Deutsches Ärzteblatt
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11. Dezember 2009 A 2527 HALS-NASEN-OHREN-HEILKUNDE IM HIMALAYAMedizin auf dem Dach der Welt
Nach dem Ausscheiden aus der eigenen HNO-Praxis wollte der Autor einmal ohne evidenzbasierte Quali- tätskontrollen bedürftigen Patienten
helfen – und hat es nicht bereut.
Z
anskar ist eine indische Region im westlichen Teil des Hima- layagebirges mit Siedlungen in einer Höhe von 3 500 bis 4 400 Metern.Sprache, Sitten und Bevölkerung sind dem Tibetischen verwandt.
Elektrizität gibt es nur in den größe- ren Orten und dann auch nur für eini- ge Stunden am Abend. Die medizini- sche Versorgung obliegt weitgehend den Amchis, Naturärzten nach tibeti-
scher Medizinausbildung, die tradi - tionsgemäß kostenfrei behandeln.
Vom indischen Staat werden zwar in die großen Orte Ärzte abgeordnet, die jedoch nur selten vor Ort sind.
Westliche Ärzte kommen gelegent- lich nach Zanskar, das nur in den Sommermonaten von Ladakh aus er- reichbar ist. Während des harten Winters ist die Bevölkerung dagegen fast vollständig von der Außenwelt
abgeschnitten. Nur ein Weg über ei- nen zugefrorenen Fluss verbindet dann das Land mit der übrigen Welt.
Ich wollte nach Zanskar, um in den Dörfern Sani und Karsha Hals-, Nasen- und Ohrenuntersuchungen durchzuführen und Hörgeräte anzu- passen. Dazu musste ich erst einmal eine LED-Stirnlampe und ein Audio- meter auf Basis eines MP3-Players mit Batterien herstellen, weil in den beiden Dörfern kein Strom zur Ver- fügung steht. Zehn neue Hörgeräte wurden von der Firma Auric gespon- sert (inklusive der Batterien).
Nach dem Flug über Dubai, De lhi nach Leh in Ladakh erfolgte erst ein- mal eine Höhenanpassung auf 3 500 Meter. Dann ging es mit dem Jeep zunächst einen Tag lang bis Kargil, wo schon zwei Patienten abends im Hotel den Arzt aus Deutschland er- warteten. Am nächsten Tag fuhren wir über den Penzi-La-Pass – mit 4 401 Metern weltweit einer der höchsten Pässe überhaupt –, um dann abends in Sani bei der Familie anzukommen, die uns vier Wochen beherbergen und verpflegen sollte.
In der Winterschule des Förder- vereins Sani Zanskar e.V. aus Aa - chen (www.sani-zanskar.de) und der SECPAD-Schule in Karsha, die von der Athenstädt-Stiftung aus Bremen (www.athenstaedt-stiftung.de) unter- stützt wird, richtete ich dann mein Sprechzimmer ein. Zwei Bänke und Stühle sowie ein Regal mussten aus- reichen. Meine Frau übernahm die Aufnahme der Personalien und die Aufzeichnungen der Befunde. Da al- Ein Physiotherapeut kann eine auf den Bereich
der Physiotherapie beschränkte Heilpraktiker - erlaubnis erhalten. Voraussetzung ist jedoch, dass er sich einer eingeschränkten Kenntnisprüfung unterzogen hat. Das hat das Bundesverwaltungs- gericht (BVerwG) entschieden.
Der Kläger, österreichischer Staatsangehöriger, führt seit 2004 die Berufsbezeichnung „Physio- therapeut“. Sein Antrag, ihm eine auf den Bereich Physiotherapie beschränkte Erlaubnis zur Aus- übung der Heilkunde ohne vorherige Kenntnis- überprüfung zu erteilen, wurde zunächst von der zuständigen Behörde abgelehnt.
Die Heilpraktikererlaubnis sei unteilbar; eine Ausnahme bestehe nach der Rechtsprechung des BVerwG nur für das Gebiet der Psychotherapie.
Einem ausgebildeten Physiotherapeuten fehlten die für eine eigenverantwortliche Krankenbehand- lung notwendigen diagnostischen Kenntnisse. Da- gegen klagte der Physiotherapeut.
Nach Auffassung des BVerwG bedeutet die Ausgestaltung des Berufsbildes der Physiothera- peuten als Heilhilfsberuf keine Sperre für eine ei-
genverantwortliche Tätigkeit in diesem Bereich auf der Grundlage einer Heilpraktikererlaubnis.
Die jeweiligen Berufszugangsregelungen zum Physiotherapeuten und Heilpraktiker mit ihren un- terschiedlichen Anforderungen bestehen neben - einander. Somit kann dem Kläger eine Heilprakti- kererlaubnis, beschränkt auf den Bereich der Physiotherapie, erteilt werden.
Diese ist, anders als die einem Arzt mit Appro- bation erteilte Heilbefugnis, teilbar. Der Tätigkeits- umfang wird durch die Beschreibung der Ausbil- dungsziele im Masseur- und Physiotherapeuten- gesetz sowie die Ausbildung und Prüfungsordnung definiert. Zum Schutz der Patienten ist es erforder- lich, aber auch ausreichend, dass die begrenzten Kenntnisse nachgewiesen werden. Daher ist eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten nach der Durchführungsverordnung Heilpraktikergesetz erforderlich. So lässt sich feststellen, ob die Aus- übung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen würde.
(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. August 2009, Az.: 3 C 19/08). RAin Barbara Berner
RECHTSREPORT
Beschränkte Heilpraktikererlaubnis ist zulässig
Wunderschön abgelegen: Nur et- wa sieben Monate im Jahr ist die Re- gion Zanskar, im Hi- malayagebirge ge- legen, zugänglich.
Foto: Mauritius Images
S T A T U S
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11. Dezember 2009 le Familienmitglieder völlig ver-schiedene Vor- und Nachnamen ha- ben, mussten auch der Name des Va- ters und das Haus notiert werden, um eine exakte Zuordnung zu gewähr- leisten. Lehrer übersetzten für uns zanskarisch (ein tibetischer Dialekt) ins Englische.
Die Patienten kamen zahlreich und anfangs gleich zu mehreren in das ärztliche Sprechzimmer. Eine persönliche Sphäre war den Leuten nicht geläufig. Meist klagten sie über Zerumen und Ohrenjucken. Schwer-
hörigkeit und Tinnitus waren eher selten.
Schwindel wurde kaum geäußert. Patienten mit Frakturen und Platz- wunden suchten den deutschen Hals-Nasen- Ohren-Arzt ebenso auf wie Leute mit Augen- problemen oder Ge- lenkbeschwerden. Die Schulkinder wurden zu - nächst mit seitenge- trennter Flüstersprache untersucht, wobei schnell schwerhörige Kinder auffielen, die mit Hörgeräten ver- sorgt werden konnten. Großer An- drang herrschte dann noch einmal, als nach einem „Teaching“ des Dalai Lama über die Lautsprecher durch- gesagt wurde, dass in Sani ein deut- scher Hals-Nasen-Ohren-Arzt arbei- te und er Hörgeräte dabeihabe. Die Patienten nahmen zum Teil be- schwerliche ein- bis zweitägige Rei- sen auf sich, um sich von uns unter- suchen zu lassen.
Bei der Anpassung und Überlas- sung von Hörgeräten zeigten sich die
Patienten sehr dankbar. Besonders junge Erwachsene erklärten, dass sie durch ihre Schwerhörigkeit sozial abgesondert waren. Die Schüler, die Hörgeräte erhielten, blühten sichtbar auf, als sie besser hören konnten.
Für Patienten mit Trommelfellper- forationen vereinbarte ich auf der Rückfahrt im Gouvernment Hospital in Leh Termine zur Tympanoplastik in nächsten Sommer. Medikamente konnten meist aus dem mitgebrach- ten Vorrat mitgegeben werden oder wurden auf einem Blatt Papier ver- ordnet, um sie in der Hauptstadt Padum in der Apotheke zu kaufen.
Rückschauend war die ärztliche Tätigkeit unter einfachsten Bedin- gungen eine echte Herausforde- rung, die aber durch die aufrichtige Dankbarkeit der Behandelten sehr belohnt wurde. Ich hoffe, durch die- sen kurzen Bericht auch andere Kollegen zu ermuntern, nach dem Ausscheiden aus der eigenen Praxis noch einmal ohne evidenzbasierte Qualitätskontrollen mit Freude be- dürftigen Patienten in fernen Gebie-
ten zu helfen. ■
Dr. med. Klaus W. Rommelfanger
Die Nr. 34 der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beschreibt die „Erörterung (Dauer mindestens 20 Minuten) der Auswirkungen ei- ner Krankheit auf die Lebensgestaltung in un- mittelbarem Zusammenhang mit der Feststel- lung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden oder lebensbe- drohenden Erkrankung – ggf. einschließlich Planung eines operativen Eingriffs und Abwä- gung seiner Konsequenzen und Risiken –, ein- schließlich Beratung – ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen“. Diese leider etwas sper- rig geratene Leistungsbeschreibung lässt da- bei einen größeren Interpretationsspielraum zu, da der Verordnungsgeber weder den „un- mittelbaren Zusammenhang“ noch die Voraus- setzungen für eine „nachhaltig lebensverän- dernde“ Erkrankung exakt definiert hat.
Der GOÄ-Kommentar von Brück führt als nach- haltig lebensverändernde Erkrankungen bei- spielhaft alle Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und die Lebensgestaltung berüh- rende Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder
Asthma bronchiale auf. Auch kann von einer mindestens nachhaltig lebensverändernden Er- krankung ausgegangen werden, wenn Risiko- faktoren festgestellt werden, die erfahrungsge- mäß mit einer deutlichen Lebensverkürzung ein- hergehen. Dies trifft beispielsweise sowohl auf eine HIV-Infektion als auch auf eine schwere ar- terielle Hypertonie zu. Entscheidend ist jeweils, dass mit der Erkrankung gravierendere gesund- heitliche Einschränkungen verbunden sind, die sich erheblich auf die Lebensgestaltung auswir- ken und eine entsprechende Erörterung im Sin- ne der Leistungslegende erforderlich machen.
Probleme bereitet in der Praxis immer wieder die Abrechnung der Nr. 34 für ausführliche Aufklärungsgespräche vor größeren Operatio- nen im Krankenhaus. Obwohl im Zusammen- hang mit Eingriffen bei nachhaltig lebensver- ändernden oder lebensbedrohlichen Erkran- kungen wie der (Teil-)Resektion von Organen oder der Implantation von Prothesen ein er- heblicher Gesprächsbedarf besteht und sich erhebliche Auswirkungen auf die Lebensge-
staltung ergeben können, wird die Nr. 34 von einzelnen Krankenversicherungen abgelehnt.
Dies wird damit begründet, dass ein unmittel- barer Zusammenhang mit der Feststellung der Erkrankung nicht gegeben sei, da die Erkran- kung regelmäßig vom einweisenden Arzt, nicht jedoch vom Operateur diagnostiziert werde.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass nach Mei- nung des GOÄ-Kommentars von Brück der
„unmittelbare Zusammenhang“ nicht nur im Sinne einer zeitlichen Bindung zu verstehen ist. Vielmehr kommt es vor allem auf den un- mittelbaren sachlichen Zusammenhang zwi- schen der Erörterung und der Feststellung oder Verschlimmerung einer Erkrankung an.
Dementsprechend haben die Amtsgerichte Ra- dolfzell (Az.: 2 C 447/06 und 3 C 1/07) und Wetzlar (Az.: 30 C 127/05) sowie das Landge- richt Frankfurt/M. (Az.: 2 – 16 S 170/06) die Nr. 34 für präoperative Aufklärungsgespräche im Zusammenhang mit der Implantation von Knie- beziehungsweise Hüftgelenkendoprothe- sen sowie der Dekompression von Nervenwur- zeln an der Wirbelsäule ausdrücklich aner- kannt. Dipl.-Verw.Wiss. Martin Ulmer
GOÄ-RATGEBER
Nachhaltig lebensverändernde Erkrankungen
Schwerhörige Schüler, die von Klaus W. Rommel- fanger mit Hörgerä- ten versorgt wur- den, blühten sicht- bar auf.
Foto: Klaus W. Rommelfanger