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Zusammenfassung und Diskussion

Terrestral ist ein Beispiel für einen Stoff mit komplexer systemischer und lokaler Wirkung.

Als hydrophober und mit chemisch reaktiven Funktionalitäten ausgestatteter Stoff hat Terrestral eine typische Reizcharakteristik: Es ist stark hautreizend jedoch nur schwach augenreizend. Die häufig zu findende Unterstellung, daß hautreizende Stoffe immer auch augenreizend seien, erfährt mit Terrestral abermals eine Widerlegung. Hier spiegelt sich die Affinität zum hydrophoben Stramm corneum einerseits und die abstoßende und damit protektive Wirkung des Tränenfilms im Auge andererseits wieder. Der für Terrestral gemessene log PQW von 2,53 steht in Übereinstimmung mit dieser Beobachtung (1S). Stark hautreizende Wirkungen wie die von Terrestral können im Buehler-Test sensibilisierende Eigenschaften vortäuschen, jedoch legen die mit Terrestral beobachteten, typischen Reaktionen kein falsch positives Resultat nahe: Ein zeitlich verzögertes Einsetzen der Hautreaktion, die über die eigentliche Applikationsfläche überschießende Rötung und die mit jeder Wiederholung der Auslösebehandlung geringer werdende Auslöseschwelle sind eindeutige Hinweise auf eine stark sensibilisierende Wirkung des Riechstoffes. Im übrigen sind eine große Anzahl Aldehyde bekannte Humanallergene und wurden in der Literatur bereits als solche diskutiert, was im Sinne einer Struktur-Wirkungsbeziehung einen Anfangsverdacht schon begründen würde ( . Mit dem für Terrestral verwendeten Bühler-Protokoll läßt sich noch nicht entscheiden, ob auch in der sehr geringen Anwendungskonzentration (ca. 200 ppm) Sensibilisierungen zu erwarten sind, jedoch ist im Interesse des Arbeitsschutzes eine Kennzeichnung des Rohstoffes vorgeschrieben. Die Möglichkeit einer Typ I Atemwegssensibilisierung müsste bei der weiteren Sicherheitsbewertung ebenfalls berücksichtigt werden, allerdings ergibt sich hier das Problem, daß bisher kein allgemein anerkanntes und validiertes Prüfsystem für diesen Endpunkt verfügbar ist.

Die Gentoxizität wurde mit Hilfe verschiedener in-vitro- und m-v/vo-Studien auf Mutagenität und Klastogenität untersucht. Die Ergebnisse aus dem Ames-Test führten zu dem Schluß, daß Terrestral in-vitro sowohl Punktmutationen als auch Frameshifts im bakteriellen Genom auslösen kann. In diesem Prüfdesign waren die Wirkungen nicht durch

18 Cognis Deutschland GmbH&Co KG; unveröffentlichtes Ergebnis, VTA Prüfbericht 98-5459

19 Goodwin BFJ, Crevel RWR and Johnson AW: A comparison ofthree guinea-pig sensitization procedures for the detection of 19 reported human contact sensitizers. Contact Dermatitis, 7, pp. 248-258 (1988).

metabolische Aktivierung beeinflußbar. Positivreaktionen im Ames-Test sind ebenfalls für eine Reihe aldehydischer Verbindungen in der Literatur beschrieben (20)(21)(22), Im Gegensatz zu den Befunden des Ames-Tests gab die V79 Lungenfibroblasten Säugerzellinie im HPRT-Test keinen Hinweis auf genotoxische Eigenschaften. Weder mit noch ohne metabolische Aktivierung wurde die Mutationsfrequenz erhöht. Gemäß dem TGD-Prüfschema zur Gentoxizität steht das Ergebnis eines Säugerzelltests hierarchisch über dem eines Bakterienmutationstests (2j)(24). Als sehr sensitiver Mutagenitätstest ist der Ames-Test auf Überprädiktivität ausgelegt und seine Ergebnisse können durch geeignete Untersuchungen relativiert oder widerlegt werden:

positiv

Bakterien

Genmutation negativ

Maus-Lymphoma oder HPRT

und in-ti&o Zytogenetik in-vhro Zytogenetik

negativ positiv- positive negative

Micronucleus-Test in vivo STOP

Abb. 2: Prüfhierarchie ,Gentoxizität' des Technical Guidance Document for Human Health Risk Assessment(24)

Im cytogenetischen Assay mit derselben V79-Zellinie wurden eindeutige und reproduzierbare Anzeichen für Chromosomenaberrationen sichtbar. Dosisabhängig stieg die Zahl der aberranten Zellen und die Zahl der polyploiden Zellen war erhöht, was ein Zeichen für einen Störeffekt auf die Mitose ist. Da dieser Assay bekanntermaßen empfindlich auf osmotische Effekte mit falsch positiven Resultaten reagiert, wurde gemäß

20 Mortelmans K, Haworth S, Lawlor T, Speck W, Tainer B and Zeiger E.: Salmonella mutagenicity tests: II.

Results from the testing of 270 chemicals. Envir Mut, 8 (Supplement 7), pp. 1-119 (1986)

21 Zeiger E, Anderson B, Haworth S, Lawlor T and Mortelmans K.: Salmonella mutagenicity tests: V. Results fi-om the testing of 311 chemicals. Envir Molecular Mut, 19 (supplement 21), pp. 2-141 (1992)

22 Dillon D, Combes R and Zeiger E.: The effectiveness of Salmonella strains TA100, TA102 and TA104 for detecting mutagenicity of some aldehydes and peroxides. Mutagenesis, 13, pp. 19-26 (1998)

23 European Commision, Directorate General DG XXIV, Food. Chem. Tox. 37, 357ff (1999)

24 European Commission, Technical Guidance Document for Human Health Risk Assessment, (1996)

o. g. Schema zur Prüfung auf Gentoxizität eine weitere Untersuchung zur Chromosomenaberration durchgeführt, allerdings in einem in-vivo System: Der Mikrokem-Test in der Maus konnte die vermutete klastogene Wirkung von Terrestral nicht bestätigen.

Eine Erhöhung der Zahl der Mikronuclei wurde nach oraler Applikation von Terrestral nicht beobachtet. Die nach der Behandlung veränderten PCE/NCE-Verhältnisse zeigten, daß Terrestral systemisch verfügbar war und das Zielorgan erreichte, womit die Aussagefähigkeit der Untersuchung nachgewiesen wäre. Unter in-vivo-Bedingungen ist Terrestral nicht klastogen und verursacht keine Chromosomenaberrationen.

Während das akut toxische Profil über die orale und dermale Route nur geringe Effekte zeigte, ist die systemische Wirkung nach wiederholter oraler Applikation äußerst komplex.

Die systemische Wirkung ist sowohl organ- als auch geschlechtsspezifisch. Die Tatsache, daß viele Gewebeschäden und klinisch-chemischen Veränderungen nur entweder in männlichen oder weiblichen Tieren beobachtet wurden, meist jedoch nicht in beiden Geschlechtern zugleich, läßt den Verdacht aufkommen, daß ein oder mehrere Metaboliten das eigentlich toxische Agens sind. Die sein" unterschiedliche metabolische Enzymausstattung von männlichen und weiblichen Ratten ist bekannt und ihr Polymorphismus ist wesentlich ausgeprägter als der menschliche. Ein dosisabhängiger Anstieg der Lebergewichte und eine statistisch signifikante hepatozelluläre Hypertrophie sind ferner Hinweise auf eine metabolische Anpassung, was die vorgenannte Annahme in gewisser Weise stützt. Auch der zytogenetische Assay in Säugerzellen (s.o) zeigte Effekte nur nach metabolischer Aktivierung. Endgültige Sicherheit können jedoch erst weitergehende toxikokinetische Untersuchungen bieten.

Terrestral oder seine Metaboliten zeigen klar nephrotoxische Wirkungen, die sich auf die Tubuluszellen konzentrieren als die bekanntermaßen empfindlichsten Zelltypen in der Niere. Durch ihren enormen Flüssigkeitsdurchsatz bei der Rückresorption des Primärharns sind diese Zellen Fremdstoffen besonders stark ausgesetzt. Männliche Ratten zeigen nach Exposition durch Terrestral hauptsächlich eine überschüssige Einlagerung von Hyalin-Tröpfchen, die fast immer mit der Akkumulation von Protein im Gewebe gekoppelt sind.

Dies kann man z. B. bei Proteinurien beobachten, in denen die Nieren die ausgeschiedenen Proteine insbesondere in der Anfangsphase einer Erkrankung rückresorbieren wollen. Als Bestätigung könnten die herabgesetzten Gesamtproteinspiegel im Blut gelten, jedoch

wurde in der Urinalyse kein Protein nachgewiesen. Offenbar kann durch die Rückresorption in diesem frühen Stadium die Proteinurie noch vollständig ausgeglichen werden. Die Nierenfunktion der männlichen Tiere blieb mein- oder weniger unverändert, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß schwerere Effekte in späteren Phasen einer Langzeitexposition durch Terrestral auftreten würden.

Weibliche Ratten reagieren unspezifischer mit einer signifikanten und dosisabhängigen Schwellung an den proximalen Tubuli, ein Hinweis auf allgemein osmotische Veränderungen in der Tubulusregion. Dies wird bestätigt durch ein erhöhtes 18-Stunden Harnvolumen, dessen verringerte spezifische Dichte vielleicht Ursache für diesen Effekt ist.

Weitere biochemische Veränderungen betreffen einen erhöhten Kreatinkinasespiegel (CK) in den hochdosierten Weibchen (250 mg/kg KG). Möglicherweise ist dies ursächlich für die reduzierten Griffstärken der Hinterläufe, die in derselben Dosisgruppe beobachtet wurden, wenn man voraussetzt, daß dieser pathologische Mechanismus mit der Muskelzellkontraktion interferiert, die maßgeblich von der CK-Aktivität abhängt. Natürlich ist auch eine rein neuropathologische Ursache nicht auszuschließen. Zur endgültigen Abklärung sind weitere Untersuchungen erforderlich.

Mit Blick auf diese Befunde kann kein NOAEL oder NOEL für Terrestral abgeleitet werden. Die Schwere der Effekte und ihre Häufigkeit (9 von 10 männlichen Tieren waren von den Nephropathien betroffen) lassen auch keine sinnvolle Risikoabschätzung für die Exposition des Menschen zu. Es ist nicht damit zu rechnen, daß eine weitere Reduzierung der Applikationsdosis auf unter 10 mg/kg KG keine adverse Effekte zeigen würde. Im Interesse des Verbraucherschutzes sowie in Verantwortung für den Schutz der Allgemeinbevölkerung wurde nach gründlicher Abwägung der Befunde der Einsatz des Riechstoffes Terrestral als toxikologisch bedenklich eingestuft und die Weiterentwicklung eingestellt.