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Vielleicht ist die Autorin auch ein Opfer des Umstandes geworden, daß sich im

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Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militär- geschichte, Tübingen: edition diskord 2002, 300 S. (= Historische Ein- führungen, 6), EUR 18,- [ISBN 3-89295-680-4]

Nein, einen Gefallen hat die Autorin weder sich noch der deutschsprachigen Mi- litärgeschichte getan mit der Wahl dieses uneinschlägigen Tübinger Verlages. Wer das etwas windige Paperback in die Hand nimmt, fühlt sich an politisch korrekte Publikationen aus der Öko-Ecke oder an einen Fachschaftsreader erinnert, jeden- falls an nichts, was einer durchaus ernstzunehmenden Einführung in ein boo- mendes Forschungsgebiet der allgemeinen Geschichtswissenschaft angemessen wäre. Unappetitliche Bleiwüsten, die häufig nicht durch einen einzigen Absatz pro Seite unterbrochen werden, schrecken selbst den gutwilligsten Leser ab. Allzu zahl- reiche in eigenartiger Soziologenmanier in eckigen Klammern eingestreute Lite- raturverweise mit Autorennamen in Großbuchstaben gemahnen an eine fleißige Sammelrezension in Überlänge. Daß es trotzdem auch noch Fußnoten gibt, trägt nicht nur zur Verwirrung bei, sondern zeigt auch, daß der Verlag gekonnt hätte, wenn er sich nur zu wollen getraut hätte.

Dabei verbirgt sich in dem häßlichen Entlein dieses Paperbacks ein beachtli- cher Schwan. Die Frühneuzeit-Historikerin gibt eine umfassende, informative Ein- führung in den gegenwärtigen Stand der Militärgeschichtsschreibung im deutsch- sprachigen Raum. Ein vergleichbares Konkurrenzprojekt ist dem Rezensenten nicht bekannt, so daß die Verfasserin zweifellos ein Standardwerk geschaffen hat, das einige Jahre für die Erstinformation sich neu für Militärgeschichte interessieren- der Studenten und Forscher unverzichtbar sein wird. Der Untertitel des Bandes ist zwar irreführend, geht es doch in der Tat nicht um Militärgeschichte, sondern um die Geschichte, den gegenwärtigen Stand, die Methoden, die Themenschwerpunkte, die Debatten deutschsprachiger Militärhistoriographie. Einen Überblick zur Mi- litärgeschichte, zur deutschen oder überhaupt, darf man daher auf den gut 200 Textseiten dieses Bändchens nicht suchen. Vielmehr handelt es sich im Grunde tatsächlich um eine wohl aufbereitete Literaturschau, was nicht zuletzt die gut 800 Titel umfassende, thematisch gegliederte Bibliographie belegt, die sich vornehm- lich auf neueste Publikationen stützt und nur wenige eklatante Lücken aufweist.

Informativ und vor allem für den Betroffenen auch amüsant zu lesen ist das Einführungskapitel »Warum ausgerechnet Militärgeschichte«, reflektiert es doch die Rechtfertigungsnot, der man als ziviler akademischer Militärhistoriker heute vor allem in Deutschland immer noch unterliegt. Der folgende längere Abriß der beiden Entwicklungszweige der deutschen Militärgeschichtsschreibung, einmal als Kriegsgeschichte des Generalstabes und einmal als zivile universitäre Diszi- plin, ist gelungen und zeugt von Sachkenntnis. Das 4. Kapitel, in dem »Varianten des methodologischen Zugriffs« erörtert werden, weist hingegen begriffliche Un- schärfen auf, die allerdings zu einem gewissen Grad die entsprechende Verwir- rung in dem gesamten, unübersichtlich großen und sehr in Bewegung befindli- chen Forschungsfeld widerspiegeln. Wenn die Verfasserin alles, was an der Mi- litärgeschichte konkret mit Krieg zu tun hat, von der »Battlefield History« über die Kleingruppensoziologie bis zur Gletscherarchäologie, ganz unschuldig in den Topf der »Operationsgeschichte« wirft, so gibt sie damit letztlich nur einer entspre- chenden Unsitte in der Gegenwartsdebatte Ausdruck, die sich unter anderem erst 2001 in einer Fachtagung äußerte, in der unter dem Titel »Operationsgeschichte«

Militärgeschichtliche Zeitschrift 62 (2003), S. 547-650 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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kaum je einmal von Operationen, also militärischen Führerentscheiden, die Rede war. Das abschließende Kapitel widmet sich sechs (militärische Revolution hat nichts mit totalem Krieg zu tun) aktuellen Forschungsdebatten, die es in aller ge- botenen Kürze informativ und intelligent darstellt. Wenn auch der Rezensent den wiederholt mühsam konstruierten Gegensatz zwischen Exerzierreglementen und Disziplinverstößen für nichtexistent hält - Reglemente sind normative, keine des- kriptiven Texte - so ist doch gerade der Abschnitt über die Disziplindebatte be- sonders lesenswert.

Für eine Militärhistorikerin eigentlich inakzeptabel, aber inzwischen offenbar allgemein üblich, ist eine gewisse Ferne zur militärischen Fachterminologie. Was

»kampftaktisch« (S. 41) sein soll, wird dem Rezensenten irgendwann einmal je- mand erklären müssen - gibt es auch »kampfstrategisch«? Die im Anhang beige- fügte Übersicht zu Heeresgliederungen und Rängen ist im Ansatz verdienstlich, aber doch dünn und schematisch, auch mit nicht unerheblichen sachlichen Fehlern be- lastet: So kannten weder Kaiserreich noch Wehrmacht den erst nach 1945 aus dem amerikanischen importierten Rang »General« (an dessen Stelle vielmehr der »Ge- neral der Infanterie«, »General der Kavallerie« etc. stand), und die höheren Ränge Generaloberst und Generalfeldmarschall werden hier ganz unterschlagen. Auch sonst gibt es gelegentlich sachliche Fehler; so soll sich George G. Meade bei Get- tysburg (1.-3.7.1863) »bevorzugt dort« aufgehalten haben, »wo die Gefechtslage besonders kritisch war« (S. 139) - möglicherweise liegt hier eine Verwechslung mit Winfield Scott Hancock vor -, und der zweifellos verlustreiche Angriff der preußi- schen Garde auf St. Privat (18.8.1870) soll angeblich gescheitert sein (S. 196, Anm. 18), was taktisch einfach nicht zutrifft.

Ein unvermeidliches, aber nun doch auffälliges Manko des Buches besteht schließlich darin, daß der gesamte Unterabschnitt zur Militärgeschichtsschreibung des Reichsarchives unmittelbar nach Erscheinen durch die Monographie des Stutt- garter Zeithistorikers Markus Pöhlmann überholt worden ist. Man wünscht sich ei- ne baldige Neuauflage, in der die Verfasserin dieses Versäumnis (an dem sie kei- ne Schuld trägt) nachholt - und sich vielleicht auch einen vernünftigen Verlag sucht. Dem Buch wäre es zu wünschen.

Dierk Walter

Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai. Hrsg. von Stig Förster, Markus Pöhlmann und Dierk Walter, München: Beck 2001, 416 S., EUR 24,90 [ISBN 3-406-48097-7]

Lange Zeit war die Militärgeschichte gleichsam das »Schmuddelkind« in der wis- senschaftlichen Geschichtsschreibung der Bundesrepublik. Sie war historisch in hohem Grade vorbelastet. Es galt zumindest als »unfein« und eröffnete kaum Kar- rierechancen, sich überhaupt mit ihr zu beschäftigen. Das alles hat sich im letzten Jahrzehnt jedoch grundlegend geändert: Auch unter dem Eindruck der Ereignis- se in der internationalen Politik hat die Militärgeschichte in der neuen Bundesre- publik seit 1990 eine wundersame Renaissance erfahren.

Genau genommen sind in deren Zuge alle im Wissenschaftsbetrieb gängigen gesellschafts-, sozial-, wirtschafts-, mentalitäts-, etc. geschichtlichen Fragestellun- gen schlicht auf einen bis dahin weitgehend vernachlässigten Gegenstand, den Ge-

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samtkomplex Krieg und Militär, übertragen worden. Es dominieren mikrohistori- sche Fragestellungen zum militärischen Apparat. Die operationsgeschichtliche Analyse einzelner Kriege oder Schlachten wird hingegen noch immer als ausge- sprochen »esoterisches« Unterfangen betrachtet.

Exakt hier aber setzt das Herausgeberteam um den Berner Militärhistoriker Stig Förster mit dem hier vorzustellenden Sammelband ein. Keineswegs soll mit ihm nun etwa auch eine Renaissance der historisch besonders belasteten Kriegsge- schichte herbeigeschrieben werden. Vielmehr geht es den Herausgebern gerade darum aufzuzeigen, wie viel des Allgemeinen im ganz Konkreten durchscheint.

Oder, anders gewendet und in ihren eigenen Worten: »In der Schlacht läßt sich, auf wenige Stunden oder Tage fokussiert, die Kriegführung der jeweiligen Epo- che betrachten. Die Kriegführung wiederum spiegelt die Gesellschaftsordnung der Kontrahenten wider.« (S. 16) Zudem formulieren die Herausgeber weiter:

»Schlachten entscheiden Kriege, Kriege verändern die Geschichte. In verfahre- nen politischen Situationen sucht man die >Schlachtentscheidung<, wie man in al- ten Zeiten ein Gottesurteil gesucht haben mag.« (S. 9; Hervorhebung im Origi- nal)

Um es vorwegzunehmen: In den von den Herausgebern zusammengetragenen 24 Aufsätzen wird der Anspruch, die Bezüge der von ihnen jeweils durchleuchte- ten militärischen Großereignisse zum weiteren historischen Kontext aufzuzeigen, auf hohem Niveau und in gut lesbarer Form durchweg eingelöst. Zugleich ma- chen die Beiträge in ihrer Summe aber auch deutlich, daß die viel beschworene

»Entscheidungsschlacht« in der Geschichte tatsächlich eher die äußerst seltene Ausnahme denn der »Normalfall« ist. So bestechend das von den Herausgebern ge- wählte Bild von der »Schlachtentscheidung« als dem Suchen nach einem Gottes- urteil auf den ersten Blick daher auch sein mag: bei näherer Betrachtung erweist es sich als problematisch. Denn die in der Schlacht unterlegene Partei tendiert in aller Regel eben nicht dazu, dieses gegen sie ausgefallene »Gottesurteil« anzuer- kennen und daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen, sondern versucht das Ergebnis, wie beispielsweise Lee nach Gettysburg, nach Kräften zu ignorieren bzw.

zu verdrängen. Insofern ist es in der Geschichte selten einmal eine einzelne Schlacht, die einen Krieg unmittelbar und unverzüglich entscheidet.

Wohl aber gibt es Schlachten, in denen dem gesamten »Kriegsplan« der einen Partei gleichsam das Rückgrat gebrochen wird und die so mittelbar und auf län- gere Sicht hin die Niederlage der hier besiegten Partei unausweichlich machen.

Die - im vorliegenden Sammelband nicht berücksichtigte - Trägerschlacht bei Mid- way Anfang Juni 1942 mag hier als Beispiel dienen.

Da in jedem der 24 Beiträge der Frage nachgespürt wird, inwiefern es gerecht- fertigt ist, der jeweils beleuchteten Schlacht eine spezifische Qualität und einen herausragenden Rang zuzuschreiben, erhält der Leser gleichwohl einen recht breit gefächerten Uberblick über die unterschiedlichsten Kategorien der hier interessie- renden militärischen Großereignisse. So werden etwa Schlachten analysiert, die nicht nur in der Geschichtsschreibung nachgerade zu Mythen geworden sind, de- ren tatsächliche Bedeutung für die letztendliche Kriegsentscheidung aber entwe- der weit überschätzt werden (Salamis, Heinz E. Herzig; Stalingrad, Jürgen För- ster), oder denen in dieser Hinsicht sogar überhaupt gar keine Bedeutung zukommt (Cannae, Michael Alexander Speidel). Es werden Ereignisse rekonstruiert, in denen Zeitenwenden manifest geworden sind. So formuliert denn Dennis E. Showalter mit Blick auf die Schlacht von Sedan, in dieser spiegele sich »die Doppelnatur des

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Deutsch-Französischen Krieges wider, der der letzte europäische Kabinettskrieg war und zugleich schon das Gesicht des modernen totalen Krieges zeigte« (S. 231).

Und es wird aufgezeigt, wie einzelne Schlachten den Entschluß zum Einsatz neu- er revolutionärer Waffentechnologien mit beeinflußten (Okinawa, Gerhard L. Wein- berg).

Bernd Wegner hat vor einiger Zeit dafür plädiert, die Aufarbeitung der Ge- schichte der militärischen Operationen nicht allein dem militärischen Experten oder gar dem bloßen Waffenenthusiasten zu überlassen. Denn auf Grund ihrer be- sonderen historischen Vorbelastung sei gerade sie der Kategorien und Methoden des zivilen Historikers außerordentlich bedürftig. Die Herausgeber um Stig Förster haben mit ihrem Sammelband deutlich gemacht, welchen Beitrag zivile Histori- ker zu einer solchen modernen Operationsgeschichte zu leisten imstande sind. Das Ergebnis ist sehr ermutigend.

Enrico Syring

Hans Mehl, Schiffs- und Küstenartillerie. Marinegeschütze aus 500 Jahren.

Mit Rohrzeichnungen von Rudolf Roth, Hamburg, Berlin, Bonn: Mittler 2001,216 S., EUR 49,90 [ISBN 3-8132-0774-9]

Vor dem 14. Jahrhundert wurde im Seekrieg vorwiegend von Bord zu Bord und

»Mann gegen Mann« gekämpft, bei den Wikingern nicht anders als bei den viel- besungenen antiken Seehelden und auch im Kaperkrieg der Vitalienbrüder gegen die Hanse. Frühe Versuche, eine erfolgreiche Taktik für ein Gefecht von Schiff zu Schiff zu etablierten, ohne dabei »das Weiße im Auge des Feindes« zu sehen, schei- terten an verfügbaren Waffensystemen, wie die Rammsporne der Mittelmeerga- leeren mangels Effizienz belegen.

Wie schon der Titel ahnen läßt, geht es in vorliegendem Band um die Bestückung der Kriegsschiffe vom Spätmittelalter bis in das zwanzigste Jahrhundert. Darge- stellt wird diese Geschichte anhand der bis auf den heutigen Tag erhaltenen und zum großen Teil restaurierten Geschütze. Die Lagerorte sind dabei weit verstreut und von sehr unterschiedlichem Zuschnitt. Gedenkstätten, Privatsammlungen, Museen und Freiluftanlagen beherbergen die hier vorgestellten 270 Marinege- schütze, die meisten davon sind der Öffentlichkeit zugänglich.

Frühe historische Stücke sind naturgemäß selten und stammen in der Regel aus schiffsarchäologischen Funden, wie beispielsweise eine zweipfündige schmiede- eiserne Kammerbüchse, welche 1942 vor der dänischen Insel Anholt im Kattegat geborgen wurde und die sich heute im Orlogsmuseet in Kopenhagen als Exponat befindet. Das Stück war mit aufgesetzten Verstärkungsringen versehen und mit Eisenbändern auf einer hölzernen Kastenlafette montiert. Die Zuordnung zu ei- nem definierten Schiffsfund gelang bis heute nicht. Ein ganz ähnliches, aus dem Haarlemmermeer geborgenes Kammerstück besitzt das Niederländische Museum für Geschichte und Kunst in Amsterdam, es ist im Gegensatz zum erstgenannten nicht mit Verstärkungsringen versehen.

An diese frühe Phase von vergleichsweise leichten Waffen, die an Deck oder auf dem Schanzkleid montiert waren, schließt sich die lange Periode der Stücke an, welche durch Seitenpforten »ausgerannt« wurden. Neben Einzelexponaten aus dieser Epoche gibt es auch zahlreiche Museumsschiffe, die mit entsprechenden

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Originalwaffen ausgestattet sind. Beispiele hierfür sind die hervorragend restau- rierten Schiffe U.S.S. Constitution, die dänische Fregatte Jylland oder die britische Victory mit ihrer zeitgenössischen Bestückung.

Im zweiten Teil des Bandes widmet sich der Autor einem besonders interes- santen Thema, der Küstenartillerie. Die bezog ihre Stücke in der Regel, auch und gerade in der jüngsten Vergangenheit zumeist aus dem Fundus der Schiffsge- schützproduktion. Dies nicht nur deshalb, weil sie zur Bekämpfung von Seezielen besonders geeignet waren, sondern auch weil die Marineführung in der Regel für die Küstenverteidigung zuständig war. Ein charakteristisches Beispiel findet sich hierfür etwa in der bis 1945 bei Krupp produzierten 38-cm-Schnelladekanone, die auf der Tirpitz und der Bismarck montiert war und die in speziellen, für den Ein- satz an Land konzipierten Bettungschießgerüsten des Antlantikwalls Verwendung fand.

Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, ist der Band »bildlastig« konzipiert, zu jedem der Geschütze finden sich eine oder mehrere Fotografien, zum Teil in Far- be. In zahlreichen Fällen wurden historische Originalzeichnungen reproduziert.

Ergänzt werden diese durch Zeichnungen von Rudolf Roth auf der Basis heutiger Aufmaße noch existierender Exponate.

Der Band wird seitens des Verlags auch und gerade als einführende Lektüre für den bislang waffentechnisch Unbelesenen empfohlen. Dies unterstützt der Re- zensent nur ansatzweise. Der Autor, 34 Jahre als Ingenieur der Nationalen Volks- armee tätig, verwendet das einschlägige Vokabular naturgemäß souverän, aller- dings ohne im Fließtext nachhaltige Erläuterungen zu geben. Ein zu diesem Aspekt dringend erforderliches Glossar fehlt vollständig. Mit Termini wie »Bettungs- schießgerüst mit ringförmigem Munitionskanal« wird ein »newcomer« sich ziem- lich allein gelassen fühlen (abgesehen von der Tatsache, daß natürlich nicht das Schießgerüst, sondern die Bettung einen ringförmigen Munitionskanal besitzt). Es wäre für den neu hinzukommenden Interessenten durchaus wünschenswert, wenn die einschneidenden waffentechnischen Entwicklungen der letzten sechshundert Jahre in zwischengeschalteten Kapiteln explizit erläutert würden. Da der Band von der Grundkonzeption schließlich auch einen Führer zu historischen Stätten und Exponaten darstellt, sollte eine Anschriftenliste der Museen und Institutionen nicht fehlen. Für den Besuch von exponierten Freiluftanlagen, wie sie etwa in Norwegen existieren, wären Kartenskizzen zur Anfahrt sehr sachdienlich. Vielleicht können diese Aspekte bei einer Neuauflage Berücksichtigung finden und der Band hier- durch eine Abrundung erfahren.

Wolfgang Biihling

Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Sven Externbrink und Jörg Ulbert, Berlin:

Duncker & Humblot 2001,550 S. (= Historische Forschungen, 71), EUR 62,- [ISBN 3-428-10277-0]

Der Marburger Historiker Klaus Malettke ist seit langem einer der besten deut- schen Kenner der französischen Geschichte der Frühen Neuzeit und insbesonde- re des 17. Jahrhunderts. Im Vordergrund seines Interesses stand dabei seit seiner

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1976 erschienenen Habilitationsschrift über Opposition und Konspiration gegen Lud- wig XIV. zunächst die Geschichte von Hof, Adel und Institutionen im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts, seit Ende der achtziger Jahre traten dann zunehmend auch die deutsch-französischen Beziehungen im 17. und 18. Jahrhundert hinzu.

Über den wissenschaftlichen Gegenstand hinaus waren die deutsch-französischen Beziehungen für Malettke stets auch praktisches Betätigungsfeld, namentlich durch die Förderung bilateraler Forschungsprojekte und des europäischen Studenten- austausches.

Es sei, so die Herausgeber in ihrem kurzen Vorwort, ihnen daher »nur folge- richtig« erschienen, einer Festschrift zu Malettkes 65. Geburtstag den Titel Frank- reich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit zu geben und so »die vom Werk Klaus Malettkes ausgegangenen Impulse« festzuhalten. Er- leichtert wurde diese Entscheidung, dank derer die häufig bei Festschriften zu be- obachtende Disparatheit der Themen weitgehend vermieden werden konnte, da- durch, daß die Herausgeber selbst an einem von Malettke geleiteten Projekt zum Deutschlandbild französischer Diplomaten im 18. Jahrhundert beteiligt waren und somit bestens mit dem Forschungsgebiet vertraut sind (vgl. dazu den ebenfalls 2001 in den Historischen Forschungen erschienenen Band Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutsch- landbildes im 17. und 18. Jahrhundert).

Der Konzeption entsprechend befinden sich unter den rund 30 Autoren des Bandes nicht nur Schüler und Kollegen Malettkes am Marburger Seminar, sondern ebenso namhafte Diplomatiehistoriker und ausgewiesene Experten des europäi- schen Mächtesystems aus Deutschland, Frankreich, Österreich und Polen. Deren Zusammenstellung spiegelt zugleich die fachlichen wie auch die persönlichen Be- ziehungen Malettkes, der in Frankreich seit seinem Studium und der Bekanntschaft mit Roland Mousnier intensive Beziehungen vor allem zur Sorbonne unterhielt.

Inhaltlich ist der Band in fünf thematische Schwerpunkte unterschiedlichen Umfangs gegliedert, deren erster der allgemeinste und zugleich der kürzeste ist. Un- ter der leicht doppeldeutigen Überschrift »Internationale Beziehungen als Thema der Geschichte der Frühen Neuzeit« sind denn auch recht unterschiedliche Zu- gänge zur Geschichte der internationalen Beziehungen vereint: Heinz Duchhardt beschäftigt sich am Beispiel von Christian Gottfried Hoffmanns 1720 in Leipzig er- schienenem, nur 16 Seiten umfassenden Entwurffeiner Einleitung zu dem Erkännt- niß des gegenwärtigen Zustandes von Europa mit den Anfängen der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen, während Jean Meyer und Lucien Bély aus der Warte des Historikers unterschiedliche Bezugssysteme für eine Ordnung der eu- ropäischen Staaten in der Frühen Neuzeit vorstellen: Meyer eine Typologie der

»Thalassokratien«, also der Seemächte, Bély die Vergabe päpstlicher Auszeich- nungen, die zugleich eine Rangfolge reflektierte.

Die in dem nochmals unterteilten zweiten Abschnitt zusammengefaßten Beiträ- ge beschäftigen sich mit der wechselseitigen Wahrnehmung des Reiches und Frank- reichs vornehmlich im 18. Jahrhundert. Unter der Überschrift »Grundsatzdebat- ten« werden dabei zunächst die »key thinkers« abgehandelt: Horst Möller zeich- net die Montesquieu-Rezeption in Deutschland nach, speziell bei Friedrich II., Pe- ter Schröder zeigt den Einfluß des Naturrechts Pufendorfscher Prägung in der Encyclopédie auf, und Martin Peters befaßt sich mit der Sicht des Göttinger Staats- rechtlers und Historikers August Ludwig Schlözer auf das Frankreich des ausge- henden Ancien Régime. Schlözer, der schreibt, er habe sich in Paris »verliebt«, wo-

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mit er zum Ahnen einer Reihe deutscher Intellektueller des 19. und 20. Jahrhunderts geworden sein dürfte, schwankte zwischen persönlicher Sympathie, historischem Respekt vor der Leistung Richelieus und staatsrechtlicher Kritik an der Verfassung der französischen Monarchie. Unbeantwortet bleibt allerdings die sich beinahe zwangsläufig bei der Lektüre einstellende Frage, ob und wie Schlözer auf das Er- eignis der Französischen Revolution reagiert hat.

Im zweiten Teil dieses Abschnitts folgt dann gleichsam die »zweite Garde«, die vor allem anhand des historisch-politischen Diskurses analysiert wird. Wolfgang Hans Stein untersucht unter dem Titel »Rubicon de l'Allemagne« den Bedeu- tungswandel der Rheingrenze von der frontière (Militärgrenze) zur limite (Territo- rialgrenze) im Briefwechsel protestantischer Humanisten aus den Jahren 1630 bis 1635, also den Jahren vor dem unmittelbaren Eingreifen Frankreichs in den Drei- ßigjährigen Krieg, und kann damit glaubhaft machen, daß sich die rechtlich-hi- storische Legitimierung der französische Landnahme im Elsaß bereits vorher voll- zogen hatte. Den französischen Ansprüchen auf Lothringen spürt Chantal Grell anhand der Polemiken des 17. Jahrhunderts und vor allem des für Ludwig XV. ver- faßten Abrégé de l'histoire de France nach, während Jürgen Voss einen Überblick über

»Die erste französische Darstellung der deutschen Geschichte« gibt: Jean Royer de Prades L'histoire d'Allemagne von 1677, die auch in Deutschland gelesen wurde (u.a.

von Thomasius!) und in Frankreich bald einige Nachahmer bzw. Konkurrenten fand. Der Stellung der protestantischen Universität Straßburg zwischen Frankreich und dem Reich von 1681 bis 1789 widmet sich abschließend der Beitrag von Ber- nard Vogler.

Der dritte Abschnitt versammelt unter dem Aspekt der »Zugehörigkeit« acht biographische Studien, die hier aus Platzgründen nur summarisch besprochen werden können. Bei den untersuchten Personen überwiegen Juristen und Diplo- maten, aber es findet sich auch mit Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel ein junger Reichsfürst darunter, der 1647 im Zuge des Grand tour zunächst inkognito nach Paris reiste, dort bald aber diplomatische Aktivitäten im Sinne der Festigung des hessisch-französischen Bündnisses entfaltete. Zeitlich reichen die Beiträge vom 14. Jahrhundert bis zum Leiter der preußischen Außenpolitik unter Friedrich Wil- helm I., Heinrich Rüdiger von Ilgen, dem Jörg Ulbert die Annahme finanzieller Zuwendungen seitens der Krone Frankreich nachweist.

Das Haus Brandenburg steht auch im Mittelpunkt des Beitrages von Wilhelm Ernst Winterhager, der den vierten, den Beziehungen Frankreichs zum Reich und den Reichsständen gewidmeten Abschnitt eröffnet. Während Kurfürst Joachim I.

die Kandidatur Franz' I. bei der Kaiserwahl 1519 unterstützte, stand sein Bruder Albrecht, Kurfürst von Mainz und Erzbischof von Magdeburg, bekanntlich fest auf der Seite Habsburgs. Die unterschiedlichen Parteinahmen der Brüder prallten bei einem Treffen in Halle Anfang 1519 aufeinander und konnten auch durch eine zunächst gefundene Absprache nicht ausgeräumt werden, so daß es schließlich zum Zerwürfnis kam, welches durch drei neu aufgefundene, im Anhang edierte eigenhändige Briefe Albrechts näher beleuchtet wird. Ebenfalls um eine Wahl, näm- lich die Heinrichs von Valois zum König von Polen, geht es in dem anschließenden Beitrag von Maciej Serwanski. Die weiteren Beiträge nehmen einzelne Reichsstände in ihrem Verhältnis zu Frankreich in den Blick, zunächst wiederum Brandenburg, das zur Zeit des Pfälzer Erbfolgekrieges wie schon in den vorhergehenden Kon- flikten zur antifranzösischen Allianz gehörte (Jean Bérenger), Braunschweig nach dem Westfälischen Frieden (Meike Hollenbeck) sowie die Rheinlande im 18. Jahr-

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hundert, die an dessen Ende ja partiell unter französische Verwaltung kamen (An- ton Schindling).

Die sieben Beiträge des fünften und letzten Abschnitts thematisieren den Wan- del der europäischen Ordnungs- und Machtstrukturen im 17. und 18. Jahrhundert, von der französischen Unterstützung der kaiserlich-katholischen Partei während des böhmischen Aufstandes (Axel Gotthard) über die Untätigkeit der bourboni- schen Diplomatie während der Ersten Polnischen Teilung (Ilja Mieck) bis hin zum Ende der französischen Herrschaft in Köln im Jahre 1814 (Hans Lemberg). So run- det sich ein facettenreiches Bild deutsch-französischer Perzeptionen und Kontak- te, die (nicht nur) über die drei frühneuzeitlichen Jahrhunderte hinweg die inter- nationalen Beziehungen und das Mächtesystem in Europa wesentlich mitgeformt haben.

Den Herausgebern Externbrink und Ulbert ist mit diesem gewichtigen Band die schwierige Gratwanderung gelungen, einen fundierten Beitrag zu einem klar umrissenen Forschungsfeld vorzulegen, der dennoch die Traditionen einer Fest- schrift nicht verleugnet: Zum einen rekurrieren etliche der Aufsätze auf die per- sönliche Bekanntschaft und das Werk Malettkes, zum anderen leistet der einlei- tende Beitrag von Peter Krüger unter dem Titel »Internationale Beziehungen - Ver- fassung - Perzeption« zugleich mit der Einführung in den Band auch eine pointierte Charakterisierung von Malettkes Forschungsinteressen. Lediglich die reichlich alt- väterliche »Würdigung« Malettkes durch Henning Köhler, die den Band einleitet, wäre nach Meinung des Rezensënten verzichtbar gewesen. Schließlich ist ja auch die wissenschaftliche Biographie des Geehrten mit dem 65. Geburtstag mitnichten zum Abschluß gekommen, wie die inzwischen in Französisch erschienene Studie über die deutsch-französischen Beziehungen im 17. Jahrhundert (Paris 2001) und die Edition von Théodore Godefroys Description de l'Alemagne (Münster u.a. 2002) ebenso belegen wie die noch zu erwartende Geschichte Frankreichs im Ancien Ré- gime und der dritte Band des Handbuchs der Geschichte der Internationalen Bezie- hungen.

Markus Meumann

Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München: Beck 2001,458 S., EUR 34,90 [ISBN 3-406-47979-0]

Die mit Beginn der neunziger Jahre in Deutschland ausgebrochene Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht war offenbar An- stoß und ist Hintergrund auch des hier vorzustellenden Buches der Bielefelder Zeit- und Militärhistorikerin Ute Frevert. Ebenso souverän wie umfassend schildert sie die Herausbildung und weitere Entwicklung des Gedankens der allgemeinen Wehrpflicht während des 19. Jahrhunderts entlang der Grenze zwischen Militär- dienst und Zivilgesellschaft.

Frevert ist es gelungen, alle für ihr Thema relevanten sozial-, gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen in ihre Darstellung einzubeziehen und dennoch sehr anschaulich und gut lesbar zu bleiben. Sie liefert nicht nur einen fa- cettenreichen Uberblick über die Binnenwirklichkeit der militärischen Apparate im Deutschland vornehmlich des 19. Jahrhunderts aus der Sicht des »kleinen Man- nes«. Sie macht darüber hinaus vielmehr auch deutlich, daß die von ihr in den Mit-

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telpunkt ihrer Untersuchung gerückte Trennlinie zwischen der Sphäre des Militärs einerseits und der Zivilgesellschaft andererseits auch infolge zähen Widerstandes von beiden Seiten nur sehr allmählich und ziemlich spät, d.h. im Grunde erst nach der Reichsgründung von 1871, nach und nach durchlässiger wurde. Beide Berei- che seien aber selbst im wilhelminischen Kaiserreich nach 1890, das gemeinhin als Hochzeit des deutschen Militarismus gilt, nie wirklich deckungsgleich geworden.

D.h.: allen in eine andere Richtung weisenden Einzelbefunden zum Trotz könne auch für jene Epoche weder von einer Zivilisierung des Militärs noch von einer tatsächlich umfassenden Militarisierung der Zivilgesellschaft gesprochen werden.

Zudem zieht Frevert auf der Basis neuerer Forschungen die Auffassung in Zwei- fel, der innere Militarisierungsgrad des Kaiserreiches sei signifikant höher gewe- sen als derjenige Großbritanniens oder Frankreichs zur gleichen Zeit.

Gerade angesichts dieser denn doch einigermaßen überraschenden Befunde ist es um so bedauerlicher, daß Frevert ihre gediegene Darstellung faktisch mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges abbricht und die Entwicklung von Reichswehr, Wehrmacht, NVA und Bundeswehr nur im Rahmen eines überaus kursorischen Überblickskapitels abhandelt. Hatte doch gerade der Erste Weltkrieg jedes über- kommene Kriegsbild geradezu revolutioniert und die in seiner Folge niedergeleg- te Idee vom »Totalen Krieg« jegliche Trennung zwischen Militär und Zivilgesell- schaft zumindest in der Theorie aufgehoben. Daher erschiene es besonders loh- nend, nicht nur den Weg, vom »Führerheer der [Weimarer] Republik zur natio- nalsozialistischen Volksarmee« (Jürgen Förster) anhand der Frevertschen Leitfrage nachzuzeichnen, sondern auch den Neuanfang nach 1945 im Rahmen einer um- fassenden Gesamtdarstellung in vergleichbarer Intensität zu analysieren.

Gleichwohl wird anhand von Freverts Darstellung deutlich, daß dem Gedan- ken der allgemeinen Wehrpflicht zumindest bis 1914 im Deutschen Reich und des- sen Vorläuferstaaten keineswegs jene Allgemeingültigkeit zugeschrieben werden kann, die in der aktuellen Diskussion zuweilen suggeriert wird. Auch könne an- gesichts des historischen Gesamtbefundes die allgemeine Wehrpflicht weder als unabdingbarer Stützpfeiler der demokratischen Staatsordnung noch als Garant ei- ner demokratischen Einhegung des militärischen Apparates eingestuft werden:

»Der vielzitierte Satz von Theodor Heuss, die Wehrpflicht sei >das legitime Kind der Demokratie^ trifft auf Deutschland nicht zu. Im Gegenteil hat die Wehrpflicht hier bis weit ins 20. Jahrhundert hinein demokratisches Handeln eher behindert als gefördert.« (S. 352)

Frevert beschließt ihr Buch mit einem ausdrücklichen Plädoyer für den Über- gang zu einer Berufsarmee aus länger dienenden Freiwilligen auch in Deutsch- land. Die gegen diese Option vorgebrachten Bedenken wertet sie aus der Sicht des Historikers als nicht stichhaltig.

Zwar hat Frevert das Manuskript zu ihrem Buch offenbar vor dem 11. Sep- tember 2001 abgeschlossen. Doch scheinen ihre Argumente dem Rezensenten durch die seitherige Entwicklung nicht an Gewicht verloren zu haben.

Enrico Syring

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René Schilling, »Kriegshelden«. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813 bis 1945, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 2002,436 S. (= Krieg in der Geschichte, 15), EUR 49,00 [ISBN 3-506-74483-6]

Kaum ein Stereotyp mußte öfter zur Charakterisierung des deutschen Kaiserreichs und einer damit verbundenen Geisteshaltung im Wilhelminismus herhalten als das vom »preußischen Militarismus«. Sowohl in nationalen wie auch internationalen Diskursen wurde der Begriff zum geschichtsmächtigen Faktor und historiogra- phischen Erklärungsmuster gleichermaßen. René Schilling hat sich in seiner Bie- lefelder Dissertation nun intensiver mit den »Deutungsmustern heroischer Männ- lichkeit« in Deutschland befaßt. Er bedient sich der historischen Diskursanalyse, um über einen Zeitraum von gut 130 Jahren die »Karriere« von Deutungsmustern über prominente Kriegshelden nachzuzeichnen. Diese diachrone Sichtweise geht weit über andere Rezeptionsgeschichten hinaus und ermöglicht es, die Träger bestimmter Deutungsmuster über Generationen hinweg soziologisch zu verorten. Vier »Kriegs- helden« stehen im Zentrum der Betrachtung: Theodor Körner und Friedrich Frie- sen, zwei Kämpfer der Freiheitskriege sowie Manfred von Richthofen und Otto Weddigen, prominente Helden aus dem Ersten Weltkrieg. Neben Biographien und Zeitungsartikeln sind es hauptsächlich die Feierlichkeiten zu Ehren der toten Hel- den, auf die sich der Autor stützt - beispielsweise wertet er systematisch die Be- sucherbücher des Körnergrabes im Mecklenburgischen Wöbbelin aus und nutzt die Verwaltungsakten in Weddigens Heimatstadt Herford. So gelingt es ihm, die lokalen Besonderheiten hervorzuheben und gleichzeitig die nationale Dimension im Auge zu behalten.

Der militärische Heldenkult war nicht nur das Terrain einer preußisch-konser- vativen Elite im Deutschen Kaiserreich, sondern wurde bereits weit vor der Reichs- gründung auch von großen Teilen des Bürgertums gepflegt, wobei die Deutungs- muster - nach entsprechender Umformung - auch vom Adel, vom Kleinbürger- tum und von der staatlichen Obrigkeit übernommen werden konnten. Jüngere ver- gleichende Forschungen bestätigen, daß der Heldenkult keineswegs ausschließlich an die spezifische soziale oder verfassungsmäßige Konstellation im deutschen Kai- serreich geknüpft war. Vielmehr findet man ihn in unterschiedlichen Ausprägun- gen auch in westlichen Demokratien wie Großbritannien und Frankreich, von jüng- sten Beispielen in den USA ganz zu schweigen.

Je nach Epoche und politischer Konstellation wandelte sich auch das Bild vom Kriegshelden, wobei unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen spezifische Deu- tungsmuster für sich reklamierten. War Theodor Körner im Kampf für eine ge- rechtere soziale Ordnung gefallen oder ausschließlich für den nationalen Zusam- menschluß von Fürsten und Untertanen? War er gar ein Vorläufer der völkischen Bewegung? An der Körner-Rezeption läßt sich zeigen, welche politischen Entwürfe je nach Interessenlage in das Gedenken projiziert wurden: So wandelte sich Kör- ner im öffentlichen Diskurs vom »patriotisch-wehrhaften Bürgerhelden« in den Jahren 1813 bis 1848 über den Konflikte einebnenden »reichsnationalen Kriegs- helden« der wilhelminischen Epoche bis hin zum »charismatisch-kriegerischen Völkshelden« der NS-Zeit. Gemeinsam war den verschiedenen Deutungsmustern, daß sie in der Regel ein bestimmtes Männerbild transportierten und zur Stabili- sierung der Geschlechterordnung beitrugen. Eine Ausnahme bildete der Bürgerheld in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bei dessen Deutungsmuster Frauen nicht per se ausgeschlossen waren. Zum Konzept des »Bürgerhelden« zählten nationale

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Einheitsvorstellungen ebenso wie der Wunsch nach politischer Partizipation so- wie ein expliziter Bildungs- und Humanitätsanspruch. Das Deutungsmuster des

»reichsnationalen Kriegshelden« hatte im Wilhelminismus Konjunktur und stilisierte das Militär »zum Ort männlicher Selbstverwirklichung« (S. 377). Die Heldenver- ehrung war nicht mehr allein Sache des Bürgertums, sondern auch des Adels. Im

»charismatisch-kriegerischen Volkshelden« wiederum spiegelten sich antibürger- liche Ressentiments, gepaart mit einem strikten Antihumanismus und der Favori- sierung einer »autoritär-verformten Gesellschaftsordnung« (S. 379). Dieses Deu- tungsmuster fügte sich nahtlos in die NS-Ideologie ein.

Laut Schilling gab es zwischen 1813 und 1914 außer Körner und Friesen keine

»neuen« Kriegshelden, weil der Krieg von 1870/71 lediglich Platz für den Typus des Feldherren-Helden geboten habe. Doch gleichzeitig haben wir es mit einer De- mokratisierung des Kriegsheldentums zu tun, wenn die namenlosen Gefallenen und deren unterstellte Opferbereitschaft vor allem nach dem Krieg von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg durch unzählige Kriegerdenkmäler in Deutschland und Frankreich gleichermaßen geehrt wurden. Für das deutsche Kaiserreich müßte der Blick zudem auf die zivile Sphäre gerichtet werden: Denn neben dem Bismarck-Kult, auf den der Autor nicht eingeht, konnten sich neue Formen der militärischen Hel- denverehrung offenbar kaum entwickeln. Und auch der Führerkult um Hitler ließ im totalitären System naturgemäß wenig Raum für eine genuine Heldenverehrung.

Nicht unbedeutend wäre es darüber hinaus zu erfahren, wie sich die Heldenver- ehrung in der »Alltagskultur« ausdrückte: (Gedenk-)Münzen und Briefmarken oder Straßenbenennungen - der Rezensent wohnt selbst in einer von rund 20 (Ot- to-)Weddigen-Straßen - geben Hinweise auf die populäre Rezeption und Verbrei- tung des bürgerlichen Diskurses. Kurzum: Der Heldenkult hat nicht nur etwas mit schriftlichen Äußerungen und Festreden zu tun, sondern zeigt sich als kulturelles Phänomen ebenso auf der symbolischen bzw. visuellen Ebene.

Kritik ruft bei diesem lesenswerten Buch lediglich die Lektorierung hervor, denn sie hätte für eine gestrafftere Darstellung sorgen können. So ergeben sich bis- weilen Längen durch zu weites Ausholen. Beispielsweise sind Schillings Erkennt- nisse über die Geschlechterstereotypen im Kaiserreich nicht neu, sie werden le- diglich anhand zahlreicher weiterer Beispiele untermauert. Um seine Thesen zu stützen, wäre der Autor ohne Substanzverlust in den meisten Fällen auch mit ei- ner mehr exemplarisch orientierten Zitierweise ans Ziel gekommen. Zudem hät- ten eine Reihe von Tippfehlern und Ungenauigkeiten vermieden werden können:

Anders als wiederholt zu lesen, heißt das Werk von Walter Flex nämlich nicht »Der Wanderer zwischen zwei Welten«, sondern »Der Wanderer zwischen beiden Wel- ten«. Und auch der renommierte Wissenschaftler Paul Fusseil verdient eine kor- rekte Schreibweise seines Namens.

Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß René Schilling ein eminent wichtiges und erhellendes Buch vorgelegt hat. Es führt sozialhistorische, ge- schlechtergeschichtliche und kulturwissenschaftliche Ansätze zusammen und bringt das Wissen darüber, warum es zu welchem Zeitpunkt welche mentalen Dis- positionen innerhalb der deutschen Gesellschaft gegeben hat, entscheidend vor- an.

Rainer Pöppinghege

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558 MGZ 62 (2003)

Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Pader- born, München, Wien, Zürich: Schöningh 2002, 617 S. (= Krieg in der Ge- schichte, 8), EUR 52,00 [ISBN 3-506-74477-1]

Es ist Konsens der modernen Nationalismusforschung, daß Nationen nicht aus hi- storischer Zwangsläufigkeit entstandene, gleichsam natürlich gewachsene Grup- pen, sondern durch bewußten Rückgriff auf ausgewählte Eigenschaften generier- te Gemeinschaften sind. Im europäischen und amerikanischen Raum wurde das Konstrukt der Nation im Zeitalter der Revolutionen an der Schwelle von der Frühen Neuzeit zur Moderne wirkungsmächtig.

Von besonderer Bedeutung für die Nationwerdung der Deutschen war die Epo- che der sogenannten Freiheits- oder Befreiungskriege der Jahre 1813/14 und 1815.

Eng verknüpft war dieser Prozeß mit dem Vordringen der Idee der Wehrpflicht. Je- der wehrfähige Mann sollte in der Lage und Willens sein, bewaffnet für die Idee seines Vaterlandes zu streiten. All dies ist weidlich bekannt und wissenschaftli- cher Konsens. Ebenfalls wissenschaftliches Allgemeingut ist inzwischen die Fest- stellung der Geschlechterforschung, daß die verschiedenen Geschlechterrollen, zu denen auch die Beschränkung der Wehrpflicht auf den männlichen Teil der Be- völkerung zählt, nicht die Folge natürlicher Geschlechterdifferenzen, sondern kul- turelle Konstrukte sind.

Karen Hagemann analysiert, wie sich die Ausformung der Geschlechterbilder im Zuge der aufkommenden Wehrpflicht während der Epoche der Freiheitskrie- ge und das zeitgleiche Vordringen der Idee der Nation wechselseitig beeinflußten.

Bewußt wählt die Autorin den Begriff der Freiheitskriege zur Beschreibung des Darstellungszeitraumes, um auf das ursprüngliche emanzipatorische Element der antinapoleonischen Bewegung hinzuweisen, das im Zuge der Restauration zurück- gedrängt und durch den Begriff der Befreiungskriege ersetzt wurde, der die Ini- tiation dieser Bewegung durch die preußische Obrigkeit suggerierte. Dabei be- schränkt sich Hagemann wegen seiner militärischen Führungsrolle auf Preußen und die von ihm dominierten nord- und westdeutschen Territorien, merkt aller- dings an, daß die analysierten Diskurse und Praktiken nicht auf diesen Raum be- schränkt geblieben seien; denn das Kennzeichen der Kommunikation der deut- schen >Gelehrtenrepublik< sei ja gerade die Überschreitung kleinstaatlicher Gren- zen gewesen, auch seien die Kriege und mit ihnen die Ausbreitung der Propaganda grenzüberschreitend gewesen. Zeitlich ist die Arbeit auf die ersten beiden Jahr- zehnte des 19. Jarhunderts mit dem Schwerpunkt auf der Zeit zwischen 1806 und 1815 eingegrenzt. Sie stützt sich auf zeitgenössische Tagesliteratur sowie dienstli- che Denkschriften, amtliche Verordnungen, Reglements und Instruktionen, soweit sie ediert vorlagen, und schließlich auf autobiographische Aufzeichnungen.

Hagemann vertritt die These, daß der öffentliche Diskurs im Betrachtungs- zeitraum die bereits bestehenden geschlechterspezifischen familiären Rollenbilder auf die Nation übertragen habe und so das Bild der Nation als Volksfamilie habe entstehen lassen. In Folge der Gleichsetzung des Staates mit dem privaten Haus- halt sei den Männern die Repräsentation des Staates nach außen und damit auch dessen Verteidigung übertragen worden, während die Frauen für den Zusam- menhalt nach innen und somit vor allem für karitative Aufgaben verantwortlich gemacht wurden. Für die preußische Niederlage sei in der Publizistik vor allem der Ehr- und Tugendverlust der Bevölkerung verantwortlich gemacht worden. An-

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knüpfend an die im 18. Jahrhundert geführte Diskussion um Volk, Patriotismus und Nation seien als spezifisch deutsch bezeichnete Tugenden aufgezeigt worden, die es vor allem unter der männlichen Bevölkerung zu stärken gegolten habe, ha- be es diesen doch an Mannesmut und Ehre gemangelt. Im Zentrum männlicher Tugenden habe von nun an der Wehrwillen stehen sollen. Doch auch den Frauen sei ihr Teil am Niedergang zugeschrieben worden. So sei als eine Ursache die all- zu leichtfertige Übernahme französischer Sitten und Gebräuche aufgezeigt wor- den. Daher gelte es, alles Fremde auszumerzen und das urwüchsige, geradlinige

»Teutsche« zu stärken, dessen Verweichlichung bereits in der Beugung des An- fangskonsonanten zum Begriff »deutsch« deutlich geworden sei. Generiert wurde dies Bild von Nation und Geschlechterordnung, wie Hagemann zeigt, vor allem in der Tagespublizistik. Das Sample der 374 von ihr näher untersuchten Autoren zeigt auf, daß diese überwiegend männlich, jünger als 40 Jahre und gebildet waren und auf einen wechselhaften beruflichen Werdegang zurückblicken konnten. Frauen spielten nach Hagemann dagegen kaum eine Rolle in der Tagespublizistik und ak- zeptierten dies Bild überwiegend, wenn sie es, sofern sie sich öffentlich äußerten, auch in Nuancen anders sahen.

Nachdem Hagemann den Ort und die Trägerschaft der öffentlichen Mei- nungsbildung umfassend analysiert und seine Grundzüge in den Kategorien na- tionale Identität, soziale Identität und Geschlecht, Krieg, Nation und Männlichkeit sowie der Nation als Volksfamilie dargestellt hat, untersucht sie seine kollektive Umsetzung im Zuge der Mobilmachung für Krieg und Nation. Die an den männ- lichen Wehrwillen appellierende Aufstellung der Landwehr und die Freiwilligen- bewegung hätten daran ebenso angeknüpft wie die patriotische Wohltätigkeits- bewegung, welche die weibliche Bevölkerung für den Kriegsdienst mobilisierte.

Das Vordringen des Wehrpflichtgedankens habe hinsichtlich der den Frauen zu- gewiesenen Rolle deutlich ambivalent gewirkt: einerseits habe es weitgehend die bereits in den Stehenden Heeren des 18. Jahrhunderts begonnene Ausgrenzung der Frauen aus dem militärischen Verband vollendet, andererseits habe es diese mit der Zuweisung karitativer Aufgaben auf eine neue Rolle verpflichtet, die für das Funktionieren der durch die Wehrpflicht gewachsenen Heere von erheblicher Bedeutung gewesen sei. Dieses neue Geschlechterbild habe seinen Ausdruck auch in den Zeichen von Patriotismus und Wehrhaftigkeit gefunden, wie Hagemann in der anschließenden Analyse darstellt. Vornehmstes Bekleidungsstück sei nun für Zivilpersonen und Militärs die Uniform geworden, für die Frauen sei die Ein- führung einer schlichten, deutschen Nationaltracht gefordert worden, die jeden undeutschen, namentlich französischen Tand entbehren sollte. Die breite Akzep- tanz der Einführung einer Nationalkarde sei ebenso Zeugnis für die weite Ver- breitung, die die neue Nationalidee erfahren hatte, wie die Einführung und Ak- zeptanz des Eisernen Kreuzes; der ersten Auszeichnung, die unabhängig von Stand und Dienstgrad verliehen wurde. Schließlich habe das neue Geschlechter- und Na- tionalbild auch seinen Niederschlag in den zahlreichen Feiern und Festen gefun- den, die den Krieg und das Kriegsende begleiteten: zunächst in den Vereidi- gungsfeiern und Fahnenweihen, dann in den Dank- und Siegesfeiern sowie im Empfang der Krieger, nach geendigtem Krieg im Nationalfest, das am Jahrestag der Völkerschlacht begangen wurde, der Heldenehrung und dem Heldengeden- ken. Im Zentrum aller Feiern, die dem Ernst der Zeit als angemessen empfunden von Zurückhaltung und ehrfurchtsvoller religiöser Demut geprägt sein sollten, ha- be das Militär und die dieses repräsentierende männliche Bevölkerung gestanden.

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Frauen hätten an diesen Feiern aufgrund der ihnen zugewiesenen Rolle nur am Rande, als Repräsentanten des privaten Bereichs in komplementärer Funktion, et- wa als trauernde oder den Heimkehrer begrüßende Kriegerfrauen teilgenommen.

Hagemanns Arbeit schließt, etwas ungewöhnlich, doch methodisch gekonnt, mit einer Bildanalyse von Friedrich Kerstings 1816 geschaffenem Diptychon »Auf Vor- posten« und »Die Kranzwinderin«. In diesen Bildern seien wesentliche Elemente der Entwürfe von Nation, Militär und Geschlecht abgebildet, die abschließend re- sümierend zusammengefaßt werden.

Karen Hagemann ist eine umfassende Analyse der Wechselbeziehungen von Geschlechter- und Nationalbildern in der Zeit der Freiheitskriege gelungen. Ihr Bestreben, auch am Rande der Fragestellung stehende Forschungsdiskussionen umfassend nachzuzeichnen, hat ein Werk entstehen lassen, dessen Lektüre mit 528 Textseiten, 88 Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis inklusive sechs Seiten Per- sonenregister sowie einer Übersichtskarte dem Leser einige Ausdauer abfordert, ihm als Entschädigung dafür aber neben der stringenten Analyse der Fragestellung ei- nen profunden Überblick über das Wesen dieser für das Werden des deutschen Nationalstaates so wesentlichen Epoche bietet.

Stephan Huck

Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften. Bd 1: Schüler, Leh- rer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795). Hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve, Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2002, XXXIX, 864 S. (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 52), EUR 99,- [ISBN 3-412-14700-1]

Endlich liegt er vor: der erste Band der neuen Schamhorst-Ausgabe, der die privaten und dienstlichen Schriften aus der Zeit zwischen 1773 und 1795 enthält. Wenn man sich die Vorgeschichte dieser Edition vergegenwärtigt, insbesondere die zahlrei- chen, aus den unterschiedlichsten Gründen gescheiterten Versuche - all das wird von Michael Sikora in seiner Einleitung dargestellt und braucht hier nicht wie- derholt zu werden - , so empfindet man großen Respekt vor der Arbeitsleistung, die in diesem Band steckt, Respekt vor dem Beharrungsvermögen des Herausgebers ebenso wie vor dem Engagement der Bearbeiter.

Neben den Zielen, die mit dieser Ausgabe verfolgt werden, und den Editions- grundsätzen interessiert hier vor allem auch der mögliche Ertrag dieses Bandes für die zukünftige Forschung. In deutlicher Abhebung von den bisherigen Editi- onsversuchen, die unter dem Aspekt der Vorbildfunktion Scharnhorsts die Her- ausgabe seiner Schriften gewissermaßen als »Denkmal« konzipierten, begreifen die Bearbeiter der vorliegenden Ausgabe ihre Edition als Dokumentation. Dem- entsprechend sollen die Texte nicht nur neue Aufschlüsse über die Biographie Scharnhorsts geben, sondern ebenso »das kritische Interesse an den strukturellen Merkmalen und Bedingungen von militärischer Organisation und Kriegführung, an den Formen der Wahrnehmung und Legitimation kriegerischer Gewalt« be- fördern (S. XXIV).

Die in dem vorliegenden Band gesammelten Texte basieren zu einem großen Teil auf dem handschriftlichen Nachlaß Scharnhorsts, der im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt wird. Darüber hinaus fanden sich Texte in

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den Militärakten des Geheimen Staatsarchivs und in anderen dort aufbewahrten Nachlässen sowie in den Militärakten des Hauptstaatsarchivs Hannover und schließlich auch in Scharnhorsts Geburtshaus in Bordenau.

Ziel der Bearbeiter war es, nahezu alle Zeugnisse, einschließlich knapper Nota- te und Textbruchstücke, deren Urheberschaft Scharnhorst zugeschrieben werden kann, zu publizieren. Neben den Schriften, die von Scharnhorst selbst verfaßt oder verantwortet wurden, sind das auch solche Texte, bei denen er als Schreiber fun- gierte, insofern als diese - wie die Bearbeiter zu Recht bemerken - »seine Spiel- räume als Stabsoffizier« markieren (S. XXVIII). Nicht enthalten sind dagegen jene Schriften - seien es Lehrbücher oder Aufsätze -, die von ihm selbst zum Druck be- fördert worden sind. Ihre Neupublikation bleibt einer (hoffentlich in absehbarer Zeit realisierbaren) zweiten Reihe vorbehalten.

Die Zeugnisse selbst sind chronologisch angeordnet, wobei im Unterschied zur Linnebachschen Briefausgabe von 1914 private und dienstliche Schriften aus guten Gründen nicht getrennt wurden. Einschnitte in der Biographie, die zugleich die Dichte der Überlieferung bestimmen, geben die Orientierung für die Gliederung nach den jeweiligen Kapiteln ab. Die daraus resultierende thematische Schwer- punktsetzung erlaubt es zugleich, den nicht unbeträchtlichen Anteil jener Schriften, die sich nicht eindeutig datieren lassen, mit plausiblen Argumenten einzuordnen.

Noch ein Wort zur Transkription: Sie lehnt sich eng an die Vorlage des Originals an und folgt dem Prinzip der buchstabengetreuen Wiedergabe, wobei im übrigen auch versucht wurde, die äußere Form annäherungsweise zu übertragen, um auf diese Weise die optischen Gliederungselemente der Scharnhorstschen Texte zu be- wahren. Als Hilfsmittel zu deren weiteren Erschließung erhält die Edition Kurz- biographien (gegliedert nach »Menschen um Scharnhorst« und »Scharnhorst und seine Familie«), ein Glossar militärischer und ziviler Fachbegriffe, ein Personen-, Sach- und Ortsregister sowie schließlich ein Stückeverzeichnis.

Worin liegt nun der Gewinn der neuen Ausgabe? Meines Erachtens sind es vor allem zwei Bereiche, über die wir nach Vorlage dieses Bandes umfassendere und genauere Kenntnisse erhalten: das Militärschulwesen und der Generalstabsdienst.

Seit längerem ist sich die Forschung darüber einig, daß Scharnhorsts Leistun- gen auf dem Gebiet des Militärschulwesens, die in der Reorganisation der »Aka- demie für junge Offiziere« und des »Instituts für die Berlinische Inspektion« im Jahr 1805 gipfelten (vgl. S. Fiedler, Scharnhorst. Geist und Tat, Herford, Bonn 1964, S. 192-210), ihn in die Klassiker der Militärpädagogik einreihen. An den hier z.T.

erstmals abgedruckten Denkschriften kann man nun nachvollziehen, wie Scharn- horst seine auf die Bildung des Militärs im allgemeinen und die der Offiziere im besonderen bezogenen Gedanken entwickelt hat. Dabei stand die Lösung prakti- scher Aufgaben jeweils im Mittelpunkt seiner pädagogischen Bemühungen, wobei diese allerdings so ausgewählt wurden, daß sie den jungen Offizieren grundle- gende, d.h. transferfähige Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelten und ihnen da- mit Orientierungsmöglichkeiten für das künftige Handeln eröffneten. Anders for- muliert: das konkrete Beispiel wies immer auf allgemeine Erkenntnismöglichkei- ten zurück und erweiterte auf diese Weise den geistigen Horizont der Schüler. Von daher waren Theorie und Praxis in diesem Bildungskonzept aufs engste mitein- ander verwoben. Das darin zum Ausdruck kommende Bestreben, vorliegende Ant- worten nicht unbesehen zu übernehmen, Ergebnisse zu systematisieren und auf ihre praktische Tauglichkeit zu überprüfen, um auf diese Weise zu neuen Er- kenntnissen zu gelangen, hatte Scharnhorst als wichtigstes Vermächtnis der Jahre

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auf dem Wilhelmstein mitgenommen. Insgesamt belegen die in diesem Band (neu) erschlossenen Texte in vielfältiger Weise die These Stadelmanns, daß die Bil- dungsbemühungen Scharnhorsts mehr der Aufklärung als dem Neuhumanismus verhaftet sind oder wie Stadelmann schreibt: »Sein Ziel ist nicht Umkehr oder Er- neuerung, nicht Reue oder Vollkommenheit, sondern nur - Meisterschaft«. (R. Sta- delmann, Scharnhorst. Schicksal und Geistige Welt, Wiesbaden 1952, S. 167.)

Ein weiterer Bereich, über den wir durch diese Edition detaillierte Aufschlüs- se erhalten, betrifft Scharnhorsts Tätigkeit im hannoverschen Generalstabsdienst und die aus diesem Arbeitszusammenhang hervorgegangenen Verbesserungsvorschläge für die Aufgaben und den Einsatz der Führungsgehilfen. Sowohl die Briefe, in de- nen er seinen Alltag beschreibt oder grundlegende Fragen der Generalstabsarbeit zur Sprache bringt, als auch die Denkschriften, in denen er die künftigen Aufga- ben des Generalstabs darlegt, zeugen davon, daß Scharnhorst bereits sehr früh prä- zise Vorstellungen über die Professionalisierung dieses Führungsinstruments und der dort tätigen Offiziere entwickelt hat. Gegenüber der traditionellen Auffassung, die die Tätigkeit der Generalstabsoffiziere auf den mehr technischen Teil der Krieg- führung beschränkt wissen wollte und von ihnen daher vor allem gründliche, zu- meist durch Kartenstudium erworbene Kenntnisse über die geographischen Ge- gebenheiten des jeweiligen Operationsgebietes forderte, sah Scharnhorst in ihnen die kompetenten militärischen Berater der kommandierenden Generale. Dies setz- te allerdings eine Reform der Generalstabsausbildung voraus. Dementsprechend hieß es in einem 1795/96 entworfenen Memorandum: »Die Beschäftigung des Officiers von Generalstabes muß auser dem Studium der Kriegswissenschaften überhaupt und der Verfaßung der Armee insbesondere, auf die höhere Tactik und den Feld Krieg gerichtet seyn.« (S. 695)

Alles in allem belegen die in diesem Band veröffentlichten Dokumente an zahl- reichen Beispielen die Bedeutung der hannoverschen Jahre für Scharnhorsts spä- tere Reformtätigkeit; sie bestätigen auch das Diktum Droysens, der »die militäri- sche Organisation Preußens« unter Scharnhorst auf den Zeitraum zwischen 1796 und 1813 datiert (J.G. Droysen, Historik, 5.Aufl., Darmstadt 1967, S. 292) und da- mit als einer der ersten auf die Kontinuität der militärischen Vorstellungen Scharn- horsts hingewiesen hat.

Heinz Stiibig

Historische Festungen im Mittelosten der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Hans-Rudolf Neumann unter Mitarb. von Boris Böhm [u.a.], Stuttgart: Fraun- hofer IRB Verlag 2000,243 S„ EUR 50,- [ISBN 3-8167-4726-4]

Der geographisch sperrige Titel vereint die Sammlung von einem Dutzend fe- stungskundlicher Beiträge zu Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Branden- burg. Die meist jüngeren Autoren stellen die Entwicklung überwiegend städtischer Befestigungen dar, wobei Bedeutung und Größe erheblich variieren. Gehören Peitz nahe der Oder und Heldungen an der Unstrut zu den kleineren Anlagen, so sind mit Magdeburg und Erfurt einstmals ganz unter militärischen Gesichtspunkten ausgedehnt gebaute Fortifikationen vertreten.

Ziel des Bandes ist es, »zum besseren Verständnis der besonderen Stadtge- schichte und ihrer aus militärischen Notwendigkeiten heraus entstandenen Bau-

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weisen sowie ihrer historischen Architektur allgemein, ihrer Pflege und ihrer Er- haltung bei[zu]tragen«. Das einzulösen fällt bei Dresden schwerer als bei der säch- sischen Landesfestung Königstein. Dabei ist mehr bei der Residenzstadt über vie- les in Vergessenheit geratene zu berichten und auch durch Ausgrabungen erst in den 1990er Jahren wieder zugänglich geworden, als bei einer in ihrer Bedeutung doch schon allgemein anerkannten Anlage. Doch zeigt das Beispiel der sächsischen Landeshauptstadt auch, daß es nicht ausreicht, eine historische Entwicklung zu refererieren und dazu viele historische Detailbilder, vorzugsweise Pläne, abzubil- den, wenn die Lage der angesprochenen Werkgruppen nicht im Ubersichtsplan markiert wird. Das jedes innerörtliche Festungswerk auflistende Ortsverzeichnis wäre komprimierbar gewesen. Mehr Informationen hätte es dagegen durchgän- gig zum jeweilen Umgang mit den einzelnen Bauten im 20. Jahrhundert sowie der Erhaltungsplanung bedurft. Wenn es beispielsweise bei Heldungen heißt, »seit 1990 werden an der Anlage weitere umfangreiche Sicherungs- und Sanierungsar- beiten durchgeführt« und »begleitet werden diese durch bauarchäologische Un- tersuchungen mit teilweise bemerkenswerten Befunden«, so sollte dies erst der Be- ginn einer detaillierten Darlegung sein, sich darin aber die Feststellung nicht er- schöpfen.

Die zukünftige »Bewährung« von Festungen in Mitteleuropa wird darin beste- hen, deren begrenzten Nutzen und die für sie vergleichsweise hohen Unterhalts- aufwendungen durch einen zunehmenden Informations- und Erlebniswert wett- zumachen. Das kann nicht nur in öffentlicher Trägerschaft (Modell des Landesbe- triebes Festung Königstein) geschehen, sondern bedarf wenigstens komplementär privaten und gesellschaftlichen Engagements. Derartige Strukturen transparent zu machen, an den Ortsbeispielen im einzelnen anzusprechen, somit Art und Weise der Öffentlichkeitsarbeit aufzuzeigen, gehörte zu den Beiträgen. »Nur damit wird die Akzeptanz von Denkmalen als den Quellen und Zeugen der eigenen Geschichte gestärkt«, heißt es nachvollziehbar zum Ende des Beitrages über Peitz, doch wie und was dort dazu geschieht, erfährt man nicht. Übrigens besitzen die Beiträge un- terschiedliche, im einzelnen nicht ermittelbare Entstehungsdaten.

Die Autorinnen und Autoren bieten rasche, nicht immer anschauliche Überblicke, tragen Erkenntnisse aus manch verstreuter Literatur zusammen und das Ganze ist für einen breiteren (Laien-)Kreis geeignet, dem die zahlreichen Fe- stungsrelikte in zentralen deutschen Landschaften zur bewußteren und persönli- chen Wahrnehmung empfohlen sind.

Stephan Kaiser

The Nineteenth Century. Ed. by Andrew Porter and Alaine Low, Oxford, New York: Oxford University Press 1999, XXII, 774 S. (= The Oxford History of the British Empire, 3), £ 30 [ISBN 0-19-820565-1]

The Twentieth Century. Ed. by Judith M. Brown and Wm. Roger Louis, Ox- ford, New York: Oxford University Press 1999, XXVI, 773 S. (= The Oxford History of the British Empire, 4), £ 30 [ISBN 0-19-820564-3]

Das Britische Empire hat Zeitgenossen wie auch spätere Historiker von jeher in- teressiert und fasziniert, und so sehr es inzwischen der Vergangenheit angehört, so

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sehr rückt es in der Form des «Commonwealth of Nations« oder mit seinen ver- bliebenen »schillernden« Relikten wie Gibraltar, St. Helena und den Falkland-In- seln doch immer noch gelegentlich in das alltägliche Bewußtsein.

Angesichts der Rolle, die dieses wohl größte zusammenhängende Weltreich im Laufe der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts gespielt hat, war es daher an der Zeit, die Ursachen seines Aufstiegs und die Mechanismen zu seiner Erhaltung, seine politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung sowie die Gründe für den letztlich nicht aufzuhaltenden Verfall auf der Grundlage neuerer Forschungen ausführlich und zusammenfassend in den Blick zu nehmen. Die älteren Hand- bücher, die dem interessierten Laien wie auch dem Historiker bisher als Leitfaden bei der Orientierung in dessen facettenreicher Geschichte dienten, waren entweder zu »Empire-lastig« oder nach der Freigabe der einschlägigen Akten inzwischen von der Forschung weitgehend überholt.

N u n wäre es angesichts der Vielschichtigkeit und Bandbreite des Themas ver- messen zu erwarten, ein einzelner könne diese Sisyphus-Arbeit bewältigen. Ge- leitet von einem der besten Kenner des Themas, Wm. Roger Louis, haben sich zahl- reiche Autoren - 61 davon allein in den hier vorzustellenden beiden Bänden - be- reit gefunden, in insgesamt fünf Bänden einen tiefen Einblick in die spannende Geschichte des wohl letzten »klassischen« Weltreichs zu geben und dabei zugleich einen eigenen Band - dem hier nicht zu besprechenden Band 5 - der Geschichts- schreibung über das Empire zu widmen. Um es vorweg zu sagen: Dieses Unter- nehmen ist gelungen, und man wird wohl auf Jahre hinaus auf dieses Standardwerk zurückgreifen, um sich zu informieren oder Anregungen für eigene Arbeiten zu finden.

Besonders hervorzuheben sind zunächst allein aus methodisch-inhaltlicher Sicht die »Breite« des Ansatzes, die - für ein Handbuch - oft auch erstaunliche

»Tiefe« der einzelnen Beiträge sowie die zahlreichen sehr informativen Tabellen und Karten. Die »Breite« spiegelt sich bereits in der Gliederung wider: In einem systematischen Teil setzen sich die Autoren zunächst mit den wichtigsten struk- turellen Aspekten der Geschichte des Empire - Ökonomie und Handel, Mission, Kultur und Migration, Politik, Verteidigung und imperiale Einheit - auseinander, u m in einem zweiten Teil in der Form von »Fallbeispielen« die Geschichte der dem Empire angehörenden »Regionen« zu erzählen. Dieser Ansatz, der das Gerüst bei- der Bände ist, überzeugt, wird die facettenreiche Geschichte des Empire dadurch doch aus einer Vielzahl von Blickwinkeln beleuchtet. Diese Bereitschaft, die Per- spektive zu wechseln, d.h. abwechselnd Zentrum oder Peripherie bzw. die koloniale Wirklichkeit »von oben« und «von unten« in den Blick zu nehmen, zeugt von dem Bemühen, kritische Distanz zum »Gegenstand« zu wahren und sich nicht, wie dies zuvor oft der Fall war, von dessen »Größe« oder »Erfolg« in den Bann ziehen zu lassen.

An diesem Ort 61 Beiträge vorzustellen, wäre vermessen, und es sollen daher nur einige Hinweise gegeben werden, wobei, dem Schwerpunkt dieser Zeitschrift entsprechend, Fragen von Krieg und Militär im Mittelpunkt stehen.

Seit jeher, spätestens seit Hobsons Imperialismuskritik, bewegt die Frage nach den ökonomischen Triebkräften alle, die sich mit dem Empire beschäftigen. Nach manchen Aufgeregtheiten vergangener Debatten ist es daher wohltuend, in P.J.

Cains nüchternem Beitrag über die Bedeutung des Empire für die englische Wirt- schaft (Bd 3, S. 31-52) noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, daß dieser - erstaunlich genug - im 19. Jahrhundert zwar zu bedeutend war, um ignoriert zu

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werden, aber zu klein, um die britische Politik entscheidend zu beeinflussen. Die Ursache für dieses vermeintliche Paradoxon ist darin zu sehen, daß alle Kolonien, vor allem die »weißen« Dominions, nie die wirtschaftliche »Kraft« erreichten wie die anderen Märkte, mit denen Großbritannien Handel trieb. Dies änderte sich frei- lich erheblich im 20. Jahrhundert. Gerade die Krisen, die Großbritannien nunmehr in rascher Folge zu bewältigen hatte, ließen, so argumentiert David Fieldhouse überzeugend (Bd 4, S. 88-113), dieses nicht nur zu einem »particularly safe haven for investment« (S. Ill) werden, sondern zwischen 1939 und den 1950er Jahren war es dessen gewachsene ökonomische Bedeutung in der Form des Sterling-Blocks, die sowohl Großbritanniens Status als Weltmacht als auch - soweit dies unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit überhaupt möglich war - den Wohl- stand im Mutterland garantierte.

Gleichermaßen lehrreich sind die Kapitel über die Bedeutung technologischer ' Innovationen für die »Erschließung« und den Zusammenhalt, aber auch für die Verteidigung des Empire - man denke nur an die Errichtung schneller Schif- fahrtslinien, Überseekabel, die seit den 1860er Jahren eine immer schnellere Kom- munikation zwischen der Zentrale und den bis dahin manchmal schwer zu kon- trollierenden »men on the spot« herstellten, oder später Fluglinien (vgl. hierzu vor allem die Beiträge von Robert Kubicek, Bd 3, S. 247-269; Robert A Stafford, ebd., S. 294-345).

Kaum weniger faszinierend zu lesen sind auch die Beiträge zur »Kulturge- schichte«, ob es sich nun um Missionare handelt, die durch ihre erzieherische Ar- beit indirekt zu dessen Zusammenbruch beitrugen, oder um die Rolle des Empire im Alltag. Diese sollte nicht unterschätzt werden, wie John MacKenzie (Bd 4, S. 212-231) deutlich macht. Danach spricht manches für die bereits von George Or- well geäußerte Vermutung, daß »movies and the radio« dafür verantwortlich wa- ren, daß es keinen weitverbreiteten »working-class dissent« gab, und daß »patrio- tism, the Empire, breeding, honour, and discipline, all suffused with reverence for the monarchy« (S. 229). Der aus deutscher Sicht befremdlich wirkende Jubel beim Auslaufen der Task Force zu den Falkland Inseln 1982 hat die mit dem Empire ver- bundenen Emotionen und politischen Wertvorstellungen noch einmal deutlich werden lassen.

Eines der größten Probleme im 19. wie auch im 20. Jahrhundert war das der Verteidigung des Riesenreiches - im Innern und nach außen: Die »Kräfte«, mit de- nen sowohl die unterworfenen Völker zusammengehalten als auch die Grenzen des Empire gegen Rivalen im Zeichen konkurrierender Imperialismen verteidigt werden mußten, waren aus historischen Gründen - Großbritannien verfügte über kein großes stehendes Heer -, finanziellen und allgemeinpolitischen Erwägungen in der Regel außerordentlich gering. Im 19. Jahrhundert versuchten die Regierun- gen in London, dieses Problem entsprechend der internationalen Lage entweder durch eine Konzentration von Truppen in Übersee oder durch eine stärkere Sta- tionierung von Einheiten in Großbritannien selbst zu lösen, wobei stets die Rotte das Rückgrat der Verteidigung darstellte. Je größer die Zahl der Konkurrenten wurde, um so schwieriger gestaltete sich dieses Bemühen jedoch. Am Ende des Jahrhunderts - während des Burenkrieges - fanden sich schließlich auch die Do- minions bereit, zur Verteidigung des Empire beizutragen. Dieser Beitrag Schloß freilich »Reibungen« aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen nicht aus. Vor al- lem die Royal Navy löste immer wieder den Unmut der Dominion-Vertreter aus, da sie deren finanzielle Ressourcen beim Bau neuer Schiffe gerne anzapfte, sich

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aber weigerte, diesen über deren Verwendung ein wirkliches Mitspracherecht ein- zuräumen. Dennoch eilten diese sowohl im Ersten als auch - trotz fortgeschritte- ner Emanzipation - im Zweiten Weltkrieg ausnahmslos zu Unterstützung des Mut- terlandes herbei.

Wie schwierig jedoch die Verteidigung des Empire war, zeigen - längsschnitt- artig - die Beiträge von Anthony Clayton (Bd 4, S. 280-305) sowie von Robert Holland (Bd 4, S. 114-173) und Keith Jeffery (Bd 4, S. 306-328). Hier galt spätestens seit der wilhelminischen Herausforderung Großbritanniens das, was Clayton zu- treffend auf die Formel bringt: »Britain's global presence, indicated by the vast areas of the earth's surface coloured red on the map, created an illusion of global strength which in practice served to obscure realities.« (Bd 4, S. 281) Je stärker zunächst die Bedrohungen von außen, seit dem Ende des Ersten Weltkrieges aber auch von nationalistischen Befreiungsbewegungen im Innern wurden, um so we- niger waren die Verantwortlichen in der Lage, diesen »Spagat« zu bewältigen. Po- litische Abkommen - seien es die Ententen mit Frankreich oder Rußland, die » Ap- peasement«-Politik der 1930er Jahre oder der enge Schulterschluß mit den USA nach 1945 - dienten daher immer wieder dazu, den Verteidigungshaushalt zu ent- lasten. Im Innern wurde diese Strategie ergänzt durch die von Churchill in den 1920er Jahre formulierte Doktrin der »minimum force«. Hierbei machten sich die Verantwortlichen noch viel mehr als im 19. Jahrhundert die Entwicklung der Tech- nik zunutze: Aufstände wurde daher häufig »kosteneffektiv« mit wenigen Flug- zeugen - die oft grausame Realität verschleiernd »policing« genannt -, motori- sierten Verbänden und später mit Hilfe von Marines, die von »commando carriers«

operierten, niedergeschlagen. Am Ende standen diese Operationen, die die Re- gierung bis in die 1960er Jahre zur Stationierung kleinerer oder größerer Armee- und Marineeinheiten in allen Teilen der Welt zwangen, jedoch in keinem Verhält- nis zu den volkswirtschaftlichen Kosten, die sie verursachten. Der 1968 prokla- mierte Rückzug aus allen Regionen »East of Suez« war insofern nicht nur ein wirt- schaftlich kaum zu vermeidender Schritt, sondern auch eine tiefe politische Zäsur.

Von wenigen entlegenen Inseln abgesehen, löste sich das alte Empire nunmehr endgültig auf.

Daß dieses trotz der verheerenden Niederlagen während des Zweiten Welt- krieges, als wichtige Teile des asiatischen Besitzes in die Hände der Japaner gefal- len waren, so lange bestanden hatte, lag nicht zuletzt am Ausbruch des Kalten Krie- ges. Trotz aller antikolonialen Rhetorik, über die auch das Verhalten Eisenhowers in der Suez-Krise nicht hinwegtäuschen sollte, hatten die USA nunmehr ein vita- les Interesse daran, daß sich Großbritannien und sein Empire in die antisowjeti- sche Phalanx einreihten. Daher verlängerten sie dessen »Leben« zumindest auf Zeit durch Kredite, die direkt oder indirekt die Stationierung britischer Einheiten in Übersee finanzierten, aber auch zur inneren Entwicklung und damit Stabilisie- rung der Kolonien beitrugen. Eine - bittere - Konsequenz des Endes des Kalten Krieges war freilich, daß damit diese Hilfe zu versiegen begann, und die nunmehr selbständigen Kolonien eindeutig zu dessen »Verlierern« gehören.

Faszinierend zu lesen sind auch die »Fallstudien«. Am interessantesten sind beispielsweise die Beiträge über Indien - dem »Juwel in der Krone«. Daß diese be- reits zeitgenössische Metapher dessen Bedeutung zutreffend umschreibt, zeigt al- lein die Tatsache, daß sich insgesamt drei Autoren mit Großbritanniens Herrschaft über Indien befassen. Detailliert arbeiten sowohl D.A. Washbrook (Bd 3, S. 395-421) als auch Robin Moore (ebd., S. 422-446) heraus, wie sehr diese Herrschaft einer

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