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Förderung des Erwerbs komplexer Fertigkeiten durch Reflektion

2 Theoretische Grundlagen

2.3 Förderung des Erwerbs komplexer Fertigkeiten durch Reflektion

Der kognitive Prozess, mit dem Personen ihre Bewusstheit für eine Erfahrung steigern und damit ihre Fähigkeit, aus dieser zu lernen, ist der Prozess der Reflektion (Hullfish &

Smith, 1961). Bei Reflektionsprozessen werden neue Vorstellungen und Einschätzungen bewertet und in existierenden Wissensstrukturen aufgenommen (Gray, 2007; Lederman, 1984). Thiagarajan (1994) erklärt: “People don’t learn from experience (including simulated experience). They learn by reflecting on their experience” (S. 532). Auch andere Autoren betonen, dass Lernen aus Erfahrungen ohne Reflektion der Erfahrung nicht möglich ist (Le-derman, 1992; Lennon & Coombs, 2005; Tannenbaum, Beard, McNall & Salas, 2010).

Reflektion kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen. Im Rahmen dieser Arbeit er-folgt eine Gegenüberstellung zweier grundlegender Arten, die durch die in Anlehnung an die Unterscheidung faktenbasierter und simulationsbasierter Vergleiche von Summerville und Roese (2008) selbstgebildeten Begriffe faktenbasierte Reflektion und simulationsbasierte

Reflektion bezeichnet werden. Faktenbasierte Reflektion beinhaltet die Auseinandersetzung mit tatsächlich Erlebten. Simulationsbasierte Reflektion erfolgt dagegen durch die Auseinan-dersetzung mit möglichen Alternativen zu dem tatsächlich Erlebten. Im Folgenden werden beide Reflektionsarten sowie deren Anregung dargestellt.

2.3.1 Faktenbasierte Reflektion

Eine Möglichkeit der Reflektion ist die detaillierte Auseinandersetzung mit dem faktisch Erlebten. In der Organisations- und Trainingsliteratur finden sich verschiedene Ansätze, die-se Reflektionsprozesdie-se zu fördern.

Die Durchführung von After-Event Reviews (AERs) ist ein weit verbreiteter Ansatz (El-lis, 2012; Ellis & Davidi, 2005). Im Anschluss an eine Erfahrung, beispielsweise eine Naviga-tionsübung, analysieren die Übungsteilnehmer ihr Verhalten systematisch und bewerten den Einfluss einzelner Komponenten auf die erreichte Leistung. Besonders wichtig für zukünftige Leistungsverbesserungen sind dabei Selbsterklärungen. Indem die Teilnehmer durch Wa-rum-Fragen angeleitet werden, ihr Verhalten zu erklären, können leistungsförderliche Wenn-Dann-Regeln erkannt werden (Ellis & Davidi, 2005; Ellis, Mendel & Nir, 2006). Durch AERs soll der Informationsverarbeitungsprozess der Lernenden von einem automatischen zu ei-nem bewussten wechseln (Ellis, 2012).

Anseel, Lievens und Schollaert (2009) untersuchten, welche Bedeutung Reflektions-prozesse im Rahmen von Feedbackinterventionen haben. In einem ersten Experiment ließen die Autoren berufstätige Untersuchungsteilnehmer zwei Blöcke einer computerbasierten Si-mulation alltäglicher Arbeitsaufgaben bearbeiten. Dabei mussten für je zehn Emails ver-schiedene Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Effektivität eingeschätzt werden. Die Antworten wurden auf den vier arbeitsbezogenen Leistungsdimensionen Problembewusst-sein, Informationsmanagement, Koordination und Entschlussfreudigkeit beurteilt. Der Mittel-wert der Beurteilungen diente als Gesamtmaß der Leistung in der Arbeitssimulation.

Die erste Gruppe von Untersuchungsteilnehmern wurde nach dem ersten Block nur darüber informiert, dass sie die Hälfte der Aufgaben bearbeitet hätte. Eine zweite Gruppe erhielt nach dem ersten Block eine Rückmeldung ihrer Leistung (1-20 Punkte) auf jeder Di-mension. Die dritte Gruppe erhielt ebenfalls diese Art des Feedbacks und reflektierte an-schließend ihre Erfahrung aus dem ersten Block. Dazu wurden die Untersuchungsteilnehmer gebeten aufzuschreiben, was sie ihrer Meinung nach gut und was sie ihrer Meinung nach nicht gut gemacht hätten und dies mit Beispielen zu verdeutlichen. Die vierte Gruppe erhielt keine Leistungsrückmeldung, sondern nur die Anleitung zur Reflektion.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Untersuchungsteilnehmer in der dritten Bedingung mit Feedback und Reflektion die stärksten Leistungszuwächse im zweiten Block erzielten.

Die Leistungszuwächse der Teilnehmer in der zweiten Gruppe mit Rückmeldung, aber ohne Reflektion, waren deutlich geringer. Sowohl Untersuchungsteilnehmer in der vierten Gruppe, die nur zur Reflektion angeleitet wurden als auch Teilnehmer in der ersten Gruppe ohne Feedback und ohne Reflektion konnten ihre Leistungen im zweiten Block nicht steigern. Die-ses Ergebnismuster konnte in einer weiteren Untersuchung mit studentischen Untersu-chungsteilnehmern repliziert werden.

Anseel et al. (2009) sahen in den Ergebnissen Belege dafür, dass die gewählte Reflek-tionsstrategie zu vorteilhaften Effekten führte. Dies begründeten sie mit einer tieferen Infor-mationsverarbeitung. Dass Reflektion ohne Feedback wenig hilfreich war, um die Leistungen in dem zweiten Block zu steigern, wurde auf die Art der Aufgabe zurückgeführt. Die Bearbei-tung der Aufgabe ermöglichte keine Rückschlüsse über die eigene LeisBearbei-tung. So waren die Teilnehmer auf externe Rückmeldung der Resultate angewiesen.

Eine ähnliche Methode der Reflektionsanleitung beschreibt Klair (2000) für den Luft-fahrtbereich. Um die Reflektion nach problematischen Flügen zu unterstützen, werden von der Flugbesatzung so genannte T-Listen mit Hilfe des Leiters der Flugnachbesprechung nach kritischen Ereignissen erarbeitet. Die T-Liste besteht aus zwei Spalten. In der linken Spalte werden detailliert Verhaltensaspekte festgehalten, die bei dem kritischen Flug gut

waren. In der rechten Spalte folgen Beschreibungen von Aspekten, die zu verbessern sind.

Sie stellen die lessons learned dar, die die Bewältigung zukünftiger Flüge verbessern sollen.

Bei den dargestellten Ansätzen zur Reflektion ist eine vertiefte und bewusste Verarbei-tung der faktischen Ereignisse und Ergebnisse gegeben. Die Lernenden wissen, was positiv und was eher negativ war. Allerdings beinhaltet diese Art der Reflektion keine explizite Vor-stellung darüber, was andere und eventuell bessere Ergebnisse gewesen wären, und wie diese hätten erreicht werden können. Dies aber kann die zweite Art der Reflektion, die simu-lationsbasierte Reflektion, leisten.

2.3.2 Simulationsbasierte Reflektion

Grundlage dieser Reflektionsart bildet die mentale Simulation. Nach Sanna (2000) sind mentale Simlulationen: „… imitative cognitive constructions of hypothetical events or recon-structions of real events“ (S. 168). Ausgangspunkt mentaler Simulation sind mentale Model-le, die innerlich durchgespielt werden, indem beispielsweise Vorbedingungen für Ergebnisse oder eigene Handlungen verändert werden, so dass quasi beobachtet werden kann, was dadurch passieren wird und was die Ergebnisse des Prozesses sein werden (Gentner, 2002). Durch das Durchspielen mentaler Simulationen können somit auch kausale Bezie-hungen zwischen Handlungen und Ergebnissen verstanden werden (Kray, Galinsky &

Markman, 2009).

Anders als bei der faktenbasierten Reflektion werden bei der simulationsbasierten Re-flektion nicht nur Tatsachen, sondern auch Möglichkeiten betrachtet und verarbeitet. So wer-den Alternativen oder Vorhersagen für zukünftige Begegnungen mit gleichen oder ähnlichen Situationen generiert (Christensen & Schunn, 2009).

Während die Betrachtung von Fakten an die Realität gebunden ist, unterliegt das Durchspielen von Möglichkeiten weniger Beschränkungen (Summerville & Roese, 2008).

Vorstellungen können eine ganze Bandbreite alternativer Möglichkeiten abdecken. Je weni-ger eingeschränkt Repräsentationen sind, desto stärker werden sie mit persönlicher

Weiter-entwicklung und Leistungsverbesserungen in Verbindung gebracht (Markman, Gavanski, Sherman & McMullen, 1993; Summerville & Roese, 2008; Testa & Major, 1990).

Ein Vorteil simulationsbasierter Reflektion ist, dass mentale Simulation ermöglicht, Wege oder Strategien zu entwickeln, wie andere Ausgänge einer Situation erreicht werden können. Gerade Vorstellungen über bessere Ergebnisse und Wege zur Erreichung dersel-ben können zu Leistungsverbesserungen beitragen. Beispielsweise wird in der Sportpsycho-logie mentale Imagination (mental imagery) in Trainings genutzt, um perzeptuell-motorische Fertigkeiten zu verbessern, indem komplexe Bewegungsabläufe wie der perfekte Aufschlag im Tennis mental durchgespielt werden (Erlacher, 2010). Inzwischen wird mentale Imaginati-on unter anderem auch in der Medizin genutzt. Die Leistungsförderlichkeit mentaler Simula-tion konnte für den Erwerb verschiedener OperaSimula-tionstechniken gezeigt werden (Arora et al., 2010; Sanders et al., 2008).

Eine weitere Form simulationsbasierter Reflektion ist die Bildung kontrafaktischer Ge-danken. Die Leistungsförderlichkeit dieser Reflektionsart konnte beispielsweise für akademi-sche Leistungen (Nasco & Marsh, 1999) und Wortbildungsaufgaben (z. B. Roese, 1994, 1997) gezeigt werden, wurde allerdings bisher noch kaum im Rahmen des Erwerbs komple-xer Fertigkeiten betrachtet. Da simulationsbasierte Reflektion in Form kontrafaktischer Ge-danken den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet, werden im Folgenden kontrafakti-sche Gedanken ausführlich behandelt.