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ie derzeitige große Nach- frage nach Fachärztinnen und Fachärzten stellt alle bisherigen Entwicklungen auf dem ärztlichen Stellenmarkt in den Schatten; entsprechend re- kordverdächtig ist auch die Zahl an Stellenausschreibun- gen im Deutschen Ärzteblatt:Im 1. Halbjahr 2006 wurden von den deutschen Kran- kenhäusern mit insgesamt 2 109 fast ein Drittel mehr Facharztstellen ausgeschrie- ben als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Selten zuvor war die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage so groß wie zurzeit. Die Nach- wuchssorgen nehmen zu.
Die Personalverantwortli- chen in den Krankenhäusern haben sich inzwischen bereits daran gewöhnt, dass in vielen Bereichen Oberarztpositionen schwer oder kaum noch zu be- setzen sind – aber dass auch Bewerber für Einstiegspositio- nen auf der Facharztebene knapp werden, ist neu. Stellen, die früher direkt mit „frisch gebackenen“ Fachärzten aus dem eigenen Haus besetzt werden konnten, müssen im- mer öfter ausgeschrieben wer- den. Dies führte dazu, dass die
Zahl an Ausschreibungen von einfachen Facharztpositionen sprunghaft anstieg: von 459 im 1. Halbjahr 2005 auf jetzt 734.
Und selbst Weiterbildungsstel- len zum Erwerb einer Schwer- punktbezeichnung in der Inne- ren Medizin oder Chirurgie sind nicht mehr leicht zu beset- zen, weil qualifizierte Initiativ- bewerbungen ausbleiben.
Momentan können sich die Ärzte nahezu aller Fachgebie- te über eine außergewöhnlich starke Nachfrage freuen, in er- ster Linie diejenigen aus ope- rativen Fächern. Hier setzt sich ein Trend fort, der bereits im
letzten Jahr zu beobachten war: In Zeiten zunehmender Konkurrenz erweitern die Krankenhäuser ihr Leistungs- spektrum und etablieren zu- sätzliche operative Schwer- punkte oder bauen bestehen- de Angebote aus. Dafür be- nötigen sie die entsprechen- den Spezialisten unter den Fachärzten.
Profitierten von dieser Ent- wicklung im letzten Jahr vor al- lem die Internisten, sind es in diesem Jahr die Chirurgen. Sie konnten bisher auf 36 Prozent mehr Stellenausschreibungen zurückgreifen als im Vorjahr.
Dabei lagen die Orthopäden/
Unfallchirurgen und Viszeral- chirurgen erwartungsgemäß an der Spitze der Nachfrage. Den größten Sprung nach vorne machten jedoch die Thorax- chirurgen und die Neurochir- urgen, deren Anzeigenauf- kommen sich verdoppelte be- ziehungsweise mehr als ver- dreifachte. Vielfach werden neue oder zusätzliche Chef- arztbereiche etabliert, auch indem zum Beispiel bestehen- de Abteilungen geteilt werden.
Dies führte dazu, dass die Zahl an ausgeschriebenen Chef- arztpositionen in der Chirurgie bislang fast doppelt so hoch liegt wie im Vorjahr.
Im Zuge des Ausbaus der operativen Kapazitäten in den Krankenhäusern verzeichne- ten auch die Anästhesisten einen Nachfrageboom: Sie konnten sich auf 212 statt wie im Vorjahr auf 131 Stellenan- zeigen bewerben. Aber nicht nur die Fächer aus dem klassi- schen operativen Spektrum standen in der Nachfrage ganz oben. In der Neurologie wur- den bisher fast doppelt so viele Stellenanzeigen geschaltet wie im Vorjahr. Und auch in der Gynäkologie ist ein Ende des Nachfragebooms nicht in Sicht: In diesem Fachgebiet wurden nochmals knapp 50 Prozent mehr Stellenanzeigen als im Vorjahr veröffentlicht;
damit hatte in diesem Jahr rein rechnerisch bereits annähernd jede dritte Abteilung Gynäko- logie/Geburtshilfe eine Fach- arztposition zu besetzen.
Dr. Wolfgang Martin E-Mail: mainmedico@t-online.de
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A2068 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 3028. Juli 2006
S T A T U S
Der Vorschlag der Arbeitgeber ist kein Angebot, sondern ei- ne Provokation. Es ist unredlich zu behaupten, dass für Assi- stenzärzte monatlich 600 Euro mehr geboten wurde. Rech- net man die beabsichtigte Erhöhung der wöchentlichen Ar- beitszeit um 1,5 auf 40 Stunden, die Kür-
zung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes sowie die langen Wartezeiten bis zu Ge-
haltserhöhungen aus dem Arbeitgeberangebot heraus, blei- ben massive Einkommenskürzungen. Im ersten Berufsjahr würde beispielsweise ein 29-jähriger Assistenzarzt monat- lich rund 460 Euro (minus 12,4 Prozent) an Gehalt einbüßen, im 15. Berufsjahr sogar 864 Euro (minus 15,9 Prozent). Die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) will die Ärzte tatsächlich länger arbeiten lassen für weniger Geld. Einen
dreisteren Versuch des Lohndumpings habe ich noch nicht erlebt. Der zwangsläufige Verhandlungsabbruch ist umso bedauerlicher, weil die Arbeitgeber mittlerweile erste Zuge- ständnisse bei den Arbeitszeiten und beim Arbeitsschutz an- geboten haben. Hätte sich die VKA nicht krampfhaft an die Absenkung der Ärzte- einkommen geklammert und ein anstän- diges Gehaltsangebot vorgelegt, wäre der arztspezifische Tarifvertrag unter Dach und Fach. Stattdessen sieht sich der Marburger Bund nun gezwungen, die Streiks weiter zu in- tensivieren. Zudem werden auch Einzelverträge mit Kran- kenhäusern vor Ort vorangetrieben, die mit deutlich besseren Angeboten einsichtsfähiger sind als ihr Dachverband.
Lutz Hammerschlag,Tarifexperte des Marburger Bundes