• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse

2 Theoretische Grundlagen

4.5 Diskussion Experiment 1

4.5.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse

Hypothese 1 postulierte eine Leistungssteigerung der Novizen unabhängig von der Re-flektionsart auf Grund von Übungseffekten. Die empirischen Daten zeigten, dass die Unter-suchungsteilnehmer ihre Leistungen über die drei Landeaufgaben bezüglich der vertikalen Ablage signifikant verbesserten. Für das Kombinationsmaß ergab sich allerdings nur eine marginal signifikante Leistungsverbesserung. Beide Effekte sind nach Cohen (1988) als schwache Effekte einzuordnen. Übungseffekte traten weder in der lateralen Ablage noch in

der Geschwindigkeitsablage ein. Insgesamt sprechen die Ergebnisse nur bedingt für eine Leistungssteigerung durch generelle Übungseffekte.

In Hypothese 2a wurde angenommen, dass Untersuchungsteilnehmer, die aufwärtsge-richtete kontrafaktische Gedanken bilden, ihre Leistung in einem größeren Ausmaß steigern als Untersuchungsteilnehmer, die abwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken bilden. Tat-sächlich zeigte sich dies nicht bezüglich der singulären Leistungsmaße laterale Ablage, ver-tikale Ablage und Geschwindigkeitsablage. Auf diesen Maßen verbesserten sich die Unter-suchungsteilnehmer, die aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken bildeten, nicht über-zufällig stärker als Untersuchungsteilnehmer, die abwärtsgerichtete kontrafaktische Gedan-ken bildeten. Allerdings waren deskriptiv leichte Effekte einer stärkeren Leistungsförderlich-keit aufwärtsgerichteter kontrafaktischer Gedanken gegenüber abwärtsgerichteten kontrafak-tischen Gedanken sowohl in der lateralen und als auch in der vertikalen Ablage erkennbar.

Wurden beide Leistungsmaße nicht getrennt betrachtet, sondern gingen in ein gemeinsames Kombinationsmaß ein, konnte die stärkere Leistungsförderlichkeit aufwärtsgerichteter kontra-faktischer Gedanken inferenzstatistisch abgesichert werden. Im Kombinationsmaß erreichten Untersuchungsteilnehmer in der Bedingung „aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken“

eine größere Leistungssteigerung als Untersuchungsteilnehmer, die abwärtsgerichtete kont-rafaktische Gedanken bildeten. Letztere blieben über die drei Landungen hinweg auf annä-hernd gleichem Leistungsniveau. Die Ergebnisse sprechen unter Einschränkungen für eine stärkere Leistungsförderlichkeit aufwärtsgerichteter kontrafaktischer Gedanken als abwärts-gerichteter kontrafaktischer Gedanken.

In Hypothese 2b wurde angenommen, dass Untersuchungsteilnehmer, die aufwärtsge-richtete kontrafaktische Gedanken bilden, ihre Leistung in einem größeren Ausmaß steigern als Untersuchungsteilnehmer, die sich faktenbasiert mit den durchgeführten Landeaufgaben auseinandersetzen. Die empirischen Daten sprechen teilweise für diese Annahme. Bezüglich der vertikalen Ablage und der Geschwindigkeitsablage zeigte sich keine differentielle Wir-kung der Reflektionsart. In der lateralen Ablage verbesserten Untersuchungsteilnehmer der aufwärtsgerichteten kontrafaktischen Versuchsbedingung ihre Leistung über die drei

Lan-dungen, wohingegen Untersuchungsteilnehmer der faktenbasierten Reflektionsbedingung besonders bei der dritten Landung schlechter wurden. Auf dem Kombinationsmaß verbes-serte die Aufwärtsbedingung ausgehend von einer geringeren Anfangsleistung ihre Leistung kontinuierlich und war bei der dritten Landung besser als die faktenbasierte Reflektionsbe-dingung. In der faktenbasierten Reflektionsbedingung stellte sich keine Leistungssteigerung ein. Die unterschiedliche Leistungsveränderung erreichte auf dem Kombinationsmaß aller-dings nur marginale Signifikanz. Zudem waren die Effekte auf beiden Leistungsmaßen schwach ausgeprägt (vgl. Cohen, 1988).

In Hypothese 3a wurde angenommen, dass durch Kontrasteffekte in den beiden simu-lationsbasierten Reflektionsbedingungen Untersuchungsteilnehmer, die abwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken bilden, ein positiveres bzw. weniger negatives affektives Befinden zeigen als Untersuchungsteilnehmer, die aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken bil-den. Die empirischen Daten entsprechen nicht der aufgestellten Hypothese. Für positives Befinden und das Gefühl des Fähigseins zeigten sich keinerlei Effekte. Das Gefühl der Er-leichterung nahm zwar im Versuchsverlauf zu, aber nicht differentiell. Auch hinsichtlich nega-tiven Befindens zeigte sich nur eine allgemeine Abnahme. Lediglich das Gefühl der Enttäu-schung veränderte sich in Abhängigkeit der Richtung kontrafaktischer Gedanken. Nach der zweiten Landung kam es zu einer besonders starken Abnahme dieser Empfindung in der Bedingung „aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken“ im Vergleich zur Bedingung „ab-wärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken“. Der Interaktionseffekt ist nur marginal signifikant.

Allerdings ist die Richtung der Veränderung entgegengesetzt zur Annahme. Es wurde näm-lich von einer stärkeren Enttäuschung nach aufwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken ausgegangen, weil nach diesen salient wird, welches bessere Ergebnis hätte erreicht werden können.

Der explorative Vergleich unter Einbezug aller drei Versuchsbedingungen zeigte keine abweichenden Ergebnisse.

In Hypothese 3b wurde angenommen, dass aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedan-ken zu einer stärkeren Motivation für nachfolgende Aufgaben führen als abwärtsgerichtete

kontrafaktische Gedanken. Auch diese Annahme wurde nicht durch die empirischen Daten gestützt. Es zeigte sich zwar ein signifikanter Interaktionseffekt, allerdings in entgegenge-setzter Richtung. Ausgehend von einer hohen Motivation in beiden Bedingungen kam es in der Abwärtsbedingung zu einer weiteren Motivationssteigerung vor der dritten Landung.

Wurden auch die Daten der faktenbasierten Reflektionsbedingung betrachtet, fanden sich außer dem oben bereits beschriebenen Interaktionseffekt keine weiteren Effekte. Die Aufga-benmotivation war in allen Bedingungen über die Landungen hinweg hoch ausgeprägt.

Insgesamt ist festzustellen, dass die bekannten Kontrasteffekte durch kontrafaktische Gedanken unterschiedlicher Richtung (z. B. Markman et al., 2008; Markman & McMullen, 2003; McMullen & Markman, 2000; Medvec et al., 1995; Roese, 1994) nicht auftraten.

Da sich das affektive Befinden gesamtheitlich betrachtet nicht differentiell in den beiden simulationsbasierten Bedingungen verändert, können die motivationalen Veränderungen auch nicht Auswirkungen des Affekts sein. Eine mögliche Erklärung für die nicht hypothe-senkonformen Befunde zu Affekt und Motivation mag in der Art der Aufgabe liegen. Die Steuerung eines Flugzeugs an einem PC-Simulator stellte für Novizen eine spannende Auf-gabe dar, die ihnen Spaß machte. Deshalb könnte das positive Befinden relativ stark ausge-prägt, das negative Befinden sehr niedrig und alle Teilnehmer motiviert gewesen sein. Effek-te der Aufgabe könnEffek-ten also EffekEffek-te der Reflektionsart überlagert haben. Die in der LiEffek-teratur berichteten affektiven Kontrasteffekte und Motivationsunterschiede zeigten sich nach Ana-grammaufgaben, deren Bearbeitung vermutlich weniger Freude bereitet und motiviert.

Da keine affektiven Kontrasteffekte und aus diesen resultierende Motivationseffekte oder differentielle Auswirkungen unter Einbezug aller drei Reflektionsarten festzustellen sind, sind diese bei der Betrachtung der empirischen Leistungsdaten zu vernachlässigen. Damit können die Ergebnisse zu den Leistungsmaßen unter Rückbezug auf den bisherigen Stand der Forschung zu Fertigkeitserwerb und kognitiven Effekten unterschiedlicher Reflektionsar-ten sowie Spezifika der verwendeReflektionsar-ten Landeaufgabe erklärt und interpretiert werden.

Im Rahmen des Fertigkeitserwerbs wird der Kenntnis der Resultate eine wichtige Be-deutung zugeschrieben (Bartlett, 1948). Bei der verwendeten Landeaufgabe war die vertikale

Ablage dasjenige Leistungsmaß, über das die Novizen durch das PAPI kontinuierlich visuelle Rückmeldung nebst Information über Höhe und Richtung der Abweichung von der idealen Flugbahn erhielten. Eine Kenntnis der Resultate war zwar auch bei der lateralen Ablage und der Geschwindigkeitsablage aufgabeninhärent, aber weniger salient. Dass sich Übungseffek-te auf dem Maß zeigÜbungseffek-ten, zu dem die deutlichsÜbungseffek-te Rückmeldung bei der Aufgabenausführung existierte, steht im Einklang mit der Tatsache, dass insbesondere bei motorischen Aufgaben die Genauigkeit der Aufgabenbewältigung umso schneller zunimmt, je genauer die Rück-meldung aus der Tätigkeit ist (Bartlett, 1948; Speelman & Kirsner, 2005).

Kognitive Auswirkungen der unterschiedlichen Reflektionsarten können zur Erklärung der gezeigten differentiellen Leistungssteigerungen auf einige der erhobenen Leistungsmaße in den drei Versuchsbedingungen herangezogen werden.

Die stärkeren Leistungssteigerungen im Kombinationsmaß nach aufwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken als nach abwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken spre-chen für eine stärkere Leistungsförderlichkeit durch kognitive Wirkmechanismen aufwärtsge-richteter kontrafaktischer Gedanken im Vergleich zu abwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken. Versuchsteilnehmer in der Bedingung „aufwärtsgerichtete kontrafaktische Ge-danken“ erreichten zwar die schlechteste Leistung bei der ersten Landung, steigerten ihre Leistung aber derart, dass sie bei der dritten Landung die geringsten Ablagewerte erreichten.

Einschränkend ist festzuhalten, dass sich dies nur auf einem Leistungskriterium zeigte und der Effekt zudem relativ schwach war. Es wäre allerdings möglich, dass sich die Untersu-chungsteilnehmer in ihrer Strategiebildung nicht auf ein einzelnes Leistungskriterium fokus-sierten, und sich deshalb der Vorteil der leistungsförderlichen Schlüsse und Intentionen nach aufwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken besonders in einer kombinierten Leistungs-betrachtung zeigte. Diese Überlegung passt auch zu den Befunden von Morris und Moore (2000), die stärkere Lerneffekte nach aufwärtsgerichteten kontrafaktischen Gedanken bei Landeanflügen zeigen konnten. Bei ihnen wurde die Leistung nämlich durch holistische Ex-pertenurteile erfasst, bei denen davon auszugehen ist, dass mehrere Leistungskriterien in das Urteil einfließen.

Wie schon für einfachere Aufgaben empirisch gezeigt werden konnte (Epstude & Roe-se, 2008; RoeRoe-se, 1994), scheint es ebenfalls beim Erwerb komplexer Fertigkeiten möglich zu sein, durch aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken Leistungen zu verbessern. Dies geschieht laut der funktionalen Theorie kontrafaktischer Gedanken über die angenommene inhaltsspezifische Bahn mittels kausaler Schlussfolgerungen und Strategiebildung (Epstude

& Roese, 2008).

Auch bei dem Vergleich der Leistungssteigerungen nach aufwärtsgerichteten kontra-faktischen Gedanken und nach faktenbasierter Reflektion zeigte sich die starke preparative Funktion aufwärtsgerichteter kontrafaktischer Gedanken in der lateralen Ablage und dem Kombinationsmaß. Der Vorteil aufwärtsgerichteter kontrafaktischer Gedanken begründet sich in der beinhalteten mentalen Simulation, die kausale Schlussfolgerungen und Strategiebil-dung für bessere Leistungen impliziert. Sie sind dadurch im Rahmen des Fertigkeitserwerbs leistungsförderlicher als eine faktenbasierte Reflektion. Dies beinhaltet nämlich keine menta-le Simulation und menta-legt menta-lediglich eine Evaluation der gezeigten Leistung nahe. Die Ergebnisse stehen somit im Einklang mit der Annahme, dass die mentale Simulation besserer Alternati-ven eine gute Lernmöglichkeit darstellt (Johnson & Sherman, 1990; Karniol & Ross, 1996).

Schließlich sind die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Aufgabenschwierigkeit und der geringen Vorerfahrung der Untersuchungsteilnehmer zu betrachten. Die Leistungssteige-rung der fliegerischen Novizen auf nur einem der üblichen Leistungsmaße und dem Kombi-nationsmaß spricht dafür, dass die Landeaufgabe trotz der einfachen Umweltbedingungen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe darstellte. Vielleicht war die Aufgabe für Novizen ohne Vorkenntnisse zu schwierig, um sich innerhalb von drei Wiederholungen in allen Leistungs-kriterien zu verbessern. Dies würde einen Beitrag nicht nur zum Verständnis der geringen empirischen Übungseffekte, sondern auch der nur eingeschränkt gefundenen differentiellen Leistungssteigerungen leisten. Eventuell fehlte den Untersuchungsteilnehmern trotz ausführ-licher Instruktionen und Trainingsphasen fliegerisches Wissen. Wissen stellt aber eine Vo-raussetzung dar, um bei der mentalen Simulation durch kontrafaktische Gedanken die richti-gen Schlüsse ziehen zu können (Petrocelli & Sherman, 2010). In nachfolrichti-genden ähnlichen

Situationen kann nur in dem Ausmaß bessere Leistung gezeigt werden, in dem die kausalen Schlussfolgerungen korrekt sind (Roese & Olson, 1997; Wells & Gavanski, 1989). Es wäre ebenfalls möglich, dass Novizen trotz korrekter Schlüsse die motorischen Erfahrungen fehl-ten, um die richtigen Vorhaben korrekt umzusetzen.

Eine weitere Möglichkeit zur Erklärung der geringen Übungseffekte und differentiellen Leistungssteigerungen bietet die Cognitive Load Theory, die Lernen als Aufbau von Schema-ta und deren Automatisierung versteht (Sweller, 1988, 1994; Van Merriënboer & Sweller, 2005). Ihr zufolge setzt sich die kognitive Belastung beim Lernen additiv aus der intrinsi-schen, der extrinsischen (im Englischen extraneous) und der lernrelevanten (im Englischen germane) kognitiven Belastung zusammen. Die intrinsische kognitive Belastung liegt in der zu lernenden Aufgabe selbst begründet und hängt im Wesentlichen von der Elementinterak-tivität, also der Menge der für ein Verständnis zusammenhängend zu betrachtenden Informa-tionen, ab. Je komplexer die Aufgabe, desto höher diese Art der Belastung. Die intrinsische Belastung nimmt allerdings in dem Maß ab, in dem bereits Schemata für die Aufgabe gebil-det wurden, weil dadurch Chunks verarbeitet werden können und nicht mehr alle Einzelele-mente verarbeitet werden müssen. Die extrinsische kognitive Belastung entsteht durch das Instruktionsmaterial. Unter lernrelevanter kognitiver Belastung werden die Ressourcen ver-standen, die für Schemabildung und Automatisierung aufgewendet werden (Paas, Renkl &

Sweller, 2003; Van Merriënboer & Sweller, 2005). Durch die begrenzte Kapazität der Ar-beitsgedächtnisses können nur dann Schemata aufgebaut und automatisiert werden (folglich Lernen stattfinden), wenn intrinsische und extrinsische kognitive Belastung nicht bereits die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses übersteigen (Sweller, 1994).

Die hohe Aufgabenkomplexität der Landeaufgabe und die nicht vorhandenen Vorerfah-rungen der Novizen sprechen dafür, dass die intrinsische kognitive Belastung sehr hoch war.

Dies könnte in Kombination mit der extrinsischen Belastung durch das Instruktionsmaterial zur Landeaufgabe und zur Anleitung der Reflektion zwischen den Landeaufgaben dazu ge-führt haben, dass nur wenig lernrelevante kognitive Belastung auf den Aufbau oder gar die

Automatisierung von Schemata für die Landung verwendet werden konnte, weil die Kapazi-tätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses erreicht wurden.