Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KOMPENDIUM
Die Bedeutung der Rektoskopie in der Praxis
Peter Alken und Edgar Ungeheuer*)
Aus der Chirurgischen Klinik
(Direktor: Professor Dr. med. Edgar Ungeheuer)
des Krankenhauses Nordwest Frankfurt am Main-Praunheim
Die Rektoskopie ist ein relativ einfach erlernbares und durchführba- res Verfahren, mit dem die Zahl der Früherkennungen maligner Er- krankungen im Bereich des Rektum und des unteren Sigma gestei- gert werden kann. Sie soll die digitale Untersuchung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Als Methode gehört sie zur weiterführenden Dia- gnostik. Während sie in Chirurgie und Innerer Medizin zu den Rou- tineeingriffen gehört, wird sie in der Allgemeinpraxis bisher zu we- nig angewandt. Als Screeningmethode ist sie allerdings nach wie vor nicht geeignet.
Nach Einführung der Vorsorgeun- tersuchung zur Früherkennung des Rektumkarzinoms im Juli 1971 ist die Zahl der behandlungsbedürfti- gen Befunde im Bereich des Rek- tums angestiegen. Von den über Fünfzigjährigen, die am stärksten von malignen Veränderungen des Enddarmes betroffen sind, nehmen allerdings nur etwa zehn Prozent die Vorsorgeuntersuchung in An- spruch. Nach statistischen Anga- ben werden in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr Todesfäl- le durch Rektumkarzinome regi- striert. Während 1966 noch 6600 Menschen an dieser Krankheit ver- starben, waren es 1972 bereits 7674.
Diese Tatsachen müssen als eine Herausforderung - gerade auch an den Arzt für Allgemeinmedizin - gesehen werden, die diagnosti- schen Bemühungen zu intensivie- ren.
Bei geeigneter Untersuchungstech- nik - bimanuelle Palpation und
Pressenfassen des Patienten - können bis zu 75 Prozent der Rek- tumkarzinome durch die digitale Untersuchung erfaßt werden. Dabei ist nicht die Länge des Zeigefin- gers von durchschnittlich acht Zentimetern das begrenzende Maß;
die Durchsicht von Operations- präparaten nach Rektumexstirpa- tion im eigenen Krankengut hat vielmehr gezeigt, daß, gemessen vom Analrand, Tumoren bis zu ei-
ner Höhe von 15 Zentimetern prä- operativ ertastet worden sind. Die Höhenlokalisation der Rektum- karzinome ist der Abbildung 1 zu entnehmen.
Aber auch die nicht digital erreich- baren im oberen Rektum und im unteren Sigma gelegenen Tumoren sollten in der Praxis erkannt wer- den. Dafür eignet sich insbesonde- re die Rektoskopie, weil die digita- le Untersuchung in diesem Rekto- sigmoid-Bereich nicht mehr und die Röntgenuntersuchung noch nicht erfolgversprechend sind.
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Tabelle 1: Pathologische Ver- änderungen im Bereich des Anus, des Rektums und Rek- to-sigmoids
~ Neubildungen
a) maligne: Karzinom, Sar- kom (selten)
b) semimaligne: Basaliom, Neurinom (selten), Polyposis, Polypen
c) benigne: Polypen und an- dere seltene gutartige Neu- bildungen
~ Entzündliche Veränderun- gen
Colitis ufcerosa und granulo- matosa
Fisteln, Abszesse
Ulzera (Tuberkulose, Gonor- rhoe, Syphilis), Proktitiden
~ Hämorrhoiden
Dieser "Weiße Fleck" in der Karzi- nomdiagnostik kann nur beseitigt werden, wenn drei Voraussetzun- gen erfüllt sind:
0 eine positive Einstellung des Arztes zur Methode;
8
entsprechende Übung des Arz- tes;8
die Bereitschaft des Patienten.Anatomie
Das Rektum erstreckt sich in einer Länge von 16 bis 18 Zentimetern zwischen dem After und dem Co- lon sigmoideum (Abbildung 2).
Nach dem Durchtritt durch den Beckenboden verläuft es ventral- wärts konvex um die Steißbeinspit- ze herum, dann der Innenfläche des Kreuzbeines anliegend. Das kraniale Drittel ist häufig zur Am- pulla recti erweitert. Von den in- konstant verlaufenden Querfalten kennzeichnet die größte - die
Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer
> 16 cm : 5 0/0
bis 16 cm :13 70
bis 12 cm :20 0/
bis 8 cm : 32 70
bis 4 cm :
anal : 2 7c.
ohne Angaben : 4 70
Abbildung 1: Höhenlokalisation der Rektumkarzinome im eigenen Kranken- gut
Abbildung 2: Anatomie des Rektums 7-10 cm
30 cm Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Rektoskopie
Kohlrausch'sche Falte — die Stelle, bis zu der ventral der Peritoneal- überzug reicht. In Höhe des Pro- montoriums schließt sich dann das an seinem Mesokolon beweglich aufgehängte Colon sigmoideum an.
Pathologie
Die Vielzahl der pathologischen Veränderungen soll hier nur tabel- larisch aufgeführt werden (Tabelle 1). Zum eingehenden Studium sind die zum Teil vorzüglich photogra- phisch bebilderten Farbatlanten zu empfehlen.
Symptomatik
Die Methode des Beobachtens, Ab- wartens und symptomatischen Be- handelns, die zur Verschleppung der Karzinomdiagnostik führt, ist gerade bei den Erkrankungen des Ano-rekto-sigmoid-Bereiches teil- weise dadurch bedingt, daß ent- zündliche und tumoröse Prozesse und nicht zuletzt das Hämorrho- idalleiden eine ähnliche Sympto- matik aufweisen (Tabelle 2).
Zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und dem Therapiebe- ginn liegt eine fatale Pause von durchschnittlich sieben Monaten.
Sie geht jeweils zur Hälfte zu La- sten des Arztes und des Patienten und ist Anlaß genug, noch einmal auf die typische Symptomatik hin- zuweisen (Tabelle 3).
Indikationen zur Rektoskopie Ein pathologischer Inspektions- oder Palpationsbefund im Ano-rek- tal-Bereich macht die Rektoskopie nicht überflüssig. Etwa fünf Prozent der Patienten mit einem Rektum- karzinom haben gleichzeitig ein Hämorrhoidalleiden.
Die vor einem blutenden Rektum- karzinom liegenden blutenden Hä- morrhoiden sollten den Arzt bei entsprechendem Alter des Patien- ten und bei mangelnder therapeuti- scher Beeinflußbarkeit der Be-
schwerden nicht zur Diagnose Hä- morrhoidalleiden verleiten, son- dern zu weiteren diagnostischen Maßnahmen führen. Die Patienten müssen bis zur sicheren Aus- schlußdiagnostik als tumorver- dächtig angesehen werden. Kein Suppositorium darf ohne vorherge- hende digitale Untersuchung ver- ordnet werden. Die erste an die
rektale Austastung anschließende Untersuchung ist die Rektoskopie;
sie ist indiziert bei: :
fraglichem rektalen Tastbefund;
■ zur Entnahme von Gewebspro- ben bei positivem digitalen Befund;
zur Abklärung von digital nicht erreichbaren Veränderungen. i>
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Abbildung 3 (links): Obturator, Rektoskop, Optik und PE-Zange — Abbildung 4 (rechts): Rektoskop mit Anschluß an die Kaltlichtquelle und Ballon.
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Die in letzter Zeit häufiger erhobe- ne Forderung, die routinemäßige Rektoskopie bei über Vierzigjähri- gen in das Vorsorgeprogramm zu übernehmen, ist von der Sache her zu begrüßen. Sie wird jedoch an den derzeitigen Gegebenheiten ei- ner Allgemeinpraxis und zum Teil auch an denen einer internen Fachpraxis scheitern. Denn für eine Rektoskopie sind separate Vorbereitungsräume erforderlich;
für die Untersuchung werden, bei halbstündiger Vorbereitungszeit, etwa 45 Minuten benötigt. Sie läßt sich nicht, wie die digitale Unter- suchung, bei der nur wenig Zeit und kein Instrumentarium in An- spruch genommen wird und die beliebig oft und ohne große Belä- stigung des Patienten wiederholbar ist, als Screeningmethode einführen.
Das Instrumentarium
Für die Untersuchung werden fol- gende Gerätschaften benötigt:
Pfrimmer®Klysma, Gummihand- schuhe, Fingerling und Katheterpu- rin. Rektoskop mit Obturator und zwei wechselbaren Optiken, Kalt- lichtquelle und Ballon zum Insuf- flieren von Luft. Sauger und Watte- träger. Kleine und große PE-Zange, 0,lprozentige Adrenalinlösung und Plastikgefäße mit Formalinlösung zum Aufnehmen von Gewebspro- ben (Abbildungen 3 und 4).
Vorbereitung zur Untersuchung Die meisten Patienten empfinden die Rektoskopie als unangenehm.
Nur wenn in einem vorbereitenden
Gespräch der Patient über Art und Notwendigkeit des Eingriffes und die Gefahren einer Unterlassung aufgeklärt worden ist, wird er zur Mitarbeit bereit sein, die für eine erfolgreiche Untersuchung notwen- dig ist.
Eine halbe Stunde vor der Untersu- chung wird dem liegenden Patien- ten ein PfrimmereKlysma verab- reicht. Er wird aufgefordert, sich kurz vor dem Eingriff zu entleeren.
Bei 3859 Patienten, bis 30. April 1974, bei denen wir die Rektosko- pie größtenteils ambulant durchge- führt haben, waren durch diese einfache Maßnahme die rektosko- pisch erreichbaren Darmabschnitte von Kot und von Schleim gesäu- bert.
Tabelle 2: Hauptsymptome der wichtigsten Erkrankungen im Bereich von Anus, Rektum und Colon sig- moideum
Rektumkarzinom Colitis ulcerosa Hämorrhoiden Blut- und Schleimabgänge
Stuhlunregelmäßigkeiten Ano-rektale Beschwerden (Jucken, Brennen, Schmerzen)
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Nur in den allerseltensten Fällen war etwa bei schmerzhaften Fissu- ren oder Stenosen eine Narkose erforderlich.
Lagerung des Patienten
Folgende Lagerungen sind mög- lich:
.,.. linke Seitenlage .,.. Knie-EIIenbogenlage .,.. Steinschnittlage
Wir bevorzugen die für Patienten und Untersucher bequeme Seiten- lage, bei der der Patient die Beine in Knie- und Hüftgelenk beugt und das Gesäß knapp über den Rand des Untersuchungstisches ragt.
Technik des Eingriffes
Nach Inspektion und Betastung der äußeren Analregion folgt die digita- le Austastung des Rektums mit dem mit Handschuh und Fingerling bewehrten und mit Kathete.rpurin gut geschmierten Finger. Schmerz- hafte Fissuren, Stenosen oder un- mittelbar supraanal gelegene Tu- moren, die die Rektoskopie er- schweren, werden so erkannt. Nach Abdeckung des Gesäßes mit einem Lochtuch wird das mit Katheterpu- rin bestrichene Rektoskop mit Ob- turator und aufgesetzter Schutz- scheibe drei bis vier Zentimeter vorgeschoben. Der Patient muß da- bei wie bei der Defäkation pressen, was die Einführung des Instrumen- tes durch den darunter erschlaffen- den Sphinkter erleichtert. Anschlie- ßend werden der Obturator ent- fernt und die Optik aufgesetzt. Un- ter gleichzeitigem lnsufflieren von wenig Luft mit Hilfe des Ballons folgt der Untersucher mit der Mün- dung des Rektoskopes dem sich entfaltenden Darmlumen. Dabei ist jede Gewalt zu vermeiden. ln der Regel soll mit dem 30 Zentimeter langen Rektoskop bis in eine Höhe von mindestens 25 Zentimeter un- tersucht werden.
Unter kreisenden Bewegungen mit der Spitze des Instrumentes wird beim Vorschieben und Zurückzie- hen die Schleimhaut inspiziert.
Tabelle 3: Symptome des Rektumkarzinoms
Blut- und Schleimabgänge Obstipationen und Durchfälle Gewichtsverlust
Tenesmen
Abdominale Beschwerden
Tabelle 4: Dokumentation
Lage des Patienten
Höhe, bis zu der rektosko- piert wurde
Höhe des pathologischen Be- fundes
Seitenlokalisation des Befun- des
Beschreibung
Eventuell Zahl und Ort der entnommenen Probeexzisio- nen
Kotpartikel, Schleim oder Reste des Klysmas lassen sich mit dem Sauger oder dem Watteträger ent-
fernen.
Kulissenartig vor die Mündung des Rektoskops vorspringende Schleimhautfalten müssen zur ge- nauen Inspektion der oralwärts ge- legenen Darmabschnitte erneut überwunden werden. Bei Entfernen des Rektoskopes soll unter langsa- mem Zurückziehen auch der Anal- kanal betrachtet werden.
Komplikationen
Die einzige ernste Komplikation ist die Perforation. Durch Kenntnis- se der Anatomie, Schaffung über- sichtlicher Verhältnisse und behut- sames Vorgehen kann sie verhin- dert werden. Die Symptome sind ein akuter starker Schmerz und später die des paralytischen Ileus.
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Die Gewebsentnahme
Pathologische Veränderungen, die eine weitergehende chirurgische oder internistische Therapie erfor- derlich machen, müssen durch eine histologische Untersuchung gesichert werden. Diese Probee_xzi- sionen sowie die Abtragung kleme- rer Polypen sollten dem erfahrenen Untersucher überlassen bleiben . Neben der Perforation droht hier die Gefahr der starken Nachblu- tung. Seide Komplikationen zwin- gen zur Krankenhauseinweisung.
Dokumentation
Das Untersuchungsergebnis muß in einer Form festgehalten werden, die bei den häufig erforderlichen späteren Kontrollen eine leichte Orientierung ermöglicht (Tabel- le4).
Weitergehende Diagnostik
Kann die Ursache der anfangs ge- schilderten Beschwerden durch die digitale Untersuchung und die R~k
toskopie nicht geklärt werden, 1st eine röntgenologische Darstellung des Dickdarms durch einen Kolon- kontrasteinlaut anzuschließen, da die Symptome auch durch Verän- derungen höher gelegener Da~_m
abschnitte ausgelöst werden kon- nen.
Als Alternative bietet sich die - al- lerdings bisher nur an einigen Kli- niken durchgeführte - Kaloskopie an. Hierbei kann mit einem fle- xiblen Kaltlichtfiberskop der gesam- te Dickdarm betrachtet werden. Es besteht zugleich die Möglichkeit, Gewebsproben zu entnehmen oder auch kleine Polypen abzutragen.
Literatur bei den Verfassern Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Peter Alken Professor Dr. med.
Edgar Ungeheuer
6 Frankfurt am Main-Praunheim Steinbacher Hohl 2-26
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