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Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe in Saalfeld

Im Dokument „mitWirkung!“ in der Praxis (Seite 48-52)

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ihre Mitarbeiter erfuhren ebenso wenig von den Beteili-gungsvorhaben in den Schulen. Schule musste deutlich stär-ker in das kommunale Beteiligungsnetzwerk einbezogen werden, und das nicht nur mit dem Ziel einer besseren In-formation und Erreichbarkeit der Jugendlichen. Es galt auch, Parallelstrukturen in der Stadt zu vermeiden, Synergien besser zu nutzen und die Beteiligungskultur in den Schulen selbst zu stärken.

Was in den Worten der Partizipationsexperten „Beteili-gungskultur“ heißt, ist mit Blick auf Sabine, Christoph, Lars, Annita, Martin, Michael sowie ihre über 100 Schülerkollegen an der Förderschule wohl besser mit „Wohlfühlkultur“ zu umschreiben. In genau diese Richtung haben sich nämlich ihre schulischen Beteiligungsprojekte entwickelt und aus-gewirkt. Eines davon war die Schulhofgestaltung, die in

Zusammenarbeit von fünf Prozessmoderatoren und 22 Schülern der Förderschule in Angriff genommen wurde.

Hier ging es ebenso um die Einrichtung einer „Chill-out“-Ecke wie auch um die Frage, auf welche Weise sich Vanda-lismus von schulfremden Jugendlichen auf dem Schulhof-gelände unterbinden lässt.

Andere Projekte brachten erstmals zum Ausdruck, welche Bedürfnisse und Anliegen den Förderschülern über die klassischen Beteiligungsansätze hinaus noch am Herzen liegen. „Bei uns auf dem Schulhof waren immer Gruppen oder Schüler, die haben andere bedroht, beleidigt oder rumgeschlagen“, erzählt Annita (17). Das blonde Mädchen hat deswegen das Projekt „GGSRN“ gegründet: „Gemein-sam gegen Störenfriede, Randale, Null-Bock-Stimmung“.

Dass nicht nur dieses Projekt bereits im Schulalltag

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Wirkung zeigt, ist an der neuen „Wohlfühlkultur“ zu merken.

„Es gibt jetzt nicht mehr diese einzelnen Gruppen und so viel Stress auf dem Schulhof wie früher. Jetzt kommen auch die Kleinen zu uns, damit wir denen helfen können, wenn mal was ist“, sagt Lars (17), der — angesichts des Umstandes, dass er in dieser Themenrunde sitzt — mit seinem T-Shirt-Auf-druck seinen Beteiligungswillen eher ironisch zum AusT-Shirt-Auf-druck bringt: „Ich habe gerade Zeit. Wo gibt’s nichts zu tun?“

Lehrerin Evelyn Hopfe, gleichzeitig auch Netzwerkverant-wortliche für Partizipation am Förderzentrum, führt den Gedanken des Jungen weiter aus: „Seit Beginn der Mitwir-kungsprojekte ist das Verhältnis der Schüler untereinander respektvoller und ehrlicher geworden. Sie erleben sich jetzt als große Gemeinschaft und fühlen sich füreinander verant-wortlich.“ Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Schü-lern und Lehrern. Dadurch, dass beide Gruppen sich auch außerhalb des Unterrichtes begegnen und im gemeinsamen Engagement erleben, ist es offener und vertrauensvoller ge-worden. In schulischen Belangen, wie der Pausengestaltung oder der Planung schulischer Höhepunkte, gibt es mittler-weile auch mehr alltägliche Mitwirkungsmöglichkeiten,

was ebenfalls zu einer positiveren Grundstimmung an der Förderschule führte.

Sind die Schüler in Saalfeld erst einmal an diesem Punkt der persönlichen Partizipationserfahrung angekommen, läuft das vorhandene Beteiligungsinteresse auch nicht einfach ins Leere. Der kommunale Bereich ermöglicht ihnen sowohl durch die Unterstützung der politischen Ebene — allen voran Stadtoberhaupt Matthias Graul — sowie durch die unterschied-lichen Angebote der Jugendhilfe unmittelbare Anschluss-möglichkeiten. Im Rahmen der Initiative „mitWirkung!“ ge-schah dies beispielsweise in Form des Projektes „Die Lücke

nehm’ ich mir“. Was auf den ersten Blick an wildeste Hausbe-setzerzeiten der 70er und 80er Jahre in Berlin-Kreuzberg oder Hamburg-St.Pauli erinnert, ist für die Saalfelder Jugend-lichen die kommunal legitimierte Suche und zeitlich be-grenzte Inanspruchnahme brachliegender Flächen oder Räumlichkeiten innerhalb der Stadt. So werden alte Schulen zu Fortbildungsakademien für Graffiti-Kunst oder leer stehende Fabrikgebäude zu Erlebnisorten für Musik-Events.

Die Schüler Sabine, Christoph und Lars im Gespräch

Martin (16) mit Bianca Stever, lokale Koordinatorin für Kinder- und Jugendpartizipation

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Diesem Beispiel eines durch Beteiligungsbemühungen von Kommune selbst initiierten Projektes stehen andere Projekte gegenüber, die auf Ansätze aus der Schule aufbauen. So hat Amtsleiterin Hanka Giller die Seminarfacharbeit von vier Schülern des Heinrich-Böll-Gymnasiums in Saalfeld zum Thema „Demographischer Wandel“ aufgegriffen und damit bei der Saalfelder Stadtentwicklung offene Türen eingerannt.

Die Seminararbeit wurde daraufhin vom Amt für Jugend- arbeit, Sport und Soziales begleitet und gleichzeitig mit Un-terstützung von Prozessmoderatoren innerhalb der Initiative

„mitWirkung!“ als Partizipationsvorhaben „Sprachrohr — den demographischen Wandel gemeinsam gestalten“ von einer zwölfköpfigen Projektgruppe weiterentwickelt. Ziel des Pro-jektes ist es, in Saalfeld einen öffentlichen und generationen-übergreifenden Diskussionsprozess zum Thema Demogra-phie in Gang zu setzen.

Martin und seine Schulkameraden vom staatlich-regionalen Förderzentrum an der Jahnstraße konnten ihren größten Partizipationserfolg schließlich Anfang März 2008 verbuchen.

Mit den neu erworbenen Kompetenzen zum Thema Kinder-

und Jugendbeteiligung sowie als unmittelbar Beteiligte inner-halb der Initiative „mitWirkung!“ waren sie geladene Gäste und Vortragende bei der ersten Partizipationstagung des Landes Thüringen in Erfurt. In Anwesenheit des damaligen thüringischen Sozialministers Klaus Zeh sowie zahlreicher

Experten aus Wissenschaft, Schule, Ministerien und der Bertelsmann Stiftung präsentierten sie ihre Erfahrungen mit Partizipation: Förderschüler vor Vertretern des Sozial- und Kultusministeriums einmal nicht als Problemfälle, sondern als Vorbilder und Wegweiser für eine neue Beteiligungskul-tur in Schule und Kommune. „Das war cool“, sagt Martin, nimmt noch ein Stück Melone und ergänzt mit einem über-zeugten Blick: „Die wissen jetzt, dass wir was können.“

Partizipationsvorhaben „Sprachrohr – den demographischen Wandel gemeinsam gestalten“

Lehrerin Evelyn Hopfe, gleichzeitig auch Netzwerkverantwortliche für Partizipation am Förderzentrum im Gespräch mit Hanka Giller

50 Saalfeld I Gespräch mit Matthias Graul und Hanka Giller

Seit wann besteht in Saalfeld diese gute Verbindung zwischen Schule und Kommune?

Hanka Giller: Eigentlich schon seit Anfang der 90er Jahre.

Wir brauchten ja einen Weg, wie wir beim Aufbau der Jugendarbeit auch die Jugendlichen erreichen können. Also haben wir gleich die Verbindung zur Schule gesucht und auch nicht wieder abreißen lassen. Es gab regelmäßige Treffen, und es wurden Weiterbildungen durchgeführt, sodass wir Mitte der 90er Jahre schon ein Netzwerk hatten, mit dem wir weiterarbeiten konnten.

Wurde damals Partizipation bereits als eigenständiges Thema behandelt?

Matthias Graul: Wir haben es damals vielleicht nicht so ge-nannt. Der grundsätzliche Beteiligungsansatz war da, wurde allerdings anfangs vonseiten der Schulen äußerst misstrauisch beäugt. Die Schulen haben da sicherlich auch einen ganz eige-nen Wandlungsprozess durchgemacht, wenn wir es einmal auf die Lehrer als Personen beziehen. Soeben haben sie noch Un-terricht nach DDR-Methoden gemacht, und auf einmal ändert sich fast alles. Da gab es am Anfang schon erhebliche Ressen-timents und Aussagen wie: „Lasst uns damit in Ruhe. Wir ver-mitteln hier Wissen, im besten Fall auch noch Bildung, aber das ist es auch schon. Für den Rest sind wir nicht zuständig.“

Hanka Giller: Es gab aber an jeder Schule einige Lehrer, die gesagt haben, dass ihnen das wichtig sei und sie gemeinsam mit Jugendlichen arbeiten wollten. Das ging dann manchmal einfach über die Köpfe der Schulleiter hinweg. Es gab einen Kreis, der sich in dem Punkt verstanden hat und der auf in-formeller Ebene dann auch Fortbildungen durchgeführt hat,

„Menschen erreicht man mit Inhalten und

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