• Keine Ergebnisse gefunden

1 Partizipation

1.5 Zusammenfassende kritische Betrachtung von Partizipation

Die Erwartungen und Hoffnungen, die in Partizipation gesetzt werden, sind hoch (vgl. Marent et al. 2009: 19). Durch die Einbeziehung von PatientInnen verspricht man sich – wie dargestellt wurde - viele Vorteile. Allerdings bergen Partizipationsbestrebungen auch Probleme in sich, die bereits bei der Definition beginnen: „Partizipation“ wird als selbsterklärender Begriff wahrgenommen, so dass dieser selten definiert wird, vage bleibt und dadurch die Komplexität verdeckt und Missstände bzw. Interpretationsspielraum provoziert (White 2000: 465). Aus Mangel einer einheitlichen Definition, ist die Definition von Beteiligung davon abhängig, wer interpretiert und in welchem Kontext Partizipation vorkommt (vgl. Esfandiari 2010: 45 mit Verweis auf Rifkin 1986). Eingefordert wird daher konzeptuelle Klarheit, um genauer die verschiedenen, möglichen Typen und Ebenen von Laienpartizipation in verschiedenen Kontexten zu beschreiben (vgl. Charles/DeMaio 1993:

889f). Trotz begrifflicher Unklarheiten wird am Wert von Partizipation für Gesundheit und Entscheidungsfindung meist festgehalten (vgl. White 2000: 465).

Dennoch sind die Ziele von Partizipation teilweise unklar (vgl. Charles/DeMaio 1993: 889), d. h. ob Partizipation als Ziel, als Mittel zur Zielerreichung oder als beides betrachtet wird.

Auch in Bezug auf die Wirkungen bzw. Outcomes finden sich in der Literatur „Bedenken“:

Es wird (fast selbstverständlich) davon ausgegangen, dass Partizipation etwas Gutes ist und zu besseren Entscheidungen führt (wobei nicht definiert wird, was darunter zu verstehen ist).

Allerdings gibt es hierfür wenig empirischen Beweis. Bisherige empirische Belege für die Outcomes beziehen sich weitestgehend auf theoretischen Grundlagen und persönlichen Erfahrungen (vgl. White 2000: 471; Zakus/Lysack 1998: 3 mit Verweis auf Annett/Nickson 1991; Oakley 1992; Zakus 1988). White (2004: 471 mit Verweis auf Jewks/Murcott 1998) argumentiert, dass die meist normativen Bezüge (Hoffnungen und Erwartungen) selten getestet und noch seltener erfüllt werden.

„In fact, however, there is little research evidence on whether increased lay participation leads to „better“ decisions, or even how this might be defined“ (Charles/DeMaio 1993: 889).

Neben der konzeptuellen Kritik, ist die Umsetzung geprägt, von der Abhängigkeit der Outsider, von den Insidern (White 2000: 467) sowie der Gefahr der Überforderung der Laien, den mangelnden (finanziellen) Ressourcen und der Frage, wer legitimiert ist, die Laien als heterogene Gruppe zu repräsentieren (u. a. Zakus/Lysack 1998: 6). Zudem wird hinterfragt, wer letztlich empowered wird. In der Praxis, so White (2000: 475), zeigt sich Partizipation weder als sehr effizient noch als demokratischer Prozess:

„Lay participation is not about empowering consumers and communities or about turning them into decision makers, but rather, it is about empowering existing decisionmakers“ (White 2000: 475).

Und selbst wenn die Outsider ermächtigt werden, seien es die Insider, die bestimmen, wer zu empowern ist (vgl. White 2000: 467). Es finden sich Hinweise, wonach aus Verwaltungssicht Partizipationsbestrebungen nicht mit der Repräsentation von Laieninteressen begründet wird, sondern mit der Erweiterung von Expertise (Erfahrung), wodurch Partizipation primär zu einer Frage der Effizienz wird und weniger einer Frage von Demokratie (vgl. White 2000:

472).

Die Ausgestaltung direkter Beteiligungsformen bewegte sich, so Rega (2006: 42), „zwischen echtem Einfluss und Scheinbeteiligung, zwischen Entscheidungsübertragung und Beschäftigungstherapie“, wobei sie unter echter Beteiligung eine „persönliche und selbstgesteuerte, absichtsvolle Mitwirkung“ versteht und somit kein „bloßes Einbezogensein in einen Vorgang“ und auch kein „unfreiwilliges ‘Zum-Teil-von-etwas-gemacht-Werden’“ (Rega 2006: 42 mit Verweis auf Sartori 1997: 125).

Partizipation alleine reicht nicht aus, es bedarf auch einer Stimme bei den Planungsprozessen, d. h. einer frühzeitigen Einbindung (Laverack 2004 zit. n. Jacobs 2006: 571).

Zusammenfassend seien Robertson und Minkler (1994 zit. n. Jacobs 2006: 571) zitiert, die in Bezug auf Gesundheitsförderungsprogramme konstatieren:

„In the paperwork everything looks nice, but in practice the people do not have a say”.

Abgesehen von der (fraglichen) Wirkung der Beteiligung, bleibt die Gefahr der Überforderung der Outsider (PatientInnen). Die Chance der Beteiligung bedeutet auch eine Last, da Selbstbestimmung auch selbst zu verantworten ist (vgl. Hart 2003: 338). Anders ausgedrückt, streut die Partizipation von Betroffenen die Entscheidungslast sowie die Verantwortung der Entscheidung bzw. teilt diese auf (vgl. Bora 2005: 29). Zudem erfordert Partizipation mehr als Erfahrungswissen und Betroffenheit, so dass es „ohne ein gewisses Ausmaß an Professionalisierung, externer Unterstützung und höhergradiger Organisation“ (Forster 2007: 472) nicht geht. Die führt aber wiederum zu einer Veränderung des ursprünglichen Charakters der Selbsthilfebewegung (ebd.). In Anlehnung an Hart (2003) wird daher resümiert, dass bei den vielen „Vorteilen“, die sich durch Beteiligung ergeben, nicht vergessen werden darf:

„Die Einräumung kollektiver Beteiligungsrechte an Bürger und Bürgergruppen ist deshalb: ein Angebot, ein Entwicklungsprojekt und ein selbstverantwortlich auszufüllendes Programm, wobei alle diese Charakteristika gleichermaßen für die anderen Akteure des Gesundheitssystems zutreffen“ (Hart 2003: 338f).

Es geht um einen „selbstbestimmten und selbstverantworteten gemeinsamen Prozess der Kommunikation und Entscheidung“ (Hart 2003: 339). Der Ausdruck „gemeinsam“ soll verdeutlichen, dass Beteiligung nicht anzuordnen ist, sondern sich jeweils angepasst an die Situation entwickeln muss, jedenfalls sind Akzeptanz und Kooperation Voraussetzungen, wenn die Beteiligung gelingen soll (vgl. Hart 2003: 339). Auch Bora gibt kein Plädoyer für oder gegen mehr Partizipation ab (vgl. Bora 2005: 34), aber stellt folgende Fragen zur Diskussion:

„Was genau soll mit erweiteter Inklusion erreicht werden?

Welche Leistungen sollen die betreffenden Verfahren erbringen?

Auf welche Diagnose stützt sich der angenommene Bedarf?

Wer soll – und an welcher Stelle – inkludiert werden?

Welche kommunikativen Probleme resultieren gegebenenfalls aus erweiterter Inklusion?“ (Bora 2005: 34).

Schlussfolgernd aus dem Ergebnis der Studie von Jacobs (2006: 578), plädiert diese für einen realistischen Ansatz, die Entwicklung kreativer Wege des „doing participation“.

Zusammenfassend sind die Vorteile, die Partizipation bzw. Inklusion zu bringen versprechen, nicht zu übersehen, so dass es sich die Gesellschaft nicht leisten kann, die Chance, die die Einbeziehung von PatientInnen in die Gestaltung des Gesundheitssystems bringt, zu verwerfen – gleichzeitig muss aber mitberücksichtigt werden, dass nicht alle Probleme durch Partizipation gelöst werden können, im Gegenteil sogar neue Probleme durch Partizipation entstehen können.

Bevor auf die Beteiligung von PatientInnen in Österreich – am Beispiel von themenüber-greifenden Selbsthilfedachverbänden – eingegangen wird, erscheint es zweckmäßig, auf die Selbstorganisation von PatientInnen, die Selbsthilfebewegung einzugehen.