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Archiv "Krieg und Vertreibung im Westen des Sudan" (18.06.2004)

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chol schaut mich mit großen Augen an. Seit drei Tagen ist die Zehnjähri- ge mit ihren Eltern unterwegs, um das Behandlungszentrum von „Ärzte oh- ne Grenzen“ im Südsudan zu erreichen.

Achol ist mittlerweile so krank, dass sie kaum noch laufen kann. Einen Großteil des Weges musste ihr Vater sie tragen. Ihre Krankheit begann vor fast einem Jahr. Es fing an mit Fieber und Abgeschla- genheit. Damals hatte ihr Vater noch gesagt, sie solle sich nicht so anstellen. Nach einigen Monaten begann Achol, sich merkwürdig zu verhalten. Sie lief aus dem Haus, gestikulierte wild, schrie laut, schlief große Teile des Tages und lag nachts wach. Irgendwann sprach sie nicht mehr und schaute nur noch an die Decke der Hütte.

Ihre Eltern begannen, sich Sorgen zu ma- chen, bis ihr Vater sie eines Tages schulter- te und in das Behandlungszentrum brach- te. Nach einigen Laboruntersuchungen ist klar: Achol leidet an der Schlafkrankheit, einer fast vergessenen Krankheit, die man schon besiegt glaubte. Doch die Schlaf- krankheit ist zurückgekehrt.

Gerade einmal 100 Jahre ist es her, dass Schlafkrankheitsepidemien in wei-

ten Teilen Afrikas ganze Dörfer aus- löschten und nicht selten bis zu einer hal- ben Million Menschen starben. Anfang des Jahrhunderts wurden groß angelegte Programme gestartet, um die Krankheit auszurotten, meist durch Vektorkontrol-

le. Fliegenfallen wurden aufgestellt, Uferbewuchs abgeholzt, um dem Über- träger der Krankheit, der Tsetsefliege, den Lebensraum zu nehmen. In den 60er-Jahren traten nur noch einzelne Fäl- le auf. Doch dann begannen in vielen Ländern, wie auch im Sudan, die Unab- hängigkeits- und Bürgerkriege. Die Kon- trollprogramme brachen zusammen, die Krankheit kehrte in epidemischen Aus-

maßen zurück – fast unbemerkt von der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht mittlerweile wieder von mehr als 500 000 Erkrankten in West- und Zentralafrika aus. „Wir kämpfen ge- gen die Geister der Vergangenheit.“

Mein sudanesischer Kollege hat viele Geschichten wie die von Achol gehört.

Seit drei Jahren betreibt „Ärzte ohne Grenzen“ im Bürgerkriegs- gebiet des Südsudan ein Projekt zur Bekämpfung der Schlafkrank- heit, um die mit dramatischer Wucht zurückgekehrte Infektions- krankheit einzudämmen. Bereits seit 1998 betreibt die Organisation in der südsudanesischen Provinz Kajo Keji ein allgemeines Kran- kenhaus zur Wiederherstellung der Gesundheitsversorgung, dem im Jahr 2000 das Schlafkrankheitskon- trollprojekt folgte.

Ende Juni 2003 beginnt dort meine Tätigkeit. Ein kleines Flugzeug bringt mich aus der ugandischen Hauptstadt Kampala nach Moyo an die sudanesische Grenze. Von hier geht es im Geländewa- gen weiter in den Südsudan. Zuerst fah- ren wir noch auf Erdstraßen, hinter der Grenze dann nur noch auf einer Piste, die T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2518. Juni 2004 AA1801

Sudan

Die Geister der Vergangenheit

Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ betreibt im Südsudan ein Schlafkrankheits- projekt. Die Infektionskrankheit galt lange als besiegt. Der Arzt Kai Stietenroth berichtet.

Auch den Kleinsten wird Blut für das Screening entnommen.

Krieg und Vertreibung im Westen des Sudan

Ende Mai unterzeichnete die sudanesische Regierung ein Abkommen mit den Rebellen im Süden des Landes, das den mehr als 20 Jahre andauernden Bür- gerkrieg beenden könnte. Derweil ist der Westen des Landes, die Region Dafur, zum Schauplatz einer neuen Katastrophe geworden. Ethnisch motivierte Ver- treibungen, Massenmorde und Vergewaltigungen durch regierungsnahe Mili- zen sind an der Tagesordnung, heißt es in einer Mitteilung der Deutschen Bi- schofskonferenz. Mit Rückendeckung der islamischen Regierung in Khartum versuchen dort die arabisch-stämmigen Dschandschawid-Milizen, die An- gehörigen schwarzafrikanischer Ethnien zu vertreiben. Das internationale Caritas-Netzwerk und die Diakonie Katastrophenhilfe gehen davon aus, dass sich 130 000 sudanesische Flüchtlinge im benachbarten Tschad befinden und weit über eine Million Menschen in Dafur auf der Flucht sind. Die Lage in den Flüchtlingslagern diesseits und jenseits der Grenze ist katastrophal. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Wasser, Latrinen und Medikamenten. Lange Zeit ver- weigerte die sudanesische Regierung UN-Beobachtern und humanitären Hel-

fern den Zugang nach Da- fur – aus Sicherheitsgrün- den, so die offizielle Be- gründung. Inzwischen sind einige Hilfsorganisationen vor Ort. Doch die Lage wird immer dramatischer. „Wenn die internationale Gemein- schaft jetzt nicht sofort reagiert, und die Hilfsorga- nisationen mehr Nahrung und Medikamente zu den Menschen in Dafur bringen können, dann wird die Situation für die Flüchtlinge in den Lagern verheerend“, sagte die deutsche Epidemiologin Sibylle Gerstl am 9. Juni gegenüber tagesschau.de. Mit Beginn der Regenzeit in wenigen Tagen seien Pisten und Flussläufe nicht mehr passier- bar, und in den Lagern drohten Epidemien. „Mit dem Regenwasser werden sich die Fäkalien am Rand der Lager durchmischen. Und das bedeutet Cholera“, so

die Mitarbeiterin von „Ärzte ohne Grenzen“. HK

Fotos:Kai Stietenroth Foto:dpa

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stellenweise an ein ausgewaschenes Flussbett erinnert – Wirklichkeit in ei- nem vom jahrzehntelangen Konflikt zer- rissenen Land.

Im Sudan herrscht Krieg. Vereinfacht gesagt kämpft der muslimische Norden, der die offizielle Regierung stellt, gegen Rebellengruppen im christlich-animisti- schen Süden – in Wahrheit ist jedoch alles viel komplizierter. Neben der Religion geht es um ethnische Unterschiede, um verfeindete Rebellengruppen innerhalb des Südens, um die Interessen der Nach- barländer und natürlich um Macht, Geld und Öl. In den westlichen Medien ist der Konflikt seit den Friedensverhandlun- gen zwischen der Hauptrebellengruppe

SPLA (Sudanese People Liberation Ar- my) und der Regierung wieder präsenter als in den Jahren zuvor, doch für die Men- schen hat sich wenig geändert.

Die Folgen des langen Krieges: Es gibt keine Infrastruktur, wenige feste Gebäu- de. Die Menschen wohnen in Hütten zwi- schen den Ruinen und bauen auf kleinen Feldern an, was sie zum Leben brauchen.

Meist reicht das gerade, um die Familie satt zu machen – kaum jemand hat etwas übrig, das er auf dem Markt verkaufen könnte. Auf der Fahrt komme ich an Märkten vorbei, auf denen Frauen zwei Eier und drei Zwiebeln anbieten;die bun- ten Marktstände auf ugandischer Seite scheinen Lichtjahre entfernt. Eine öffent- liche Ordnung gibt es hier in der von den Rebellen gehaltenen Region nicht mehr.

Zu der ständigen Unsicherheit durch marodierende Milizionäre kommt der völlige Zusammenbruch der Gesund- heitsversorgung. „Ärzte ohne Grenzen“

betreibt das einzige Krankenhaus in der

Provinz und das einzige Programm zur Kontrolle der Schlafkrankheit.

Die Bekämpfung der Krankheit er- folgt an zwei Fronten. Neben der Be- handlung diagnostizierter Fälle steht das Auffinden neu erkrankter Patienten im Vordergrund. Die Schlafkrankheit ruft in den ersten Monaten kaum ernsthafte Symptome hervor. Im ersten Stadium der hämolymphatischen Ausbreitung des Erregers kommt es nur zu leichten Allge- meinsymptomen, erst im zweiten, menin- goenzephalitischen Stadium nehmen die Beschwerden zu und werden ernst ge- nommen.

Bis es so weit ist wie bei Achol, verge- hen also einige Monate, in denen die Pa- tienten nicht ins Be- handlungszentrum kom- men. Für die Therapie geht so wertvolle Zeit verloren. Deshalb ver- suchen wir, die Er- krankten zu erreichen.

Mobile Laborteams fah- ren in die Dörfer, unter- suchen alle Einwohner auf Symptome der Schlafkrankheit und füh- ren einfache Antikör- peragglutinationstests als Reihenuntersuchun- gen durch – ein erheblicher Aufwand in einem Land, in dem es fast keine Straßen und kein Einwohnermelderegister gibt.

Besteht der Verdacht einer Erkrankung, werden die Patienten mitgenommen und ihr Blut im Labor weiter untersucht.

Erhärtet sich die Diagnose, beginnt um- gehend die Therapie.

Achols Behandlung besteht aus meh- reren täglichen Infusionen des Wirkstoffs Eflornithin. Ursprünglich für die Thera-

pie des Mammakarzinoms entwickelt, entdeckte man Anfang der 80er-Jahre die Wirksamkeit der Substanz für die Be- handlung der Schlafkrankheit. Bis dahin hatte nur das bereits seit den 20er-Jahren bekannte, hoch toxische Arsenderivat Melasoprol zur Verfügung gestanden, ne- ben einer hoch schmerzhaften Applikati- on mit einer Letalitätsrate von vier bis zwölf Prozent behaftet. Doch zunächst fand sich kein Hersteller für Eflornithin als Medikament gegen die Schlafkrank- heit. Zu unrentabel schien die Produkti- on für die Pharmaindustrie. Proteste der WHO und verschiedener Hilfsorganisa- tionen fruchteten nicht. Erst Ende 2000 – Eflornithin wurde mittlerweile in den USA als Inhaltsstoff für Enthaarungs- creme produziert – kam wieder Bewe- gung in die Verhandlungen. Infolge des jahrelangen internationalen Drucks un- terzeichneten im Mai 2002 die Firma Aventis und die WHO eine Vereinba- rung, die die Produktion von Eflornithin zur Schlafkrankheitsbehandlung zumin- dest bis Ende 2006 sicherstellt. Für die Zeit danach gibt es bisher keine Zusagen.

Achols Zustand bessert sich schnell.

Nach einigen Tagen der Behandlung be- ginnt das Mädchen wieder zu lächeln. Ihr Verhalten normalisiert sich, nach einer Woche spricht sie wieder. Als die Thera- pie nach zwei Wochen beendet ist, erin- nert nur noch wenig daran, dass das Mädchen dem Tod geweiht war. Mit ihrem Vater verlässt sie das Krankenhaus und steht jetzt wieder auf eigenen Füßen.

Für uns mischt sich allerdings die Freude über Achols Heilung mit der Furcht vor einer ungewissen Zukunft. Wie lange wird den Patienten im Sudan und anders- wo das rettende Medikament noch zur Verfügung stehen? Kai Stietenroth T H E M E N D E R Z E I T

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A1802 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2518. Juni 2004

„Ärzte ohne Grenzen“

„Ärzte ohne Grenzen“ ist eine auf medizinische Nothilfe in Kriegs- und Katastrophensitua- tionen spezialisierte internationale Hilfsorganisation. Unabhängig und unparteiisch leistet sie den Opfern auf allen Seiten eines Konflikts Hilfe, ungeachtet der ethnischen Herkunft und der religiösen oder politischen Überzeugung. Weiterhin versteht sich die Organisation als „Sprachrohr für Völker in Not“ – Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht werden öffentlich gemacht, wenn die Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ Zeugen derartiger Vorfälle werden. 1999 wurde die Arbeit der Organisation mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Informationen zur Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ findet man im Internet unter www.aerzte-ohne-grenzen.de. Die Organisation ist für ihre Arbeit auf Spenden angewiesen.

Spendenkonto 97 097, Sparkasse Bonn, BLZ 380 500 00. KS

Blick in die Station – die Visite beginnt.

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