Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 8|
22. Februar 2013 A 299 UNIVERSITÄTSMEDIZINAlarmierender Weckruf
Die Bundesärztekammer fürchtet um die Leistungsfähigkeit der Universitätsklinika.
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ie 36 vom Vorstand der Bun- desärztekammer (BÄK) be- rufenen Autoren der Stellungnahme„Zukunft der deutschen Universi- tätsmedizin“ (Bekanntgabe) dürften aufmerksam registriert haben, was der Bundespräsident der neuen Bundesministerin für Bildung und Forschung am 14. Februar mit auf den Weg gab: „In der Wissen- schaftspolitik stehen nach dem Aus- laufen der drei großen Milliarden- programme von Bund und Ländern wichtige Entscheidungen an“, sagte Joachim Gauck zu Johanna Wanka.
Die Universitätsklinika hat es sehr getroffen, dass die Förderung von Großgeräten durch die Hoch- schulbauförderungsprogramme weg- gefallen ist. „Der Bund hat sich hier ziemlich ,auf lau‘ verabschiedet und die Förderung in die Kompetenz der Länder gegeben“, sagt BÄK- Präsident Prof. Dr. med. Frank Ul- rich Montgomery (Interview). Die Länder erfüllten diese Aufgabe aber nicht in dem Maße, wie es nötig sei.
Die Finanzierungsfrage bildet den ersten von vier Schwerpunkten der Stellungnahme. Die universitäre Medizin werde hier vor ganz beson- dere Herausforderungen gestellt, betont Prof. Dr. Heyo Kroemer, fe- derführend im betreffenden Arbeits- kreis beim Wissenschaftlichen Bei- rat der BÄK: „Während das normal wirtschaftende Krankenhaus defizi- täre Abteilungen zur Ergebnisver- besserung schließen kann, muss die Universitätsmedizin ihren Fächer- kanon zu Ausbildungszwecken bei- behalten.“ Neben den Erlösen aus der DRG-finanzierten Krankenver- sorgung und der Unterstützung durch die Länder sei daher eine drit- te Finanzierungssäule notwendig, heißt es in dem Papier – für jene Aktivitäten, „die spezifisch für die universitäre Medizin sind und bis- her nur unzureichend oder gar nicht
durch die Fallpauschalen und die Landesfinanzierung für Forschung und Lehre abgebildet werden kön- nen“. Die dritte Säule könne aus Bundesmitteln und/oder einem DRG-Zuschlag gespeist werden.
Im zweiten Kapitel diskutieren die Wissenschaftler mögliche Rechts- und Organisationsmodelle.
Empfohlen wird das Integrations- modell, bei dem Forschung, Lehre und Krankenversorgung durch ei- nen gemeinsamen Vorstand geleitet werden. „Unter der Voraussetzung eines harmonischen Miteinanders können in einem solchen Vorstand Synergieeffekte zwischen den drei Bereichen der Universitätsmedizin maximal genutzt werden“, betont Kroemer, der Sprecher des Vor- stands der Universitätsmedizin Göt- tingen. Was die Trägerschaft angeht, so bezeichnen die Autoren öffent- lich-rechtliche Modelle zwar als
„wünschenswert“, ein privatrecht- lich organisiertes Integrationsmo- dell könne aber auch eine „sinnvol- le“ Organisationsform sein. „Die Perspektiven für die Länderfinan- zen bedrohen manche Standorte der Universitätsmedizin“, sagt Prof. Dr.
med. Dr. Peter C. Scriba, der Vorsit- zende des Wissenschaftlichen Bei- rats der BÄK. Daher müsse über Al- ternativen nachgedacht werden. Von bisher eher unglücklich verlaufen- den Teilprivatisierungen solle man sich nicht entmutigen lassen, son- dern daraus lernen, meint Scriba, der bei Helios im Aufsichtsrat sitzt.
Das dritte Kapitel widmet sich den ärztlichen Karrierewegen.
„Das Auswahlverfahren und der Zugang zum Medizinstudium müs- sen so gestaltet sein, dass sowohl überzeugend an kurativer Medizin interessierte Kandidaten als auch für Forschung geeignete junge Menschen identifiziert werden“, betont die Stellungnahme. Die rein
wissenschaftliche Karriere sei der- zeit für den ärztlichen Nachwuchs unattraktiv; unter anderem deshalb, weil die arztspezifischen Tarife bis- her nur für Ärzte mit klinischem Einsatz gezahlt würden. Der Präsi- dent der Sächsischen Landesärzte- kammer, Prof. Dr. med. Jan Schul- ze, weist zudem auf Schwierigkei- ten hin, die Facharzt-Weiterbildung und eine wissenschaftliche Karriere zu vereinbaren: „Der Einstieg in die wissenschaftliche Laufbahn findet parallel mit der Absolvierung der Weiterbildung statt. Insofern sollten vermehrt Möglichkeiten geschaffen werden, Forschungszeiten auf die Weiterbildung anzuerkennen.“ Die Reform der Weiterbildungsordnung verspreche hier aber Besserungen.
Abschließend beschäftigt sich die Stellungnahme mit der Frage, inwiefern die „Ambulantisierung“
der Medizin die Funktionalität der Universitätsmedizin beeinflusst. In- zwischen würden immer mehr vor- mals stationäre Aufgaben von Nie- dergelassenen übernommen, be- schreibt Versorgungsforscher Scri- ba die Entwicklung. Das sei gut im Sinne des gewünschten Transfers von Forschungsergebnissen in die praktische Anwendung: „Nachteilig für die universitäre Aufgabe ist aber, dass ein ausreichender Zu- gang zu wichtigen Krankheitsbil- dern für Lehre, Forschung und auch Weiterbildung praktisch kaum mehr gegeben ist.“ Wissenschaftsstand- orte hätten sich zu hochspeziellen Leistungszentren entwickelt, die nicht immer das gesamte Krank- heits- und Behandlungsspektrum abbildeten, das für die Anforderun- gen einer breit ausgelegten Fach- arztkompetenz notwendig sei, er- gänzt Schulze: „Daher ist es zuneh- mend wichtig, dass Universitätsab- teilungen untereinander, aber auch mit anderen stationären und ambu- lanten Abteilungen in einem Ver- bundsystem kooperieren.“
Die BÄK-Stellungnahme dient der nachhaltigen Zukunftsgestal- tung der Universitätsmedizin. „Es wird aber deutlich, dass viele be- schriebene Strukturprobleme für al- le Krankenhäuser gelten“, unter- streicht Montgomery.
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Jens Flintrop