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5 Beteiligungspraxis in einem ausgewählten Gremium

5.4 Partizipationsqualität

Abschließend wird versucht, eine Einschätzung der Qualität der Beteiligung des Dachverbandes in der Gesundheitsplattform vorzunehmen. Hierzu wird zuerst ein Vergleich der formellen und informellen Beteiligungsmöglichkeiten vorgenommen und zum anderen die Folgen der Beteiligung für die Betroffenen (verstanden als Selbsthilfegruppenmitglieder) betrachtet. Zudem wird basierend auf den Vorstellungen der Befragten (Interview 4-8) dargestellt, wie eine künftige Beteiligung einer PatientInnenvertretung aussehen könnte.

Formelle und informelle Partizipationsqualität

Wie bereits dargestellt, fungiert der ausgewählte themenübergreifende Selbsthilfedachverband als gesetzlich nominiertes Ersatzmitglied für den Patientenanwalt. In dieser Funktion erhält er Zugang zu den Sitzungsunterlagen (u. a. Beschlussanträge) und Sitzungen, wobei letzteres in der Regel nicht genutzt wird.

Im Vertretungsfall kommt dem Dachverband eine von zwölf Stimmen zu, wobei es möglich scheint, dass der Patientenanwalt (bewusst) auf die Sitzungsteilnahme verzichtet und somit (automatisch) dem Dachverband das Stimmrecht zukommt. Unabhängig davon, wer an der Sitzung teilnimmt, stimmen sich Patientenanwalt und Dachverband ab und bringen die Anmerkungen des jeweils anderen in der Sitzung ein. Aufgrund der Stimmenverhältnisse wird es von den Befragten als wenig realistisch eingeschätzt, Beschlüsse alleine durch die Stimme der Patientenanwaltschaft zu verhindern. Änderungen in der Antragsformulierung werden als möglich betrachtet, wie beispielsweise die Konkretisierung eines Beschlusses. Hierbei wird auch Lobbyarbeit geleistet und im Vorfeld versucht, für die gewünschte Änderung zu motivieren. Bei Erfolg wird der Änderungswunsch nicht vom Dachverband, sondern von einem anderen Gremiumsmitglied (z. B. der vorsitzführenden Person) eingebracht. Bei der Einrichtung von Arbeitsgruppen (z. B. anlässlich von Reformpoolprojekten) kann auf die Wichtigkeit der Beteiligung von Selbsthilfegruppen in diesen hingewiesen werden und diese entsprechend in die Arbeitsgruppen hineinreklamiert werden.

Der Vergleich der formellen und informellen Beteiligung zeigt, dass die formelle Beteiligung notwendig ist, um Zugang zu Information eines (nicht öffentlichen) Gremiums zu erhalten, es aber aufgrund der Stimmenverhältnisse kaum möglich ist, Beschlüsse zu verhindern und Änderungswünsche eher im Vorfeld eingebracht werden als direkt in der Sitzung.

Entsprechend scheint der Informationszugang wichtiger (und wirksamer) als die formale Möglichkeit einer Stimmenabgabe.

Partizipationsqualität – Folgen für die Betroffenen

Durch den Erhalt der Sitzungsunterlagen besteht die Möglichkeit, diese in verkürzter Form (z. B. durch Eckpunkte) an die Mitglieder des Dachverbandes weiterzuleiten. Wobei nur die Zielgruppe informiert wird. Der Dachverband nimmt sowohl die Selektion der Gruppen als auch die der weiterzugebenden Informationen wahr. Bei letzterem gilt es auch, die strukturellen Einschränkungen (Verschwiegenheitspflicht) zu berücksichtigen. Die eingeschränkte Informationsweitergabe stellt nach Auskunft des Dachverbandes für die Gruppen (bis jetzt) kein Problem dar. Einerseits wird die Information – wenn sie angeboten

wird – nicht stark eingefordert, andererseits senkt eine verkürzte Darstellung die Gefahr, die Gruppen damit zu überfordern. Die verständigten Gruppen erhalten - durch die Information - die Möglichkeit zu Rückmeldungen, die der Dachverband gebündelt in die Plattform bzw. im Vorfeld der Plattformsitzung einbringt. Diese Möglichkeit kann, muss aber nicht von den Gruppen wahrgenommen werden. Themen, die in der Plattform behandelt werden, können auch eingehender thematisiert werden, indem sie beispielsweise als Schwerpunktthema einer Selbsthilfeveranstaltung gewählt werden.

Insgesamt erweitern sich die Möglichkeiten der einzelnen Mitgliedergruppen durch die Beteiligung des Dachverbandes an der Gesundheitsplattform, auch wenn diese Erweiterungen von den Selbsthilfegruppen, den Betroffenen scheinbar (noch) wenig genutzt werden und die externen Befragten (Interview 5-7) diesen Aspekt nicht wahrnehmen bzw. nicht davon berichten.

Ausblick auf die Zukunft der Beteiligung von PatientInnen

Abschließend soll ein Ausblick gegeben werden, welche Vorstellungen die Befragten (Interview 4-8) von einer idealen (zukünftigen) Beteiligung von PatientInnen haben. Wer kommt als PatientInnenvertretung in Frage? Wo und wie sollen diese beteiligt werden?

Grundsätzlich erachteten alle Befragten eine Beteiligung von PatientInnenvertreterInnen als zweckmäßig. Vorteile werden im Zugewinn an Informationen über die Anliegen von PatientInnen (Interview 5, 6, 8), einer Akzeptanzerhöhung im Sinne einer stärkeren Annahme von Maßnahmen (Interview 4) und im Mittragen von Entscheidungen gesehen (Interview 7).

Jene Interviewpersonen, deren Einrichtung PatientInnen beteiligt bzw. zu beteiligen trachtet, zeigen sich auch kritisch und betonen den Aspekt der Freiwilligkeit (Beteiligung kann nicht erzwungen werden) (Interview 5) und die Beachtung der Rahmenbedingungen (u. a.

Vorhandensein von Infrastruktur), Grenzen und Möglichkeiten der Beteiligung von Betroffenen. Plädiert wird für die Entwicklung einer einheitlichen Sichtweise unter allen Beteiligten (im Vorfeld), über die Grenzen und Möglichkeiten der Beteiligung von Betroffenen (Interview 8).

Als potentielle PatientInnenvertreterInnen werden der Patientenanwalt als PatientInnenvertreter qua Gesetz (Interview 5-7), Selbsthilfegruppen (Interview 6-8) und der Dachverband (Interview 5, 8) angeführt. Der Dachverband differenziert hier zudem zwischen themenübergreifenden und themenspezifischen Angelegenheiten (Interview 8). Der Schwerpunkt der Beteiligung sollte auf Angelegenheiten der PatientInnenversorgung liegen, d. h. man spricht sich für eine Beteiligung von PatientInnenvertreterInnen in allen Bereichen

aus, die das Leben mit der Krankheit betreffen (Interview 4, 7, 8). In zwei Fällen (Interview 4, 8) wird eine möglichst frühzeitige Beteiligung genannt. Bei den Beteiligungsmodalitäten wird das Stimmrecht nicht (als „Ideal“) genannt. Stattdessen wird ein Informationsrecht für PatientInnen (Interview 6) und eine beratende Funktion in Gremien (Interview 8) vorgeschlagen. Das Stimmrecht wird u. a. auf Grund der Gefahr von Überforderung für die Betroffenen eher abgelehnt, aber auch auf Grund der Notwendigkeit, dass jene Stellen, die Betroffene beteiligen, ihre etablierten Zuständigkeitsbereiche und Rahmenbedingungen berücksichtigen müssen (Interview 5).

Wie soll diese möglichst frühzeitige Beteiligung bei Angelegenheiten der Versorgung ohne Stimmrecht realisiert werden – was müsste geschehen? Die Vorstellungen der Befragten umfassen ein Spektrum, welches als breit zu charakterisieren ist. Sie erstrecken sich von

„Patientenbeteiligung ist nicht organisierbar“, über „man befindet sich auf einem guten Weg“ bis hin zu Vorschlägen (z. B. Öffentlichkeitsarbeit, gutes Marketing) und konkreten Maßnahmen einzelner Einrichtungen zur Verbesserung der Beteiligungssituation. Letztere beziehen sich zum einen darauf, all jenen die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen, die dies wünschen (Interview 5) und zum anderen auf konkrete Weiterbildungsmaßnahmen mit Themenschwerpunktsetzung (z. B. auf die Strukturen des Gesundheitswesens auf Landes-ebene) (Interview 8). Der Dachverband möchte durch diese Weiterbildungsmaßnahmen seine Mitglieder langsam in ein komplexes Thema einführen und hierfür sensibilisieren. Dies dient auch als Vorbereitung auf eine allfällige spätere Mitarbeit der Gruppen in Gremien und Arbeitskreisen. Die teilnehmenden Selbsthilfegruppen erhalten Hintergrundwissen, so dass sie – werden sie zur Mitarbeit in einem Gremium eingeladen – kompetent mitarbeiten können und ihre Beteiligung nicht ausgenutzt wird (Interview 8). Eine weitere, als wichtig erachtete Maßnahme sieht der Dachverband darin, über Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung von Betroffenen zu sprechen. Er plädiert dafür, dass alle Beteiligten (Betroffene und weitere Gremienmitglieder) im Vorfeld ein gemeinsames Verständnis entwickeln, darüber was von einem betroffenen Beteiligten erwartet werden kann und was nicht. Bei einem/einer betroffenen Beteiligten handelt es sich, um einen Experten/eine Expertin in eigener Sache (Erfahrung mit der Krankheitsbewältigung) und nicht um einen Fachexperten/eine Fachexpertin (z. B. GesundheitsökonomIn) (Interview 8). Sind die Grenzen der Beteiligung von Betroffenen nicht definiert, besteht die Gefahr, dass die Beteiligung von Betroffenen ausgenutzt wird (z. B. als Aushängeschild oder Feigenblatt) (Interview 8). Eine ernsthafte Beteiligung von Betroffenen erfordert eine durchdachte Vorgangsweise – einfach irgendwem zu beteiligen ist nicht ausreichend (Interview 8).