Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 199. Mai 2008 [103]
B E R U F
S
tressmomente infolge zuneh- menden Zeitdrucks, überbor- dender Verwaltungsarbeit und öko- nomischer Schwierigkeiten bedro- hen die mentale Balance und körper- liche Verfassung vieler Ärztinnen und Ärzte. Ein vertiefendes Acht- samkeitstraining auf der Grundlage des Zen kann dem entgegenwirken.Ich selbst gehe diesen Übungsweg seit zwei Jahrzehnten. Nachfolgend der Bericht eines jungen Arztes, der an einem Zen-Fortbildungswochen- ende teilgenommen hat:
„Klack – zwei Klanghölzer schla- gen aufeinander. Ich erschrecke und bin ganz da. Wir verbeugen uns.
Zwölf Ärztinnen und Ärzte unter- schiedlichen Alters lassen sich lang- sam auf ihren Meditationsbänkchen und Sitzkissen nieder, um still und aufrecht vor einer leeren Wand zu sit- zen. Schweigen. Auch ich habe mir diese Auszeit genommen, denn hier geht es einmal nicht um den Patien- ten, hier geht es um mich. Das tut gut.
Schweigen ist angesagt. Der Atem soll einfach frei kommen und gehen, genauso wie die drängenden Gedan- ken und Vorstellungen. Nichts Be- sonderes, nichts zu tun, nur Zulassen und gelassen im Hier und Jetzt sitzen.
Das klingt einfach, denke ich mir, doch nach fünf Minuten weiß ich, dass es das nicht ist. Minuten ziehen dahin, das Gedankenkarussell dreht sich. Mein Kommentator meldet sich: ,Warum tue ich mir das an? Zu Hause wäre es so gemütlich. Statt zu essen sitze ich hier im Franziskaner- kloster und meditiere.‘
Ich habe schon einiges über Zen gelesen und war fasziniert, aber aus- probiert habe ich das nie. Endlich wird es ruhiger in mir. Ich spüre meine Beine – sie sind eingeschla- fen. So vergehen die ersten 20 Mi- nuten. Das erlösende Schlusssignal der Klangschale ertönt. Langsam stehen wir auf. Nun ist meditatives Gehen an der Reihe, Kinhin, wie es im Zen heißt. Nur gehen, den Blick nach unten gerichtet, Schritt für Schritt, spürend, achtsam, mühelos.
Ich staune: Erfahrene Ärztinnen und Ärzte lernen das Gehen. Das me- ditative Gehen wird zunächst durch einige Sätze begleitet: ,Schau zu, wie es geht. Lasse dich gehen. Der Kopf ist ganz in den Beinen. Kon- zentriere dich nur auf den Prozess des Gehens.‘ Stille. Nur das Ra- scheln der Kleidung ist bei jedem Schritt zu hören. Ich gehe wortlos, nur konzentriert auf diesen Schritt.
Beim Vortrag spricht der Zen-Meis- ter vom Anfängergeist, vom Tun, als wäre es das erste Mal. Dabei geht es nicht darum, etwas zu lernen, sondern um ein Ablegen ge- danklichen Ballasts.
Plötzlich fühle ich mich persönlich angesprochen. Der Meister spricht über meine Träume und Visionen als Arzt, über mein Verlangen, die richti- ge Diagnose zu stellen und besser zu sein als die anderen, über eine Verlän- gerung des Lebens um jeden Preis, ein Vermeiden-Wollen des Todes und über den Verlust der Qualität des Le- bens zugunsten der Quantität. Mir wird klar, dass ich ständig zwischen Heilen-Wollen und der Ohnmacht als Mediziner schwanke und dass ich oft den Tod als Feindbild und persönliche Niederlage betrachte.
Nach dem Kaffeetrinken ist Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang.
Ich sehe die Welt mit neuen Augen, ganz bewusst, ganz im Jetzt. Und ich entdecke die Einfachheit und Schönheit eines Grashalms, der sich leicht im Wind hin und her wiegt.
Ist mir das Leben verloren gegan- gen, obwohl ich ständig darum be- müht bin?
Neben diesen persönlichen Ein- sichten gibt es auch gemeinsame und vertiefende Gespräche unter den Kollegen, ein Kennenlernen von Ängsten und Nöten in diesem Beruf.
Ich weiß jetzt, dass ich damit nicht allein bin. Das beruhigt mich. Der Zen-Meister erläutert, wie man da- mit umgehen soll. Vorträge über Sein und Nichtsein, den Dualismus und das Hin- und Hergerissensein unter- brechen den Tag. Mir wird bewusst:
Das Leben ist sehr zerbrechlich, auch meins. Schweigend essen wir. Nur das, dieses Schmecken, dieses Ge- nießen und Schlucken. Es geht nicht um gestern und morgen, es geht nur um diesen Augenblick: Da-Sein für den Menschen, ihm zuhören, um ei- nen größeren Einblick in sein Leben und seine Situation zu bekommen.
Ein Satz des Meisters geht mir nicht mehr aus dem Kopf: ,Es geht im Le- ben nicht darum, was ich tue, son- dern wie ich es tue.‘
Das Wochenende vergeht wie im Flug. Wieder zurück im Alltag, weiß ich: Ich werde wiederkommen. Ich dachte, ich habe das für mich getan, doch jetzt ist mir klar: Ich habe es auch für meine Patienten getan. Und dafür gibt es bei der Bayerischen Landesärztekammer noch 21 Fort- bildungspunkte zur Belohnung.“
Weitere Informationen im Inter- net unter: www.zen-walter.de. I Dr. med. Werner Völk
Ich staune: Erfahrene Ärztinnen und Ärzte lernen das Gehen.
ZEN FÜR ÄRZTE