Notizen untl Corresponilenzen. 811
1) Psalm 14 Don iT'N „Wo ist Jehova?" als Frage des
Thoren. Antwort in V. 5: „Gott ist in dem gerochten Geschlecht."
V. 5 und 6 sind zu verbinden, da alle Verse dieses Psalmes aus
4 Stichen bestellen. Zum Akrostichon vgl. Ps. 11.5, V. 2. Jehova
wird DTCr; genannt Levitic. 24, V. 11. 16, und besonders 1 Chron.
13, V. 6.
2) Psalm 26 mit Hinzuziehung der Ueberschrift ^bNia bs ab
niNN „Im Herzen aller, die mich suchen , werde ich wie ein Licht
aufstrahlen", oder, wenn man, wie in den syrischen Akrostichen,
wiederholte Uuchstaben nur einmal zu zählen br.aucht ^bxo ba ab
■m« „Uas Herz aller, die mich sucheu wird erleuchtet. Vgl. V. 2
des Psalmes.
3) Psalm 28 tli ia "n NüJS* „Ich erdulde Bedrückung, bitte
hilf doch, 0 Herr!"" Das Verbum nü: kehrt in V. 2 und 9 des
Psalmes wieder.
4) Der Hymnus Uabakuks (Cap. 3) enthält das Akrostichon
iiauj 15 laö lyn nrb in^ „Möge Gott zur Zeit des Gerichts über
seine Feinde sich wohlgefällig zuwenden der Gefangenschaft, die
verstörten Herzens ist!" Vgl. V. 13 des H3'mnus. Die Anwendung
von niN wie Psalm 132, V. 14, 'nyn py in der Bedeutung vou
D-iiS ny Ezech. 30, V. 14, iSiN ny Jerem. 27, V. 7.
5) P. Tarquini findet in Psalm das Akrostich ^i:!: m73 '-^12-^
„In den Tod wird sich herniedersenkeu meiu Sprosse", indem cr
sich auf Hebr. 2, V. 9 und auf den Messiasnamen n)3S beruft.
Entgegnung an Herrn Dr. Schräder
von Prof. Julius Oppert.
Herr Dr. Schräder hat in Band XXV., S. 449, über die
biblisch-assyrische Chronologie einige Zweifcl an der von mir auf¬
gestellten Zciticchnung kund gegeben. Ich kann diesem „Dissensus"
wie er ihn nennt, keinen andein X.amen geben, da in seinem Ar¬
tikel von einer Bewcisfiilirung nicht die Kede ist. In den erwähn¬
ten Bctiachtungen ist niimlicb die eigentliche Frage ganz unberührt
geblieben, und die ganze Erörterung des Herrn Dr. Schräder ist
nur eine petitio iirincij)ii, in welcher das zu beweisende als schon bewiesen vorau.'^gesetzt wird.
Es handelt sich wesentlich um zwei Frageu :
I. Ist die Liste der assyrischen Eponymen unterbrochen oder
nicht?
II. Ist das System dor biblischen Chronologie zu verwerfen?
Auf die erste Fra.gc habe ieh goantworlct: Sic ist untcrbro-
clieii; auf die zweite haho ich erwiedert: Nein.
812 Notizen, und Correspondenten.
Sonderbarer Weise macbt Herr Dr. Schräder aus der ent¬
gegengesetzten I3eantwortung eine Beweisführung; die mir abge¬
sprochene Berechtigung die Lüclte zu statuiren, ist nicht eine
Prämisse, sondern ein Ergebniss. Dass anscheinend Iceine
Lüclfe existirt, weiss ich ja auch; ich habe aber festgestellt, dass
hier eine solche sich vorfinden muss. Ferner habe ich ein mate¬
rielles Indicium der Lücken auch darin gefunden, dass die Thron¬
besteigung Teglatphalessers besonders datirt wird.
Der positive Beweis, den Herr Dr. Schräder nach Dr. Haigh
zu führen glaubt, ist weit davon entfernt, auch nur den geringsten
Character einer mathematischen Demonstration zu haben. In ma¬
thematischen Wissenschaften, und die Chronologie gehört zu diesen,
begnügt man sich mit solcher Beweisführung nicht. Worin besteht
denn derselbe:
„Es ist ein fester Turnus der Eponymen in Gemässheit der
von den Betreffenden bekleideten höchsten Staatsämter gar nicht
zu verkennen." Also: „die Regierungen Assurlihhis (Assurnirar)
und Teglathpilesers, die diesen Turnus aufweisen, folgten unmit¬
telbar auf einander."
Dieses ist ungeiäbr wie wenn man Karl den Grossen als un¬
mittelbaren Nachfolger des Romulus Augustulus hinstellt, oder in
Wilhelm I. den Nachfolger JYanz II. erblickt. Hindert denn eine
„feindliche Occupation von beinahe einem halben Jahrhundert" die
Aufnahme historischer Traditionen? Wo ist denn hier das „gänz¬
lich Unwahrscheinliche?" Im Gegeutheil, die ganze Disposition macht eben eine Unterbrechung wahrscheinlich.
Ich begriff, dass man mir diesen Einwand machte, dass Tc-
glatphileser mit seiner Eponymie auch seine Herrschaft begonnen
hätte, wie dieses unter seinen neun Vorgängern der Fall war.
Aber gerade diesen Brauch sehen wir umgestossen. Nicht der
König ist der erste Archon nach seinem Antritt, sondern der Prä¬
fekt von Calach ; warum diese Unregelmässigkeit? Die Antwort
für jeden „Unbefangenen," wie für jeden Historiker ist klar, weil
nach dieser Unterbrechung der Köuig noch nicht so vollkommen
gefestigt war. Unter dem letzten König Asurnirar war zum ersten
Male die Reihenfolge gewesen:
Künig.
5 Würdenträger.
Vogt vou Reseph.
„ „ Nisibis.
Unter dem neuen fingen an:
Vogt von Arrapha.
„ „ Calah.
König.
5 Würdenträger.
Dem lolgen Reseph, Nisibis, Airaplui, Calach. 1st dieses ein Beweis
für die NichtUnterbrechung? Man musstc cine Reihenfolge nehmen,
Notizen umi Corrcx'pondenzeu. 813
um vielleicht die Vortrittsstreitigkeiten zu erledigen, die sich natür¬
lich erheben mussten. Und meine ehrenwerthen Anzweifeier haben
an einen Einwurf gar nicht gedacht, an welclien sie sich erinnern
mussten. Nach ihrer Ansicht mussten von den achtzehn Nainen
der Würdenträger doch mehr als zwei identisch seiu, in neun
Jahren werden doch nicht fast alle Aemter erneut, alle Verwal¬
tungen abgesetzt worden sein. Gerade die Verschiedenheit fast
aller Namen spricht für den zwischen den gleichartigen Epoiiy-
mien verflossenen grossen Zwischenraum, llr. Dr. Schräder hat
sogar unterlassen, das einzig scheinbare Moment für seine Meinung
anzuführen. Die Landeshauptmänner unter Asurnirar und Teglath-
phalaser heissen beide in einem Document Bin-bel-kain. Ist dieses
aher dieselbe Persönlichkeit? Nein, denn für den ersten existirt
die Variante Asur-bei - kain, und für den zweiten die Bin-ka'iu.
Dagegen ist der Eponymus von Calah derselhe Bel-edil-el, 743 und
733, und in der frühern Zeit finden wir dieselben Satrapen von
Reseph 810 und 821, von Tille 839 und 812, denselben Tartan
dreimal, 826, 816 und 899,
Also der Beweis gegen meine Ansicht beschränkt sich vom
assyriologischen Standpunkt auf Null. Er würde erst als ge¬
führt zu betrachten sein, wenn man folgende Daten brächte:
Dr. 0. nimmt zwischen zwei Eponymen u und b m Jahre
an. Aus assyrischen Documenten erhält aber unwiderleglich, dass
nur m = 47 Jahre verflossen sind."
Vor einem solchen, diesen Namen verdienenden Beweise würde
ich allerdings mich beugen müssen ; aber ist ein solcher möglich ?
Ich glaube eben nicht.
II. Die einzige Hauptfrage hat Hr. Dr. Schräder gar nicht
berührt; er ist, wie die Franzosen sagen, stets ä cote de la question
geblieben. Die llaupteinwürfe gegeu die Nichtunterbrechuiig sind
aber die beiden unbeantworteten Fragen:
1. Wo bleibt Phul, König von Assyrien?
2. Wie schneidet man denu zwischen der Thronbesteigung
Atbaliäs uud Hiskias 47 Jahre heraus?
Auf diese Hauptfragen aber gerade wird mir keine Autwort
zu Theil, aus mir sehr wohl begreiflichen Ursachen.
Ad 1. Phul, sagt Hr. Dr. Schräder, war König vou Babylon,
und Oberkönig von Assyrien. Nein, er war König von Assyrien.
Ein „Versehen" der Bibel ist durchaus nicht zu statuiren, da die
Königsbücher und die Chroniken sehr wohl Assur uud Uabel unter¬
scheiden. Hr. Dr. Schräder fülirt die Fragmente des Berosus an,
der von Phul dem Chaldäer spricht. Nun, gerade dieses ist ja ein
Hauptbeweis ! Würde er der Chaldäer genannt worden sein, wenn
er uur über Babylon und nicht auch über Assyrien geherrscht
hätte? Gerade dieses Epitheton spricht für die Genauigkeit des
biblischen Ausdruckes: König von Assyrien.
Von der ersten Einuahme Niuives, sagt Hr. Dr. Schräder,
814 Notizen und Correspondenzen.
melden die assyrischen Inschriften nichts. Melden sie denn etwas
von der zweiten ? Aber archäologisch melden es die Ruinen Ninives
wie ich mich augenscheinlich selbst davon überzeugt.
Also diese Frage ist oline Antwort geblieben.
Ad 2. Hier muss ich vorerst einen grossen Irrthum berich¬
tigen. Hr. I)r. Schräder sagt, wir erkennten die Richtigkeit der
ältern biblischen Ueberlieferungen an, würfen aber dieselben von
Samaria abwärts über Bord. Dieses ist geradezu unwahr. Das
System der ganzen Königsgeschicbte ist volikommen festgehalten;
ich gehöre aber zu denjenigen, die nicht eine eigene Chronologie
machen , sondern die Zahle n der Urkunden respectiren Was
Hr. Schräder von der Versetzung der Assyrischeu Expedition an¬
führt, zeugt von einer sachlichen Begriffsverwirrung. Wenn wir
das 14. Jahr des Hiskia losen, so iindern wir es nicht für die
Krankheit des Hiskia und die Gesandtschaft des Babyloniers. Da
aber diese Fakten vor den Feldzug Sanherihs fallen, setzen wir
diesen später. Voilä tout. Möge nun Hr. Dr. Schräder mir sagen,
ob diese Verschiebung einer Einzelheit auf die Endpunkte der Re¬
gierung des jüdischen Königs uud seiuer Nachfolger, die auf dem
System den geringsten Chronologischen Eintluss ausübt. Setzen
wir etwa nicht Manasses Regierungsantritt 29 Jahre nach dem Tode
des Ahaz, und Amons Erhebung nicht 5.5 Jahre nach Hiskias Ab¬
leben? Eine bald erscheinende Schrift über die zuerst mathema¬
tisch behandelten 200 .Angaben der Königsbiichcr wird dem Hrn.
Dr. Schräder zeigen, dass das System derselbeu vollkommen „un¬
antastbar" ist.
Namentlich wäre aber vollständig „unerklärbar," warum zwei
controlirte synchronistische Listen, wie die der Könige von Juda
und Israel sich, trotz eiuer rührenden Uebereinstimmung unter sich,
um 47 Jahre geirrt hätten, uud dieses bloss zu dem Zwecke, den
assyrischen Eponymenlistcn zu widersprechen.
Wenn Hr. Schräder einwendet, „die Annahme einer Lücke
mache die Zuverlässigkeit der Eponymenlistcn illusorisch," so hat
cr darin vollkommen recht. Sie sind nur zu benutzen,
wo wir aus anderen Quelleu uns über ihre Folge
vergewissern köunen. Hätten wir diese Controle nicht, so
wären sic allerdings für streng chronologische Zwecke unbrauchbar.
Diese Controle besteht aber einzig und allein in deu assyrischen
genealogischen Listcu, und eben in der — biblischen Chronologie.
So lange man uns also nicht nachweist, wie man aus den 160
Jahren der jüdischen Könige Athalia, Joas, Amazia, Ozia, Jothan
und Ahaz 47, und aus den anscheinend lo7 Jahren der israeliti¬
scheu Könige Jehu, Jouhaz, Joas, Jerobeam, Zacharia, Meuahem,
Pekahia und Pekah 27 Jahre herausschneidet, so lauge haben
unsere Anzweitier ihre assyrische Zeitrechnung nicht festgestellt.
Mit einem Achselzucken über die Chrouologie der Künigs-
bücher ist die Angelegenheit nicht abgetban.
Notizen und CorrcKpondenzen. 815
Erlaube man mir noch einige Schlussbemerkungen.
Es giebt gar keine jüdische und gar keine assyrische Chrono¬
logie. Es giebt nur eine Chronologie. Diese Wissenschaft, die
den exacten angehört, beschäftigt sich einfach mit der Frage: Wie
viele Jahre respectiv Tage sind von einem fixirten Zeitpunkt «, bis
zu einem andern noch nicht festgestelltem Faktum verflossen? In¬
teressirt dieses Factum b mehrere Völker, so muss das Resultat
überall a — b sein = m sein. Erhält man nun auf verschiedenen
Wegen für m verschiedene Zahlenwerthe, so ist von beiden Resul¬
taten mindestens eines, höchst wahrscheinlich aber alle beide falsch.
Diese so einfach schcinendeu Principien sind aber sehr oft
verkannt, und es ist daher keineswegs unnöthig, auf dieselben immer
zurückzukommen. Mau hat nämlich nicht das Recht, sich eiue
eigene Privatzeitrechnung durch eigen gemachte Zahlen zu
machen. Dieses würde keinem Mathematiker einfallen, weil der¬
selbe sich nicht über die Lösung einer Aufgabe, durch Substitution
eines falschen Vorzeichens, durch Aenderung der Potenzen oder der
Coelficienten, durch Unterdrückung eines Ausdruckes, durch Fäl¬
schung einer Function, irgend wie einer Illusion hingeben wird.
Wo man sich nicht auf Documente verlassen kann, oder — wo
man keine hat, da ist eben keiue Chronologie möglich.
Wenn mau also assyrische Chronologie treiben will, wozu im
Grunde Niemand gezwungen ist, und zu etwas zu kommen die
Absicht hat, darf man sich auch keiuer Keilschrift-Illusion hinge¬
ben. Einer solchen fällt man anheim, wenn man einfach sich mit
der ünzuverlässigkeit der biblischen Angaben tröstet, oder es sich
durch Substituirung von bequemen, persönlichen Ausichtszahlen
leicht macht.
Daher Respect vor den Ueberlieferungen, selbst wenn sie uns
geniren. In dieser Frage indessen hat nicht allein der Assyriologe
zu entscheiden. Seine Rolle ist durch die Uehersetzung
der Documente beendigt. .4uch der Exeget, namentlich aber
der Chronologe und der Historiker haben ein bedeutendes Wort
mitzusprechen ; sie blendet weniger der Reiz etwas Neues zu ent¬
decken, als das Verlaugen, dem Alten seine verdiente Geltung zu
erhalten. An ihre Entscheidung wende ich mich, mit dem Ver¬
trauen, das sie verdienen.
Paris, den 17. Januar 1872.
816 Notizen imd Oorreapoiulenzen.
Bemerkung zu dem vorhergehenden Artikel.
Von
Piof. Dr. Schräder iu Giessen.
Wir unterlassen es unsrerseits auf die vorstehende Erwide¬
rung des Hrn. Dr. Oppert an diesem Orte zu antworten , da wir
uns inzwischen üher die ganze bezügliche Frage in dem chronolo¬
gischen Excurse am Schlüsse unserer Schrift: „Die Keilinschriften und das A. T" (Giess. 1872) mit hinlänglicher Deutlichkeit glau¬
ben ausgesprochen zu haben. Der Leser findet in der genannten
Schrift auch den zur Beurtheilung der obschwehenden Fragen in
erster Linie in Betracht kommenden „Regentencanon" nach seinen
vorhandenen fünf Recensionen und unter Beifügung der eutschei¬
denden Markstriche abgedruckt, sowie dort auch die Frage, wer
unter König Pbul zu verstehen sei, in umfassender Weise neu
erörtert ist.
Ans einem firiefe des Prof. Schlottmann
an Prof. Krehl.
Halle, den 27. August 1872.
Da das dritte Heft der Zeitschrift, wie Sie mir mittheilten,
vom 30. Bogen ah bereits fertig ist, wird die Zeit nicht mehr aus¬
reichen, um die sämmtliehen Inschriften aus Moab, |die ich im
Facsimile besitze, und, so viel als thunlich, auch die Zeichnungen
zu veröffentlichen. Vielleicht hat die Verzögerung das Gute, dass
sie eine weitere Vervollständigung ermöglicht.
Prof. Rödiger theilte mir vorgestern in Berliu zwei von Sha¬
pira dorthin geschickte moabitische Inschrilten mit, von welchen
er unter der Bedingung, sie nicht zu veröffentlichen, Abschrift hatte
erhalten können. Es sind ohne Zweifel zwei von denen, über
welche die Academy den Stab bricht. Auch er hatte, auf eine an
ihn gerichtete Anfrage, sich in ähnlicher Weise, ^wie die Academy,
doch mit grösserer Vorsicht geäussert. Er hatte uämlich gesagt,
dass er von der Aechtheit der luschrifteu keiue Gewissheit zu ge¬
winnen vermöge, indem er auf die Bedenkeu hinwies, die schon
etwa im März in einem Artikel der Allgem. Zeitung (der mir nicht
zu Gesichte gekommen) gegen die Person Shapira's durch densel¬
ben Gelehrten erhoben waren, welcher sie hernach in der Academy
wiederholte und dann widerrief. Er hatte aber zugleich eiueu in¬
neren Grund hinzugefügt, nämlich deu, dass er in den umfang¬
reichen moabitischen Texten, ti'otz des meist sicher zu bestimmen¬
den Buchstabenwerthes , keinen zusammenhängenden Sinu zu ent¬
decken vermochte.