DEUTSCHES AR,ZTEBLATT
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as Bundesverfassungsge- richt in Karlsruhe wird nach Inkrafttreten des„Gesundheits-Strukturgesetzes 1993" (am 1. Januar 1993) vor- aussichtlich mit einer Reihe von Klagen eingedeckt werden.
Ein Betroffener aus den Reihen des Marburger Bundes soll das Bundesverfassungsge- richt „so schnell wie irgend mög- lich" anrufen. In den unverän- dert geplanten drastischen Ver- schärfungen bei der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit sieht die Klinikärztegewerk- schaft MB das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) ver- letzt. Die geplanten Maßnah- men würden ab 1993 zu einer faktischen Niederlassungssperre für Fachärzte und ab 1999 zu ei- ner totalen Sperre führen, was faktisch einem Berufsverbot gleichkäme. Die gesamte nach- wachsende Generation werde davon betroffen. Namentlich die Kassenärztliche Bundesvereini- gung hält die geplante Regelung, freiberuflich tätige Ärzte ab dem
,Gesundheitsreforrn"
Viel Arbeit
für Karlsruhe
68. Lebensjahr „zvvangszupen- sionieren", ebenfalls für nicht verfassungskonform.
Die Apotheker erwägen ei- ne Verfassungsbeschwerde ge- gen den Preisabschlag bei Medi- kamenten in Höhe von fünf Pro- zent. 20 Prozent der Apotheken seien in ihrer Existenz bedroht, so die Bundesvereinigung Deut- scher Apothekerverbände.
Juristischer Schützenhilfe hat sich bereits die Deutsche Krankenhausgesellschaft versi- chert. Prof. Konrad Redeker, Bonn, sieht in der geplanten Aufhebung des Selbstkosten- deckungsgrundsatzes (§ 4 KHG) einen verfassungswidrigen Ein-
griff in das Recht der Berufsfrei- heit (Art. 12 GG) und einen Verstoß gegen den Eigentums- schutz (Art. 14 GG), bei kirchli- chen Krankenhausträgern auch einen Verstoß gegen Art. 4, Art.
140 GG und Art. 139 WRV (Glaubens-, Gewissens- und Be- kenntnisfreiheit). Auch die strikte Einbindung der Klinik- träger in den Grundsatz der Bei- tragssatzstabilität bei der Be- messung der Pflegesätze sei ver- fassungswidrig, denn viele Kli- nikträger müßten entstehende Betriebskostendefizite künftig zu Lasten des Eigentums und der Substanz der Betriebe ab- decken. Mithin sei das Gebot des Eigentumsschutzes verletzt.
Ob die Kläger allerdings ob- siegen werden, steht auf einem anderen Blatt. 1984/85 bereits haben die Verfassungshüter be- schieden, daß zumindest Preis- abschläge in Abwägung mit dem am Gemeinwohlprinzip ausge- richteten Beitragssatzstabilitäts- grundsatz der Kassen verfas- sungsverträglich wären. HC
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er Monat November mit seinen vielen Toten-Ge- denktagen wird es vielen von uns wieder einmal bewußt machen: wie befangen sind wir doch im Umgang mit dem Tod, mit dem Sterben. Die Häufung der Feiertage birgt überdies noch die Gefahr in sich, daß al- les zur Routine wird.Zu den kirchlichen Gedenk- tagen — Allerheiligen, Allersee- len, Totensonntag — kommt ja der staatliche „Volkstrauertag"
noch hinzu In den fünfziger Jahren wurde er auf den Sonn- tag vor dem Totensonntag ver- legt. Immerhin geriet er dadurch in zeitliche Nähe der Erinne- rungstage, die unsere Nachbarn Frankreich und England am 11.
November begehen, am Jahres- tag des Waffenstillstands nach dem Ersten Weltkrieg.
Man geht also auf die Fried- höfe, für die Kranzniederlegung zum Kriegerdenkmal. Manche werden es tun, um dabei gese- hen und gefilmt zu werden, an-
Totengedenken
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Besinnung
dere am liebsten heimlich In den früheren deutschen Ost-, jetzt polnischen Westprovinzen wird geklagt über Deutsche, die bei Nacht und Nebel die In- schriften auf den noch aus deut- scher Zeit vorhandenen Krieger- denkmälern „ergänzen" um die Jahreszahlen 1939 bis 1945; man könne doch darüber reden! Wie weit entfernt ist so etwas von der Selbstverständlichkeit, mit der zum Beispiel Londoner Busfah- rer am „Remembrance Day" um 11 Uhr — als 1918 der Waffen- stillstand in Kraft trat — nicht nur zwei Minuten Verkehrs- und Arbeitspause einhalten, sondern auch aussteigen und zum Gruß für die Gefallenen die Hand an die Mütze legen.
Vielleicht ist es ein willkom- mener zeitlicher „Zufall", daß gerade in diesen Wochen ein medizinisches Experiment in Er- langen so viel Aufsehen erregt (siehe dazu die Leserbriefe und den Bericht in diesem Heft).
Man muß es wohl hinnehmen, daß die ethischen Fragen im Zu- sammenhang mit einem Kind, das im Körper seiner toten Mut- ter noch lebt, die Gemüter von Theologen, Ärzten, der Medien und des Publikums mehr erhit- zen als die vielen tausend Kin- der, die in Jugoslawien und an- derswo durch menschliche Schuld sterben müssen. Dieses Erlanger Ereignis kann daran erinnern, daß Arzte, Schwestern und Pfleger sich immer — nicht nur hn Monat November — mit Tod und Sterben auseinander- setzen müssen; und zwar letzten Endes doch allein, in eigener Verantwortung, trotz aller wohl- meinender und auf festen Über- zeugungen gegründeter Stel- lungnahmen anderer. gb
Dt. Ärztebl. 89, Heft 46, 13. November 1992 (1) A1-3833