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Zwischen Staatskirche und Trennung – viele Untervarianten

8.2 Spektrum der Modelle

8.2.4 Zwischen Staatskirche und Trennung – viele Untervarianten

(810) Zwischen den beiden Polen sind unzählige Varianten denkbar. Die mit diesem Bericht angestrebte Auslegeordnung orientiert sich an der Berner Tradition, weshalb im Folgenden Typen beschrieben werden sollen, die auf dem Status quo mit der aktuellen starken Verflech-tung und seiner Weiterentwicklung in RichVerflech-tung einer EntflechVerflech-tung beruhen.

 (811) Status quo: Der Status quo bedeutet eine enge institutionelle und finanzielle Ver-flechtung bei gleichzeitiger innerer Autonomie der Landeskirchen und mit der verfas-sungsrechtlich vorgesehenen Möglichkeit einer staatlichen Anerkennung weiterer religiö-ser Gemeinschaften. Es handelt sich um ein Partnerschaftsmodell, weil keine Seite aus-schliesslich das Sagen hat. Die Verflechtung ist eng sowohl bei der Organisation (Kapitel 6) als auch bei der Finanzierung (Kapitel 4). Dabei bleibt zu beachten, dass die Finanzie-rung der Pfarrgehälter zu einem wesentlichen (wenn auch noch nicht näher dimensionier-ten) Teil auf historischen Rechtsansprüchen beruht, also nicht auf einer freien Entschei-dung des Gesetzgebers wie etwa im Kanton Waadt. Wie weit die Geldflüsse für die Pfarr-besoldungen reduziert werden können, lässt sich folglich nur mit einer Bestimmung der Dimensionen der historischen Rechtsansprüche ermitteln (Kapitel 4.3).

 (812) Fortschreibung des Status quo: Eine Fortschreibung des Status quo würde die Verflechtung sachte reduzieren namentlich in Bereichen, die klar nicht mehr zeitgemäss sind. Dazu gehört etwa die strikte Finanzaufsicht (vgl. Kapitel 6). Einsparungen bei der Kantonsverwaltung wären nicht das Ziel. Sie würde die Autonomie der Landeskirchen er-weitern, was natürlich mit einer gewissen Stärkung der kantonalen Kirchenstrukturen ein-hergehen müsste. Bei einer Fortschreibung des Status quo kann der Kanton weiter kraft seiner Kompetenzen bei der Umschreibung der Kirchgemeinden und bei der Zuteilung der kantonal finanzierten Pfarrstellen auf Fusionen von Kirchgemeinden hinwirken, um die Versorgungsstruktur flexibler zu gestalten. Ebenso ist es ihm wie beim Status quo unbe-nommen, die Zahlungen von Pfarrgehältern zu reduzieren, sofern dadurch der flächende-ckende Versorgungsanspruch und die historischen Rechtsansprüche nicht gefährdet

283 21.1% Ja, 78.9% Nein, 20 ½ Stände verwerfen die Initiative:

http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/19800302/det299.html (Zugriff 11.9.2014).

284 GILG PETER (2008): Kirche und Staat, in: Historisches Lexikon der Schweiz, www.hls.ch (Zugriff: 16.6 2014).

285 MOSER PETER (2014): Gripen, Mindestlohn und Kirchensteuer – eine Analyse der Zürcher Resultate der Abstim-mungen vom 18. Mai 2014, in: Statistik.Info 2014/03: www.statistik.zh.ch (Zugriff am 14.8.2014).

den. Zur Diskussion gestellt wäre ferner, die Erträge der einzigen echten Kirchensteuer – die der juristischen Personen – im Sinne einer besseren Respektierung der Religionsfrei-heit nicht-kirchlichen Zwecken vorzubehalten („negative Zweckbindung“, Kapitel 4.2.).

 (813) Milde Entflechtung: Dieses Modell führt zu einer stärkeren Entflechtung mit dem Ziel, den Kanton finanziell bei der Administration zu entlasten und den Landeskirchen im Gegenzug mehr Autonomie und Aufgaben bei ihrer inneren Organisation einzuräumen.

Die Anstellung der Pfarrpersonen ginge an die Kirchen über. Die historischen Rechtsan-sprüche würden mit einer Vereinbarung zwischen dem Staat und den Landeskirchen etwa in ihren bis 2019 vorgesehenen Dimensionen fixiert und vom Kanton jährlich als zweck-gebundene Pauschalzahlung an die Pfarrgehälter überwiesen. Die Kirchensteuer für juris-tische Personen würde wie im Modell Fortschreibung des Status quo negativ zweckge-bunden (Kapitel 4.2).

 (814) Mittlere Entflechtung: Dieses Modell wäre – über die milde Entflechtung hinaus – dadurch gekennzeichnet, dass die historischen Rechtsansprüche durch eine politisch fi-xierte jährliche Pauschalzahlung zur freien Verfügung der Landeskirchen abgelöst würde.

Die Kirchengüter gemäss Verzeichnis aus dem Jahr 1831 würden also zwar nicht zurück-gegeben (weil sie nicht mehr vorhanden sind), sondern ihr Gegenwert würde als jährliche Rente ausbezahlt. Weil die Dimension dieses Gegenwerts nicht eindeutig bestimmbar ist, müsste sie vom Gesetzgeber festgelegt werden. Dieser Gegenwert läge vermutlich deut-lich unter dem Niveau der heutigen Aufwendungen für Pfarrgehälter. Der Kanton würde ferner neu die von ihm anerkannten religiösen Gemeinschaften für ihre gesellschaftlichen Leistungen aufgrund eines mehrjährigen Rahmenkredits mit Finanzhilfen unterstützen. Zu diesem Zweck würde er Leistungsvereinbarungen abschliessen. Die Verflechtung zwi-schen Kirche und Staat wäre also primär noch eine finanzielle. Parallelen zu anderen Be-reichen, in denen der Staat Private im öffentlichen Interesse unterstützt, wären zu disku-tieren (Kultur, Sport usw.). Die Anerkennung weiterer religiöser Gruppen würde ins Auge gefasst (Kapitel 7). Die religiösen Gruppierungen würden bei diesen Finanzhilfen gleich behandelt, also nach Massgabe der in Leistungsvereinbarungen umschriebenen gesell-schaftlichen Leistungen unterstützt.

 (815) Starke Entflechtung mit Finanzhilfen: Dieses Modell orientiert sich am neuen Religionsverfassungsrecht des Kantons Zürich. Hauptmerkmale dieser Regelung sind, dass sich der Staat auf eine Oberaufsicht286 zurückzieht und die historischen Rechtsan-sprüche durch periodisch vom Parlament fixierte Finanzhilfen abgelöst werden287. Der Kanton bewilligt mit einem Globalbudget Beiträge an die kantonalen kirchlichen Körper-schaften. Finanztechnisch gesehen beschliesst das Kantonsparlament alle sechs Jahre

286 Art. 130 Abs. 5 der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005.

287 Ob die historischen Rechtsansprüche im Kanton Zürich wirklich definitiv ad acta gelegt worden sind, erscheint aufgrund von Art. 145 der Zürcher Kantonsverfassung fraglich. In der Praxis gehen die Zürcher Landeskirchen aber von einem Erlöschen dieser Rechtsansprüche aus.

einen Rahmenkredit288. Das bedeutet, dass die Höhe dieser Finanzhilfen vom Ermessen des Kantonsparlaments abhängt. Die Aufteilung des Rahmenkredits erfolgt durch den Regierungsrat und zwar nach den Mitgliederzahlen. Die kantonalen Mittelflüsse sind an Tätigkeitsprogramme der Landeskirchen über deren gesamtgesellschaftliche Leistungen gebunden (§ 19 KG-ZH)289. Die Kantonalkirchen sind in ihrer Organisation autonom, ha-ben aber die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze zu respektieren (§ 5 KG-ZH). Die Kirchenordnungen müssen deshalb noch vom Kanton genehmigt werden. Sie sind aber in der Bildung von Kirchgemeinden frei. Die Kirchen müssen für Streitigkeiten, die sich nicht unmittelbar auf kantonales Recht stützen, interne Rekursbehörden einset-zen. Kultische Fragen sind von dieser Gerichtsbarkeit ausgenommen – dafür gilt das in-terne Kirchenrecht. Es leuchtet ein, dass eine solche starke Entflechtung eine Einigung über die Ablösung der historischen Rechtsansprüche voraussetzt, die damals im Kanton Zürich offenbar möglich war, im Kanton Bern jedoch gerade wegen den Zürcher Erfah-rungen kaum erwartet werden kann (vgl. dazu Kapitel 4.3).

 (816) Starke Entflechtung ohne Finanzhilfen: Dieses Modell orientiert sich am Kanton Basel-Stadt. Der Staat hat sich dort wie in Zürich trotz der Anerkennung von Landeskir-chen auf eine Oberaufsicht zurückgezogen. Hinzu kommt in Basel eine liberale Anerken-nungspraxis bei den weiteren Religionsgemeinschaften (Kapitel 7). Der Kanton Basel-Stadt leistet jedoch keine Finanzhilfen. Die Kirchensteuern werden von den Kirchen selbst eingezogen, was einen nicht unbeträchtlichen Aufwand zur Folge hat. Man spricht bei diesem Modell denn auch von einer „hinkenden Trennung von Kirche und Staat“.

288 § 29 des Zürcher Kirchengesetzes: Zur Zeit jährlich 50 Mio. CHF, der sechsjährige Rahmenkredit beläuft sich also auf 300 Mio. CHF.

289 Kirchengesetz vom 9. Juli 2007 (LS 180.1).

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