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ÜBERSICHTSAUFSATZ
S
eit der Erstbeschreibung der Leukämie durch Vir- chow 1845 (15) wurden viele Theorien über die Ätiologie der bösartigen Neubildungen der blutbildenden Organe aufgestellt.Angeschuldigt werden ionisieren- de Strahlen, bestimmte Chemika- lien und manche Medikamente.
Erbliche Prädispositionen werden ebenfalls vermutet. Zudem ist seit langem bekannt, daß die bei Tie- ren auftretenden Leukämien oft auf Viren zurückgeführt werden können.
Historischer Überblick
Schon im Jahr 1908 haben zwei dänische Wissenschaftler, Eller- mann und Bang (2), berichtet, daß die Leukämie bei Hühnern durch submikroskopische, filtrierbare Partikel übertragbar ist. Zwei Jah- re später hat Rous (12) aus dem Rockefeller-Institut in New York nachweisen können, daß ein zelt- freies Filtrat eines Hühnersar- koms bei gesunden Hühnern Sar- kome induzieren kann. Seitdem hat man immer wieder nach ei- nem infektiösen Agens als Ursa- che für Malignome und speziell für Leukämien gesucht.
Mit Hilfe der Elektronenmikrosko- pie gelang es Gross (6) 1951, die virale Genese bestimmter Mäuse- leukämien nachzuweisen. Die in den letzten Jahren auch in der medizinischen Forschung ange-
wandten Methoden der Moleku- larbiologie erbrachten inzwischen eine Fülle neuer Erkenntnisse über den Zusammenhang zwi- schen tierischen Leukämien und Viren.
Tierische Leukämien durch Retroviren
So sind Leukämien bei Katzen, Rindern, Hühnern und bestimm- ten Affen mit Viren assoziiert und durch Viren übertragbar. Mit Aus- nahme zweier lymphotroper Her- pesviren, von denen eines (Her- pesvirus saimiri) Leukämien und Lymphome bei Affen hervorruft, das andere (Epstein-Barr-Virus) beim Menschen lymphoprolifera- tive Prozesse induziert, gehören alle diese Viren zu der Gruppe der Retroviren, einer Gruppe von Vi- ren, bei denen die genetische In- formation als einzelsträngige RNS vorliegt. Da diese Viren Tumoren hervorrufen können, hat man sie auch als RNS-Tumorviren, Onko- viren oder Leukämieviren be- zeichnet.
Eigenschaften der Retroviren Die Bezeichnung Ret..r.•:ren hat sich durchgesetzt, wohl deshalb, weil sie sehr zutreffend eine be- sondere Eigenschaft dieser Viren beschreibt: Die einzelsträngige RNS der Retroviren muß zunächst zurück in DNS transkribiert wer-
Mit einem Virus, dem HTLV, scheint der auslösende Faktor für die in Südjapan und der Karibik endemisch auftretende Erwach- senen-T-Zell-Leukämie identifi- ziert worden zu sein. Dies hat, ge- meinsam mit den inzwischen ge- wonnenen Erkenntnissen über die sogenannten Onkogene, nicnt nur zu neuen Theorien hinsicht- lich der Leukämieentstehung geführt, sondern die Karzinoge- nese im allgemeinen erhellt.
den, damit sich die Viren vermeh- ren können. Dieser in der Biologie einzigartige Vorgang wird durch das Enzym „Reverse Transkripta- se" ermöglicht. Nach Eindringen des Virus in die Zelle synthetisiert die Reverse Transkriptase von der viruseigenen RNS eine vollständi- ge lineare Kopie in doppelsträngi- ge DNS, die in die chromosomale DNS der Wirtszelle eingefügt wird. Von der in das Zellgenom in- tegrierten viralen DNS — „Provi- rus" genannt — wird wiederum RNS transkribiert, so daß die Zelle schließlich Virusproteine produ- ziert (siehe Abbildung 1).
Die Integration des Virusgenoms in das Zellgenom und die daraus resultierende Veränderung des genetischen Materials der Zelle kann aber auch zur tumorösen Entartung führen. Unter Umstän- den können Genabschnitte, die eine Rolle in der Zelldifferenzie- rung oder in der Steuerung der Zellteilung spielen, unter die Kon- trolle viraler Gene geraten. An den Enden des viralen Genoms befin- den sich repetitive Sequenzen, die sogenannten „long terminal repeats" (abgekürzt LTR), die ei- ne Bindungsstelle für das Enzym RNS-Polymerase besitzen und da- mit die Expressic..n benachbarter Gene in Gang bringen können. Es ist nun vorstellbar, daß Genab- schnitte, die für die Produktion
zur Zeit als Stipendiat der Deutschen For- schungsgemeinschaft am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg
Leukämie und Virus
Anthony Dick Ho und Wolfgang U. Knauf*)
Aus der Medizinischen Poliklinik
(Direktor: Professor Dr. med. Werner Hunstein) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
und dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (wissenschaftlicher Stiftungsvorstand:
Professor Dr. med. Harald zur Hausen)
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 31/32 vorn 2. August 1985 (35) 2247
Onkogen Retrovirus RNS
Virale RNS -. ‘ Virale DNS"".
Zytoplasma Onkogen
Kern
Zelleigene
t
Messenger RNS Translation Genom .4.14■Virale RNS
für partikel
Virus-
Viruspartikel
Proteine für Protein
koondkioegrteens
Neue Viruspartikel Zellmembran
Abbildung 1: Die retrovirale RNS wird in die Wirts- zelle einge- schleust und im Zytoplasma in doppelsträngige DNS überschrie- ben. Anschlie- ßend erfolgt die IntegratiOn in das Genom der Wirts- zelle. Dabei kann auch ein Onko- gen integriert werden. Von der integrierten dop- pelsträngigen vi- ralen DNS werden einzelsträngige RNS und Proteine für die Neusyn- these von Virus- partikeln kodiert.
Das integrierte Onkogen kann für ein Protein kodie- ren, das eventuell für die unge- hemmte Prolifera- tion der betroffe- nen Zelle verant- wortlich ist
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Leukämie und Virus
oder Steuerung von zellulären Wachstumsfaktoren verantwort- lich sind, durch die LTR eines in- tegrierten Retrovirus aktiviert und der zelleigenen Kontrolle entzo- gen werden, und die Zelle in ein Stadium ungehemmter Prolifera- tion eintritt.
Onkogene
Diese aktivierten, für die Tumor- bildung verantwortlichen Gene werden als „Onkogene" bezeich- net. Wahrscheinlich haben Onko- gene in bestimmten Stadien der Zelldifferenzierung eine physiolo- gische Bedeutung für die Zeltrei- fung und führen erst durch die vi- rale Beeinflussung — auch physi- kalische und chemische Noxen können offensichtlich zu ähn-
lichen Veränderungen führen — zu einer malignen Umwandlung der Zelle.
So sind einige dieser Onkogene verantwortlich für die Produktion von Proteinkinasen, die die Phos- phorylierung verschiedener Zelt- proteine in Position der Amino- säure Tyrosin katalysieren. Diese Phosphorylierung des Tyrosins scheint eine Rolle in der Regula- tion verschiedener Zellfunktionen (1), insbesondere auch des Zelt- wachstums zu spielen (11). Bis heute sind etwa 25 Onkogene be- kannt, die zur Tumorbildung in mesenchymalen und epithelialen Geweben führen können (7).
Weiter kann man bei einem Teil der Retroviren selbst Onkogene nachweisen, die ursprünglich aus
der Zelle stammen und deshalb eine hohe Homologie zu zellulä- ren Genen zeigen. Man spricht heute auch von viralen (v-onc) und zellulären (c-onc) Onkoge- nen. Bei der Integration eines ein Onkogen tragenden Retrovirus in das Zellgenom wird auch das vira- le Onkogen miteingefügt, und die Zelle zeigt schon nach kurzer Zeit die Zeichen einer malignen Um- wandlung.
So induziert beispielsweise das Erythroblastosis-Virus der Hüh- ner, das gleich zwei Onkogene („erb A", dessen Bedeutung für die Tumorentstehung allerdings umstritten ist, und „erb B") trägt, eine Erythroblastosis, aber auch Sarkome und Karzinome bei den betroffenen Tieren (3).
Erwachsenen-T-ZeII-Leukämie Ein eigenes Onkogen vermutete (13) man zunächst bei einer be- sonderen Form der menschlichen T-Zell-Leukämie, der „Erwachse- nen-T-Zell-Leukämie" (englisch abgekürzt ATL), die erstmals 1977 von dem Japaner Takatsuki (14) beschrieben wurde und im Süd- westen Japans endemisch auftritt.
Diese T-Zell-Leukämie ist durch folgende Parameter charakteri- siert:
a) subakuter Verlauf mit progres- siver Terminalphase,
b) die Patienten weisen häufig Hautinfiltrate und eine Hepato- splenomegalie auf,
c) die Leukämiezellen zeigen ei- nen mehrfach gelappten Kern, d) die Leukämiezellen bilden Ro- setten mit Schafserythrozyten, e) es ist häufig eine Hyperkalz- ämie nachweisbar,
f) die Patienten stammen fast alle aus dem Südwesten Japans.
Ein solches gehäuftes Auftreten oder „Clustering" einer Erkran- kung in einer bestimmten Region gilt als Hinweis auf eine infektiöse Genese (siehe Tabelle).
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Tabelle: Charakteristika der Erwachsenen- T-ZeIl-Leukämie a) subakuter Verlauf b) Hautinfiltrate
c) Hepatosplenomegalie d) mehrfach gelappter Kern
der leukämischen Zellen e) Rosettenbildung mit
Schafserythrozyten f) Hyperkalzämie
u5 gag I pol env I u3
DNS ht LTR LTR
u5 I gag I pol I env
u3H
L15 Wdes Wirtes
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1981 gelang
es der japanischen Forschergruppe um Miyoshi (8), aus leukämischen Zellen eines Patienten mit T-Zell-Leukämie ein Retrovirus zu isolieren. Ein Jahr früher konnte die Arbeitsgruppe um Gallo in den USA aus einer T- Zellkultur eines Patienten mit ku- tanen T-Zell-Lymphomen (9) so- wie aus T-Zellen eines Patienten mit Sözarysyndrom (10) ein Retro- virus isolieren, das als HTLV (hu- manes T-Zell Leukämie Lymphom Virus) bezeichnet wurde. Dieses HTLV-Retrovirus ist, wie wir heute wissen, identisch mit dem in Ja- pan entdeckten Retrovirus (16) und entspricht dem HTLV-Typ 1.(Ein HTLV-Typ 2 wurde in der Zwi- schenzeit aus einer lymphati- schen Zellinie eines Patienten mit Haar-Zell-Leukämie isoliert [13]).
Inzwischen hat man auch gehäuft bei Negern im Südosten der USA und bei schwarzen Einwanderern aus der Karibik in London T-Zell- Lymphome und T-Zell-Leukämien diagnostiziert und auch bei die- sen beiden Patientengruppen das HTLV-Typ 1 nachweisen können.
Ferner wurde ein T-Zell-Leuk- ämie-assoziierter Antikörper be- schrieben, der sich als HTLV-Typ- 1-Antikörper entpuppte. Dieser Antikörper reagiert mit den Seren aller an dieser speziellen T-Zell- Leukämie erkrankten Patienten.
Darüber hinaus sind fast 20 Pro- zent der Angehörigen dieser Pa- tienten und bis zu 12 Prozent ge- sunde Versuchspersonen aus Endemiegebieten HTLV-Typ-1-
Antikörper-positiv (5) (siehe hier- zu Abbildungen 3 a und 3 b).
Wie könnte das HTLV eine T-ZeIl-Leukämie verursachen?
Neben der Integration eines HTLV-Typ-1-Onkogens in das Zell- genom mit nachfolgender mali- gner Umwandlung ist ein weiterer Mechanismus denkbar.
Der Kontakt des T-Lymphozyten mit dem Kapselprotein des Virus stellt eine Antigen-Antikörper-Re- aktion dar. Physiologischerweise bildet der durch diese Reaktion stimulierte T-Lymphozyt Rezepto- ren für den T-Zell-Wachstumsfak- tor TCGF (T-cell growth factor), ei- nes Faktors, der das Langzeit- wachstum reifer menschlicher T- Lymphozyten unterstützt (15).
Nach Eindringen des HTLV-Typ 1 in die Zelle synthetisiert die Re- verse Transkriptase von der vira-
len RNS eine doppelsträngige DNS, die als Provirus in das zellu- läre Genom integriert wird. Mögli- cherweise gerät nun das zelluläre Gen für TCGF unter die Kontrolle der LTR (long terminal repeats) von HTLV-Typ 1, so daß die Zelle mit der unangemessenen Produk- tion und Freisetzung von TCGF beginnt. Die permanente Freiset- zung von TCGF von einer Zelle, die gleichzeitig Rezeptoren für TCGF an ihrer Oberfläche auf- weist, könnte so zu einer be- schleunigten und schließlich mali- gnen Proliferation führen.
Ausblick
Wenn auch der genaue Mechanis- mus noch nicht geklärt ist, scheint doch erstmals der ursächliche Zu- sammenhang zwischen einem Vi- rus, dem HTLV-Typ 1, und einer menschlichen Leukämie aufge- deckt worden zu sein. Dies und die neuen Erkenntnisse über die Onkogene und die virale Genese verschiedener maligner Erkran- kungen — insbesondere des hä- matopoetischen Systems — bei Tieren läßt den Verdacht zu, daß auch bei anderen menschlichen Leukämien Viren eine ursächliche Beteiligung — zumindest als Ko- faktor — haben könnten.
Aufgabe der onkologischen Grundlagenforschung wird es in den nächsten Jahren sein, diese Hypothese zu überprüfen und die Abbildung 2: Die
Grundstruktur ei- nes Retrovirus:
gag: kodierende Sequenz für Strukturproteine;
pol: kodierende Sequenz für die Reverse Tran- skriptase; env:
kodierende Se- quenz für Kapsel- proteine
Zahlreiche Dele- tionsmutanten sind bekannt; zu-
dem kann zusätzlich ein Onkogen im viralen Genom vorliegen. Diese Sequenzen werden von den Genomabschnitten U5 und U3 sowie kurzen repetitiven Sequenzen flankiert, die nach Umschreiben in doppelsträngige DNS die sogenannten LTR (long terminal repeats) bilden, die ebenfalls in das Genom der Wirtszelle integriert werden
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Leukämie und Virus
Genomstruktur maligner Zellen mit molekularbiologischen Me- thoden weiter aufzuklären. Zu hoffen bleibt, daß sich aus dem besseren Verständnis der DNS- Organisation von Tumorzellen in Zukunft neue diagnostische und vielleicht auch therapeutische Möglichkeiten ergeben werden.
Literatur
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Anschrift für die Verfasser:
Privatdozent
Dr. med. Anthony Dick Ho Oberarzt der Medizinischen
Poliklinik — Klinikum der Universität Heidelberg Hospitalstraße 3
6900 Heidelberg 1 Abbildung 3 a: HTLV-1-Endemiegebiete: Abbildung 3 b: HTLV-1-Endemiegebiete:
Karibik und der Südosten der USA Südjapan
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Alkoholismus bei Frauen
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Trube-Becker, E.: Zum Alkoholismus der Frau.
Lebensvers. Med. 37 (1985) 18-24
Institut für Rechtsmedizin, Moorenstraße 5, 4000 Düsseldorf
2252 (40) Heft 31/32 vom 2. August 1985 82. Jahrgang Ausgabe A