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Archiv "Südostasien: Ambulanz im Goldenen Dreieck" (15.06.1989)

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Ein besorgter Vater kommt mit seinem unterernährten Kind in die Ambulanz Fotos des Autors

Südostasien

Das Goldene Dreieck — immer noch geheimnisumwittertes Grenz- gebiet zwischen Thailand, Burma und Laos, in dem Opium angebaut, verarbeitet und transportiert wird.

Immer noch gibt es dort abgeschlos- sene Gebiete, wie zum Beispiel in den Bergen des thai-burmesischen Grenzbereiches, in denen noch alles ursprünglich geblieben ist. Hier liegt, etwa 50 km von der burmesischen Grenze entfernt, das Dorf Thoed Thai, 1981 Mittelpunkt des Heroin- krieges der Shan-Armee und der thailändischen Regierung. Hier lag das Hauptquartier des berüchtigten Khun Sa, des Heroinkönigs und Ge- nerals der Vereinigten Shan-Armee.

Auf kleinstem Raum leben hier Angehörige von sechs Volksstäm- men: Shan, Chinesen, Akkha, Lahu Lisu und einige Thai. Die medizini- sche Versorgung geht von einem kleinen Hospital in Thoed Thai aus, in dem oftmals kein Arzt ist. Dann wird die medizinische Arbeit von Krankenschwestern und paramedizi- nischen Helfern durchgeführt. Seit Jahren geht ein kleines deutsches Team von Ärzten, Medizinstudenten und Krankenschwestern dorthin, um im Urlaub beziehungsweise in den Semesterferien mitzuarbeiten.

Die Ambulanz beginnt erst um 9 Uhr vormittags. Langsam kommen die Patienten aus den Dörfern ins Hospital. Einige haben schon stun- denlange Fußwege hinter sich. Bunt- gekleidete Gestalten aus den ver- schiedensten Völkern sammeln sich nach und nach an der Anmeldung.

Die einfach gekleideten Lahu, die Akkha mit dem typischen Kopfputz der Frauen, grazile Shan in ihren bunten Röcken, Chinesen, die schon an der Form ihrer Gesichter zu er- kennen sind. Einzelne Lisu tauchen ebenfalls auf. Ohne Dolmetscher kommt man nicht zurecht.

Ich sitze in einem kleinen Am- bulanzraum, um Salome auszubil- den, eine besonders tüchtige Schwe- ster aus dem Volk der Karen. Die Befragung der Patienten nimmt durch die Übersetzung viel Zeit in Anspruch. An der Tür und vor dem einzigen Fenster des Raumes hat sich eine dichte Patiententraube ge- sammelt, die interessiert zuhört.

Kein Gedanke an eine individuelle Arbeit mit dem Patienten — alles fin- det in der Öffentlichkeit statt. Auch den Patienten scheint es nicht immer ganz recht zu sein, so beobachtet zu werden, vor allem wenn es an das Ausziehen geht. Aber Fenster und

Türen zu verschließen würde bedeu- ten, daß die Körpergerüche und die heiße Temperatur nicht mehr zu er- tragen wären.

Mit Salome übe ich ein paarmal die komplette Durchuntersuchung, dann bleibe ich mehr im Hinter- grund und berate sie in Diagnose und Therapie. Die Patienten kom- men mit Fieber, Abgeschlagenheit und Darmsymptomen. Während man in Deutschland vor allem an ei- nen Virusinfekt denken würde, han- delt es sich hier um Malariaerkran- kungen, die größte Plage in dieser Region. Nur die Schwerstkranken können stationär aufgenommen wer- den — und das auch nur für einige Tage. Die meisten erhalten ihre Me- dikamente und gehen in ihre Dörfer zurück, um dort innerhalb kürzester Zeit wieder durch den Stich der Mücken infiziert zu werden — unheil- voller Kreislauf von Infektion, The- rapie und erneuter Infektion.

Endlose, deprimierende Erkrankungsketten

Neben der Malaria fallen viele Patienten mit uncharakteristischen Bauchschmerzen und Durchfällen auf. Vor allem bei Kindern ist der Leib geschwollen, und sie sehen scheinbar gut ernährt aus. Der La- bortest zeigt dann alle möglichen Pa- rasiten, die als Eier oder Würmer bei der Stuhluntersuchung zu erkennen sind. Die Laborassistentin zeigt mir immer wieder die Eier der verschie- densten Parasiten, von denen ich bis- her nur gelesen hatte. Auch diese Patienten sind blutarm, manche von ihnen habe Malaria und Parasiten zusammen. Auch hier ist die erneute Infektion über das infizierte Trink- wasser oder durch die mangelnde Hygiene bereits vorgezeichnet. End- lose und deprimierende Erkran- kungsketten, und doch sind alle im Krankenhaus bemüht, die medizini- sche Not zumindest ein wenig zu lin- dern, obwohl die Ursachen nicht ab- zustellen sind. Viele Patienten ster- ben dann doch bei dem dritten oder vierten Infekt, aber sterben werden sie auf jeden Fall. Präventive Arbeit auf den Dörfern ist notwendig, sonst ist alle Arbeit im Hospital auf die

Ambulanz im Goldenen Dreieck

A-1826 (26) Dt. Ärztebl. 86, Heft 24, 15. Juni 1989

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Dauer ohne Perspektive. Präventive Arbeit bereitet jedoch noch viel grö- ßere Probleme.

Die Arbeit in der Ambulanz be- schäftigt uns am Vormittag und am Nachmittag. Um 17 Uhr beginnt die Dämmerung, und 15 Minuten später ist es dunkel In Asien fällt die Dun- kelheit förmlich auf das Land. Dann kann das Krankenhaus nur noch mit dem Licht von Kerosinlampen arbei- ten. In einem großen Raum stehen 15 Betten, in denen die Patienten mit einem Teil ihrer Familie liegen.

Mit Salome und Susan gehen wir von Bett zu Bett, tasten große Milzen und große Lebern, hören die Lunge ab, werten die Laborergebnisse aus und treffen neue Anordnungen.

Auch hier bemühe ich mich, nicht so sehr die Rolle des Arztes zu über- nehmen, sondern mehr als Berater und Trainer aufzutreten. Immer wie- der versuche ich, mich von dem Ge- danken leiten zu lassen, daß die Krankenschwestern vor Ort die gan- ze medizinische Arbeit tragen müs- sen und mein Beitrag nur vorüberge- hend ist. Beraten und trainieren ist in dieser Situation viel wichtiger, als alles zu übernehmen.

Neben der Ambulanz unterrich- te ich eine Klasse von medizinischen Dorfhelfern. Die Schüler werden aus den Dörfern der Umgebung ausge- wählt und erhalten kostenlosen Un- terricht. Vom Englischen wird ins Thailändische und von dort ins Chi- nesische, Shan und Akkha übersetzt.

So habe ich zwischendurch Zeit, den nächsten Satz vorzubereiten: Denn viel Zeit für eine Unterrichtsvorbe- reitung habe ich nicht.

Öffentliche Sprechstunde im Akkhadorf

Am Schluß meiner Zeit als Leh- rer machen wir eine Tagestour zu ei- nem entfernten Akkhadorf an der burmesischen Grenze. Eine Tagesra- tion Essen wird mitgenommen, Me- dikamente für alle möglichen Er- krankungen eingepackt, außerdem Stethoskop und Taschenlampe.

Nach Stunden der Kletterei in den Bergen zur burmesischen Grenze hin kamen wir schließlich am Ziel an.

Akkhadörfer liegen immer am Berg-

Mohnfeld der Lahn.

Hier wird das Rohopium gewonnen

hang, und das Haus des Dorfältesten ist am weitesten oben gelegen. Dort werden wir auf die Veranda gebeten und erhalten Melonen und Getränke zur Erfrischung. Derweil wird die Nachricht im Dorf herumgegeben, daß ein Arzt da ist.

Nie zuvor habe ich mit einer Schulklasse eine Sprechstunde öf- fentlich in einem Dorf abgehalten.

Ich hocke auf der Veranda, der Übersetzer neben mir, vor mir der Patient, neben dem Patienten zwei Schüler, die besonders trainiert wer- den sollen. Um uns herum steht der Rest meiner Klasse und das ganze Dorf. Unter dem Haus sind — sozusa- gen als musikalischer Untergrund — Hühner und Schweine geschäftig. An diesem Tage erlebe ich, wieviel Not Menschen verordnet sein kann.

Schwerstkranke werden ange- schleppt, die nicht mehr ins Hospital transportiert werden können: Mala- ria im Endstadium. Hier sehe ich Menschen, die vom chronischen Opiumabusus gezeichnet sind: abge- magert, unter- und fehlernährt, Zei- chen des erheblichen Vitaminman- gels an Haut und Schleimhäuten.

Junge Männer, die seit Jahren unter Bluthusten leiden, werden mir vor- gestellt: offene Tuberkulose. Die Medikamente vermindern sich rasch.

Vor allem haben wir nicht genug Medikamente gegen die Malaria mit.

Nach Stunden konzentrierter Arbeit in einem solchen Umfeld bekomme ich einen Migräneanfall. Die Schüler haben Hunger, der Übersetzer ist er- schöpft. Wir machen eine Pause.

Am Nachmittag werden auch Säuglinge und Kleinkinder gebracht.

Bei einem Kind mit einer spastischen Bronchitis lasse ich meine Schüler ihr Ohr an den Brustkorb des er- krankten Kindes legen, um zu de- monstrieren, wie man sogar mit dem Ohr ohne ein Stethoskop abhören kann. Der Befund ist so beeindruk- kend, daß sie es bestimmt nicht ver- gessen werden. Eingedenk des lan- gen Rückweges müssen wir förmlich vor der Patientenschlange flüchten.

Eine Frau hält mich jedoch am Hemd fest und läßt mich erst los, als ich ihren Säugling doch noch unter- suche. Während des Rückwegs sind wir alle sehr still. Die Not der Dörfer und die Anstrengungen, um der Not auch nur ein wenig begegnen zu kön- nen, haben mich betroffen gemacht.

Jeden Abend in Thoed Thai sind mir die Glühwürmchen neu wichtig geworden: als ein Beispiel für die Bedeutung von kleinen Lichtern in der Dunkelheit, die vielleicht nicht die Kraft haben, um dauernd zu leuchten. Aber nach einem Augen- blick der Ruhe leuchten sie dennoch wieder mit ihrer kleinen Kraft. Als mehr als ein Glühwürmchen habe ich mich in diesen Problemfeldern von Armut, Unwissenheit und Krankheit nie verstanden. Aber wenn so ein kleines Licht immer wie- der dort aufleuchtet, wo Not ist, dann gewöhnen sich die Menschen dort daran und warten schon darauf, daß es wieder zu leuchten anfängt.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolfgang Hasselkus

„Freunde für Asien e. V."

In der Au 20

8633 Rödental-Einberg Dt. Ärztebl. 86, Heft 24, 15. Juni 1989 (29) A-1827

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