Chinesische Literati und rehgiöses Verdienst in einer
Inschrift von 1858 auf einem heiligen Berg der Daoisten
im Kreis Pujiang (Provinz Siehuan)
Von Volker Olles, Berlin
Viele Stätten, die den religiösen Traditionen Chinas als heiliger Raum, als
Brennpunkte spiritueller Kraft gelten und Standorte daoistischer und bud¬
dhistischer Tempel sind, waren zur Zeit des Kaiserreichs keineswegs nur für
Idealisten, Weltflüchtige oder geknechtete Bauernmassen interessant. Wie
das hier ausgewählte Beispiel aus der Qing-Dynastie (1644-1911) zeigen
wird, waren es die Vertreter der lokalen Elite aus Bildungswesen und Zivil¬
verwaltung, die zu bestimmten heiligen Bergen oder monastischen Einrich¬
tungen sehr enge persönliche Beziehungen hatten, die auch und gerade über
den Tod der jeweiligen Person hinaus bestehen bleiben sollten.
Die Inschrift einer Stele, aufbewahrt auf einem Berg, der wahrscheinlich
zu den frühesten Zentren der daoistischen Religion gehört, erzählt die Ge¬
schichte der Entstehung eines Tempelgebäudes. Neben einigen Fakten und
Details, die das Gebäude selbst und die Bauumstände betreffen, erläutert
der Text, dessen Hauptteil hier in vollständiger Übersetzung vorgelegt
wird, sowohl die Bedeutung der Lokalität innerhalb der religiösen Tradi¬
tion mit ihren Legenden als auch die konkrete Rolle, die dieser Ort für die
einheimischen Literati spielte. So war der „Unsterblichen-Berg" (xianshan
-fJ) Jj) der Daoisten für die Gelehrten eine beliebte Zuflucht und Quelle der
literarischen Inspiration. Einem auch im heutigen China eifrig gepflegten
Brauch folgend wurden im Anschluss an den eigentlichen Text die Namen
der wichtigsten Stifter und die für den Tempel gespendeten Geldbeträge
aufgelistet. Als Initiator des Bauprojekts lernen wir einen konfuzianischen
Lehrmeister kennen, für den die Errichtung dieses Gebäudes die Erfüllung
seines letzten Wunsches war. Das Bauwerk selbst wurde als ergänzender
Bestandteil einem bereits bestehenden daoistischen Tempel hinzugefügt.
Obwohl es auch Studierzimmer für Examensanwärter enthalten sollte, war
seine Hauptfunktion die einer daoistischen Kultstätte, und die zur Aus¬
stattung zählenden Statuen entsprachen sicherlich ganz der Vorstellung des
Abtes, der den Tempel leitete und auch finanziell am Bau des neuen Gebäu¬
des beteiligt war. Die Inschrift verfasste ein Schüler des konfuzianischen
Lehrmeisters, der selbst Organisator und einer der Hauptstifter war und
mit dem Text vor allem auch seinem eigenen Lehrer ein bleibendes Denkmal
setzen wollte. Dadurch gewinnt die gesamte Darstellung einen sehr persön¬
lichen und bewegenden Charakter.
Der Berg des Langen Herbstes als spirituelles Zentrum
Die chinesische Religiosität hat im Verlauf ihrer langen Geschichte verschie¬
dene Systeme der „religiösen Geographie" hervorgebracht. Man könnte
nahezu jedes Fleckchen Erde, das zu diesem Kulturkreis gezählt wird, als
„heilig" oder zumindest als von einer gewissen vitalen, spirituellen Energie
durchdrungen betrachten.' Die Zentren und Repräsentanten dieses heiligen
Raums^ sind in China vor allem Berge oder Gebirgszüge, und selbst kleinere
Hügel oder bestimmte Felsen werden oft mit der Sphäre des Göttlichen as¬
soziiert. Am bekanntesten sind die klassischen fünf heiligen Berge {wu yue
i ^) des Kaiserreichs. Die chinesischen Buddhisten verehren vier weitere
Berge als Sitz der vier wichtigsten Bodhisattvas, wogegen die Daoisten zehn
große und 36 kleine „Höhlenhimmel" {dongtian )^ ^), von Unsterblichen
beherrschte Paradiese, im Inneren von Gebirgen lokalisieren. Manche die¬
ser religiösen Zentren sind berühmt geworden und werden aufgrund ihrer
herausragenden landschaftlichen Schönheit von ebenso vielen Touristen wie
Pilgern besucht, wobei die Grenze zwischen beiden Besuchergruppen flie¬
ßend ist. Doch neben diesen devisenbringenden Anziehungspunkten gibt
es im ganzen Land, in jeder Provinz, eine Vielzahl von kleineren Bergen
oder Hügeln, die als lokale Heiligtümer über eine ebenso lange Tradition
verfügen und zum größten Teil auch heute noch religiös aktiv sind. Die In¬
schrift, die im Folgenden vorgestellt werden soll, stammt von einem dieser
unbekannten heiligen Berge.
Eine ländliche Heilsbewegung, die nach der von ihren Anhängern in
Getreide zu entrichtenden „Kirchensteuer" „Lehre der fünf Scheffel Reis"
(Wudoumi Dao S-^ ^ it ) genannt wird, gilt als Beginn der organisierten
' Eine besonders ansehauliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik bietet J.
Lagerwey: Der Kontinent der Geister: China im Spiegel des Taoismus. Eine Reise nach
Innen. Ohen/Freiburg i.Br. 199L Nieht für Faehpubhkum gesehrieben, aber dennoeh
eine Fundgrube ist ferner M. Palmer: Geheimes, heiliges China: Ein Führer zu den Mys¬
terien des Reichs der Mitte. Bergiseh Gladbach 1999.
^ Zur Definition dieses so treffenden Begriffs s. M. Eliade: Das Heilige und das Pro¬
fane: Vom Viesen des Religiösen. Frankfurt a.M. 1990, S. 23-60.
Form des Daoismus. Diese Bewegung formierte sich zur Zeit der Östlichen
Han-Dynastie (25-220), und ihr Begründer Zhang Daoling it (über¬
lieferte Lebenszeit: 34-156) steht als erster „Himmelsmeister" {tianshi
am Anfang einer bis in die Gegenwart bestehenden Traditionslinie
des Daoismus.' Die Gemeinschaft war in 24 Verwaltungsgebieten oder
„Diözesen" {ershisi zhi ^ -f- W -;ö) organisiert, deren Mittelpunkte heilige
Berge bildeten, wo sich die Anhänger zur Teilnahme an kollektiven Ritu¬
alen und administrativen Versammlungen einfanden. Die meisten dieser
Diözesen befanden sich auf dem Gebiet der heutigen Provinz Siehuan C9 )\],
und eine Schwerpunkt-Region der Aktivitäten von Zhang Daoling war an¬
scheinend die Präfektur Shu ^, insbesondere die Umgebung der heutigen
Provinzhauptstadt Chengdu !ii ^p.'* Da die Standorte der Verwaltungsge¬
biete, die ihre ursprüngliche Funktion vom 3. Jahrhundert an allmählich
verloren, in mehreren Schriften des daoistischen Kanons {Daozang it. ^)
sowie in zahlreichen geographischen Abhandlungen und Lokalchroniken
verzeichnet sind, lassen sich viele Diözesen bzw. ihre Zentren auch heute
noch lokalisieren. Auf diesen heiligen Bergen wurden in verschiedenen
Dynastien Tempel errichtet, und einige dieser daoistischen oder buddhis¬
tischen Kultstätten sind bis in die Gegenwart erhalten geblieben oder wur¬
den jüngst wieder aufgebaut.^
Der Kreis Pujiang ff jx liegt im westhchen Teil des Sichuan-Beckens,
79km südwestlich von Chengdu. Ungefähr 10km östlich der heutigen
Kreisstadt stößt man auf eine langgestreckte Hügelkette, die eine natürliche
Grenze zum benachbarten Kreis Meishan /f di, Heimat des berühmten
Dichters Su Dongpo II ^ i)k. (1037-1101), bildet. Die höchste Erhebung
(898 m) trägt den Namen „Berg des Langen Herbstes" {Changqiu Shan
^^kih). Nach historischen Chroniken der Region und Quellentexten des
daoistischen Kanons ist Changqiu Shan nur eine andere Bezeichnung für
Zhubu Shan jL Jj oder „Berg des Archivars", und diese Lokalität wird
' Siehe I. Robinet: Geschichte des Taoismus. München 1995, S. 85-117. Zur Person des Zhang Daohng s. V. Olles: Spuren des Himmelsmeisters: Zur Rolle von Zhang Daoling in
der frühen daoistischen Religion. Münster 1998.
Qing Xitai (Hrsg.): Zhongguo Daojiao shi ^ Mit^k. (4 Bde.). Chengdu
1996, Bd. 1, S. 182-184. Zu den Diözesen s. auch V. Olles 1998, S. 40-53 und V. Olles:
„Das Erbe des Himmelsmeisters: der ,Berg des Laojun' in der Provinz Siehuan und seine Bedeutung als daoistisches Heiligtum vom 2. Jahrhundert n.Chr. bis in die Gegenwart."
In: ZDMG 150 (2000), S. 269-277.
* Eine umfassende Monographie zu den 24 Diözesen, die auf deren Geschichte ein¬
geht und im Zuge einer in den meisten Fällen überzeugenden Rekonstruktion auch die
heutige Situation der Standorte behandelt, ist folgendes Werk: Wang Chunwu i .iti:
Tianshi Dao ershisi zhi kao ^ 1^ 'A ^ >Ö ^. Chengdu 1996.
mit dem Zentrum der gleichnamigen Diözese {Zhubushan Zhi i -f4 di >ö)
identifiziert.^ Der Berg gehört somit zu den ältesten Schauplätzen daoisti¬
scher Religiosität, und seine spirituelle Anziehungskraft führte im Verlauf
der Jahrhunderte zum Bau von Tempeln und einer Ansammlung von Legen¬
den, durch die der heilige Raum seine Legitimation erhielt. So schrieb der
Daoist Du Guangting ^t^)^ (850-933), der Anfang des 10. Jahrhunderts
in Chengdu ein systematisches Werk zur sakralen Geographie des Daois¬
mus verfasste,'' über diese Lokalität:
„Die Diözese Zhubu [...] befindet sich im Bezirk Qiongzhou 'J'H, 30 li (ca.
15 km) nordöstlich vom Kreis Pujiang, sie trägt noch den anderen Namen Diö¬
zese Qiuchang ^k. -ft..* Dies ist der Ort, wo der Archivar Wang Xing i ^ und
die Unsterbliche Yang Zhengjian ^ SLßi [zum Himmel] aufstiegen."'
Du Guangting gibt eine recht genaue Lagebeschreibung. Die 30 li Distanz
beziehen sich auf die Kreisstadt, wobei nicht mehr rekonstruiert werden
kann, wo genau die Anfangs- und Endpunkte einer solchen Strecke lagen.
Der genannte Kreis Pujiang ist mit der heutigen Ortschaft identisch,'" und
aufgrund von weiteren Informationen in klassischen Quellentexten und
einigen Relikten auf dem Berg des Langen Herbstes kann der Standort der
ehemaligen Diözese Zhubu (Zhubu Shan) eindeutig festgelegt werden.
Die Erscheinung von einem oder mehreren Unsterblichen, die sich dort
ihrer geheimnisvollen Selbstkultivierung widmeten, Wunder vollbrachten
und sich schließhch in den Himmel erhoben, ist untrennbar mit der Ge¬
schichte aller helligen Berge verbunden. Du Guangting erwähnt in seiner
Abhandlung die beiden für den Changqiu Shan (Zhubu Shan) wichtigsten
Persönlichkeiten dieser Art: Wang Xing und Yang Zhengjian. Nach den
^ Wang Chunwu 1996, S. 2 65-274. Die historische Amtsbezeichnung zbubu wird
u.a. übersetzt als „Recorder" oder „Assistant Magistrate", s. C. O. Hucker: A Dietionary of Official Titles in Imperial China. Taipei 1988, S. 182, Nr. 1413.
' Das Vorwort von Dongtian fudi yuedu mingshan ji il*] ^ TS ift & ;t ^ ih i2. datiert 901; s. F. Verellen: Du Guangting (850-933): Taoiste de Cour d la Fin de la Chine Me¬
dievale. Paris 1989, S. 136.
^ Qiuchang ist die Inversion von Changqiu, dem heute noch gebräuchlichen Namen des Berges. Du Guangting bezeichnet die Diözesen mit dem Zeichen hua lt. anstelle von zhi >^ und folgt damit den Konventionen seiner Zeit, in der zhi als Bestandteil des per¬
sönlichen Namens (Li Zhi ^ ia) von Kaiser Gaozong $i ^ (regierte 650-683) tabuisiert worden war.
TT 599 Dongtian fudi yuedu mingshan ji: Bd. 11, S. 60b. Band- und Seitenzahl bezie¬
hen sieh auf die Edition Daozang (36 Bde.). Shanghai 1996. Die Nummerierung der Titel folgt K. Schipper: Concordance du Tao-Tsang: titres des ouvrages (TT). Paris 1975.
'° Siehe Tan Qixiang ^ <ft (Hrsg.): Zhongguo lishi dituji t S /S J4 S Ä (8 Bde.).
Beijing 1987 (Neudruek von 1996), Bd. 5, S. 65-66 (©4), s. dort auch die Ausschnittskarte
„Umgebung von Chengdu" (0Ö)8).
„Biographien der Göttlichen Unsterblichen" {Shenxian zhuan # \^) von
Ge Hong % i^ (283-363) war Wang Xing ein Zeitgenosse von Kaiser Wu
der Westlichen Han-Dynastie {Han Wudi ;|| ^ 4^, regierte 140-87 v.Chr.).
Er stammte aus dem einfachen Volk, war Analphabet und wurde durch
die Einnahme von großen Mengen einer magischen Pflanze unsterblich."
Vermutlich war es Du Guangting, der Wang Xing zum ersten Mal den
Titel „Archivar" (zhubu) verlieh, um diese Persönlichkeit mit dem Namen
der alten Diözese - „Berg des Archivars" - in Verbindung zu bringen. Eine
umfassende Version der Legende von Wang Xing findet sich in einer daoisti¬
schen Hagiographien-Sammlung aus der Yuan-Zeit (1279-1368). Nach Lishi
zhenxian tidao tongjian /®-ä:A'fJ^^j£jä^ wurde Wang Xing Archivar
in Pujiang, nachdem er mit der Einnahme der magischen Pflanze begonnen
hatte. Tatsächlich ist der erste Teil der Legende fast völlig identisch mit der
Version in den Shenxian zhuan; es wurde quasi eine zweite Erzählung an¬
gefügt, die Wang Xing mit dem Berg in Pujiang verbindet. Es heißt, dass
Wang dann seinen Amtsposten aufgab, um auf dem Changqiu Shan die
daoistische Selbstkultivierung zu praktizieren. Schließlich lockte ihn eine
goldene Kröte {jinchan ^ ^) in eine Höhle, wo er das Elixier der Unsterb¬
lichkeit fand und nach Einnahme desselben am helllichten Tag in den Him¬
mel aufstieg. Die Legende schließt: „Die Menschen späterer Generationen
überlieferten [den Namen dieses Orts] als , Diözese des Archivars', weil
[Wang] Xing dort das Dao i|; erlangte."'^ Viele spätere Texte, so auch die im
Folgenden präsentierte Inschrift, bezeichnen Wang Xing als Persönlichkeit
der Song-Dynastie (960-1279). Möglicherweise liegt hier eine Fehhnterpre¬
tation vor. In der „Enzyklopädie von Siehuan" {Siehuan tongzhi E3 ;il ü. ,^.)
der Ming-Dynastie (1368-1644) wird Folgendes berichtet:
„Der Archivar Wang Xing aus der Han-Zeit war dem Dao zugeneigt. Eines
Tages traf er eine weiße Jade-Kröte, die ihn davontrug, und er stieg an diesem Ort (auf dem Changqiu Shan) ins [Reich der] Unsterblichen hinauf.""
„Weiße Jade-Kröte" ist der Name eines berühmten Daoisten aus der Süd¬
lichen Song-Dynastie (1127-1279) - Bai Yuchan ö i *S. Diese merkwür¬
dige Textstelle wurde von späteren Kompiiatoren als Zusammentreffen von
" Qiu Hexing (Komm./Übers.): Liexian zhuan jinyi. Shenxian zhuan jinyi
fl] . # -f'l' f# 4- Beijing 1996, S. 206L, 348f. Vgl. G. Güntsch: Das Shen-
hsien chuan und das Erscheinungsbild eines Hsien. Frankfurt a.M. u.a. 1988, S. 109f.
12 -p-p 296 Lishi zhenxian tidao tongjian {juan 4- 7): Bd. 5, S. 144ab.
Siehuan tongzhi von 1518 {juan 22: Pujiang xian, shan-chuan ;4 ''^ *f * Ji "1), s.
Wang Chunwu 1996, S. 266. Vgl. Long Teng -^.8^: „Daojiao shengdi -Taiqing Guan
Ü S 1*. — i# W In: Pujiang wenshi ziliao xuanji jx x. 5t ü Pujiang 1986,
Bd. 1,S. 99.
Wang Xing und Bai Yuchan verstanden, und der Archivar der Han-Zeit
wurde darauf in die Song-Dynastie „verschoben". Wahrscheinlich ist die
in der DiaoZijng-Hagiographie erwähnte goldene Kröte (jinchan) die Ur¬
sache dieses Missverständnisses. Beim schnellen Kopieren von Texten kann
das Zeichen jin ^ für „golden" durchaus mit yu i für „Jade" verwechselt
werden, und bei yuchan i *t drängt sich die Assoziation mit dem Daoisten
dieses Namens förmlich auf.
Im Gegensatz zu Wang Xing wird die andere von Du Guangting er¬
wähnte Persönlichkeit auch heute noch von Pilgern verehrt. Die Unsterb¬
liche Yang Zhengjian, die in manchen Texten auch als daoistische Nonne
oder Priesterin (nüguan -k S) bezeichnet wird, stammte aus Meizhou #],
dem heutigen Kreis Meishan, und soll in der Tang-Dynastie (618-907) auf
dem Berg des Langen Herbstes gewirkt haben. Sie sollte im Haus ihrer
Schwiegereltern einen Fisch zum Essen zubereiten, brachte es aber nicht
über sich, das Lebewesen zu töten, und lief fort. Nachdem sie die Schüle¬
rin einer daoistischen Nonne auf dem Changqiu Shan geworden war, fand
sie einen magischen Pilz (fuling iA ^), der anfänglich die Gestalt eines
kleinen Kindes hatte und sich bald darauf als Medizin der Unsterblichkeit
entpuppte. Durch die Einnahme dieser Substanz wurde Yang Zhengjian
unsterblich und erhob sich im Jahre 733 in die himmlischen Sphären.'''
Ihre Popularität verdankt diese Heilige sicher einer weiteren Legende, nach
der sie während der Ära Kaiyuan fni tl (713-741) auf dem wasserarmen
Changqiu Shan eine Quelle fand, auf die sie ein sprechendes weißes Rind
aufmerksam gemacht hatte.'^ Dieses Wasserloch wird bis heute benutzt und
ist als „Brunnen des Weißen Rindes" (Bainiu Jing ^ ^ ^) oder „Brunnen
des Kauernden Rindes" (Woniu Jing Ws^ ^ ^) bekannt. Nach einem anderen
Quellentext fand die Unsterbliche an dieser Stelle ein steinernes Rind,'^ und
diese tangzeitliche Skulptur wird gegenwärtig unter dem Dachvorsprung
eines kleinen buddhistischen Tempels aufbewahrt, der nach der Legende
benannt wurde - „Kloster des Kauernden Rindes" (Woniu Si ^ ^).'^
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" Li Fang ^ u.a. (Komp.): Taiping guangji i. ^ Ä iZ. (10 Bde.) (juan 64). Beijing 1986, Bd. 2, S. 397f. Als Quelle dieser Legende wird Jixian lu ^ -fJji^ angegeben, wobei es sich wahrscheinlich um die Sammlung Yongcheng jixian lu i/i ^ ^. jii von Du Guang¬
ting handelt: TT 783, Bd. 18, S. 165-200. Die Geschichte von Yang Zhengjian ist aber in der überlieferten unvollständigen Version dieses Werks im daoistischen Kanon nicht enthalten. Siehe dazu F. Verellen 1989, S. 208.
" Shu zhong guangji Sl ^ 1^ iZ^,juan 74. In: Yingyin Wenyuan Ge Siku Quanshu fS ^?
y^'MfH^ ß-±t. Edition Taiwan Shangwu o.J., Bd. 592, S. 230b. Vgl. Wang Chunwu
1996, S. 268 und Long Teng 1986, S. 102.
" Cao Xuequan f ^ jk (1574-1647): Shu zhong mingsheng ji ^ 'f ^ ^ Ü (juan 13).
Chongqing 1984, S. 201. Vgl. Long Teng 1986, S. 101.
;|0\Ä
Wie alle Tempelgebäude auf dem Berg des Langen Herbstes wurde auch das
Woniu Si in den 1980er Jahren wieder aufgebaut, es soll hingegen bereits
in der Tang-Zeit gegründet worden sein. Im Jahre 816 schrieb ein gewisser
Lü Qun S # zwei Gedichte an die Wand eines Tempels westlich von Mei¬
zhou, der den Namen Zhengjian Si SLßi^ trug,'* und diese Stätte wird laut
Informationen des Amts für Kulturdenkmäler in Pujiang mit dem heutigen
Woniu Si identifiziert. Dieses buddhistische Heiligtum ist also in der Le¬
gende der daoistischen Unsterblichen Yang Zhengjian'^ verwurzelt - eine
für den heiligen Raum Chinas typische Situation.
Das Zentrum religiöser Aktivität auf dem Berg des Langen Herbstes ist
der daoistische „Tempel der Höchsten Reinheit" (Taiqing Guan auf
dem Gipfel, der nach historischen Inschriften Ende des 10. Jahrhunderts
gegründet wurde.^° Die Lokalchronik von 1878 berichtet:
„Der Taiqing Guan liegt 20 li (ca. 10 km) östlich der Kreisstadt auf dem
Changqiu Shan; dies ist der Ort, wo sich der Archivar ins Reich der Unsterb¬
lichen erhob. Die Bergspitzen ragen smaragdgrün empor in den Wolkendunst,
und immer wenn Morgennebel sie verhüllt, so deutet dies auf starken Regen
hin. Es wird überliefert, dass sich unter dem Buddha-Thron (also unter dem
Sitz der verehrten Statuen) ein Zinnoberschacht (natürliches Vorkommen die¬
ser wichtigsten Ingredienz der daoistischen Alchemie) befinde. Dafür gibt es
aber keine Beweise, und man kann der Sache keinen Glauben schenken."^'
Nach mehreren Phasen der Zerstörung und des Wiederaufbaus wurde der
Taiqing Guan 1927 ein Stützpunkt kommunistischer Bauern-Partisanen,
worauf er 1929 von Guomindang-'Vru^^en verwüstet wurde. Die Überreste
wurden 1958 während der Einrichtung der Volkskommunen abgerissen.
Die lokale Bevölkerung sammelte Geld und baute die Tempelgebäude auf
den historischen Fundamenten wieder auf. 1986 wurden die Kultstätten
unter die Kontrolle des Amts für Kulturdenkmäler gestellt, aber für die
(Guangxu) Pujiang xianzhi (^t •*#) ilf >x it:, juan 2: si-guan Jt. In: Zhongguo difangzhi jicheng t S J4 ^ ,t- Ä k, Siehuan fu xianzhi ji e9 ;i1 U. .*- ^. Chengdu 1992, Bd. 12, S. 841b. Diese Lokalchronik von Pujiang stammt aus dem Jahr 1878; im Folgenden abgekürzt als PJXZ.
'* Die Geschichte von Lü Qun wurde in dem Werk Hedong ji ;°r ^ tL überliefert; s.
Taiping guangji [juan 144), Bd. 3, S. 1033f. Vgl. Ji Yougong if ^ J*: Tangshi jishi # .fe ^ (2 Bde.) (juan 48). Beijing 1965, Bd. 2, S. 731.
" Im S.Jahrhundert kamen der Familienname Yang ^ und das Zeichen zheng SL als
erster Bestandteil des Ordensnamens bei daoistischen Nonnen in dieser Region anschei¬
nend häufiger vor, wie eine Inschrift aus dem Kreis Renshou f- ^ zeigt; s. F.C. Reiter:
„The Taoist Canon of 749 A.D. at the .Southern Indian Belvedere' in Jen-shou District, Szechwan Province." In: ZDMG 148 (1998), S. 117, 123.
^° Long Teng 1986, S. 102; Wang Chunwu 1996, S. 270.
^' ?]XZ, juan 2: si-guan, S.8A2i.
Einheimischen erfühen sie eindeutig eine rein rehgiöse Funktion. Das
Hauptfest des Taiqing Guan findet nach dem traditionellen Kalender am
6. Tag des 6. Monats (im Juli) statt, was dem alten daoistischen Feiertag
Tiankuang jie ^ gp entspricht, der im Jahre 1009 von Kaiser Zhenzong
^ (regierte 998-1022) eingeführt wurde.^^ Die lokale Bevölkerung ge¬
denkt an diesem Tag Yang Zhengjian, der Unsterblichen, die das für die
Landwirtschaft so unentbehrliche Wasser fand, und jedes Jahr zu dieser Zeit
versammeln sich Massen von Pilgern aus den Kreisen Pujiang und Meishan
auf dem Berg.^'
Im Gebiet der ehemaligen Diözese Zhubushan findet man an vielen Stel¬
len historische Felsskulpturen religiösen Inhalts, von denen einige als Werke
der Tang-Dynastie gelten. So wurde auch die Geschichte der Yang Zhengjian
in eine Felswand hinter dem Woniu Si gemeißelt. Auf dem gleichen Felsen
befinden sich an einer höher gelegenen Stelle einige Nischen mit daoistischen
Figuren, die mit frischer Farbe übermalt und - wohl durch die Unwissenheit
der Ausführenden - zu buddhistischen Bildnissen umfunktioniert wurden.
Den wohlbehüteten Höhepunkt dieser Relikte bildet der „Fels des Lao Zi"
(Laojun Yan ^ >g" ^) in der Nähe der Tempel, wo in der Tang-Zeit ein Ab¬
bild dieser Hauptgottheit der Daoisten aus der Wand einer Höhle herausge¬
meißelt wurde. Die recht gut erhaltene Figur wird heute von einer kleinen
Schreinhalle geschützt, die direkt vor die Grotte gebaut worden ist.^"*
Hinter dem Woniu Si befindet sich ein sehr steiler Treppenaufgang, der
zur Zeit meiner Exkursionen dorthin (März und Oktober 1999) leicht über¬
sehen werden konnte, da er so stark von Pflanzen überwuchert war. Dieser
Aufgang ist der direkte Weg auf den Gipfel und trägt den Namen „Treppe,
die in den Himmel führt" (Tongtian Ti ii, A #). Die Treppe endet vor
einem kleinen ebenen Platz unterhalb des Taiqing Guan, und dort steht der
„Pavillon, der sich in die Himmelsweiten erhebt" (Lingxu Ge )^ ^^). Es
handelt sich dabei um das Tempelgebäude, das ursprünglich 1857 vollendet
wurde und von dem die folgende Inschrift berichten wird. Leider ist auch
der Lingxu Ge nicht mehr im Originalzustand erhalten, und der heutige
Bau stammt aus den 1980er Jahren. Was seinen zweiten Namen - „Palast der
Drei Heiligen" (Sansheng Gong S "t") - und die Statuen betrifft, so hat
man sich in diesen Punkten anscheinend an die historischen Vorgaben ge¬
halten. So findet man neben dem daoistischen Patriarchen Lü Dongbin S
^, der zugleich die wichtigste Stelle unter den populären acht Unsterblichen
" Siehe Zhang Zhizhe ^ ^ (Hrsg.): Daojiao wenbua cidian il; läc -(t. ^ Nan¬
jing 1994, S. 949.
" Siehe Wang Chunwu 1996, S. 269, 271.
Wang Chunwu 1996, S. 267, 272fr.; Long Teng 1986, S. 108.
{ba xian A- Jih) einnimmt, die Gottheiten Wenchang Dijun Si % und
Guansheng Dijun Wi^"^^, durch die der literarische und der militärische
Aspekt der traditionellen Kultur repräsentiert werden.-^^ Der Lingxu Ge
wird gegenwärtig in erster Linie als Aufbewahrungs- und Ausstellungs¬
raum für Relikte, die auf dem Tempelgelände ausgegraben wurden, benutzt,
darunter zwei Steinplatten, die zum 1234 aufgestellten Grabstein für einen
daoistischen Abt namens Wu Yuandao ^ iL it gehörten.
Die Stele mit der Inschrift über den Bau des Lingxu Ge wird hingegen
nicht dort aufbewahrt. Sie steht an eine Wand gelehnt in der hinteren Halle
des Taiqing Guan, die „Palast der Mutter des Scheffelsternbilds" {Doumu
Gong ^M't) oder einfach „Halle der Göttin" {Niangniang Dian -i^ ■k%.ü)
genannt wird und durch einen kleinen Hof mit der vorderen „Halle der Drei
Reinen" {Sanqing Dian ^ >^ ^) verbunden ist. Während in der Sanqing Dian
die drei höchsten „himmlischen Ehrwürdigen" {tianzun ^ ^) und Zhang
Daoling, der erste Himmelsmeister, verehrt werden, beherbergt die Niang¬
niang Dian Standbilder der astralen Göttin Doumu, der „Königinmutter
des Westens" {Xiwangmu ^ i ^), des „Wahren Kriegers" {Zhenwu ^ ^)
und einer lokalen Unsterblichen namens Chen Niangniang itL ■!$., die in
der Ming-Zeit im Taiqing Guan als Nonne gelebt haben soll.^^ Der Taiqing
Guan gehört administrativ zu Pujiang, und sein Haupttor in der Sanqing
Dian ist in Richtung dieses Kreises ausgerichtet. Geht man im Inneren des
Tempels über den kleinen Hof und durch die Niangniang Dian, so gelangt
man durch ein weiteres Tor auf einen Pfad, der bergab nach Meishan führt.
Da der Changqiu Shan genau zwischen Pujiang und Meishan liegt, erstreckt
" Zu Lü Dongbin s. Huang Haide ^ ^.t; Li Gang H'\ (Hrsg.): Jianming Dao¬
jiao cidian S,^ ^fi'Ji^^^- Chengdu 1991, S. 99f. und Ma Shutian ,S, t W: Zkiongguo Daojiao zhu shen S j|.l>cs|"#- Beijing ^1998, S. 163-176. Zu Wencbang Dijun und Guansheng Dijun s. F. C. Reiter: Der Tempelberg Ch'i-ch'ü in der Provinz Szechwan, im
China der Gegenwart. Würzburg 1993, S. 118-125; Huang Haide/Li Gang 1991, S. 93,
82f.; Ma Shutian 1998, S. 110-113, 307-317.
2^ Wang Chunwu 1996, S. 270; Long Teng 1986, S. 104.
Zu den Drei Reinen, den Göttinnen Doumu und Xiwangmu sowie dem Wahren
Krieger s. die jeweihgen Erläuterungen in Huang Haide/Li Gang 1991, S. 70-73, 81,
75f., 78f. und Ma Shutian 1998, S. 3-11, 68-72, 50-59, 91-109. Zu Chen Niangniang gibt es nur spärliche Informationen. Die mir zugänglichen Lokalchroniken von Pujiang und Meishan verzeichnen keine Unsterbliche dieses Namens. Aus Hinweistafeln im Taiqing
Guan geht hervor, dass Chen Niangniang die Frau des Großsekretärs Wan An ^ aus
Meishan gewesen ist. Wan An erlangte im Jahre 1448 den Grad eines jinshi i4 i, hatte am Kaiserhof versehiedene Ämter inne und war äußerst einflussreich. Siehe (Minguo)
Meishan xianzhi (R. S) M th juan 7: xuanju il ^. In: Zhongguo difangzhi jicheng,
Siehuan fu xianzhi ji, Bd. 39, S. 591a. Diese Chronik von Meishan (1923) wird im Folgen¬
den als MSXZ abgekürzt. Eine Biographie von Wan An ist aufgezeichnet in Ming shi ^
(28 Bde.) {juan 168: liezhuan H # 56). Beijing 1984, Bd. 15, S. 4522-4525.
sich der sakrale Wirkungsbereich des Taiqing Guan auch auf beide Kreise.
In vielen Tempeln ländlicher Regionen wird beim Einbruch der Dunkelheit
eine Laterne entzündet, die an einem Mast aufgehängt ist. Das Lampenöl
wird von Gläubigen gespendet, und dieses „Himmelslicht" (tiandeng ^ j^)
oder „Zehntausend-Jahre-Licht" {wannian deng % ^- soll in der Nacht
vor unheilvollen Kräften schützen. Aufgrund seiner besonderen geographi¬
schen Lage verfügt der Taiqing Guan über zwei dieser Laternen, von denen
die eine vor der Sanqing Dian der Gegend von Pujiang ihren Schutz ange¬
deihen lässt, während die andere im Innenhof für Meishan zuständig ist.
Sowohl im Taiqing Guan als auch im Woniu Si werden viele Teile von
historischen Statuen und alten steinernen Bauelementen aufbewahrt oder
sind - wie z.B. einige Säulen aus der Qing-Zeit - in die neuen Gebäude
integriert worden. Betritt man die Niangniang Dian vom Hof aus, so fällt
auf der hnken Seite eine mächtige Steinplatte auf, die zwischen allerhand
Gerümpel und Dingen des alltäglichen Gebrauchs schräg gegen die Wand
gelehnt dasteht. Bei näherem Hinsehen stellt sie sich als Stele mit einer recht
gut erhaltenen Inschrift aus dem 19. Jahrhundert heraus, deren Haupttext im
folgenden Abschnitt wiedergegeben wird.
Geleitinschrift zur Errichtung des „Pavillons, der sich in die
Himmelsweiten erhebt" auf dem Berg des Langen Herbstes^^
Setzt man sich für eine [gute] Sache ein, so beschirmt der Segen zehntausend
Familien. Schafft man sich ein Verdienst, dann verweilt der Ruhm hundert
Generationen lang. Was diesen Menschen betrifft, [von dem ich hier berich¬
ten werde], so mag seine Gestalt vergehen, doch sein Geist ist unvergänghch.
Heißt es denn nicht, dass „einer, der zu Lebzeiten ein überragend talentier¬
ter Mensch war, nach seinem Tod ein göttliches Wesen wird?"^'
Die Lokalchronik von Pujiang gibt noch einen Alternativnamen für den Berg an, s.
PJXZ,/«a« l: shan-chuan,S. 759b. In der Chronik von Meishan wird er als M«a:/« Shan ^
■■^lU geführt, s. MSXZ, juan \ : shan-shui Jj S. 481b. Eigene Ergänzungen, die sich aus dem Kontext ergeben, stehen in eckigen Klammern.
Der hier in eine rhetorische Frage eingebettete Kernsatz ist ein Zitat aus der
„Trauerrede auf Shi Manqing" {]i Shi Manqing wen ^ ft X.) von Ouyang Xiu
it P# fl- (1007-1072). Nur das Zeichen si ft für „Tod" oder „sterben" wurde durch das etwas indirektere mo i%. („vergehen") ersetzt. „Manqing" ist der Großjährigkeitsname
von Shi Yannian ^}^^ (994-1041), der ein mit Ouyang Xiu befreundeter Diehter war.
Der berühmte Text fand Eingang in die Sammlung Guwen guanzhi JL^^L. Changsha
1988 (Neudruek von 1997), S. 714-717. Siehe auch Ouyang Yongshu 1% * JS.: Ouyang
Xiu quanji @i^itf±% (2 Bde.). Beijing 1986, Bd. 1, S. 341. Zu Ouyang Xiu s. W.H.
Nienhauser (Hrsg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature. Taipei
Der edle Herr Peng Tiyuan fS iL aus unserer Kreisstadt, ehemaliger
Tributstudent an der kaiserlichen Akademie, ernannt zum Lehrmeister
[an der konfuzianischen Schule von Pujiang], trug den Großjährigkeits¬
namen Chun'an ^ ^ und war der Meister, dessen Belehrungen mir zuteil
wurden.^° Im Jahre 1851 schickte mein Lehrer einen Brief an mich, und so
lautete seine Weisung:
„Was die Acht Ansichten von Pujiang angeht, so ist .Spuren der Unsterblichen
auf dem Berg des Langen Herbstes' (Changqiu xianji -ft. Jt) die bedeu¬
tendste unter ihnen.^' Die daoistische Nonne Yang Zhengjian aus der Tang-
Zeit,der Archivar Wang Xing aus der Song-Dynastie^^ und der Archivar
Qi Min # ^ aus der Ming-Zeit,-''' sie alle stiegen von diesem Berg aus [ins
Reich der Unsterblichen] hinauf, ganz wie es da heißt: .Die [Bedeutsamkeit]
eines Berges liegt nicht in seiner Höhe; bewohnen Unsterbliche ihn, dann ist
er berühmt.'^' Was unsereins betrifft, so stehen Literatur und Bildung nach
Gründung der Großen Qing-Dynastie in blühendem Glanz; auch dieser Berg
wandelte sich auf wundersame Weise, und das literarische Glück entfaltete sich
1988 [second revised edition], S. 639-641. Über Shi Yannian s. Chang Bide % u.a.
(Hrsg.): Songren zhuanji ziliao suoyin ^ A f^ id tt ^ 51. Taipei 1986, Bd. 1, S. 424f.
In der Inschrift erklären kleinere, nach rechts aus dem Haupttext gerückte Zeichen bestimmte Sachverhalte. So weist in diesem Satz hui 1% auf den Vornamen des Verstor¬
benen hin, zi ^ zeigt seinen Großjährigkeitsnamen an, und mit hua ^ verweist der Ver¬
fasser namens Zuo Dianhua i.9k^ auf sich selbst.
Den Grad des Tributstudenten (s. CO. Hucker 1988, S. 294f., Nr. 3467; S. 462,
Nr. 5863 u. 5869) erlangte Peng Tiyuan in der Ära Daoguang i* ^ (1821-1850), s. PJXZ, juan 2: xuanju, S. 806a. Er war Lehrer an der konfuzianischen Schule des Kreises im Rang eines xundao iJi| ^ (s. CO. Hucker 1988, S. 256, Nr. 2761). In der Lokalchronik wird er ferner unter der Kategorie ..Tugendhafter Lebenswandel" (yixing ^ ^-f) geführt und soll Spezialist für das ..Buch der Wandlungen" {Yijing 3] &) gewesen sein. So wird ihm u.a. ein Werk mit dem Titel Yijing cuiyu I; # if zugesehrieben, s. V']XZ,juan i: yixing, S. 824b.
31 ?]XZ,juan 1: ba jing /V f-, S. 769a.
" PJXZ, juan 2: nüxian -k ii*, S. 845ab; dort wird die gesamte Legende aus dem Jixian lu zitiert. Yang Zhengjian soll den magischen Pilz an einer Quelle gefunden haben, und dieser ..Brunnen der Unsterblichen" (xiannü jing ilt^^r-^l^) ist bis heute hinter dem Taiqing Guan am Rand eines Feldes zu sehen, s. PJXZ,/«an 1: guji J^, S. 769a.
" PJXZ, juan 2: xian-shi -fJ- ff , S. 844b.
Qi Min bewunderte seinen Vorgänger Wang Xing und schloss sich einem Daoisten
vom Niuxin Shan (Changqiu Shan) an, der ihm eine alchemistische Substanz zum Ein¬
nehmen gab. Darauf konnte Qi Min sich in die Lüfte erheben, und eines Tages traf er am
„Brunnen der Unsterblichen" (s.o.) eine Fee, die ihn in die himmlischen Gefilde führte, s.
V]XZ,juan 2: xian-shi, S. 844b.
Peng Tiyuan gebraucht hier einen auch noch in der Gegenwart häufig zitierten
Satz aus der „Insehrift über die karge Stube" (Loushi ming ffi 'S. ife), die Liu Yuxi f '] ^ Mi
(772-842) zugeschrieben wird. Siehe Guwen guanzhi, S. 475f. und Bian Xiaoxuan T ^ ^
(Hrsg.): Liu Yuxiji fJ $,ih^.(2 Bde.). Beijing 1990, Bd. 2, S. 628. Zu Liu Yuxi s. W.H.
Nienhauser 1988, S. 592f.
dort. Im ersten Jahr der Ära Qianlong ^ fi (1736) haben sich die Herren Wu Hua'nan ^ -ft, lij und Yang Lianjie ^ ^ tt; auf diesem Berg im Verborgenen
intensiven Studien hingegeben, und beide erreichten hohe Prüfungsgrade, gin¬
gen in den Staatsdienst und wurden berühmte Beamte.-"' In dieser Hinsicht hat
der Berg großen Anteil an der Heranbildung von Gelehrten. Das heutige Klos¬
ter des Kauernden Rindes (Woniu Si) ist der Ort, wohin sie sich zurückzogen und in ihre Studien vertieften.
Steigt man die steinerne Treppe hinter dem Kloster (die Tongtian Ti) hinauf,
so stößt man dort auf eine leere, unbebaute Ebene, über die Geomanten^' im¬
mer wieder gesagt haben: ,An dieser Stelle'^ sollte man einen Tempelpalast der
Drei Heiligen (s.o.) errichten und außerdem ein Turmgeschoss für den Gott
des Literatenglücks (Kuilou ft)-" darauf bauen. Dadurch könnte dieser Berg
[nach geomantischen Gesichtspunkten in der Landschaft] verankert werden,
und auch der ganze Kreis wäre umfassend geschützt. Ferner könnte man in
den beiden Wandelgängen [im Ost- und Westteil des Gebäudes] einige Studier¬
stuben einrichten.' Kommen dann Studenten und Prüfungsanwärter an diesen
Wu Hua'nan wird nach Informationsschriften, die im Taiqing Guan aushängen, mit Wu Shen ^ identifiziert; „Hua'nan" wäre demnach sein Großjährigkeitsname. Wu Shen
stammte aus Meizhou, wurde aber im Studienregister des Kreises Jiajiang ^ ;x (Zhong¬
guo lishi dituji, Bd. 8, S. 39-40, (<i)8) geführt. Er erlangte den Grad des Bakkalaureus oder
juren imJahre 1731 und 1736 den eines jinshi, s. (Minguo) Jiajiang xianzhi (R, H) ^
llf. (1935), juan 7: jinshi/juren. In: Zhongguo difangzhi jicheng, Siehuan fu xianzhi ji, Bd. 38, S. 109a, 110b. Wu Shen bekleidete das Amt des Kreisvorstehers (CO. Hucker
1988, S. 158, Nr. 993) von Laishui ?K in der heutigen Provinz Hebei J'F it (Zhongguo lishi dituji, Bd. 8, S. 7-8, v'(i)4), s. lASXZ,juan 11: lieshi H i, S. 670a. In der Chronik von Pujiang ist ein Gedicht von ihm mit dem Titel Taiqing Guan enthalten, s. PJXZ,;'««« 5:
qiyan jueju -t 's ,^ S. 915ab.
Yang Lianjie aus Pujiang errang den Grad des juren im Jahre 1735 und wurde Kreis¬
vorsteher von Jinhua in der Provinz Zhejiang W\ ;x (Zhongguo lishi dituji, Bd. 8,
S. 31-32, (.5:4). Zusätzlich fungierte cr 1752 als außerordentlicher Prüfer (tong kaoguan
n4t,s. CO. Hucker 1988, S. 277, Nr. 3154 u. S. 553, Nr. 7464) für den zivilen und
militärischen Bereich bei der Provinzprüfung von Zhejiang. Yang Lianjie wurde auch in der Hauptstadt bekannt, da er einem seiner Prüflinge, der später aus der Palastprüfung als
Examensbester (zhuangyuan tl) hervorging, die Erscheinung eines glücklichen Omens
im kaiserliehen Garten vorausgesagt hatte: eine „tausendjährige Schildkröte - leicht wie Asche" (qiannian gui qing ru hui -f ^- ik^i^ -fe)- Siehe PJXZ, juan 3: huanda "ß" ii, S. 819b und juan 3: yixing, S. 824a.
Der hier gebrauchte Terminus shan fengjian zhe # SL Iß ^ weist eigentlich auf
Experten der Physiognomik (xiangshu |9 Wi) hin. Da die zitierten Menschen aber den
Bauplatz für ein Gebäude begutachten, kann es sieh nur um Spezialisten für fengshui handeln.
Im Text steht xue Ä., was eigentlich „Loch", „Höhle" oder „Akupunkturpunkt"
bedeutet.
Es handelt sich dabei um die astrale Gottheit Kuixing [^ 1. oder ^ 3.], die eine der 28 zodiakalen Konstellationen (xiu ^s) repräsentiert und literarisches Prüfungsglüek ge¬
währen soll; s. F.C. Reiter 1993, S. 28L, 32,41, 85; Huang Haide/Li Gang 1991, S. 85f.;
Ma Shutian 1998, S. 114-118.
Ort, um ihren Studien nachzugehen, so wird der i^lare Klang ihrer Rezitatio¬
nen aus den klassischen Schriften im Himmel die Gottheiten und auf Erden
den Berggeist erschüttern. Inspiriert erst der Himmel ihren Herzensgrund,
werden sie gewiss zu Verständnis und Erleuchtung gelangen. Wenn dann einer
das Turmgeschoss Kuilou hinaufsteigt und seinen Blick in die weiten Fernen
unseres Reiches schweifen lässt, wo der Ausblick hundert, ja tausend li weit
reichen kann; womit könnte man diesen Ansporn seiner Entschlossenheit
noch vergleichen?
Nur bin ich jetzt schon zu alt und nicht mehr in der Lage, [dieses Bauvor¬
haben] zu verwirklichen. Deshalb betraue ich die Mächtigen, die gerecht sind,
mit der Umsetzung dieser Pläne."
Als ich zehn Tage später die Weisung meines Lehrers las, [...] konnte ich mich
beim besten Willen nicht um die Sache bemühen, da in Shoushi # "ffi"'" gerade
eine Pontonbrücke gebaut wurde und noch keine Arbeitskräfte frei waren.
Letztes Jahr, im Sommer 1856, lud ich einige enge Freunde ein, gemein¬
sam den Berg zu besteigen, um [den Bauplatz] zu beurteilen, und wir alle be¬
rieten und einigten uns mit Zuo Bentai iE. ^ dem dortigen Abt. Darauf¬
hin berichtete ich meinem Lehrer von der Ausführung seiner Weisung, doch
war er schon über 80 Jahre alt, und die Altersschwäche ergriff allmählich von
ihm Besitz. Als er aber von diesen Plänen hörte, war er voller Freude und
gab mir erneut auf die liebenswürdigste Art Anweisungen für den Bau. So¬
dann warb ich mit Gleichgesinnten [...] um Spendengelder und versammelte
alle Handwerker aus den [umliegenden] Dörfern. Im Verlauf einiger Mo¬
nate wurde die Haupthalle mit drei Abteilungen neu errichtet. Im mittleren
Teil formte man [aus Lehm] die goldenen Abbilder der Drei Heiligen (s. o.),
links entstand [eine Statue] des Vollkommenen Qiu {Qiu Zhenren ^ ^ K),
und in der rechten Abteilung wurde [ein Abbild] des Vollkommenen Zhang
{Zhang Zhenren K) geschaffen.'*' Vor den Standbildern [erstreckt sich]
*° Bei Shoushi handelt es sich wahrscheinlich um den bis heute bestehenden Markt¬
flecken Shouan # der 30 li (ca. 15km) östlich der Kreisstadt liegt, s. PJXZ, juan 1:
shizhen ift, S. 773 b.
'" Bei dem Vollkommenen Qiu handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um
Qiu Chuji :6lA^ (1148-1227), den Patriarchen der Longmen ift -Schule des Daois¬
mus, deren monastische Zentren die Tradition der alten Diözesen fortsetzen. Der Voll¬
kommene Zhang steht sicherlich für den geheimnisvollen Daoisten Zhang Sanfeng
^ ^ (Yuan- und Ming-Zeit), der unter anderem auf dem heiligen Berg Wudang Shan
^ gelebt haben soll. Beide (Qiu 1269 und Zhang 1459) wurden von Kaisern mit
Ehrentiteln belehnt, die sie als Vollkommene (zhenren) ausweisen. Siehe Huang Haide/
Li Gang 1991, S. 141f., 147L Ma Shutian 1998, S. 267-285, 286-298. Zu Qiu Chuji s.
auch F.C. Reiter: „Ch'iu Ch'u-chi, ein .Alchemist' im China des frühen 13. Jahrhun¬
derts. Neue Gesichtspunkte für eine historische Bewertung." In: ZDMG 139 (1989), S. 184-207 und F.C. Reiter: „A Praise of Buddha by the Taoist Patriareh Ch'iu Ch'u- chi (1148-1227) and ks Souree." In: ZDMG 143 (1993), S. 179-191.
eine Halle zum Darbringen von Verehrungen [über die ganze Breite der]
drei Abteilungen. Man baute den Turm für den Gott des Literatenglücks
{Knige ^ fA) mk drei Stockwerken''^ in die Höhe, wobei man [eine Figur]
dieser Gottheit {Kuishen ^ #) im oberen Geschoss und [eine Statue] des
Magischen Ahnen {Lingzu 2 im mutieren Stockwerk errichtete. In
den beiden [Wandelgängen]'''' wurden sechs [Studierzimmer eingerichtet].
Insgesamt wurde eine Summe von über 400 Schnüren Kupfermünzen [für
den Bau] ausgegeben.''^
Kurz nachdem sein Verdienst zur Vollendung geführt worden war, ver¬
schied mein Lehrmeister. Doch ich erinnere mich, dass mein Lehrer selbst
zu der Zeit, als seine Krankheit schon sehr schwer war, nie über familiäre
[Angelegenheiten] sprach [...]; seine Pläne und Sorgen gahen einzig und al¬
lein dem verdienstvollen Werk [des Tempelbaus] auf diesem Berg. Nun ist
mein Meister zwar von uns gegangen, aber seine wahre Seele wird gewiss
für immer auf diesem Unsterblichen-Berg verweilen. Und wie sollte es auch
möglich sein, dass jemand, der zu Lebzeiten ein überragend talentierter
Mensch ist, nicht [eines Tages] stirbt, um ein göttliches Wesen zu werden?''^
So sollen nun die Namen aller Wohltäter in Stein gemeißelt werden, auf
dass sie nicht vergehen. Aus diesem Anlass habe ich den Bericht über Ur¬
sprung und Hintergründe [dieses nun vollendeten Werks] dargelegt und ihn
als Einleitung an den Anfang dieser Steleninschrift gestellt.
Verfasst vom „Herrn der Brokathalle" Zuo Dianhua iE. ü ^, Literat aus der
Kreisstadt''^
Die drei Stockwerke sind einschließlich des Erdgeschosses zu verstehen; das Ge¬
bäude hatte also nach „westlicher" Zählung zwei Etagen.
Mit Lingzu ist die Schutzgottheit Wang Lingguan l.'S.'t, der „Magische Beamte Wang", gemeint. Dieser Wächter ist in der ersten Halle sehr vieler daoistischer Tempel zu
finden; oft befindet sich seine Statue in einer erhöhten Position (so auch hier im Lingxu Ge) oder sogar auf dem Dach der Eingangshalle, s. F.C. Reiter: „Some Notices on the .Magic Agent Wang' (Wang ling-kuan) at Mt. Ch'i-ch'ü in Tzu-t'ung District, Szechwan Province." In: ZDMG 148 (1998), S. 323-342; Huang Haide/Li Gang 1991, S. 81 f.; Ma Shutian 1998, S. 325-329.
'•'' Diese überdachten Gänge im Osten und Westen umsehließen oft einen Innenhof, der im Norden und Süden wiederum von den Hallen begrenzt wird.
'" Im Text erscheint das Zeichen chuan #1 („Armreif", „Armband"), das in diesem Kontext als chuan $ („Schnur", „Geldschnur") gelesen werden muss. Auf einer solchen
Schnur waren 1 000 Kupfermünzen aufgereiht, so dass die angegebenen Baukosten sich
auf über 400000 Kupfermünzen beliefen, s. W. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole:
die Bildsprache der Chinesen. München 1989, S. 105 („Geld"), 169 („Kupfer").
Hier wird in leicht abgewandelter Form wieder das Zitat von Ouyang Xiu ange¬
führt, s.o. (Anm. 29).
(Es folgt die Auflistung der wichtigsten Stifter mit Name und Titel. Daran
anschließend werden weitere Personen und die jeweils gespendeten Geld¬
beträge genannt. So stellte z.B. der Abt Zuo Bentai 20000 Kupfermünzen
zur Verfügung. Diese Liste wurde möglicherweise auf der Stelenrückseite
weitergeführt, was aber nicht nachgeprüft werden konnte.)
Aufgestellt am ersten Tag des zwölften Monats im siebten Jahr der Regierungs¬
devise Xianfeng ^ ^ unter der Großen Qing-Dynastie (15. Januar 1858)*^
Konklusion
Diese Geleitinschrift ist das einzige erhaltene Dokument, das uns heute
Aufschluss über Zeit und Umstände der Errichtung des Lingxu Ge geben
kann. Ob dieses sakrale Gebäude einen älteren Vorgängerbau hatte, ist nicht
mehr zu klären; Inhalt und Diktion des Textes sprechen jedenfalls nicht
dafür. Solche „Gedenktafeln der Verdienste und Tugenden" (gongde bei
*^), beschriftet mit Namen und Spendensummen, sind aus der religiösen
Landschaft Chinas nicht wegzudenken und werden auch in der Gegenwart
Bei „Herr der Brokathahe" (Jintang shi ^) scheint es sich um ein Pseudonym
des Autors zu handeln. Zuo Dianhua wird in der Chronik von Pujiang unter der Kate¬
gorie „Wohltätige Handlungen" (yixing Jk ^t) geführt, wo man erfährt, dass er offizieU
registrierter Student bzw. Prüfungsanwärter (xiangsheng ß- ±, s. CO. Hucker 1988,
S. 233, Nr. 2347 und S. 420f., Nr. 5193) an der örtlichen konfuzianischen Schule und ein freigebiger, in allen Belangen fähiger Mensch war, der als Initiator vieler Projekte wirkte.
In dieser Chronik von 1878 wurde vermerkt, dass Zuo Dianhua bereits verstorben war
und dass sich die alten Menschen voller Bewunderung an ihn erinnerten. Als die be¬
kanntesten seiner Bauprojekte werden der Ahnentempel Hangong Ci ^ -i^ und das
Festungsdorf Zhongping Zhai ^ genannt, die nicht in der Chronik verzeichnet sind,
s. ?]XZ, juan 3: yixing, S. 828a. Es bleibt zu klären, ob es sich bei Zhongping Zhai um die Anlage Taiping Zhai -f- S auf dem Bergzug Zhongping Shan 't' if- JLt im Grenzge¬
biet zwischen Pujiang und Meishan handelt. Mit dem Bau dieses Festungsdorfes, das der lokalen Elite als Zuflucht vor Unruhen dienen sollte, wurde 1854 begonnen, und seine
Ruinen sind noch heute sichtbar, s. Pujiang xianzhi bianzuan weiyuanhui f# ;x ^
^ S ■^(Hrsg.): Pujiang xianzhi ix Chengdu 1992, S. 673. In jener unruhigen
Zeit stellte sicher das Vordringen der Taiping-Rebellion (1850-1864), die in ihrer letzten
Phase der Gegend von Chengdu gefährlich nahe kam, den Hauptgrund für derartige
Schutzmaßnahmen dar, s. J. Gernet: Die chinesische Welt: die Geschichte Chinas von
den Anfängen his zur Jetztzeit. Frankfurt a.M. 1988, S. 462f.
Das siebte Jahr der Ära Xianfeng erstreckt sich zum größten Teil über den Zeitraum des Jahres 1857, und der Text bezieht sich auch darauf, wenn von 1856 als „letztem Jahr"
die Rede ist. Der Bau des Lingxu Ge muss folglich in den Jahren 1856/1857 stattgefunden haben. Da aber im fragliehen Jahr der 16. Tag des 11. Monats (chinesiseher Kalender) dem 31. Dezember 1857 entspricht, liegt das Datum der Stelenaufstellung bereits im Jahr 1858.
wieder massenhaft aufgesteht. Historische Stelen wurden zuweilen auch an¬
lässlich von Ritualen für verstorbene Stifter errichtet,'*^ und die Inschriften
in Form von „Aufzeichnungen" (ji iL) oder „Geleitworten" {xu /f) - um nur
zwei sehr häufige Gattungen zu nennen - bieten neben Auskünften über die
Persönlichkeit des Gönners wertvolle Informationen über den geschichtli¬
chen, religiösen und legendären Kontext des neu erbauten oder renovierten
Heiligtums. Inschriften auf „Metall und Stein" {jinshi ^) zählen daher
zum wichtigsten Quellenmaterial bei der Erforschung der einheimischen
Religion Chinas, und es ist der Arbeit von chinesischen Gelehrten zu ver¬
danken, dass inzwischen umfangreiche Sammelwerke mit solchen Texten
verfügbar sind.^° Anspruch auf Vollständigkeit können diese Werke freilich
nicht erheben, und auch in Zukunft werden gewiss immer wieder Stelen mit
historischen (und manchmal auch gefälschten) Inschriften gefunden werden.
Dabei zählt das hier ausgewählte Beispiel noch zu den leicht aufzufindenden
Exemplaren, die auf dem Gelände von bewohnten, aktiven Tempeln auf¬
bewahrt werden. Es ist kaum vorzustellen, wie viele solcher Gedenktafeln
noch unter der Erde ruhen oder - nachdem sie den Bilderstürmern der
jüngeren und jüngsten Geschichte Chinas zum Opfer gefallen waren - als
Bauelemente zweckentfremdet wurden.
Die Geleitinschrift zur Errichtung des Lingxu Ge erfüllt neben der Uber¬
lieferung der Baugeschichte dieses Monuments in erster Linie die Funktion
eines Denkmals für den konfuzianischen Lehrmeister Peng Tiyuan, ein Mit¬
glied der lokalen Bildungselite. Auf persönlicher Ebene brachte sein Schüler
Zuo Dianhua auch ein gewisses Maß an Reue in diesem Text zum Ausdruck,
da der Herzenswunsch seines Lehrers nicht sofort ausgeführt werden konnte
und das Projekt erst kurz vor dessen Tod konkrete Gestalt annahm.
Die Idee vom religiösen Verdienst {gongde l€-) zeigt sich hier als ver¬
bindendes Element zwischen den konfuzianischen Literati und der Sphäre
daoistischer und buddhistischer Frömmigkeit. Dabei beruht dieses Verdienst
durchaus auf Gegenseitigkeit: Der „Unsterblichen-Berg" mit seinen Tempeln
war für die Gelehrten eine Zuflucht und zugleich Quelle der literarischen
Inspiration. Die Literati zeigten sich durch die Errichtung oder Renovie¬
rung von sakralen Gebäuden erkenntlich. Natürlich repräsentiert der Berg
des Langen Herbstes auch ein wichtiges Stück Lokalgeschichte des Kreises
Für ein Beispiel aus der späten Tang-Zeit s. T.H. Peterson: „Recorded for the
Ritual of Merit and Virtue for Repairing the Various Observatories of Ch'ing-ch'eng Mountain." In: Taoist Resources 6.1 (1995), S. 41-55.
'° Als Standard gilt Chen Yuan is. (Komp.): Daojia jinshi liie ii ^ ^ ^
Beijing 1988. Speziell der Region von Siehuan gewidmet ist Long Xianzhao H ^ BS;
Huang Haide ^ 'it (Hrsg.): Ba-Shu Daojiao beiwen jicheng C ^ii.lt*^X.vft^.
Chengdu 1997.
Pujiang, und die Pflege des kulturellen Erbes war eine ehrenhafte Betätigung,
die das gesellschaftliche Ansehen der Stifter hob. Die Art der „Unsterbhch¬
keit", die Peng Tiyuan für sein Verdienst zuteil werden soll, ist durchaus im
klassisch konfuzianischen Sinne zu deuten: Dem Lehrmeister sollte durch
die Überlieferung seines Namens (ming ^) und seiner guten Werke ein blei¬
bendes Andenken geschaffen werden. So äußerte schon Konfuzius (551-479
v.Chr.) in seinen „Gesprächen" {Lunyu i^if): „Der Edle hasst (den Gedan¬
ken), die Welt zu verlassen, ohne dass sein Name genannt wird."^'
Der Berg des Langen Herbstes war schon zur Zeit der Song-Dynastie
bevorzugter Aufenthaltsort eines großen konfuzianischen Gelehrten: Wei
Liaoweng ^ J m (1178-1237) errang 1199 den Grad eines jinshi, diente in
verschiedenen Amtern und gründete in seiner Heimatstadt Pujiang eine
Akademie {shuyuan '$ P^). Er war Anhänger der „Schule des Prinzips"
{Lixue S ^) in der Tradition von Zhu Xi ^ ^ (1130-1200)." Wei fand
Gefallen an der landschaftlichen Schönheit des Berges, und in unmittelbarer
Nähe des Taiqing Guan wurde für ihn der „Pavillon des Herbstberges" {Qiu-
shan Ge ^kthfA) gebaut, wo er sich seinen Studien widmete und Gedichte
schrieb. Von diesem Gebäude finden sich heute keine Spuren mehr, aber
Wei Liaoweng ist nicht in Vergessenheit geraten. Hinter dem Taiqing Guan
werden in der „Halle der versammelten Tugendhaften" {Qunxian Dian # ^
^) Statuen dieses Gelehrten und anderer Mitglieder seiner Familie verehrt.
Ein von Weidenbäumen beschatteter kleiner Teich unterhalb dieser Halle
trägt den Namen „Weiher zum Auswaschen der Tusche[pinsel]" {Ximo Chi
ik. '5- Ä) und gilt als Relikt von Wei Liaowengs literarischen Aktivitäten auf
diesem Berg."
Auch in der Qing-Dynastie war der Changqiu Shan ein Anziehungspunkt
für die lokalen Literati, und der Tempelberg inspirierte sie zum Verfassen
zahlreicher Gedichte. Im späten 18. Jahrhundert wurden die beiden Laternen¬
masten des Taiqing Guan (s. o.) aufgestellt, nach denen eine dort gegründete
Lehranstalt „Himmelslicht-Akademie" (Tiandeng shuyuan [k.) ge¬
nannt wurde. Bei dieser nahtlosen Verschmelzung von religiöser Tradition
und konfuzianischer Gelehrsamkeit ist es also keineswegs verwunderlich,
dass Studierstuben für Examensanwärter Bestandteil der daoistischen
" Zitiert nach R. Wilhelm (Hrsg./Übers.): Kungfutse: Gespräche. Lun Yü. München 1994 [6. Aufl. d. Neuausg.], S. 158: XV, 19 (Der Edle. III: Unsterblichkeit).
" Siehe PJXZ, juan 3: Lixue, S. 814a-818a. Eine Einführung zu Wei Liaoweng bie¬
tet Cai Fanglu ^ ^ ^: „Wei Liaoweng." In: Jia Shunxian ^ ^t,; Dai Dalu
(Hrsg.): Siehuan sixiangjia W ;il ,S « ^. Chengdu 1988, S. 304-327.
" Wang Chunwu 1996, S. 271f.; Long Teng 1986, S. 103f. Eine Beschreibung des
Ximo Chi ist enthalten in MSXT,, juan 1: shan-shui, S. 481b.
Tempelhalle Lingxu Ge waren. ImJahre 1810 bestieg eine Gruppe von Lite¬
rati, unter ihnen auch Peng Tiyuan, anlässlich des Chong-yang $ 1^ -Festes
(am 9. Tag des 9. Monats nach dem traditionellen Kalender) den Berg. Jeder
von ihnen verfasste ein Gedicht, in dem ein vierfacher Reim auf der Grund¬
lage von vorher bestimmten Zeichen vorkam. So entstanden sieben Gedichte,
denen die sieben Schriftzeichen des Satzes „Zum Chongyang-Fest die Höhen
des Changqiu Shan erklimmen" (Changqiu Shan Chongyang deng gao -h^kdi
1 1^ Ä) zugrunde liegen. Zusammen mit einigen Ergänzungen wurden
diese Gedichte damals in Stein gemeißelt, und diese Inschrift ist bis heute auf
der Innenwand der Halle Sanqing Dian zu sehen.^''
Sollten es nur Traditionsbewusstsein, die Freude an der schönen Land¬
schaft und ein gewisser ästhetischer Reiz gewesen sein, die Gelehrte wie
Peng Tiyuan mit einem heiligen Berg wie dem Changqiu Shan verbanden?
Wohl kaum. Die oben vorgestellte Inschrift zur Errichtung des Lingxu Ge
lässt eine enge Verflechtung der Literaten-Ideale mit religiösem Denken
erkennen. Man kann sicherlich nicht bei jedem Mitglied der damaligen
Beamtenschaft einen spirituellen Impetus voraussetzen, aber es darf nicht
übersehen werden, dass synkretistische religiöse Vorstellungen aus Bud¬
dhismus und Daoismus selbstverständlich auch zum Weltbild der gebildeten
Schichten gehörten. Menschen wie Peng Tiyuan und seine Vorgänger fanden
Unterkunft und Inspiration in den monastischen Einrichtungen. Wenn sie
dann ihrer Dankbarkelt Ausdruck verliehen, so geschah das in Form einer
religiösen Handlung: Sie ließen sakrale Gebäude errichten, deren Struktur
und Statuenbestand ganz den rituellen Bedürfnissen der jeweiligen Religion
entsprach. So galt folglich für den Lingxu Ge der Standard eines daoisti¬
schen Heiligtums, der beim Bau zusammen mit geomantischen Regeln exakt
eingehalten wurde. Dadurch erst wird die Ansammlung von religiösem
Verdienst (gongde) ermöghcht, an der Peng Tiyuan und die anderen Stifter
ebenso teilhaben wie an der Überlieferung ihres guten Namens (s. o.). In der
Idee von gongde verbindet sich das Streben nach gesellschaftlicher Anerken¬
nung mit religiöser Hoffnung.
Viele Literati hatten eine besondere Beziehung zum heiligen Raum und
unterstützten großzügig buddhistische und daoistische Tempel. Mitunter
kam es auch im Gedankengebäude und in den Schriften solcher Persön¬
lichkeiten zu einer Vermischung von konfuzianischen, buddhistischen und
daoistischen Ideen. Als herausragendes Beispiel für die Region von Siehuan
kann der Akademiker Liu Yuan f'J ik. (1768-1855) genannt werden, der auf
der Basis von konfuzianischer Ethik und daoistischer „spiritueller Alche-
5" Long Teng 1986, S. 104-106.
mie" (neidan f*l •^) eine eigene Lehre entwickehe, die in eine volksrehgiöse
Bewegung namens Liumen jiao f'J H mündete.In zahheichen Tempel¬
anlagen der Stadt Chengdu und ihrer Umgebung veranstalteten die Anhän¬
ger der „Liu-Sekte" an bestimmten Feiertagen große Zeremonien, deren
Liturgie sich aus traditionellen daoistischen Ritualen zusammensetzte. Zu
den Heiligtümern, deren Renovierung Liu Yuan und seine Nachfahren er¬
möglichten, gehört auch eine Lokalität, die zu den 24 Diözesen des frühen
Daoismus zählt: der „Berg des Herrn Lao (Lao Zi)" (Laojun Shan >h)
im Kreis Xinjin l)f i^, den man auf der Fahrt von Chengdu nach Pujiang
passiert.Es soll in dieser Abhandlung nicht weiter auf das Phänomen der
„Verschmelzung von Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus" (sanjiao
he yi l-^'^ —) eingegangen werden. Synkretistische Tendenzen durchzie¬
hen Geschichte und Gegenwart der chinesischen Religiosität, und das Auf¬
treten der „Liu-Sekte" ist nur eine von vielen Manifestationen davon.
Was Persönlichkeiten wie Peng Tiyuan und die anderen Stifter des
Lingxu Ge betrifft, so waren sie keine schillernden Gestalten wie Liu Yuan
und haben auch keine eigene religiöse Gemeinschaft gegründet. Doch offen¬
sichtlich war für sie ein heiliger Berg wie der Changqiu Shan mehr als nur
ein „Konservator für die Vergangenheit",^'' und die Vertreter der konfuzia¬
nischen Beamtenschaft waren sicher viel stärker in das religiöse Leben ihrer
Zeit involviert als häufig angenommen wird.
" Eine umfassende Darstellung findet sich in M a Xish a .S7 ® 'if; Han Bingfang #
■7}: Zhongguo minjian zongjiao shi t S R. F-T ^ ^ Shanghai 1992, S. 1351-1385.
" Siehe dazu V. Olles in: ZDMG 150 (2000), S. 269-297, besonders S. 284L Wang
Chunwu 1996, S. 188, 191. Yan Kaiming ^ S3 b^: „Liu Yuan yu Tianshe Shan Laojun
Miao f ') # Ä. ill In: Chengdu wenshi ziliao xuanji Ä 4ip X. ^ tt iS
Chengdu 1985, Bd. 10, S. 100-103.
F. A. Landt: Die fünf Heiligen Berge Chinas: Ihre Bedeutung und Bewertung in der Ch'ing-Dynastie. Berlin 1994, S. 35.
Der chinesische Text
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Anmerkungen zum chinesischen Text
Das Layout folgt im Wesentlichen der Original-Inschrift. Die Zeichen¬
kolumnen reichen bis an das untere Ende der Steinplatte; nur in drei Fällen
bricht der Text abrupt mitten im Satz ab und wird in der folgenden Spalte
wieder aufgenommen, wodurch möglicherweise wichtige Begriffe jeweils an
den Anfang der Kolumnen gestellt werden sollten. Wegen einer starken Be¬
schädigung im unteren Bereich der Stele fehlen in allen Kolumnen die letzten
zwei bis drei Zeichen, die aber zum Teil aus dem Kontext rekonstruiert wer¬
den konnten. Fehlende oder unleserliche Charaktere werden durch eckige
Klammern ausgewiesen; im Falle einer Rekonstruktion stehen die Zeichen
dann in diesen Klammern. Bei der Interpunktion und den rekonstruierten
Charakteren handelt es sich um eigene Ergänzungen, die keiner Vorlage
folgen. Kommentierende Zusatzzeichen ausserhalb des Haupttextes und die
Auflistung der Stifter und Geldbeträge werden hier nicht wiedergegeben.
Abb. 1: Die Richtung Meishan ausgerichtete Tempelhalle Doumu Gong
(Niangniang Dian), in der die Stele mit der Inschrift aufbewahrt wird
Abb. 2: Die Gedenktafel mit der Geleitinschrift zur Errichtung
des Lingxu Ge von 1858 (Höhe ca. 120 cm)
Sinologe, Ägyptologe und Historiker
Von Hartmut Walravens, Berlin
Plath ist dank der sorgfältig dokumentierten Biographie von Herbert
Franke' in der Wissenschaftsgeschichte bekannt und gewürdigt. Die
Lebensgeschichte des Gelehrten, der als hoffnungsvoller Göttinger Privat¬
dozent ein fulminantes Werk über die Geschichte der Mandschurei (vgl.
Nr. 2) veröffenthchte, dann wegen seiner Verbindung zur demokratischen
Bewegung eine jahrelange Zuchthausstrafe absitzen mußte, schließhch 1848
zum Reichsbibliothekar ernannt wurde und dann als Mitglied der Bayeri¬
schen Akademie der Wissenschaften gediegene Arbelten über Konfuzius
und das Leben der alten Chinesen pubhzierte, Ist nicht ganz untypisch für
die deutsche Sinologie im 19. Jahrhundert. Heinrich Kurz^ (1805-1873)
wurde wegen seiner demokratischen Neigungen verhaftet und begann
nach seiner Flucht In die Schweiz dort eine neue Laufbahn als Germanist.
Karl Friedrich Neumann' (1793-1870), der dem bayerischen Staat seine
chinesischen Sammlungen geschenkt hatte,'' wurde wegen demokratischer
' Herbert Franke: Zur Biographie von Johann Heinrich Plath (1802-1874). Mün¬
chen 1960. 70 S. (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte. 1960. Heft 12.)
^ Vgl. H. Walravens: „Kurz, Heinrich." In: Walther Killy: Literaturlexikon. Bd 7.
München 1990, S. 96-97; Walravens: Zur Geschichte der Ostasienwissenschaften in
Europa. Abel Remusat (1788-1832) und das Umfeld Julius Klaproths (1783-1835). Wies¬
baden 1999 (Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen. 5.)
^ Vgl. H. Walravens: Karl Friedrich Neumann [1793-1870] und Karl Friedrich Au¬
gust Gützlaff [1803-1851]. Zwei deutsche Chinakundige im 19. Jahrhundert. Wiesbaden 2001. (Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen. 12.)
'' Neumann hatte 1830 auf einer Chinareise insgesamt etwa 10000 Hefte chinesischer
Literatur zusammengetragen und den größeren Teil dem bayerischen Staat gegen eine
Professur an der Universität geschenkt. Er lehrte neuere Geschichte und war sowohl bei
den Studenten wie beim Herrscherhaus populär. Vgl. Georg Reismüller: „Karl Fried¬
rieh Neumann. Seine Lern- und Wanderjahre, seine chinesische Büchersammlung." In:
Aufsätze zur Kultur- und Sprachgeschichte, vornehmlich des Orients, Ernst Kuhn zum
70. Geburtstage am 7. Februar 1916 gewidmet. Breslau 1916, S. 437-456; Reismüller:
„Zur Geschichte der chinesischen Büchersammlung der Bayerischen Staatsbibliothek." In:
Ostasiatische Zeitschrift 8 (1919/1920), S. 331-336.