Qualitätssicherung ist en vogue.
Inzwischen schmücken sich schon vier Krankenhäuser, eine Apotheke (des Klinikums Innenstadt der Universität München), eine Augenarztpraxis (Dr.
Peter Ziegler, Boppard) und sogar ei- ne gesetzliche Krankenkasse (BKK B. Braun Melsungen) mit einem spe- ziellen Qualitätssiegel, dem Zertifikat nach der Norm ISO 9000 ff. Sie doku- mentieren damit nach außen einen bestimmten Qualitätsstandard. Die BKK Braun Melsungen gibt freimütig zu, daß sie mit dem Zertifikat auch ih- re Position im Kassenwettbewerb stärken will. Die werbende Außen- wirkung ist den Zertifizierten, die dafür viel Geld ausgegeben haben, si- cher nicht unwillkommen.
Die europäische Norm zur Qua- litätssicherung DIN EN ISO 9000 ff.
wird seit ihrer Einführung im Jahr 1987 in mehr als 70 Ländern aner- kannt und bislang vor allem im produ- zierenden Gewerbe und in der Indu- strie eingesetzt. Mehr und mehr kom- men jetzt auch der Dienstlei- stungsbereich und damit das Gesund- heitswesen hinzu.
Die ISO 9000 beschreibt keine Leistungsstandards, sondern ist eine Systemnorm: Sie legt die Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems und die Elemente, die ein solches Sy- stem enthalten muß, fest. In einem 20 Kapitel umfassenden Handbuch wer- den die Maßnahmen zum Nachweis der Qualitätssicherung festgehalten wie Verantwortung der Unterneh- mensleitung, Identifikation von Lei- stungen, Korrekturmaßnahmen oder Schulung.
In einem Zertifikataudit wird durch externe Auditoren geprüft, ob das Qualitätsmanagementsystem den
Anforderungen der ISO 9001, 9002 oder 9003 entspricht und ob es in der Praxis angewendet wird. Ist das der Fall, wird ein Zertifikat erteilt als Be- scheinigung, daß ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem ange- wendet wird. Zwischen 15 000 DM und 60 000 DM kostet die Prüfung der Einrichtung samt Erteilung des Zerti- fikats.
Die Aussagekraft für den Ver- braucher und Kunden von Dienstlei- stungsunternehmen ist minimal. Das ISO-Siegel belegt zwar, daß bestimm- te Ausstattungs- und Organisations- merkmale vorliegen, doch über die Qualität der medizinischen und pfle- gerischen Versorgung sagt es nichts aus. Die Bundesärztekammer, die Krankenkassen-Verbände und auch die Deutsche Krankenhausgesell- schaft e.V. sind deshalb bereits im Frühjahr auch gemeinsam auf Distanz gegangen:
Die Zertifizierungswelle sei nicht sachgerecht, betonen sie unisono, und werde daher nicht von ihnen unter- stützt. Krankenhäuser sollten den
„zweifelhaften Nutzen derartiger teu- rer Verfahren verantwortungsbewußt erwägen“.
Beschränkte Aussagekraft
Geschäftsführer Karl-Josef Schmidt vom St.-Josefs-Hospital in Wiesbaden, das als erstes Kranken- haus in Deutschland nach ISO 9001 (vom TÜV Rheinland) im Januar 1996 zertifiziert wurde, räumt ein:
„Die Normenreihe kann und will kei- ne Leistungsstandards setzen. Sie nennt vielmehr Forderungen an ein
Qualitätsmanagementsystem, das ei- ne systematische Verhütung von Feh- lern ermöglicht. Das Qualitätsma- nagement-Handbuch liefert den Rah- men, um die betrieblichen Abläufe transparent zu machen und die Ver- antwortlichkeiten und Kompetenzen zu regeln.“ Das St.-Josefs-Hospital nehme nicht in Anspruch, eine beson- ders hohe oder sogar eine bessere Qualität als alle anderen Kranken- häuser zu bieten, versichert Schmidt, doch habe die Zertifizierung eine Qualitätsverbesserung auf allen Ebe- nen gebracht.
Für Dr. Martin Beuel, Leitender Arzt der Fachklinik Haus Kraich- talblick, ist das ISO-Zertifikat kein Abschlußstempel, sondern lediglich eine Bescheinigung, daß derzeit ein
funktionierendes Qualitätsmanage- mentsystem angewendet wird. Es ist deshalb auch auf zwei Jahre befristet und muß regelmäßig erneuert werden.
Ihm ist wichtig, daß dieses Qualitäts- managementsystem eine permanente Einladung an alle Mitarbeiter dar- stellt, die Arbeitsprozesse weiter zu verbessern. Die Fachklinik in Kraich- tal-Oberacker ist nach eigenen Anga- ben die erste Suchtklinik und Rehabi- litationseinrichtung in Deutschland, die ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9001 (durch die TÜV CERT-Zertifi- zierungsstelle des TÜV Südwest) er- halten hat. Klaus Schmidt, München A-2455 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 39, 27. September 1996 (37)
und die Anschlußrehabilitation zu verbinden. Wahrscheinlich dürfte auch sein, daß unter dem Druck der rigideren Maßnahmen der Medizini- sche Dienst der Krankenkassen ver- stärkt bei der Bewilligung von Reha- Maßnahmen eingeschaltet wird. Wie
im Bereich der ambulanten ärztli- chen Versorgung notgedrungen vor- exerziert, ist der Tag wahrscheinlich, daß auch im Bereich der Reha-Ein- richtungen pauschale Lösungen und Kontingentierungen Platz greifen werden. Dr. Harald Clade
Qualitätssicherung
Marketing mit Zertifikat
Die ISO-Norm – Die DIN EN ISO 9000 ist eine von der Interna- tional Organization for Standar- dization 1987 entwickelte Normen- reihe, die als Europäische Norm (EN) und Deutsche Norm (DIN) übernommen wurde.
ISO 9000-1: Gebrauchsanleitung für die Normenreihe
ISO 9001: Modell zur Darlegung des Qualitätsmanagements in De- sign, Entwicklung, Produktion, Montage und Wartung
ISO 9002: Modell zur Darlegung des Qualitätsmanagementsystems in Produktion, Montage und Wartung
ISO 9003: Modell zur Darlegung des Qualitätsmanagementsystems bei der Endprüfung
ISO 9004: Leitfaden zur Einrich- tung eines Qualitätsmanagementsy- stems
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