9.3.2000 C-358/98, Slg. 2000 I, 1255, Rn. 17 − ECLI:EU:C:2000:114; Callies/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 37.

33 TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“, BArBl. Heft 1/2006 S. 41-55, zuletzt geändert: GMBl 2019, S. 117-119.

34 TRGS 910 „Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“, GMBl 2014, S. 258-270, zu- letzt geändert: GMBl 2019, S. 120.

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Fall von einem gesundheitsbasierten Grenzwert.35 Dies ist nur bei sehr wenigen krebserzeugenden Stoffen − z. B.

bei Beryllium36− der Fall.37 Der Arbeitgeber hat gem. § 7 Abs. 8 S. 1 GefStoffV sicherzustellen, dass der normierte Arbeitsplatzgrenzwert eingehalten wird.

Die allermeisten krebserzeugenden Stoffe haben indes keine eindeutige Wirkschwelle. Theoretisch kann hier be- reits ein einziges aufgenommenes Molekül eine Krebser- krankung auslösen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dann freilich äußerst gering ist. In diesen Fällen bliebe im Grundsatz nur die Möglichkeit, einen Arbeitsplatzgrenz- wert von „0“ festzusetzen, was einem nicht gewollten, faktischen Verbot gleichkäme.

a. Das alte TRK-Konzept

Für krebserzeugende Stoffe ohne Wirkschwelle galt bis zum Jahr 2005 daher das Prinzip der TRK. Die TRK- Werte wurde dabei als niedrigst mögliche Konzentration eines krebserzeugenden Stoffes in der Luft definiert, die nach dem Stand der Technik erreicht werden kann.38 Dieses Konzept reduzierte das Risiko für Arbeitnehmer, an Krebs zu erkranken, war aber nicht in der Lage, Rest- risiken auszuschließen oder zumindest zu beschreiben.

Ein weiterer Nachteil war, dass in der Praxis die gesund- heitsbasierten Arbeitsplatzgrenzwerte und die technikba-

35 BAuA, The risk-based concept for carcinogenic substances develo- ped by the Committee for Hazardous Substances, S. 6.

36 TRGS 900, S. 19.

(27)

sierten TRK-Werte als „gleichermaßen sicher“ empfun- den wurden.39 Da es Ziel des TRK-Konzeptes war, die Exposition entsprechend dem sich fortentwickelnden Stand der Technik kontinuierlich zu reduzieren, waren die Arbeitgeber im Falle der TRK-Werte stets aufgefordert, die Exposition weiter zu minimieren, sofern dies tech- nisch machbar war. Dies auch dann, wenn die tatsächli- chen Expositionswerte am konkreten Arbeitsplatz bereits unterhalb des vorgegebenen TRK-Wertes lagen.40 In der Praxis haben Unternehmen diese Anforderung oft nur zögernd erfüllt.41 Denn bei Tätigkeiten, bei denen Ex- positionsniveaus unterhalb der TRK-Werte erreicht wur- den, bestand für Arbeitgeber wenig Anreiz, die Exposi- tion ggf. kostenintensiv noch weiter zu reduzieren. Ein weiterer Nachteil des TRK-Konzepts war mangelnde Transparenz, da auch bei Einhaltung der TRK-Werte ein Restrisiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung be- stand.42 Die Höhe dieses Restrisikos und damit die Wahr- scheinlichkeit einer Krebserkrankung trotz Einhaltung des TRK-Wertes sind jedoch vom Stoff und seiner jewei- ligen krebserzeugenden Potenz abhängig.43 Diese Unter- schiede wurden im TRK-Konzept nicht berücksichtigt, weshalb die Vergleichbarkeit und das stoffspezifische Restrisiko nicht festgelegt und veröffentlicht wurden.44

39 Kalberlah, S. 11 ff., 62 f.

40 Klein, StoffR 2012, S. 105.

41 BAuA, The risk-based concept for carcinogenic substances develo- ped by the Committee for Hazardous Substances, S. 6.

42 Bender, Umgang mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen, S. 27.

43 Blome, Gefahrstoffe Reinhaltung der Luft 2005, S. 23.

44 Blome, Gefahrstoffe − Reinhaltung der Luft 2005, S. 25.

(28)

b. Übergang zum Risikokonzept

Angesichts dieser Nachteile wurde das TRK-Konzept mit der Änderung der GefStoffV im Jahr 200545 abgeschafft.

Stattdessen entwickelte der AGS ein neues Konzept zur Bewertung der Risiken, die mit der Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen verbunden sind. Dieses Kon- zept wurde 2008 als BekGS 910 veröffentlicht.46

Das Risikokonzept unterscheidet sich durch einen abge- stuften Ansatz und das Offenlegen der mit den Werten verbundenen Risiken grundlegend vom früheren TRK- Konzept: Je höher die Exposition gegenüber einem krebserzeugenden Stoff und das damit verbundene Krebsrisiko ist, desto höher ist auch der normative Druck, die Exposition zu reduzieren. Das Konzept bietet auf- grund seines anderen Ansatzes ein stoffübergreifendes, einheitliches, konsistentes und klares Kriterium für den Vergleich und die Bewertung der Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz.47

In Anlehnung an das in anderen Bereichen verwendeten Ampelmodell definiert das Risikokonzept zunächst drei Risikobereiche − hoch (rot), mittel (gelb) und niedrig (grün).48 Die Konzentration eines krebserzeugenden Stoffes in der Luft zwischen hohem Risiko (roter Bereich) und mittlerem Risiko (gelber Bereich) wird als Toleranz- konzentration bezeichnet. Das damit verbundene zusätz-

45 BGBl. I 2004, S. 3758-3816.

46 BekGS 910 „Risikowerte und Exposition-Risiko-Beziehungen für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“, GMBl 2008, S.

883-937.

(29)

liche Krebsrisiko liegt bei 4:1.000. Dies bedeutet, dass sta- tistisch 4 von 1.000 Arbeitnehmern, die der Substanz während ihres gesamten Arbeitslebens ausgesetzt sind, an Krebs erkranken. Dieser Wert entspricht in etwa dem Ri- siko eines landwirtschaftlichen Arbeiters bei einem Unfall getötet zu werden, oder dem Risiko eines Nichtrauchers, an Lungenkrebs zu erkranken.49 Die Konzentration eines krebserzeugenden Stoffes in der Luft zwischen mittlerem Risiko (gelber Bereich) und niedrigem Risiko (grüner Be- reich) wird als Akzeptanzkonzentration bezeichnet. Das damit verbundene zusätzliche Krebsrisiko liegt bei 4:10.000.50

Die unterschiedlichen Risikobereiche und die entspre- chenden zugeordneten Konzentrationen sind in der nach- folgenden Abbildung dargestellt.

49 BAuA, The risk-based concept for carcinogenic substances develo- ped by the Committee for Hazardous Substances, S. 9.

50 TRGS 910, S. 3.

(30)

Abbildung: Risikobasiertes Maßnahmenkonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe gem. BekGS 910.51

Entsprechend den unterschiedlichen Risikostufen der drei Bereiche sind die Pflichten des Arbeitgebers abge- stuft. Im Bereich niedrigen Risikos bis zur Akzeptanzkon- zentration ist die Notwendigkeit der Durchführung zu- sätzlicher Schutzmaßnahmen gering. Im anschließenden

Akzeptanzkon- zentration

„Rot: Stop!“

Gesundheitsrisiko ist nicht mehr tolerierbar GEFAHRENBEREICH

„Grün: Gehe!“

Gesundheitsrisiko ist hinnehmbar BASISVORSORGEBEREICH

„Gelb: Achtung!“

Gesundheitsrisiko ist uner- wünscht

BESORGNISBEREICH Steigendes Gesundheitsrisiko Toleranzkonzen-

tration

(31)

Bereich des mittleren Risikos bis zur Toleranzkonzentra- tion steigt die Notwendigkeit zusätzlicher Schutzmaßnah- men, je näher die Toleranzkonzentration liegt. Der Be- reich hohen Risikos beginnt mit der Überschreitung der Toleranzkonzentration. In diesem Bereich besteht eine absolute Notwendigkeit zusätzlicher Schutzmaßnahmen mit dem Ziel, zumindest den Bereich mittleren Risikos zu erreichen.52

Im Ergebnis sind so im Bereich niedrigen Risikos häufig keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Im Bereich mitt- leren Risikos hat der Arbeitgeber zusätzliche technische Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik zu tref- fen; dabei kann er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwenden. Diese Verpflichtung ist im Bereich hohen Ri- sikos zwingend, auch der Grundsatz der Verhältnismäßig- keit entfällt.53

c. Das Grenzwertkonzept der Krebsrichtlinie In der Krebsrichtlinie ist das Risikokonzept nicht verankert. Dort wird nach wie vor für jeden Stoff ein einzelner Grenzwert festgelegt, in den zwar auch gesundheitsbasierte Erwägungen, aber auch sozioökono- mische Aspekte − etwa zur Leistungsfähigkeit der betroffenen Industrien − einfließen.54 Ein Grund mag hierfür sein, dass mit Deutschland, Frankreich, Polen, Dänemark und den Niederlanden bislang nur in fünf

52 TRGS 910, S. 10.

53 TRGS 910, S. 10.

54 Vgl. Erwägungsgrund 16 Richtlinie (EU) 2017/2398.

(32)

Mitgliedstaaten ein risikobasiertes Maßnahmenkonzept existiert.55

Das Europäische Parlament hat bereits im Rahmen der Trilogverhandlungen zum „zweiten Paket“ (oben S. 9) vorgeschlagen, das Anstreben der Akzeptanzkonzentra- tion, mithin einen risikobasierten Ansatz, als vorrangiges Ziel festzuschreiben und den Erwägungsgrund 3 der Richtlinie entsprechend zu ändern.56 Der dabei vorge- schlagene Risikowert von 1:2.500 entspräche genau dem, was im deutschen Risikokonzept die Akzeptanzkonzent- ration beschreibt (4:10.000). Mit diesem Vorschlag konnte sich das Europäische Parlament im weiteren Ver- fahren jedoch nicht durchsetzen; im endgültigen Text fin- det sich dieser Satz nicht mehr.57

2.3 Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/2398 Die Besonderheit des in Deutschland geltenden risikobe- zogenen Maßnahmenkonzeptes kann bei der Umsetzung von Grenzwerten im Hinblick auf Art. 5 Abs. 4 Krebs- richtlinie problematisch sein. Die Frage der richtlinien- konformen Umsetzung ist dabei für jeden in Anhang III Krebsrichtlinie enthaltenen Grenzwert einzeln zu prüfen.

Bislang wurden die Grenzwerte bis einschließlich der Er- gänzungen durch das „erste Paket“ notifiziert. Die Um- setzungsfrist für die durch das „zweite Paket“ ergänzten Grenzwerte läuft noch bis Februar 202158; das „dritte Pa- ket“ ist noch nicht veröffentlicht. Im Folgenden werden daher die Grenzwerte gem. Anhang III in der Fassung des

55 DGUV, Carcinogenic substances: risk-based concepts for limiting exposure in Europe, S. 1.

56 Europäisches Parlament, Bericht v. 30.11.2018, S. 9 f.

(33)

„ersten Pakets“ den nationalen Grenzwerten gegenüber- gestellt.

Wie eben unter Ziff. 2.2 ausgeführt, ist für Stoffe mit Wirkschwelle die TRGS 900 national maßgeblich (dazu a.); für Stoffe ohne Wirkschwelle die TRGS 910 (dazu b.).

Daneben gibt es auch Stoffe, deren Grenzwerte in einer spezifischen TRGS oder − auf der Grundlage von § 20 Abs. 4 GefStoffV − in einer Bekanntmachung des BMAS enthalten sind (dazu c.). Dass eine Richtlinienumsetzung, soweit Grenzwerte betroffen sind, im Wesentlichen im Wege technischer Regeln erfolgen kann und damit den Erfordernissen des Art. 288 Abs. 3 AEUV genügt wird, wurde schon dargestellt (oben S. 12).

a. Stoffe mit Wirkschwelle

Für krebserzeugende Stoffe, bei denen eine konkrete Wirkschwelle abgeleitet werden kann, wird in Deutsch- land, wie ausgeführt, ein gesundheitsbasierter Arbeits- platzgrenzwert festgesetzt, dessen Einhaltung der Arbeit- geber gem. § 7 Abs. 8 S. 1 GefStoffV sicherzustellen hat (oben S. 13).

Wie die Gegenüberstellung in der folgenden Tabelle 1 zeigt, stimmen die Arbeitsplatzgrenzwerte krebserzeugen- der Stoffe mit Wirkschwelle gem. TRGS 900 mit denjeni- gen Werten überein, die in der Richtlinie (EU) 2017/2398 festgelegt sind, sodass Art. 5 Abs. 4 Krebsrichtlinie inso- weit vollständig umgesetzt wurde.

(34)

Stoff Grenzwert gem. Richtli-

nie (EU) 2017/2398

Nationaler Grenzwert gem. TRGS

900 Vinylchloridmo-

nomer

2,6 mg/m3 2,6 mg/m3 1,2-Epoxypropan 2,4 mg/m3 2,4 mg/m3 o-Toluidin 0,5 mg/m3 0,5 mg/m3 Bromethylen 4,4 mg/m3 4,4 mg/m3 Tabelle 1: Stoffe mit Wirkschwelle, die in der Richtlinie (EU) 2017/2398 enthalten sind, und die entsprechenden nationalen Grenzwerte gem. TRGS 900.

b. Stoffe ohne Wirkschwelle

Für krebserzeugende Stoffe, für die keine konkrete Wirk- schwelle abgeleitet werden kann, gilt in Deutschland, wie ausgeführt, das risikobasierte Maßnahmenkonzept gem.

TRGS 910, bei dem jeweils zwei Grenzwerte, die Akzep- tanz- und die Toleranzkonzentration, festgelegt werden und mit denen ein abgestuftes Maßnahmenregime in Ab- hängigkeit von der Höhe der Exposition verknüpft ist (oben S. 17).

Für die Frage der Umsetzung der Krebsrichtlinie stellt sich damit das Problem, auf welchen der beiden nationa- len Grenzwerte als Maßstab abzustellen ist. Dies ist vor- liegend auch entscheidend, da bei einigen Stoffen die in Anhang III Krebsrichtlinie festgelegten Grenzwerte zwi-

(35)

schen der nationalen Akzeptanz- und der Toleranzkon- zentration liegen. Ist letztere maßgeblich, wäre die Umset- zung der Richtlinie zweifelhaft.

Wie bereits oben auf S. 16 dargestellt, beschreibt die Ak- zeptanzkonzentration gem. TRGS 910 die Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die einem Risiko von 4:10.000 entspricht, an Krebs zu erkranken. Das Un- terschreiten der Akzeptanzkonzentration wird mit einem niedrigen und im Ergebnis hinnehmbaren Risiko assozi- iert. Die Toleranzkonzentration entspricht dagegen einem Risiko von 4:1.000. Bei Expositionswerten zwischen To- leranzkonzentration und Akzeptanzkonzentration hat der Arbeitgeber technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um die Akzeptanzkonzentration zu unter- schreiten.59

Wenn jedoch trotz Ausschöpfung aller technischen und organisatorischen Maßnahmen ein Überschreiten der Ak- zeptanzkonzentration unvermeidbar ist, hat der Arbeitge- ber gem. Ziff. 5 Abs. 4, Tabelle 1 Nr. 4 TRGS 910 per- sönliche Schutzausrüstung in Form von Atemschutz zur Verfügung zu stellen. Durch die Verwendung von Atem- schutz wird in diesem Fall sichergestellt, dass in der Luft im Atembereich des Arbeitnehmers die Akzeptanzkon- zentration nicht überschritten und damit eine Exposition oberhalb dieser ausgeschlossen wird. Auch gem. Art. 5 Abs. 5 lit. g Krebsrichtlinie ist die Verwendung persönli- cher Schutzausrüstung zur Verringerung der Exposition ausdrücklich als letztes Mittel zugelassen.

59 S. Ziff. 5 Abs. 2 S. 1 TRGS 910.

(36)

Zu berücksichtigen ist auch Folgendes: Die persönlichen Schutzmaßnahmen bei Überschreitung der Akzeptanz- konzentration entsprechen im Wesentlichen denen, die bei Überschreitung eines Arbeitsplatzgrenzwertes im Falle der Exposition gegenüber Stoffen mit konkreter Wirkschwelle (oben S. 20) erforderlich sind. Wie beim Überschreiten der Akzeptanzkonzentration muss auch beim Überschreiten des Arbeitsplatzgrenzwertes bei- spielsweise Atemschutz nicht verpflichtend getragen wer- den; der Arbeitgeber hat diese Schutzmaßnahme lediglich bereitzustellen, § 9 Abs. 3 S. 2 GefStoffV. Eine Nutzungs- d. h. Tragepflicht für persönliche Schutzausrüstung gilt gem. Ziff. 5 Abs. 4, Tabelle 1 Nr. 4 TRGS 910 nur bei Überschreitung der Toleranzkonzentration. Auch die Krebsrichtlinie kennt eine ausdrückliche Tragepflicht für Schutzausrüstung gem. Art. 8 Abs. S. 2 nur für die Dauer einer „anormalen Exposition“, wie sie etwa bei Wartungs- arbeiten auftreten kann, oder im Falle eines unvorherseh- baren Ereignisses oder eines Unfalls, Art. 7 Abs. 2 lit. b Krebsrichtlinie. Hieraus folgt, dass eine Exposition, die zum Tragen von persönlicher Schutzausrüstung sogar verpflichtet, nicht der maßstabsbildende Normal-, d. h.

der Regelfall im Sinne der Richtlinie sein soll. Die Grenz- werte gem. Anhang III Krebsrichtlinie beschreiben viel- mehr den (noch zulässigen) Normalfall ohne ver- pflichtendes Tragen persönlicher Schutzausrüstung. Da die Tragepflicht im Falle eines Unfalles oder, allgemeiner formuliert, „für die Dauer des nicht bestimmungsgemä- ßen Betriebsablaufs“ national bereits in § 13 Abs. 3 S. 2 GefStoffV normiert ist, ist es − regelungstechnisch − das Schutzniveau der Akzeptanzkonzentration, das dem der

(37)

Grenzwerte im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Krebsrichtlinie entspricht.

Für die Frage der richtlinienkonformen Umsetzung der Krebsrichtlinie im nationalen Recht kommt es daher nicht auf die Toleranzkonzentration an. Maßgeblich ist die Ak- zeptanzkonzentration, die die Grenzwerte in Anhang III Krebsrichtlinie jeweils nicht überschreiten darf. Die Tole- ranzkonzentration ist dagegen als weitere − strengere − Grenze anzusehen, bei deren Überschreitung der Arbeit- geber nach nationalem Recht noch dringlicher eine Sub- stitution durchführen oder ggf. technische, organisatori- sche und persönliche Schutzmaßnahmen ergreifen muss.

Eine derartige strengere Grenze ist im Bereich des Arbeit- nehmerschutzes nach dem Konzept der Mindestregelung gem. Art. 153 Abs. 4 AEUV ausdrücklich zulässig (oben S. 2).

In der folgenden Tabelle 2 sind die Grenzwerte der jewei- ligen Stoffe gem. Richtlinie (EU) 2017/2398 den maßgeb- lichen nationalen Akzeptanzkonzentrationen gegenüber- gestellt. Eine Ausnahme gilt für Chrom(VI)-Verbindun- gen, bei denen nur eine Toleranzkonzentration abgeleitet werden konnte.60

Da alle nationalen Werte − einschließlich der für Chrom(VI)-Verbindungen nur abgeleiteten Toleranzkon- zentration − unterhalb derer in Anhang III Krebsrichtli- nie liegen, sind die Vorgaben von Art. 5 Abs. 4 Krebs- richtlinie vollständig umgesetzt.

60 AGS, Begründung zu Chrom VI in TRGS 910, S. 31.

(38)

Stoff Grenzwert gem. Richtlinie (EU) 2017/2398

Nationaler Grenzwert gem. TRGS

910 Chrom(VI)-

Verbindungen

5 µg/m3 1 µg/m3 Feuerfeste Ke-

ramikfasern 0,3 F/ml 0,01 F/ml Benzol 3,25 mg/m3 0,2 mg/m3 Ethylenoxid 1,8 mg/m3 0,2 mg/m3 Acrylamid 0,1 mg/m3 0,07 mg/m3 2-Nitropropan 18 mg/m3 0,18 mg/m3 1,3-Butadien 2,2 mg/m3 0,5 mg/m3

Hydrazin 0,013 mg/m3 0,0022 mg/m3 Tabelle 2: Stoffe ohne Wirkschwelle, die in der Richtlinie (EU) 2017/2398 enthalten sind, und die entsprechenden nationalen Grenzwerte gem. TRGS 910.

c. Regelungen in spezifischer TRGS bzw. Be- kanntmachung

Neben den Stoffen mit und ohne konkrete Wirkschwelle, deren Grenzwerte in den stoffübergreifenden TRGS 900 bzw. 910 festgelegt sind, gibt es schließlich auch solche, deren maßgebliche Grenzwerte entweder in einer stoff- spezifischen TRGS oder einer Bekanntmachung des BMAS enthalten sind. Dies ändert freilich nichts an deren Verbindlichkeit (oben S. 12).

(39)

Diese Sonderfälle betreffen Hartholzstäube und Quarz- feinstaub. Für erstere regelt die TRGS 55361 den maßgeb- lichen Grenzwert, für letzteren wurde am 6.7.201662 ein Grenzwert durch das BMAS veröffentlicht. Die nachste- hende Tabelle 3 zeigt, dass der Grenzwert für Hartholz- stäube der TRGS 553 dem aus Anhang III Krebsrichtlinie entspricht; für Quarzfeinstaub ist national ein niedrigerer Grenzwert festgelegt worden.

Stoff Grenzwert gem. Richtlinie (EU) 2017/2398

Nationaler Grenzwert Hartholz-

stäube 2 mg/m3 2 mg/m3 (gem.

TRGS 553) Quarzfein-

staub

0,1 mg/m3 0,05 mg/m3 (gem. Bekannt-

machung vom 6.7.2016) Tabelle 3: Stoffe die in der Richtlinie (EU) 2017/2398 ent- halten sind mit den entsprechenden nationalen Grenz- werten gem. stoffspezifischer TRGS bzw. Bekanntma- chung des BMAS.

d. Ergebnis

Für alle Stoffe, die in Anhang III Krebsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie (EU) 2017/2398 enthalten sind, wurden durch TRGS oder eine Bekanntmachung des BMAS nationale Grenzwerte festgelegt. Diese sind sämt-

61 TRGS 553 „Holzstaub“, GMBl 2008, S. 955-970.

62 GMBl 2016, S. 623.

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lich kleiner oder gleich denen, die in Anhang III Krebs- richtlinie aufgeführt sind; die Vorgaben von Art. 5 Abs. 4 Krebsrichtlinie sind daher in Deutschland vollständig um- gesetzt worden.

II. Richtlinie 2009/148/EG („Asbestrichtlinie“) 1. Der Werkstoff Asbest

Asbest ist die Sammelbezeichnung einer Gruppe sehr weit verbreiteter krebserzeugender, natürlich vorkommender, faseriger Silikatmineralien.63 Die verschiedenen Arten von Asbest werden mineralogisch in zwei Gruppen auf- geteilt: Die Serpentingruppe (sog. Weißasbest) und die Amphibolgruppe (sog. Braun- bzw. Blauasbest).64 Aufgrund seiner besonderen Eigenschaften war und ist Asbest ein beliebter Werkstoff. Asbest brennt nicht, ist hitze- und weitgehend säurebeständig, verspinnbar, che- misch inert, d. h. reaktionsträge, wärme- und schalldäm- mend, sehr elastisch, mit Zement und anderen Werkstof- fen mischbar und hat eine höhere gewichtsspezifische Zugfestigkeit als Stahldraht.65 Diese besonderen Eigen- schaften waren auch namensbildend: Der Name Asbest wird aus dem Griechischen von unzerstörbar, unlöslich abgeleitet.66

Angesichts dessen wurde Asbest in vielen Bereichen ein- gesetzt. Wegen seiner Hitzebeständigkeit waren jedenfalls bis Anfang der 1990er-Jahre Asbesterzeugnisse in

63 Höper, S. 20; Bossenmayer/Rödelsperger, Kennzahl 0110, S. l ff.;

Thomas, S. 23.

64 Höper, S. 21; UBA, Asbest: Baustoff, gesundheitliches Risiko, S. 11.

(41)

Deutschland fast überall dort anzutreffen, wo hohe Tem- peraturen auftreten können (z. B. in Hochtemperatur- dämmungen und -dichtungen, Brandschutzbauteilen, Brems- und Kupplungsbelägen, Hitzeschutzkleidun- gen).67 Wegen seiner stabilisierenden Funktion in Zement wurden in Westdeutschland etwa 900 Mio. m² an Asbest- zementprodukten mit einer Lebensdauer von ca. 50 Jah- ren verbaut; in Ostdeutschland wurden insgesamt etwa 10 Mio. Tonnen Asbest verwendet.68

Bereits um 1900 wurde von zahlreichen Todesfällen von Arbeitern in Asbestminen und -spinnereien berichtet, wo- bei dies zunächst nicht mit dem dort verarbeiteten Asbest in Verbindung gebracht wurde.69 Zu dieser Zeit war Tu- berkulose noch eine weit verbreitete Volkskrankheit, so- dass wegen der Ähnlichkeit der Symptome die meisten Asbesterkrankungen, insbesondere die sog. Asbestose, fälschlich als Tuberkulose diagnostiziert wurden.70 Der Beweis, dass Asbest neben Asbestose auch Lungen- krebs verursacht, stammt aus den 1950er Jahren. Damals wurde ein siebenfach erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Ar- beitern festgestellt, die Tätigkeiten mit asbesthaltigen Iso- liermaterialien durchgeführt hatten.71 Die Ergebnisse die- ser ersten Studien waren zunächst strittig; erst die Entde- ckung des Mesothelioms, das ausschließlich auf Asbest

67 BAuA, Asbest − Verwendung und Folgen, S. 1.

68 BAuA, Nationales Asbestprofil Deutschland, S. 7; BAuA, Asbest − Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, S. 1.

69 Roselli, S. 50; Thomas, S. 27.

70 Höper, S. 154; Kriener, Die Zeit v. 29.1.2009.

71 Broaddus/Ahlberg, S. 927.

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zurückgeführt werden konnte, führte zu einem Umden- ken.72

Alle Arten von Asbest haben, wie man inzwischen er- kannt hat, eine starke krebserzeugende Wirkung.73 Weiß- asbest hat darüber hinaus noch die kritische Eigenschaft, sich im Gewebe der Länge nach aufzuspalten, sodass sich die schädigende Wirkung nach einer Exposition noch ver- stärkt.74

2. Entwicklung der Asbestrichtlinie

Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften von Asbest und seiner weiten Verbreitung sind auf EU-Ebene 1983 mit der Richtlinie 83/477/EWG75 spezielle Regelungen für Tätigkeiten mit Asbest getroffen worden. In ihrer ers- ten Fassung beinhaltete die Richtlinie eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen,76 flankiert von entsprechenden Grenzwerten,77 Arbeitsplatzmessungen78 sowie Mittei- lungs-, Unterrichtungs- und Dokumentationspflichten des Arbeitgebers.79 Bereits damals wurde die Spritzverar- beitung von Asbest mittels Beflockung verboten.80 Mit der Richtlinie 2003/18/EG81 wurde in Art. 8 der Richtlinie 83/477/EWG ein Höchstgrenzwert für die Konzentration von Asbest in der Luft von 0,1 Fa- sern/cm3 aufgenommen. Dies entspricht der heute noch

72 Albracht, Sicherheitsingenieur 2013 (3), S. 24.

73 Albracht u. a., S. 29; Müller, Dt. Ärztebl. 1996, S. 538.

74 Bossenmayer/Woitowitz, Kennzahl 0210, S. 2, 9; Thomas, S. 28.

75 ABl. L 263 v. 24.9.1983, S. 25-32.

76 S. Art. 3, 6, 10-15 Richtlinie 83/477/EWG.

77 S. Art. 8 Richtlinie 83/477/EWG.

78 S. Art. 7 Richtlinie 83/477/EWG.

79 S. Art. 4, 14, 16 Richtlinie 83/477/EWG.

(43)

in Deutschland geltenden Toleranzkonzentration in Höhe von 100.000 Fasern/m3.82 In Art. 5 S. 2 Richtlinie 83/477/EWG wurde ein Verbot für Tätigkeiten einge- fügt, bei denen Arbeitnehmer Asbestfasern ausgesetzt sind, mit Ausnahme der Behandlung und Entsorgung von Produkten, die durch Abbruch und Asbestbeseitigung entstehen. Im ursprünglichen Vorschlag der Europäi- schen Kommission zur Richtlinie 2003/18/EG war die Ergänzung von Art. 5 S. 2 noch nicht enthalten; es sollte also kein allgemeines Asbestverbot eingeführt werden.83 Erst im Rahmen der Trilogverhandlungen von Europäi- scher Kommission, Europäischem Rat und Europäi- schem Parlament wurde dieses Verbot von Seiten des Eu- ropäischen Rats vorgeschlagen.84

Wegen der vielen Änderungen an der ursprünglichen Richtlinie 83/477/EWG ist diese aus Gründen der Über- sichtlichkeit schließlich neu kodifiziert und in die heute noch gültige Asbestrichtlinie überführt worden.85

3. Das Tätigkeitsverbot in Art. 5 S. 2 Asbest- richtlinie

Gem. Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie sind „unbeschadet der Anwendung anderer Gemeinschaftsvorschriften über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Asbest“

(dazu 3.1) Tätigkeiten untersagt, bei denen die Arbeitneh- mer Asbestfasern im Rahmen der Gewinnung von As- best, der Herstellung und Verarbeitung von Asbester- zeugnissen oder der Herstellung und Verarbeitung von

82 TRGS 910, S. 17.

83 ABl. CE 304 v. 30.10.2001, S. 179 ff.

84 Europäischer Rat, Protokoll v. 3.6.2002, S. 8.

85 Europäische Kommission, KOM (2006) 664 endgültig, S. 2.

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Erzeugnissen, denen absichtlich Asbest zugesetzt worden ist, ausgesetzt sind (dazu 3.2); von diesem Verbot ausge- nommen sind nur die Behandlung und die Entsorgung von Materialien, die bei Abbruch- und Asbestsanierungs- arbeiten anfallen (dazu 3.3).

3.1 Unbeschadetheitsklausel

Das Verbot in Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie gilt „unbescha- det der Anwendung anderer Gemeinschaftsvorschriften über das Inverkehrbringen und die Verwendung von As- best“. Relevant sind lediglich Regelungen in der REACH- Verordnung, da andere einschlägige Vorschriften nicht bestehen.

Gem. Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 1 S. 1 REACH-Verord- nung ist die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Asbest sowie von Erzeugnissen und Gemischen, denen Asbest absichtlich zugesetzt wurde, zwar verboten. Die REACH-Verordnung kennt jedoch zwei Ausnahmetatbestände, deren Umfang mittelbar auch für das Tätigkeitsverbot in Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie re- levant ist.

a. Ausnahme nach Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 1 S. 2 REACH-Verordnung

Ausgenommen von dem umfassenden Verbot der REACH-Verordnung sind gem. Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 1 S. 2 Diaphragmen, die Asbest (Chrysotil) enthalten und die für Elektrolyseanlagen benötigt werden, sofern die Mitgliedstaaten diese Ausnahme zulassen. Diese Aus- nahme wurde 2016 bis zum 30.6.2025 befristet, sodass ab

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dann ein vollständiges Inverkehrbringensverbot für As- best innerhalb der EU wirksam wird.86 Diese befristete Ausnahme ist aus Klarstellungsgründen auch in nationa- les Recht, namentlich in § 17 Abs. 1 GefStoffV, übernom- men worden.

b. Ausnahme nach Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung

Eine weitere Ausnahme findet sich in Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung. Demnach ist die Verwendung von Erzeugnissen, die Asbestfasern enthal- ten und die schon vor dem 1.1.2005 installiert wurden bzw. in Betrieb waren, weiterhin erlaubt, bis diese Erzeug- nisse beseitigt werden oder ihre Nutzungsdauer abgelau- fen ist.

Der Umfang dieser Ausnahme ist fraglich. Der Begriff der Verwendung im Sinne der REACH-Verordnung umfasst gem. ihres Art. 3 Ziff. 24 im Ergebnis zwar jeden Ge- brauch. Bei der Auslegung des Verwendungsbegriffes ist in diesem Fall aber zu berücksichtigen, dass Ausnahmen stets eng auszulegen sind.87 Nach diesem Maßstab wären Reparaturen asbesthaltiger Erzeugnisse ebenso wenig vom zugelassenen Gebrauch umfasst, wie das Lagern oder Bereithalten eines Erzeugnisses. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung: Die Formulie- rung in Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verord- nung wurde nahezu wortgleich im Jahr 1999 durch die Richtlinie 1999/77/EG88 in die damals noch geltende

86 Verordnung (EU) 2016/1005, ABl. L 165 v. 23.6.2016, S. 4-7.

87 EuGH v. 26.9.2013 – C-546/11, EAS Teil C Richtlinie 2000/78/EG Art. 6 Nr. 15, Rn. 41 – ECLI:EU:C:2013:603; Dauses/Pieper, Kap. B.I. Rn. 25 ff.

88 ABl. L 207 v. 6.8.1999, S. 18-20.

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Richtlinie 76/769/EWG89 aufgenommen. In Erwägungs- grund 11 der Richtlinie 1999/77/EG wird ausgeführt, dass für die Verwendung von Erzeugnissen ein Über- gangszeitraum erforderlich sei. Einem solchen Über- gangszeitraum würde es schon begrifflich widersprechen, die Nutzungsdauer durch Reparaturen oder Instand- haltungen künstlich immer weiter zu verlängern.

Verwendung im Sinne von Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung ist daher lediglich der weitere bestimmungsgemäße Gebrauch von asbesthaltigen Erzeugnissen, die vor dem 1.1.2005 installiert oder in Betrieb waren.

Bei Erzeugnissen im Sinne von Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung handelt es sich − in Ab- grenzung zu einem Gemisch − gem. ihres Art. 3 Ziff. 3 um jeden Gegenstand, der bei der Herstellung eine spezi- fische Form, Oberfläche oder Gestalt erhält. Die Form muss dabei seine Funktion in größerem Maße bestimmen, als die chemische Zusammensetzung. Aus der Anknüp- fung an die Binnenmarktregelung, d. h. den Handel mit beweglichen Gütern folgt, dass es sich stets um einen be- weglichen Gegenstand handeln muss.90 Erfasst sind so etwa Gegenstände wie Tische und Stühle,91 die es auch aus asbesthaltigem Material gibt.92 Erfasst sind auch as- besthaltige Bremsbeläge oder Dichtungen. Gebäude und Gebäudeteile stellen jedoch kein Erzeugnis im Sinne der REACH-Verordnung dar, da es sich nicht um bewegliche

89 ABl. L 262 v. 27.9.1976, S. 201-203.

90 Fluck/Raupach, Art. 3 Nr. 3 REACH Rn. 10; Mahlmann, S. 30.

(47)

Gegenstände handelt.93 Praktisch fallen damit bereits die meisten Asbestverwendungen wie etwa asbesthaltige Putze, Fliesenkleber oder Spitzasbest − so es sich nicht ohnehin schon um Gemische handelt − aus dem Erzeug- nisbegriff und so auch aus der Ausnahme gem. An- hang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Verordnung her- aus. Gleiches gilt für in Gebäuden fest verbaute Teile; eine fest verbaute Asbestzementplatte stellt demnach im Ge- gensatz zu einer losen Platte kein Erzeugnis im Sinne der REACH-Verordnung dar.94

Eine weitere Einschränkung erfährt die Ausnahmerege- lung gem. Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH-Ver- ordnung schließlich durch ihre Geltung nur bis zur Besei- tigung oder zum Ablauf der Nutzungsdauer. Ein defektes Erzeugnis darf demnach nicht nur nicht repariert werden, weil dies keine zulässige Verwendung im Sinne der Aus- nahmeregelung darstellt. Es darf auch nicht mehr ander- weitig verwendet werden, ist also ggf. auszubauen und zu entsorgen. Selbst die bloße weitere Lagerung ist nach dem Verwendungsbegriff der REACH-Verordnung nicht zu- lässig.

c. Zwischenergebnis

Bis auf die sehr eng abgegrenzte Herstellung und Verwen- dung von entsprechenden asbesthaltigen Diaphragmen für Elektrolyseanlagen sowie die Ausnahme für die Ver- wendung von vor dem 1.1.2005 installierten asbesthalti- gen Erzeugnissen existiert keine andere Vorschrift auf

93 Fluck/Raupach, Art. 3 Nr. 3 REACH, Rn. 10; Mahlmann, S. 30.

94 Vgl. ECHA, Leitlinien zu den Anforderungen für Stoffe in Erzeug- nissen, S. 10 ff., wo nur bewegliche Gegenstände als Erzeugnisse be- handelt werden.

(48)

EU-Ebene, die das Verwenden von Asbest gestattet. Ers- tere Ausnahme läuft zum 30.6.2025 aus, sodass die Unbe- schadetheitsklausel in Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie sich ab dann − sollte keine neue Vorschrift geschaffen werden − nur noch auf letztere bezieht.

3.2 Verbotene Tätigkeiten

Verboten sind gem. Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie Tätigkei- ten, bei denen die Arbeitnehmer Asbestfasern im Rahmen der Gewinnung von Asbest, der Herstellung und Verar- beitung von Asbesterzeugnissen oder der Herstellung und Verarbeitung von Erzeugnissen (dazu a.), denen absicht- lich Asbest zugesetzt worden ist (dazu b.), ausgesetzt sind (dazu c.). Um die Reichweite dieses Verbots konkret zu bestimmen, bedarf es der Auslegung der Norm.

a. Grundsätzlicher Verbotsumfang

Grundsätzlich sind die Gewinnung von Asbest, die Her- stellung und Verarbeitung von Asbesterzeugnissen oder die Herstellung und Verarbeitung von asbesthaltigen Er- zeugnissen verboten.

Eindeutig ist noch, dass mit „Gewinnung von Asbest“ der klassische Abbau von Asbest gemeint ist.

aa. Erzeugnis

Problematisch ist der Begriff des Erzeugnisses im Sinne der Asbestrichtlinie. Im Gegensatz zur REACH-Verord- nung enthält die Asbestrichtlinie keine eigenständige De- finition dieses Begriffes. Wäre „Erzeugnis“ hier ebenso zu verstehen, wie unter der REACH-Verordnung (oben

(49)

S. 33), würden viele Tätigkeiten, insbesondere im Zusam- menhang mit Gebäuden, nicht vom Tatbestand des Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie erfasst.

Anders als die REACH-Verordnung, die auf Art. 114 AEUV (ex-Art. 95 EGV) gestützt ist, ist die Asbestricht- linie aber nicht im Binnenmarktkontext zu sehen. Sie ist vielmehr als Arbeitnehmerschutzvorschrift gem. Art. 153 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 137 Abs. 2 EGV) erlassen worden.

Das Argument der Beschränkung auf den Handel mit be- weglichen Gütern betrifft die Asbestrichtlinie, anders als die REACH-Verordnung, daher nicht. Bei der Auslegung ist auch zu berücksichtigen, dass der Erzeugnisbegriff hier Teil des Regeltatbestandes des Tätigkeitsverbots ist. Im Gegensatz zu Anhang XVII Ziff. 6 Abs. 2 S. 1 REACH- Verordnung handelt es sich vorliegend nicht um eine Aus- nahmeregelung, sondern die Grundnorm. Es ist daher eine weite Auslegung geboten.95

Auch im europäischen Kontext ist die Auslegung nach dem Wortlaut eine anerkannte Auslegungsmethode; bei der Auslegung einer Richtlinie nach ihrem Wortlaut sind nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich alle Sprachfassungen heranzuziehen.96 Ein umfassender Sprachvergleich aller 23 veröffentlichten Fassungen würde den Umfang dieser Arbeit indes sprengen. Berück- sichtigt man neben der deutschen zumindest die engli- sche, französische, spanische und italienische Fassung der Asbestrichtlinie, so fällt auf, dass in der englischen dem

95 Dauses/Pieper, Kap. B.I. Rn. 25 ff.

96 EuGH v. 7.7.1988 − C-55/87, Slg. 1988 I, 3835, Rn. 49 − ECLI:EU:C:1988:377; EuGH v. 27.1.2005 C‑188/03, Slg. 2005 I, 885, Rn. 33 − ECLI:EU:C:2005:59; Weinmann, Kap. A 3.1 S. 22.

(50)

deutschen „Erzeugnis“ der Begriff „product“ entspricht;

in der französischen Fassung wird der Begriff „produit“, in der spanischen „productos“ und in der italienischen

„prodotto“ verwendet. Das deutsche „Erzeugnis“ im Sinne der REACH-Verordnung wird demgegenüber in den anderen Sprachfassungen mit „article“ (englisch), „ar- ticle“ (französisch), „artículo“ (spanisch) und „articolo“

(italienisch) übersetzt.

Aus dem Vergleich der Sprachfassungen ergibt sich so, dass der Begriff des Erzeugnisses im Sinne der Asbest- richtlinie eher im Sinne von „Produkt“ und nicht, wie im Falle der REACH-Verordnung, im Sinne von „Artikel“

zu verstehen ist. Produkt meint aber ganz allgemein etwas, was (aus bestimmten Stoffen hergestellt) das Ergebnis menschlicher Arbeit ist.97 Demgegenüber ist „Artikel“ als Handelsgegenstand bzw. Ware enger gefasst.98 Im Ergeb- nis ist es daher sowohl von Sinn und Zweck als auch unter Berücksichtigung der Sprachfassungen geboten, „Erzeug- nis“ im Sinne der Asbestrichtlinie weiter als im Sinne der REACH-Verordnung zu verstehen. Mit Erzeugnis im Sinne von Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie sind umfassend alle

„Produkte“ gemeint.99

„Asbesterzeugnisse“ meint dabei Produkte, die komplett aus Asbest bestehen, z. B. Dichtungen für Hochtempera- turöfen oder feuerfeste Schutzkleidung.100 Asbesthaltige Erzeugnisse sind dagegen Produkte, die nur zum Teil aus

97 Duden, „Produkt“.

98 Duden, „Artikel“.

99 DG Employment, Evaluation of the Practical Implementation of the EU Occupational Safety and Health (OSH) Directives in EU Mem-

(51)

Asbest bestehen, z. B. asbesthaltige Bauprodukte wie As- bestzement oder asbesthaltige Maschinenteile, wie etwa Bremsbeläge.101 Der Begriff der Herstellung bezieht sich auf die Entstehung bzw. Fabrikation eines Erzeugnis- ses.102

bb. Verarbeitung

Problematisch stellt sich auch der Begriff der Verarbei- tung in der deutschen Fassung der Asbestrichtlinie dar:

Denn „Verarbeitung“ könnte auf eine Tätigkeitstiefe bzw.

-intensität hindeuten, die bloße einfache Bearbeitungen, etwa von Oberflächen von Gegenständen, nicht erfasst.

Es stellt sich daher die Frage, ob eine Vielzahl von in der Praxis häufig ausgeführten Tätigkeiten, etwa auch das Ab- schleifen einer asbesthaltigen Wand, der Austausch eines asbesthaltigen Bremsbelages oder die Reparatur einer as- besthaltigen Brandschutzklappe im Grundsatz von Art. 5 S. 2 Asbestrichtlinie überhaupt erfasst werden.

Es entspricht systematischer Auslegung, dass im Regel- Ausnahmeverhältnis die Regel − hier das Tätigkeitsverbot

− weit ausgelegt wird (oben S. 36). Dafür spricht auch der Schutzzweck der Richtlinie und der Wille des Normge- bers, entsprechende Tätigkeiten weitgehend zu begren- zen.103 Demnach könnte „Verarbeitung“ in diesem Sinne auch das bloße Bearbeiten von asbesthaltigen Erzeugnis- sen meinen.

Gegen dieses Verständnis könnte jedoch der Wortlaut der deutschen Fassung der Richtlinie sprechen. Im deutschen

101 Thomas, S. 25 f.

102 Erbs/Ambs, § 3 ChemG Rn. 8.

103 Erwägungsgrund 7 Richtlinie 2009/148/EG.

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