Dr. Atzinger & Co. KG.
8390 Passau
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT PHARMAFORSCHUNG
E
in Symposium in der Klinik für Anästhesio- logie und Operative In- tensivmedizin des Klinikums Steglitz der FU Berlin befaß- te sich im April mit dem er- sten Benzodiazepin-Antago- nisten, der als Ro 15-1788 in der wissenschaftlichen Lite- ratur bekannt wurde und als Flumazenil (generic name) mit dem Handelsnamen An- exate® bereits in der Schweiz und in Frankreich zugelassen ist (Hersteller ist das Phar- maunternehmen Hoffmann- La Roche).Das Ziel einer durchdach- ten Narkoseführung müsse sein, so Professor Dr. K.
Eyrich (Berlin), der wissen- schaftliche Leiter dieses Sym- posiums, eine Narkose zu be- enden, ohne Teilkomponen- ten der „balanced anaesthe- sia" antagonisieren zu müs- sen. Dennoch erhöht die Möglichkeit der Antagonisie- rung die Sicherheit einer Nar- kose. Bislang sei es nur mög- lich gewesen, die Wirkung der Opiate durch Naloxon und die Wirkung der nichtde- polarisierenden Muskelrela- xanzien durch Cholinestera- se-Hemmstoffe aufzuheben.
Benzodiazepine spielen je- doch in der Anästhesie und Intensivmedizin eine bedeut- same Rolle. So sei es eine wertvolle Bereicherung der therapeutischen Möglich- keiten, auch Benzodiazepine antagonisieren zu können.
Gut zu verstehen sei es des- halb, daß dem Hersteller für diese medikamentöse Inno-
vation vor wenigen Tagen der
„Prix Gallen" zugesprochen wurde.
Professor Dr. Dr. P. Lau- ven (Anästhesist, Bonn) dif- ferenzierte in seinem Referat
„Antagonisten in der An- ästhesie und Intensivmedi- zin" zwischen funktionellen und kompetitiven Antagoni- sten. Zu den ersteren zählen Doxapram und Aminophen- azol sowie Physostigmin. Nur dem lipophilen zentral-anti- cholinerg wirkenden Physo- stigmin komme jedoch eine begrenzte differentialdiagno- stische und therapeutische Bedeutung bei der Behand- lung des zentral-anticholiner- gen Syndroms zu. Bei den kompetitiven Antagonisten habe bislang nur Naloxon (Narcanti®) bei Opiatintoxi- kation und Flumazenil als er- ster Benzodiazepin-Antago- nist bei den Benzodiazepinen ihre Effizienz bewiesen. Flu- mazenil wirke spezifisch nur nach Benzodiazepin-, nicht jedoch bei Barbiturat-, Alko- hol-, Neuroleptika- oder Opiat-Applikation. Der Wir- kungseintritt sei prompt (eine bis zwei Minuten, meist je- doch unter einer Minute), die Wirkungsdauer liege bei 30 bis 60 Minuten.
Professor Dr. W. Löscher (Pharmakologe, Hannover)
referierte über die molekula- ren Wirkungsmechanismen der Benzodiazepine. Sie wirkten über Untereinhei-
Benzodiazepine potenzieren die Wirkung der Gamma-Ami- no-Buttersäure des im mensch- lichen Gehirn stärksten und weitest verbreiteten inhibitori- schen Neurotransmitters: Garn- ma-Amino-Buttersäure (GA- BA), postsynaptischer GABA- Rezeptor (GABA-R) mit seinen Untereinheiten, Benzodiaze- pin-Rezeptor (BR), Chloridio- nen-Influx — Der Benzo- diazepinantagonist Flumazenil wirkt ausschließlich am Benzo- diazepinrezeptor
ten der GABA-Rezeptoren.
GABA sei ein inhibitorischer Neurotransmitter, 30 bis 40 Prozent aller zerebralen Re- zeptoren seien GABA-Re-
zeptoren. GABA, präsynap- tisch gespeichert in Vesikeln, werde auf einen elektrischen Impuls hin freigesetzt und reagiere postsynaptisch mit dem GABA-Rezeptor. Diese Neurotransmitter-Rezeptor- reaktion verbessere die Ionenleitfähigkeit der post- synaptischen Membran für Chloridionen. Der verstärkte Chloridioneninflux hyperpo- larisiere die postsynaptische Membran und hemme die Impulsweiterleitung. Das tierexperimentelle und klini- sche Korrelat dazu sei Seda- tion, Hypnose und Anxioly- se. Benzodiazepine verstärk- ten diese GABA-Wirkung.
Einsatz von Flumazenil:
gesicherte Erkenntnisse und offene Fragen Dr. F.-J. Kretz (Anästhe- sist, Berlin) befaßte sich mit den klinischen Anwendungen des Benzodiazepin-Antago- nisten. In der Anästhesie sei Flumazenil bei artifiziellen Überdosierungen, bei uner- wartet langer, den Patienten gefährdender Wirkung sowie bei paradoxen Wirkungen des Patienten auf Benzodia- zepine indiziert. Bedeutsam sei auch, daß Ro 15-1788 (Flumazenil) auch die kardio- vaskulären (Blutdruckabfall) und respiratorischen Wirkun- gen (zentrale Atemdepres- sion) der Benzodiazepine antagonisieren kann. Bei Überdosierungen der Benzo- diazepine in der Intensivme- Erfahrungen in der Anästhesiologie und Intensivmedizin
Flumazenil:
der erste Benzodiazepin-Antagonist
Dracodermak N Salbe
bei Distorsionen, Kontusionen, Rheumatoiden, Myalgien, Myogelosen, Bronchitiden, Pleuritiden, Perniones.
Zusammensetzung:
100 g enthalten:
Rosmarinöl 2,5 g ger. Terpentinöl 6,0 g
Campher 18,0 g
Packungsgröße:
Tube zu 50 g DM 7,90 incl. MwSt.
(Stand Januar 1988).
Wird von der
Olympia-Mannschaft verwendet.
Nur in Apotheken erhältlich.
Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988 (71) A-2695
Humanpharmakologisches Institut Ciba-Geigy in Tübingen dizin sei die Substanz eben-
falls wirksam und in Einzel- fällen indiziert. Ob eine ge- nerelle Antagonisierung in Frage komme, erscheine je- doch zweifelhaft. Hier ergä- ben sich mehr Fragen als ge- sicherte Erkenntnisse: Wie ist die Bolus- und Langzeit- dosierung bei Intensivpatien- ten? Reduziert der Antago- nist die Pneumonierezidivra- te? Führt er zu einer ver- stärkten Entzugssymptoma- tik oder nicht? Reduziert er die Letalität auf Intensivsta- tionen? Eine Wirksamkeit bei Patienten mit hepatischer Enzephalopathie sei bislang nur in Einzelfällen nachge- wiesen, hier müßten noch weitere Studien versuchen, den Indikationsbereich enger abzugrenzen. In hohen Do- sen habe der Benzodiazepin- Antagonist auch eine anti- konvulsive Wirksamkeit; dies könne ebenfalls erst in weite- ren Studien verifiziert wer- den.
Dr. A. Kraft (Anästhe- sist, Berlin) gab einen Über- blick über die pharmakokine- tischen Daten. Ro 15-1788 wirke prompt, habe eine kur- ze Halbwertszeit, die Wirk- dauer sei auf 30 bis 60 Minu- ten beschränkt, mit einem Benzodiazepin-Rebound müsse gerechnet werden.
Professor Dr. W. Tolks- dorf (Anästhesist, Aachen) ging auf unerwünschte Wir- kungen von Ro 15-1788 ein.
Sie seien bis auf Übelkeit und Erbrechen selten. Bedeutsam sei jedoch, daß man auch nach Midazolam-/Fentanyl- Narkosen Lind Antagonisie- rung der Benzodiazepin- Komponente mit Atemde- pressionen rechnen muß.
Möglicherweise wird durch den Benzodiazepin-Antago- nisten ein Fentanyl-Effekt demaskiert. Professor Tolks- dorf unterstrich, daß nach Applikation von Flumazenil eine sorgfältige Überwa- chung des Patienten notwen- dig sei.
Dr. F. Martens (Internist, Berlin) berichtete über seine Erfahrungen mit Flumazenil bei Benzodiazepin-Intoxika- tion. In den Jahren 1984 bis
1987 wurden im Klinikum Charlottenburg 47 Patienten mit Ro 15-1788 behandelt.
Dem Antagonisten käme da- bei eine differentialdiagnosti- sche und therapeutische Be- deutung zu. Es könne diffe- renziert werden, ob es sich bei der Intoxikation um eine Benzodiazepin-Vergiftung handele, oder ob der Be- wußtlosigkeit eine andere Ursache zugrunde läge. Die therapeutische Bedeutung bestehe darin, daß bei intoxi- kationsbedingten lebensbe- drohlichen Störungen der Vi-
Neubau für Phase-I-Studien
Das Humanpharmakolo- gische Institut (HPI), eine in Tübingen seit 1980 ansässige Forschungseinrichtung des Pharmaunternehmens Ciba- Geigy (Foto), erhielt einen Neubau, der im Juni 1988 in einer Feierstunde offiziell sei- ner Bestimmung übergeben wurde. Der für rund zwanzig Millionen Mark erstellte Bau wurde nach modernsten Ge- sichtspunkten konzipiert und apparativ optimal ausgerü- stet.
Das dreigeschossige Ge- bäude mit einer Nutzfläche von über 2500 Quadratme- tern bietet alle für Phase-I- Prüfungen erforderlichen Einrichtungen: Probanden-
talfunktion Atmung und Herzkreislauf mit der Appli- kation des Benzodiazepin- Antagonisten invasive Maß- nahmen, wie Intubation und Beatmung, umgangen wer- den könnten. Allerdings kön- ne der Antagonist nicht die stationäre Überwachung des Patienten in Intensivein- heiten erübrigen. Auch müs- se man damit rechnen, daß nach Applikation des Benzo- diazepin-Antagonisten ein psychiatrisches Grundleiden akut und dramatisch exazer- bieren könnte. Kr
zimmer, Röntgendiagnostik, Isotopen-Labor, medizini- sche Untersuchungsräume, Laboratorien, Sozialräume, EDV und Bibliothek. Weite- re Aufgabenbereiche neben den Phase-I-Studien wer- den pharmakologische For- schungsarbeit, Unterstützung klinischer Prüfungen sowie verstärkte Arzneimittelsi- cherheit sein.
Das spezielle Interesse, so Institutsleiter Prof. Dr. Peter Bieck, gilt der klinisch-phar- makologischen Methoden- entwicklung. Vor allem sol- len diagnostische Methoden der Klinik auf die Arzneimit- telbeurteilung übertragen werden. Außerdem wird das HPI Grundlagenforschung zur Aufklärung von Wirkme- chanismen der Arzneimittel betreiben. CH
Stimulieren die B-Vitamine
Reparaturenzyme?
Grundlagenforschung an Nervenzell-Membranen — Forschung, die möglicherwei- se auch die potentielle neu- rotrope Wirkung von B-Vit- aminen zu erhellen vermag — stand im Mittelpunkt eines Presseseminars, das die Fir- ma Nordmark Mitte Mai 1988 in Salzburg veranstaltet hat.
Der Aufbau der Mark- scheiden-Membranen, wel- che die peripheren Nervenfa- sern umhüllen und von den Schwannschen Zellen gebil- det werden, ist heute recht gut untersucht: Von den übri- gen Membranen des Organis- mus unterscheiden sich die Myelinlamellen durch ihren hohen Lipidgehalt — das Li- pid-Protein-Verhältnis be- trägt 4:1, während diese bei- den Komponenten sonst zu gleichen Anteilen vorhanden sind. Für die Stabilität der Markscheide sind in erster Linie Wechselwirkungen zwi- schen myelin-typischen sau- ren Phosphatiden und basi- schen Markscheiden-Protei- nen verantwortlich. Eine Veränderung in deren relati- ven Anteilen, wie sie am Tiermodell peripherer Neu- ropathien nachgewiesen wur- de, kann zur Demyelinisie- rung führen.
Die Markscheiden-Protei- ne scheinen pathogenetisch eine besondere Rolle zu spie- len. Diese spezifischen Ei- weißkörper weisen eine un- gewöhnliche Aminosäure auf
— das methylierte Arginin — und besitzen offenbar antige- ne Eigenschaften. Wie elek- tronenoptische Aufnahmen zeigen, sind die basischen Markscheiden-Proteine nor- malerweise auf der Innensei- te der bimolekularen Lipidfil- me angeordnet und somit maskiert Wird die Myelin- scheide instabil — etwa durch Einwirkung einer neurotoxi- schen Substanz —, dann ge- langen Proteinmoleküle an die Oberfläche und provozie- A-2696 (72) Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988