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6 Experiment 3

7.4 Implikationen für die Forschung

Die Diskussion der Ergebnisse in Hinblick auf die aufgestellten Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit beinhaltete Erklärungsansätze und offene Fragen, die der empirischen Überprüfung bedürfen und Ansatzpunkte für zukünftige Forschung darstellen.

Erstens wurde bezüglich der Leistungsförderlichkeit kontrafaktischer Gedanken unter-schiedlicher Richtung eine Abhängigkeit vom Expertisegrad auf Grund elaborierter mentaler Modelle vermutet. Für die empirische Überprüfung des Erklärungsansatzes, dass Experten auch aus der Beschäftigung mit Erfolgen lernen (vgl. Ellis & Davidi, 2005), könnte es sich eignen, das dritte Experiment zu replizieren und dabei auch die mentalen Modelle für die Bewältigung der Landeaufgabe zu erheben. In Anlehnung an Ellis und Davidi (2005) könnte die Reichhaltigkeit mentaler Modelle durch cognitve cause maps, in denen Kausalerklärun-gen und VerbindunKausalerklärun-gen zwischen diesen erfasst werden, erhoben werden.

Ein zweiter Erklärungsansatz beinhaltete die Möglichkeit, dass kontrafaktische Denk-weisen der inhaltsneutralen Bahn inhaltsspezifische Effekte der Richtung kontrafaktischer Gedanken überlagern (vgl. Epstude & Roese, 2008). Um die Effekte kontrafaktischer

Denk-weisen in Abhängigkeit des Expertisegrades zu untersuchen, könnte es sich eignen, die konkrete Anleitung kontrafaktischer Gedanken beider Richtungen sowohl bei Novizen als auch bei Experten dem Priming kontrafaktischer Denkweisen gegenüber zu stellen (Galinsky

& Kray, 2004; Galinsky & Moskowitz, 2000; Kray et al., 2006). Dazu wäre das Untersu-chungsdesign des ersten und dritten Experiments so zu verändern, dass in der faktenbasier-te Reflektionsbedingung ein Priming kontrafaktischer Denkweisen den simulierfaktenbasier-ten Landeauf-gaben vorangestellt ist. Hierzu könnte das Rockkonzert Szenario verwendet werden (vgl.

Abschnitt 2.4.4.2). Die Bedingungen, in denen später zwischen den Landeaufgaben kontra-faktische Gedanken angeleitet werden, würden das Szenario im Vorfeld in der Kontrollversi-on ohne die Anregung kKontrollversi-ontrafaktischer Gedanken bearbeiten. Durch diesen Untersuchungs-aufbau könnten Einflüsse der inhaltsneutralen und inhaltsspezifischen Bahn auf Leistungs-steigerungen bei der Landeaufgabe getrennt betrachtet werden.

Die geringen differentiellen Effekte kontrafaktischer Gedanken unterschiedlicher Rich-tung wurden einerseits hinsichtlich der Abwesenheit affektiver und motivationaler Auswirkun-gen auf der inhaltsneutralen Bahn diskutiert. Es wäre wünschenswert, wenn sich zukünftige Forschungsarbeiten dieser Erklärungsoption annähmen, indem zum Beispiel der in der vor-liegenden Arbeit verwendete Untersuchungskontext so verändert wird, dass affektive und motivationale Auswirkungen kontrafaktischer Gedanken verschiedener Richtung gefördert werden. Beispielsweise könnte dies durch eine leistungsabhängige Vergütung geschehen (z.

B. Bonuszahlung für die zehn besten Teilnehmer) oder durch eine Steigerung der Bedeut-samkeit der Aufgabe über die Instruktionen (z. B. Setting mit Passagieren oder Gefahrengü-tern an Bord).

Andererseits wurde sowohl hinsichtlich des Vergleichs der beiden kontrafaktischen Re-flektionsarten als auch hinsichtlich des Vergleichs fakten- und simulationsbasierter Reflektion diskutiert, ob sich größere Effekte bei Transferaufgaben einstellten. Bei Transferaufgaben ist der Aufbau elaborierter mentaler Modelle von besonderer Bedeutung (Jones & Endsley, 2000; Joung et al., 2006). Darüber hinaus könnte die Betrachtung von Transferleistungen eine möglicherweise starke Überlagerung der Effekte unterschiedlicher Reflektionsarten

durch Übungseffekt bei der zeitnahen Ausführung der identischen Aufgabe unter identischen Bedingungen aufheben. Es wäre lohnenswert, die Effekte unterschiedlicher Reflektionsarten für Transferleistungen empirisch zu überprüfen.

In der vorliegenden Arbeit wurden für den Vergleich fakten- und simulationsbasierter Reflektionsprozesse aufwärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken herangezogen. In der faktenbasierten Reflektion setzten sich die Untersuchungsteilnehmer sowohl mit Erfolgen („was lief gut?“) als auch mit Misserfolgen („was lief nicht gut?“) auseinander, während auf-wärtsgerichtete kontrafaktische Gedanken die Beschäftigung mit Misserfolgen beinhalteten.

Da Personen auch aus Erfolgen lernen können (Ellis & Davidi, 2005) und bei Experten die Richtung kontrafaktischer Gedanken keinen Effekt zeigte, wäre es vorstellbar, dass (zumin-dest bei Experten) stärkere Effekte aufträten, wenn die verwendete faktenbasierte Reflekti-onsmethode mit der gemeinsamen Anleitung kontrafaktischer Gedanken beider Richtungen kontrastiert würde. Auch dies sollte Ansatzpunkt zukünftiger Forschungsarbeiten sein.

Die mit kontrafaktischen Gedanken unterschiedlicher Richtung beschriebenen affekti-ven und motivationalen Effekte traten in der vorliegenden Arbeit nicht auf und wurden mit Spezifika der verwendeten Untersuchungsumgebung erklärt. Ob affektive und motivationale Effekte kontrafaktischer Gedanken allgemein bei komplexen perzeptuell-motorischen Aufga-ben eine untergeordnete Rolle spielen, ist eine Frage, die durch zukünftige Forschung zu beantworten sein wird. Beispielsweise könnten andere komplexe Aufgaben wie Fahrzeugfüh-rung verwendet werden oder (zumindest bei Novizen) weniger luftfahrt- und technikinteres-sierte Untersuchungsteilnehmer gewonnen werden.

Schließlich führt auch die Auseinandersetzung mit der Komplexität der in der vorlie-genden Arbeit eingesetzten Landeaufgabe zu Implikationen für zukünftige Forschungsarbeit.

Flugzeugführung zeichnet sich durch hohe Komponenten-, Koordinations- und Dynamik-komplexität aus (vgl. Wickens, 2007; Wood & Locke, 1990) (vgl. Abschnitt 3.1). Trotz einer Reduktion der Komplexität durch die voreingestellten Flaps und den Verzicht auf Funkver-kehr kann die Komplexität der Landeaufgabe immer noch als hoch angesehen werden. Wie bereits in der Diskussion des ersten Experiments angesprochen, ist dadurch eine hohe

intrinsische kognitive Belastung für Novizen anzunehmen. Wenn diese, addiert mit der extrinsischen Belastung durch die Reflektionsanleitung, zu einer kognitive Überlastung führ-te, stünden keine Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses mehr für den Aufbau und die Pro-zeduralisierung leistungsrelevanter mentaler Repräsentationen zu Verfügung (Sweller, 1988;

Van Merriënboer & Sweller, 2005). Dies könnte ein Beitrag zur Erklärung der nicht stark aus-geprägten Übungseffekte und differentiellen Effekte der Reflektionsart bei den Novizen leis-ten. Wenn die Aufgabe zu herausfordernd war und dadurch Lernen verhinderte, könnte in zukünftigen Forschungsarbeiten die intrinsische kognitive Belastung der eingesetzten kom-plexen Aufgabe reduziert und die Auswirkungen unterschiedlicher Reflektionsarten, für deren Einsatz dann mehr kognitive Ressourcen zur Verfügung stünden, untersucht werden. Dazu könnte die Komplexität der Landaufgabe verringert werden, indem die Anzahl der Elemente verringert würde (beispielsweise durch eine Automatisierung der Geschwindigkeitsregulati-on). Dieses Vorgehen würde allerdings die psychologische Wiedergabetreue reduzieren (Kozlowski & DeShon, 2004). Geeigneter wäre es, Novizen vor der Anleitung kontrafakti-scher Gedanken so lange üben zu lassen, bis durch den Aufbau mentaler Repräsentationen die intrinsische kognitive Belastung so weit verringert ist, dass lernrelevante kognitive Belas-tung möglich ist. Somit wäre es wünschenswert, wenn zukünftige Forschung sich der Frage annähme, ab welchem Fertigkeitsniveau und zu welchem Zeitpunkt des Fertigkeitserwerbs der Einsatz kontrafaktischer Gedanken besonders wirkungsvoll ist.