Virus-Sehe (8)
Infektionen mit
dem Epstein-Barr-Virus
Hans Georg Koch Erik Harms
S
eit Ende des letzten Jahrhun- derts sind Infektionen be- kannt, die auf das Epstein- Barr-Virus (EBV) zurückge- führt werden können. Im Jahr 1889 prägte Emil Pfeiffer den Begriff des Drüsenfiebers. Durch Sprunt und Evans erfolgte im Jahr 1920 die erste im heutigen Sinne vollständige Be- schreibung dieser Erkrankung, die sie in Anbetracht der beobachteten hä- matologischen Veränderungen als in- fektiöse Mononukleose bezeichne- ten. Paul und Bunell konnten 1932 he- terophile Antikörper nachweisen und ebneten den Weg zur serologischen Diagnose. Der Erreger selbst konnte erstmals im Jahr 1964 durch Epstein und Barr elektronenmikroskopisch in Tumorzellen eines Burkitt-Lym- phoms dargestellt und als Herpesvi- rus identifiziert werden. Vier Jahre später erkannte man, daß das Ep- stein-Barr-Virus (EBV) auch als Er- reger der infektiösen Mononukleose betrachtet werden konnte (7). Epide- miologische Untersuchungen zeigten, daß Erwachsene nahezu vollständig gegen EBV seropositiv sind. Die In- fektion verläuft häufig inapparent, wobei der Schweregrad der klinischen Manifestation einer infektiösen Mo- nonukleose mit dem Erkrankungsal- ter zunimmt. Der Zeitpunkt der Erst- infektion scheint von soziokulturellen Faktoren beeinflußt zu werden. In den Ländern der Dritten Welt sind bereits 80 bis 90 Prozent der Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren seropositiv, im Vergleich zu 51 Pro- zent der vierjährigen Kinder in Mit- teleuropa. Der frühe Zeitpunkt der Erstinfektion hat zur Folge, daß eine symptomatische EBV-Infektion in den Entwicklungsländern ungewöhn- lich ist (10).Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) sind seit langem bekannt und verlaufen in der Regel inapparent. Ge- legentlich tritt eine akute Erkrankung auf, die sich als infektiöse Mono- nukleose manifestiert; aber auch chro- nische Verläufe werden beobachtet.
Darüber hinaus besteht eine Assoziati- on zu bestimmten Malignomen und lymphoproliferativen Erkrankungen.
Zellbiologische und molekularbiologi- sche Forschungsergebnisse der letzten Jahre tragen wesentlich zum Verständ- nis des Infektionsablaufes bei und eröffnen neue Möglichkeiten der Dia- gnostik und Therapie.
1. Virologische Aspekte
Als Mitglied der Familie Herpes- viridae weist das Epstein-Barr-Virus eine für Herpesviren typische Mor- phologie auf (Abbildung 1). Das etwa 120 nm messende Virion ist umhüllt, 162 Kapsomere verleihen ihm eine ikosaedrische Struktur. Es enthält als Nukleinsäure eine lineare, doppel- strängige DNA, deren 172 000 Basen- paare für etwa 80 Polypeptide kodie- ren (Abbildung 2).
Als charakteristisches Struk- turmerkmal weist die EBV-DNA in- terne (IR1 bis IR4) und terminale re- petitive Sequenzen (TR) auf, wobei
Allgemeine Kinderheilkunde (Direktor: Prof.
Dr. med. Erik Harms), Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde der Universität Münster
letztere eine Ringbildung der DNA zur Replikation ermöglichen (10).
Die EBV-Infektion kann sowohl ei- nen lytischen als auch einen latenten Verlauf nehmen. Eine Rezeptorfunk- tion für EBV übernimmt hierbei CD21, das auch als Rezeptor der C3d- Komponente des Komplements be- kannt ist. Nachgewiesen wurde dieser
„EBV-Rezeptor" bisher auf epithelia- len Zellen des Nasopharynx und der Cervix uteri, auf B-Lymphozyten, so- wie in Tränendrüse und Hornhaut (5, 10). Die lytische Infektion, die typi- scherweise epitheliale Zellen betrifft, ist dadurch charakterisiert, daß sie zur Zerstörung der infizierten Zelle mit Freisetzung infektiöser Virionen führt. Dieser lytische Infektionszy- klus ist dem anderer Herpesviren ver- gleichbar. Es werden in zeitlicher Ab- folge Genprodukte gebildet, die für die DNA-Replikation (zum Beispiel virale DNA-Polymerase, Thymidin- kinase) erforderlich sind oder Struk- turkomponenten des Virions darstel- len (beispielsweise viral capsid Anti- gen [VCA], gp350). Sie besitzen anti- genen Charakter und lösen die Bil- dung von Antikörpern aus.
Im Gegensatz zur lytischen In- fektion epithelialer Zellen werden B - Lymphozyten in der Regel latent infi- ziert, wobei das virale Genom im Zellkern der infizierten Zelle ex- trachromosomal in episomaler Ring- form vorliegt (10). Solche durch EBV transformierten (immortalisierten) Lymphozyten besitzen in vitro die Eigenschaft zu kontinuierlichem Wachstum. Während der latenten In- fektion werden lediglich virale Gen- produkte gebildet, die EBV von an- deren Herpesviren unterscheiden (zum Beispiel Epstein Barr Nuclear Antigen [EBNA], Latent Membran A-436 (46) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995
— 100 % 90 % 80 % 70 % 60%
50 % 40 % 30 % 20 % 10%
0%
Jugendliche / Erwachsene
Fieber Abgeschlagenheit Halsschmerzen zervikale Lymphadenopathie Splenomegalie
Exsudative Pharyngotonsillitis
Hepatomegalie Ikterus Exanthem
Kinder
Ampicillinexanthem
Exsudative Pharyngotonsillitis Fieber
zervikale Lymphadenopathie
Splenomegalie Exanthem Hepatomegalie
generalisierte Lymphadenopathie Ikterus
Halsschmerzen Abgeschlagenheit MEDIZIN
DIE ÜBERSICHT
Protein [LMP], Epstein Barr Encod- ed RNA [EBER]). Die Mechanismen der Viruslatenz waren in den letzten Jahren Gegenstand intensiver For- schung.
Man vermutet, daß die Persistenz des episomalen viralen Genoms durch die Expression von EBNA-1 ermöglicht wird, das durch Bindung an die virale DNA deren Replikation verhindert. Als Schalter zwischen Latenz und permissivem Infektions- zyklus scheint in vitro ZEBRA (Z EBV Replication Activator) zu agieren, ein ebenfalls viral kodiertes Genprodukt (10).
Abbildung 1: Herpesvi- rionen; elektronenmikro- skopisch dargestellt sind Virionen mit typischer Herpesvirus-Morphologie (Primärvergrößerung:
50 000fach). Die unter- schiedlichen Mitglieder der Familie Herpesviri- dae lassen sich mit dieser Methode nicht differen- zieren. (Diese Aufnahme verdanken wir Herrn Dr.
H. G. Baumeister, Hygie- nisch-bakteriologisches Landesuntersuchungs- amt, Münster.)
Abbildung 2: Struktur des EBV-Genoms (modifiziert nach Strauss et al. 1993). Das Genom des Epstein- Barr-Virus besteht aus einer linearen, doppelsträngi- gen DNA mit einer Länge von etwa 172 000 Basen- paaren, die für mehr als 80 unterschiedliche Genpro- dukte kodieren. Typisch für das Genom der Herpesvi- ren sind interne und terminale repetitive Sequenzen (IR, TR). Dargestellt sind einige kodierende Regionen des viralen Genoms, die für Replikation oder Latenz des Virus verantwortlich sind (gp350 — Glykoprotein 350, ZEBRA-Z Epstein Barr Replication Activator, VCA
— Viral Capsid Antigen, TK — Thymidinkinase, Pol — DNA-Polymerase, EAR — Early Antigen Restricted, EAD — Early Antigen Diffuse, ERNA — Epstein Barr Nuclear Antigen).
172 kb
TR IR1 IR2 IR3 IR4 TR
Replikation
gp350 ZEBRA VCA TK Pol
Latenz
EA-R EA-D EBNA-1 9
2. Klinische Symptomatik
2.1. Akute Infektion
Die EBV-Infektion nimmt in Form der infektiösen Mononukleose ihren klassischen Verlauf. Sie wird durch Speichel übertragen und tritt meist im Schul- und jungen Erwachse- nenalter auf. Nach einer durchschnitt- lichen Inkubationszeit von 10 bis 14 Tagen, die auch einige Wochen betra- gen kann, werden Fieber, Lymph- adenopathie und Pharyngitis als typi- sche Symptom-Trias beobachtet (4).
Die Krankheit verläuft beim immun- kompetenten Individuum selbstlimi- tierend, kann auch durch eine Viel- Abbildung 3: Relative Häufigkeit typischer Sympto- me der infektiösen Mononukleose bei Erwachsenen und Kindern
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995 (47) A-437
Abbildung 4: Symptome der infektiösen Mononukleose, A) Akute Pharyngotonsillitis bei einem 2jährigen Kind mit typischen, weißlichen Belägen, B) Generalisiertes Exanthem
zahl von Symptomen, die unter- schiedlichste Organe betreffen, kom- pliziert werden (Tabelle I). Die Häu- figkeit klinischer Symptome zeigt bei Kindern und Erwachsenen eine un- terschiedliche Verteilung (3, Abbil- dung 3 und 4).
2.2. Chronische Infektion In seltenen Fällen nimmt die In- fektion einen chronischen Verlauf und wird dann als chronische Mono- nukleose bezeichnet. Als führende Symptome werden rekurrierendes Fieber, reaktive Adenopathie und Hepatosplenomegalie, Uveitis, Pneu- monitis und Polyneuropathie be- schrieben. Patienten können bei fort- schreitender zellulärer und humora- ler Immundefizienz an opportunisti- schen Infektionen und bakteriellen Septikämien versterben. Es wurden bisher allerdings nur wenige Einzel- fälle der chronischen Mononukleose beschrieben, deren Manifestationsal- ter zwischen 7 und 23 Jahren lag (10).
2.3. Lymphoproliferatives Syndrom
In Assoziation zur latenten EBV- Infektion wird eine Reihe proliferati- Abbildung 5: Typische Virozyten („Pfeiffer-Zellen") im Blutausstrich eines Patienten mit infektiöser Mo- nonukleose
ver Syndrome beschrieben. Diesen Erkrankungen liegen in der Regel m- mundefizienzen zugrunde, die sowohl angeborener als auch erworbener Na- tur sein können.
Bei dem X-chromosonial rezes- siv vererbten, lymphoproliferativen Syndrom (XLP, Duncan's Disease, Purtilo-Syndrom) handelt es sich um eine genetische Prädisposition männ- licher Individuen, keine adäquate Im- munantwort gegen eine EBV-Infekti- on aufbauen zu können (4). Der XLP- Lokus wurde genetisch auf dem lan-
gen Arm des X-Chromosoms (Xq25 bis 26) kartiert. Betroffene Individu- en zeigen im Falle einer EBV-Infekti- on einen besonders schweren Verlauf, der in der akuten Phase in mehr als der Hälfte der Fälle letal verläuft.
Nach Überleben der akuten Krankheitsphase bleiben häufig hä- matologische und immunologische Symptome bestehen (aplastische Anämie, Hyper- oder Hypogamma- globulinämie, Lymphome, opportuni- stische Infektionen). Die Prognose ist ungünstig.
A-438 (48) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995
Rekon- I Abgelaufene Akute Phase valeszenz Infektion Inkubation
Klinik
Blutbild Blutbild
EB-Virus Pharynx
Heterophil e Antikörper
IgM Anti-VCA Anti-EA D Tage
1 3 5
Wochen Monate 7 1/ 2 3 4 // 2 3 4
Lyrnphadenopathie
Tage 1 3 5
Wochen Monate
7 2 3 4
1/ 2 3 4 Antikörper:
transiente
persi- stierende
MEDIZIN
2.4. EBV-assoziierte Malignome
Die Entstehung EBV-assoziier- ter B-Zell-Tumoren unter transplan- tationsbedingter Immunsuppression erweist sich zunehmend als Problem.
Hier schient eine immunsuppressive Therapie zu einer Reaktivierung ei- ner persistierenden EBV-Infektion mit Wachstum transformierter B-Zel- len zu führen (1, 7, 10). Die Bedeu- tung der körpereigenen Immunab- wehr für die Kontrolle der persistie- renden EBV-Infektion wird auch da- durch deutlich, daß nach Beendigung der immunsuppressiven Therapie ein spontaner Rückgang der Neoplasien in Einzelfällen eintrat. EBV-assozi- ierte Lymphome werden auch bei AIDS und den seltenen hereditären Immundefekten beobachtet. Das mit EBV assoziierte Nasopharynx-Karzi- nom tritt endemisch im jungen Er- wachsenenalter in China und Alaska, ebenso wie das Burkitt-Lymphom bei Kindern vor dem zehnten Lebensjahr in Afrika auf, wobei letzteres eine As- soziation zu einer Infektion mit Mala- ria falciparum aufweist. EBV läßt sich in diesen Tumoren regelmäßig nach- weisen. Auffällig ist jedoch, daß eini- ge Antigene des latenten Stadiums (EBNA-2, EBNA-3, LMP), die Ziel- strukturen zum Abbau EBV-infizier- ter B-Lymphozyten durch zytotoxi- sche T-Lymphozyten darstellen, bei dieser Erkrankung nicht exprimiert werden und transformierte B-Lym- phozyten möglicherweise so die Im- munkontrolle unterlaufen können (10). Die bevorzugt im Rahmen einer AIDS-Erkrankung auftretende Haar- zell-Leukoplakie äußert sich durch weißliche Beläge im Bereich der Mundschleimhaut. Es handelt sich hier um eine benigne, epitheliale Pro- liferation, die nur selten im Kindesal- ter beschrieben wird (10).
2.5. Pränatale Infektion Die Bedeutung von EBV als Er- reger einer konnatalen Infektion ist noch nicht geklärt. Es liegen nur ver- einzelte Kasuistiken vor, wobei eine Abbildung 6: Zeitlicher Verlauf klinischer Symptome und diagnostischer Parameter der infektiösen Mono- nukleose
DIE ÜBERSICHT
Reihe unspezifischer Symptome (He- patosplenomegalie, Thrombozytope- nie, Lymphozytose, Dystrophie, mus- kuläre Hypotonie, Katarakt, Herz- fehler, Metaphysitis) beschrieben werden (2, 8). Aufgrund der hohen Durchseuchung mit EBV im Erwach- senenalter ist eine primäre Infektion schwangerer Frauen selten. Eine prä- natale Infektion durch Reaktivierung einer latenten EBV-Infektion wurde bis heute nicht berichtet.
3. Labordiagnostik
Die Diagnostik der EBV-Infekti- on basiert auf unterschiedlichen Me- thoden. Klassischerweise zeigen sich
bei der infektiösen Mononukleose im Differentialblutbild typische Viro- zyten (Abbildung 5), die aktivierte zy- totoxische T-Zellen (CD8) repräsen- tieren. Serologisch lassen sich zu- nächst anti-VCA-Antikörper der IgM- und IgG-Klasse nachweisen, in 70 bis 80 Prozent der Fälle auch Anti- körper gegen den Early Antigen Komplex (anti-EA) sowie heterophi- le IgM-Antikörper (Paul-Bunell- Test), die allerdings bei Kindern nur in 50 Prozent der Fälle nachweisbar sind (6, 10). Antikörper gegen EBNA treten erst nach der akuten Infektion im Stadium der Viruslatenz auf, bei XLP oder Immundefizienz sind sie häufig nicht nachweisbar. Positive an- ti-VCA-IgM-Titer können auch eine
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995 (51) A-439
Reaktivierung einer EBV-Infektion anzeigen. In der chronischen Ver- laufsform der EBV-Infektion sowie bei Nasapharynx-Karzinom und Bur- kitt-Lymphom lassen sich in der Re- gel anti-EBNA-IgG, anti-EA- sowie anti-VCA-IgG-Antikörper nachwei- sen. Im Falle des Nasapharynx-Karzi- noms auch anti-VCA-Antikörper der IgA-Klasse, die wahrscheinlich auf lo- kale Antikörperproduktion zurück- zuführen ist. Hier scheint auch eine Korrelation des Antikörpertiters mit der Tumormasse zu bestehen. Doch gerade bei immundefizienten Indivi- duen oder der chronischen Mononu- kleose treten häufig Probleme bezüg- lich der serologischen Diagnostik auf.
Das Spektrum der diagnostischen Möglichkeiten wird hier sinnvoll durch Methoden des Virus-Nachwei- ses ergänzt. Dieser kann mit Hilfe von Test-Antikörpern gegen virale Struk- turen erfolgen (Immunoblot, Immun- fluoreszenz) oder durch Nachweis vi-
Tabelle 1: Serologische Befunde bei unterschiedlichen Manifestationen der EBV-Infektion
Hetero- V CA-Antikörper EA-Anti-
phile körper
Anti- körper
EAD EA-R
IgM IgM IgG IgA IgG IgG Infektiöse Mononukleose + + ++ (+) +
Zustand nach EBV-Infektion + (+)
Chronische EBV-Infektion ++ (+) ++ (+)
Burkitt-Lymphom ++ (+) ++
Nasapharynx-Karzinom ++ + ++
+positiv ++stark positiv ( +) möglicherweise positiv
VCA = Viruskapsid-Antigen EA = early antigen (D = diffuse, R = restricted) EBNA =Kern-Antigene
EBNA- Anti- körper
+ (+)
+ +
Tabelle 2: Typische Symptome und seltene Komplikationen der infektiösen Mononukleose
raler DNA (In-situ-Hybridisierung, PCR). Die direkte Darstellung des Virus kann elektronenmikroskopisch gelingen. Es läßt sich mit dieser auf- wendigen Methode jedoch keine Dif- ferenzierung des EBV von anderen Viren der Herpesgruppe erzielen. Als Untersuchungsmaterial für den direk- ten Virusnachweis eignet sich beson- ders Rachenspülflüssigkeit Die Rele- vanz der Virusisolierung im Rahmen der Diagnostik sollte nicht überbe- wertet werden, da sie bei seropositi- ven Individuen allzuhäufig gelingt.
Der serologische Status bei unter- schiedlichen Manifestationen einer EBV-Infektion ist in Tabelle 1 darge- stellt; Abbildung 6 zeigt den zeitlichen Verlaufklinischer Symptome und dia- gnostischer Parameter der infektiö- sen Mononukleose.
Typische Symptome Seltene Komplikationen Hämatologie Hämolytische Anämie,
Thrombozytopenie,
Granulozytopenie, aplastische Anämie Neurologie Enzephalitis, Transversale Myelitis,
Guillain-Barre-Syndrom,
~ Fieber Neuritis nervi optici
~ Abgeschlagenheit Herz Myokarditis, Perikarditis
~ Halsschmerzen Atemwege Larynxobstruktion,
~ Zervikale Streptokokkenpharyngitis,
Lymphadenopathie Pneumonie, Nasapharynx-Karzinom
~ Splenomegalie Haut Ampicillin-Rush, Vaskulitis,
~ Exsudative Kälteurtikaria,
Pharyngotonsillitis Haarzell-Leukoplakie
~ Hepatomegalie Niere Interstitielle Nephritis,
~ Ikterus Glomerulanephritis
~ Exanthem Leber Hepatitis, Lebernekrose, Reye-Syndrom
Milz Ruptur
Augen Keratitis, Dakryozystitis, Konjunktivitis
Immunologie Hypo-/Hypergammaglobulinämie, lymphoprolifera tive Syndrome
A-440 (52) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995
4. Therapie
In-vitra-Versuche konnten zei- gen, daß Virostatika wie beispielswei- se Aciclovir (wie Zovirax®), Gan- ciclovir (wie Cymeven®) und Foscar- net sowie Interferone die EBV-Repli- kation hemmen. Diese Wirkung er- faßt allerdings nur die Replikation der linearen Form der viralen DNA in der lytischen Infektion. Die latente
MEDIZIN
Infektion kann durch diese Mittel nicht beeinflußt werden (9, 10, 11).
Klinische Studien zeigten jedoch, daß in vivo die Behandlungserfolge auch der lytischen Infektion beim Men- schen enttäuschend sind.
In der Regel nimmt die infektiöse Mononukleose einen selbstlimitie- renden Verlauf und bedarf nicht der virustatischen Behandlung. Man be- schränkt sich im akuten Stadium auf Bettruhe und empfiehlt bei Spleno- megalie körperliche Schonung, um ei- ner Milzruptur vorzubeugen. Eine an- tibiotische Behandlung ist lediglich im Falle einer superinfizierten Tonsil- litis in Erwägung zu ziehen, wobei Ampicillin und Amoxycillin kontrain- diziert sind, da hierdurch regelmäßig ein Exanthem („Rush") induziert wird.
Die Anwendung von Steroiden ist kritisch zu betrachten. Durch de- ren zytotoxische Wirkung auf T-Lym- phozyten, die einen die Infektion kontrollierenden Einfluß haben, kann der Verlauf verschlechtert werden.
Allerdings wird beobachtet, daß ent- zündliche Komplikationen der infek-
DIE ÜBERSICHT / FÜR SIE REFERIERT
tiösen Mononukleose unter Steroid- anwendung günstig zu beeinflussen sind. Empfohlen wird im Falle einer komplizierten Mononukleose größte Zurückhaltung bezüglich einer Stero- idtherapie. In diesem Fall kann die Kombination mit Virostatika in Er- wägung gezogen werden. Der Erfolg dieses kombinierten Behandlungsre- gimes ist allerdings noch nicht in klini- schen Studien bewiesen worden. Der fulminante Verlauf der infektiösen Mononukleose bei der X-chromoso- mal proliferativen Verlaufsform läßt sich zur Zeit noch nicht medika- mentös aufhalten. Es wird berichtet, daß die Haarzell-Leukoplakie, eine EBV induzierte, benigne epitheliale Proliferation der Mundschleimhaut, die häufig bei erwachsenen AIDS-Pa- tienten diagnostiziert wird, durch Aciclovir positiv zu beeinflussen ist.
Die Rezidivrate ist allerdings hoch.
Hoffnungen zur Prophylaxe EBV-in- duzierter Tumoren liegen in der Ent- wicklung eines Impfstoffes, wobei im Tierversuch bereits durch das EBV- Strukturprotein gp350 neutralisieren- de Antikörper induziert werden
konnten (9). Eine EBV-Impfung wäre allerdings auf Risikogruppen wie Pa- tienten mit Immundefizienzen oder Transplantatempfänger zu begren- zen. Zur Prävention der Infektion sind die allgemeinen Hygienerichtli- nien ausreichend. Direkter Speichel- kontakt sollte vermieden werden. Ei- ne Isolierung der Patienten ist in der Regel nicht erforderlich.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1995; 92: A-436-441 [Heft 7]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Erik Harms Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde
Albert-Schweitzer-Straße 33 48129 Münster
Organerhaltende Behandlung beim lokal fortgeschrittenen Harnblasenkarzinom
Die radikale Zystektomie gilt als Standardtherapie des fortgeschritte- nen Blasenkarzinoms. Seit einigen Jahren gibt es mehrere Pilotstudien, in denen man durch Kombination von Radiotherapie und Chemotherapie einen Organerhalt anstrebt und die Zystektomie erst bei Versagen dieser konservativen Therapie einsetzt. Die Autoren berichten über die Ergebnis- se eines prospektiven, seit 1982 an der Universität Erlangen durchgeführten Protokolls.
Von 1982 bis 1991 wurden 245 Pa- tienten, die aufgrund ihres Tumorsta- diums Kandidaten für eine Zystekto- mie gewesen wären (T2 bis 4 oder T1 G3), behandelt. Das mittlere Alter betrug 66 Jahre. Die Therapie bestand aus einer möglichst kompletten trans- urethralen Resektion (TUR) mit anschließender Radiotherapie (50 Gy in 28 Fraktionen in sechs Wochen)
oder Radiochemotherapie mit Cispla- tin (n = 79) oder Carboplatin (n = 60).
Sechs bis acht Wochen nach Radio- therapie überprüfte man den Behand- lungserfolg durch Kontroll-TUR. Ei- ne radikale Zystektomie erfolgte nur bei Tumorpersistenz oder bei invasi- ven Rezidiven.
Die 5-Jahres-Überlebensrate im Gesamtkollektiv betrug 47 Prozent.
Bei muskelinvasiven Tumoren er- reichte man 5-Jahres-Überlebensra- ten von 64 Prozent bei T2 (n = 47), 43 Prozent bei T3 (n = 127) und 16 Pro- zent bei T4 (n = 23).
Der wichtigste prognostische Faktor war eine komplette TUR vor Radiotherapie.
53 Patienten wurden im weiteren Verlauf zystektomiert, die übrigen 79 Prozent behielten eine normal funk- tionierende Blase. Die Rate der Bla- senerhaltung bei den nach fünf Jahren
noch lebenden Patienten betrug 83 Prozent.
Die Autoren folgern, daß mit TUR und Radiochemotherapie Über- lebensraten ähnlich wie bei radikaler Zystektomie erreicht werden können.
Der Vorteil des Verfahrens ist der Er- halt einer funktionierenden Blase bei dem überwiegenden Teil der Patien- ten. Analog zu anderen Malignomen (Mammakarzinom, Weichteilsarko- me der Extremitäten) erscheint ein primär organerhaltendes Therapie- konzept auch bei Blasenkarzinomen sinnvoll. Ptr
Dunst J et al.: Organ-sparing treatment of advanced bladder cancer: A 10-year experience. Int J Radiat Oncol Biol Phys 1994; 30: 261-266
Prof. Dr. Jürgen Dunst, Strahlenthera- peutische Klinik, Martin-Luther-Univer- sität, Halle-Wittenberg, Dryanderstraße 4-7,06097 Halle
Prof. Dr. Rolf Sauer, Prof. Dr. Karl M.
Schrott, Universität Erlangen, Univer- sitätsstraße 27,91054 Erlangen
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 7, 17. Februar 1995 (55) A-441