Zur Fortbildung Aktuelle Medizin NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST
Verätzungen und Verbrühungen der Luft- und Speisewege
Werner Prott
Das Schlucken von Säuren, Laugen, heißen Flüssigkeiten und das Aspirieren dieser Noxen sowie heißer Dämpfe stellen dramatische Ereignisse dar, die vom hinzugezogenen Allgemeinarzt sofortige Maßnah- men am Ort des Geschehens erfordern. Gleichzeitig ist aus forensischen Gründen auf eine möglichst exakte Eruierung der Begleitumstände und die Sicherstellung von möglichen Giftresten zu achten.
Danach sollte die Überweisung in eine endoskopisch eingerichtete (HNO) Klinik zur Feststellung des wahren Ausmaßes der Schädigung im Bereich der Luft- und Speisewege und der daraus resultierenden zum Teil auch endoskopischen Therapie erfolgen. Bei Verdacht auf Perforation des Magens muß der Chirurg, bei Schädigung der Nieren der Internist hinzugezogen werden. Die häufigste Komplikation ist das Auftreten einer ösophagusstenose, die oft ein lebenslanges Bougieren oder das Tragen einer Witzei-Fistel nach sich zieht. Die Letalität ist insbesondere bei suizidalen Verätzungen sehr hoch. Eine äußerst genaue schriftliche Dokumentation aller Befunde und Maßnahmen mit Zeitangaben ist wegen der stets nachfolgenden behördlichen Ermittlungen unerläßlich.
Symptomatik
Bei akutem Ereignis: Auf- schrei des Patienten, starke Schmerzen im Mund-Rachen- Bereich mit zunächst nur ge- ringen Ätzspuren an den Lip- pen, am Zungenrücken und an den Gaumenbögen.
Hautblässe, und Zyanose, Schweißausbrüche, schneller Puls.
Diagnose
Verdacht auf Verätzung durch Verschlucken von Säuren, Laugen oder heißen Flüssig- keiten
Salzsäure: weißliche Salpetersäure: gelbliche Schwefelsäure: schwärzliche Beläge
Laugen: Rötung und Auflok- kerung der Schleimhäute.
Zentralisation des Kreislaufs mit Schocksyndrom, Intoxika- tion.
Therapie
Als Sofortmaßnahme: Wasser zur Verdünnung trinken lassen.
Bei Säuren: Magnesia usta
bei Laugen: Zitronensaft, Orangensaft
Am Unfallort:
..,.. Schockbekämpfung mit Infusion (Haemaccel®
500
ml) 2 Amp. Hydergin® i. v . ..,.. Starke Analgetika (Dolan- tin®25-100
mg langsam i. v.) ..,.. Kortison (Solu-Decortin H® bis zu 1 g und mehr i. v.) ..,.. Antibiotikum (Binotal® 6-10
g i. v.)..,.. Transport in endoskopi- sche Klinik mit Notfallwagen.
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft10
vom10.
März 1977 649Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Verätzungen und Verbrühungen der Luft- und Speisewege
Symptomatik
Stridoröse Atmung mit Luft- not.
Würgereiz, Speichelfluß, Schluckstörungen, Erbre- chen, Schmerzen hinter dem Brustbein und zwischen den Schulterblättern.
Abbildung 1: Ösophagus- verätzung durch Salzsäure
Schmerzen im Epigastrium, verhärteter Oberbauch, Kaf- feesatzerbrechen.
Verminderte Urinausschei- dung, Hämatokrit erhöht.
Diagnose
Verätzung des Kehldeckels, Kehlkopfinnern, der Trachea (insbesondere bei Verbrü- hung)
Im Frühstadium: Mitverätzung der Speiseröhre.
Im späteren Stadium: Ver- dacht auf Perforation des Ösophagus mit Mediastinitis.
Abbildung 2: Ösophagus- verätzung durch Lauge
Verdacht auf Mitverätzung des Magens beziehungsweise Magendurchbruch mit Perito- nitis.
Toxische Nierenschädigung.
650 Heft 10 vom 10. März 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT
Therapie
..,.. Kortison (Solu-Decortin H® bis zu 1 g und mehr i. v.) ..,.. Transport in endoskopi- sche Klinik mit Notfallwagen, eventuell Intubation oder Nottracheotomie.
Sofortige Klinikeinweisung (Endoskopie in Narkose mit Absaugen von Mageninhalt, Spülungen mit Magnesia usta beziehungsweise verdünnter Essigsäure, Legen einer kräf- tigen, weichen Nährsonde oder parenterale Ernährung oder Witzei-Fistel, kollare oder parasternale Mediastino- tomie).
Keine Kontrastdarstellung des Ösophagus vor einer Endo- skopie in Narkose!
Einweisung in chirurgische Klinik mit Notfallwagen.
Internistische Behandlung er- forderlich.
Anschrift des Verfassers: Privatdozent Dr. Werner Prott Oberarzt der Universitätsklinik und Poliklinik
für Hals-Nasen-Ohren-Kranke im Kopfklinikum Würzburg (Direktor: Professor Dr. med.
W. Kley)
Josef-Schneider-Straße 11 8700 Würzburg