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Entwicklung und Arbeit des Kinder- und Jugendbeirates in Elmshorn

Im Dokument „mitWirkung!“ in der Praxis (Seite 74-78)

Wer erinnert sich nicht an die Abenteuer der Schüler des Johann-Sigismund-Gymnasiums, die in Erich Kästners Roman

„Das fliegende Klassenzimmer“ versuchen, ihren Kameraden Rudi samt entführter Diktathefte wieder aus den Händen der verfeindeten Realschüler zu befreien? In einem abgestellten Eisenbahnwaggon planen sie gemeinsam mit dem „Nicht-raucher“ — einem väterlichen Freund, der in dem Waggon lebt —, wie sich wohl ein Sieg über die Realschüler erringen lässt.

In Elmshorn sind es nicht Johnny, Martin, Ulli und der bären-starke Matz, die in einem Eisenbahnwaggon zusammen- kommen, sondern Melanie (18), Helena (16) und Maria (18), Vorstandsmitglieder des Kinder- und Jugendbeirates (KJB) der norddeutschen Stadt nahe der Elbe. Am Rande des Buttermarktes, keine 100 Meter von der Fußgängerzone entfernt, sitzen sie in ihrem eigenen Eisenbahnwaggon. In buntem Graffiti leuchtet das Logo des Kinder- und Jugend-beirates über den Platz. Übersehen kann man das ungewöhn-liche Büro eigentlich nicht.

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Das gilt für den KJB in Elmshorn auch grundsätzlich: Über-sehen lässt er sich nicht, besonders nicht in seinem lang- jährigen Engagement für mehr Kinder- und Jugendbeteili-gung. Das liegt zum einen an dem resoluten und durch- setzungsstarken Vorstandsteam und den derzeit zehn wei-teren KJB-Mitgliedern; zum anderen hat der Kinder- und Jugendbeirat nach mittlerweile 14 Jahren Tätigkeit in der Stadt eine Position, an der keiner mehr vorbeikommt — wenn es denn nur im Ansatz um Kinder und Jugendliche geht.

In jeder Fraktion und in jedem kommunalen Fachbereich hat der KJB einen direkten Ansprechpartner, im Ausschuss für Kinder, Jugend, Schule und Sport ein ständiges Antrags- und Rederecht. „Und das ist auch das Mindeste, womit ein solcher Beirat ausgestattet sein sollte“, meint Thies Koopmann, Stadtjugendpfleger und lokaler Projektkoordinator für „mit-Wirkung! SH“. Bereits die Möglichkeit, per Antrag über die Neubehandlung eines Themas in den Fraktionen zu sorgen, sei schon ein wichtiges Instrument, erläutert Koopmann.

„Schließlich ist der KJB dadurch immer in der Lage, einen Vorgang der Verwaltung durch einen Antrag auf erneute Dis-kussion zu stoppen.“ Ein Vetorecht, das der Elmshorner Kin-der- und Jugendbeirat in der Geschichte seines Bestehens jedoch noch nicht in Anspruch nehmen musste.

So gruselig die Schreckensvorstellungen auch sein mögen, die sich im Hinblick auf eine solche Beteiligungsform viel-leicht im Kopf mancher Kommunalvertreter abspielen — Kin-der und Jugendliche in einem solchen Gremium zu beteiligen hat klare Vorteile. Jugendpfleger Koopmann spricht das Thema Arbeitserleichterung an und nennt als Beispiel die Verabschiedung des Haushaltes für Kinderspielplätze aus dem Jahr 2007: „Da hat ein Ausschussmitglied in der Sitzung

zu Recht darauf hingewiesen, dass in der vorhandenen Runde doch gar nicht mehr darüber diskutiert werden müsse, da der KJB dem Haushaltsentwurf ja bereits zugestimmt habe. So also sehen Einfluss und Machtabgabe aus, vor der sich viele kommunale Vertreter fürchten.“

Eine Arbeitsentlastung bekommt Thies Koopmann nach lan-gen Jahren der Vorarbeit nun selbst zu spüren. Das liegt vor allem an Melanie, die durch ihr Freiwilliges Soziales Jahr dem KJB täglich zur Verfügung steht. „Unseren ganz großen Trumpf“ nennt Koopmann die FSJ-Stelle, auf die er fast zehn Jahre gewartet hat. Mit ihren 38,5 Stunden pro Woche kann Melanie in Ruhe Protokolle lesen, Stellungnahmen schreiben, Treffen oder Projekte vorbereiten und vor allem als ständige Ansprechpartnerin im Eisenbahnwaggon anderen Kindern und Jugendlichen in Elmshorn zur Verfügung stehen. Da fühlte sich Thies Koopmann manchmal schon richtig über-flüssig. „Nach etwa acht Jahren habe ich zum ersten Mal ge-hört, Thies, halt du dich mal da raus“, sagt er mit einem Schmunzeln, aber nicht ohne Stolz. Die Mädels vom KJB-Vor-stand formulieren es etwas anders: „Wir haben einfach mehr und mehr das Ruder übernommen, weil wir gemerkt haben, was wir alles können. Irgendwann sind wir dann flügge ge-worden.“

Kinder- und Jugendbeteiligung wird aber auch bei so viel Eigenständigkeit nicht gleich zum Selbstläufer. Es gibt viele Gründe, warum einmal vorhandene Mitwirkungsbereitschaft auch schnell wieder nachlassen kann. Thies Koopmann hat den Satz aufgeschnappt, dass den Jugendlichen dann auch mal ein Skate-Park weggenommen werden müsse, damit etwas passiert. Der erfahrene Pädagoge weiß, wie viel Wahr-heit hinter diesem auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig Thies Koopmann, Stadtjugendpfleger und lokaler

Projekt-koordinator für „mitWirkung! SH“

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erscheinenden Ansatz steckt. Je mehr Widerstand die Jugendlichen spürten, desto engagierter wären sie, meint Koopmann. Und was sagen diese selbst dazu? Aufschrei auf-seiten der KJB-Vorstandsriege? Im Gegenteil. Auf der ersten Seite des KJB-Informations-Flyers ist sogar zu lesen: „Zufrie-denheit ist der Sargdeckel jeder Veränderung“. Unzufrieden-heit dann also als Lebenselixier für Veränderung, und da wird es in Elmshorn manchmal richtig lebendig.

Zum Beispiel in dem Moment, wo wirklich jemand kommt und den Elmshorner Jugendlichen etwas wegnehmen will.

Dann lernt das Elmshorner Vorstandszimmer des KJB — in bester Erich-Kästner-Manier — aber richtig fliegen. So wie damals, Anfang 2006, als ausgerechnet bei der Diskussion um mehr Bürokratieabbau von Landesseite aus die Überle-gung auf den Tisch kam, den BeteiliÜberle-gungsparagraphen 47f

der Gemeindeordnung doch einfach wieder abzuschaffen. Da hat sich der Elmshorner Kinder- und Jugendbeirat hingesetzt und stellvertretend für alle Jugendlichen im Land einen offenen Brief an das Innenministerium in Kiel geschrieben.

„Wir haben die Landesvertreter freundlichst darauf hinge-wiesen, dass eine Abschaffung des Paragraphen 47f ohne die Beteiligung von uns Kindern und Jugendlichen schon mal gar nicht geht“, erzählt KJB-Vorstand Melanie.

Die Geister, die ich rief ... Nicht nur Kommunen sollten damit leben können, wenn von ihnen eingerichtete Beteiligungs-gremien irgendwann über eine Alibifunktion hinaus tatsäch-lich Wirkung zeigen.

Das findet auch Stadtjugendpfleger Koopmann: „Dass der Elmshorner KJB zu diesem Thema landesweit Stellung ge-nommen hat, das hat hier in der Stadt viel Anklang gefun-den.“ Ebenso wie der Einspruch des KJB bei der Diskussion um mögliche Haushaltseinsparungen, innerhalb derer dem kommunalen Finanzausschuss angetragen wurde, Spiel-plätze doch daraufhin zu überprüfen, ob sie abgegeben wer-den könnten. „Das wäre fast am KJB vorbeigegangen“, sagt Thies Koopmann. „Melanie und ihre Kolleginnen haben dann aber eine Stellungnahme an den Finanzausschuss geschrie-ben, in der stand, dass dieser zunächst einmal mit ihnen reden müsse, wenn es um den Verkauf von Spielplätzen ginge. Der KJB würde gerne seine Kontakte und sein Wissen zu Spielplätzen dafür zur Verfügung stellen.“ Bürgermeiste-rin Brigitte Fronzek sei hellauf begeistert gewesen, dass der KJB sich hier zu Wort gemeldet habe, so Koopmann weiter.

Auf ihr Stadtoberhaupt können die Elmshorner Kinder und Jugendlichen sowieso zählen. Brigitte Fronzek kam sogar an ih-rem Hochzeitstag zu einer der wichtigsten Veranstaltungen, Das ungewöhnliche Büro des Kinder- und Jugendbeirates (KJB):

ein bunter Eisenbahnwaggon

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die der Kinder- und Jugendbeirat mit Unterstützung von

„mitWirkung! SH“ initiiert hatte. „Wir haben gedacht, es müsse irgendetwas geben, um Politik und Verwaltung zu zei-gen, wie Jugendliche die Stadt sehen“, erklärt Helena. „Da sind wir auf eine Bustour gekommen“, führt ihre Schwester Maria fort. „Wir haben das wochenlang geplant und ganz, ganz viele aus der Verwaltung dazu eingeladen. Es sind dann zusammen mit der Bürgermeisterin vierzehn Vertreter ge-kommen. Das ist kein so guter Schnitt, aber wir haben uns über jeden gefreut.“ Der „nicht so gute Schnitt“ wurde mit dem Bus zu verschiedenen Spielplätzen, Jugendhäusern und Schulhöfen gebracht, wo Kinder und Jugendliche vor Ort zum Teil mit Powerpoint-Präsentationen darüber referierten, wel-che Probleme und Wünswel-che sie haben. Jugendalltag in Elms-horn — zum Anfassen, Angucken und Zuhören.

Und wie sieht es mit dem Alltag von Melanie, Maria und Helena aus? Was hat den in Sachen Beteiligung doch eigent-lich schon geübten KJB-Frauen zum Beispiel die Initiative

„mitWirkung! SH“ gebracht? Die Antworten dazu fallen ebenso vielseitig wie auch pragmatisch aus. „Na ja, zum Bei-spiel Geld. Ohne die finanzielle Unterstützung hätten wir die Bustour und auch andere Projekt gar nicht machen können“, erläutert Helena. Maria sagt, dass sie die Qualifikationen für Projektplanung, Moderation und sonstige Methodenkompe-tenzen besonders wichtig gefunden habe und natürlich auch den direkten Austausch mit den Jugendlichen aus den ande-ren Modellkommunen. Der FSJ-Kraft Melanie ermöglichten die Fortbildungszertifikate von „mitWirkung! SH“ sogar einen schulischen Karrieresprung. Die Qualifikationen haben ihr einen Platz an einer Europaschule verschafft, den sie ansonsten nicht bekommen hätte.

Auch Thies Koopmann zieht in Sachen „mitWirkung! SH“

eine positive Bilanz. Er weiß, dass Elmshorn im Bereich Kin-der- und Jugendpartizipation schon seit Längerem gut aufge-stellt ist. „Aber ich wäre doch wirklich schlecht beraten, wenn ich mir diesen Umfang an professioneller Begleitung und die-sen Austausch auf hohem Niveau nicht reinhole, den das Mit-wirkungsprojekt mit sich gebracht hat“, sagt der Stadtjugend-pfleger. Bei Beteiligung müssten schließlich schon genug Menschen überzeugt werden, was extrem kräftezehrend sei.

Der professionelle Austausch mit anderen Ansprechpartnern sei deshalb von enormem Wert. Und dann sagt er noch ganz zum Schluss, dass es manchmal auch reiche, einen Blick auf die Kinder und Jugendlichen zu werfen und zu schauen, wie Beteiligung bei ihnen wirke. Wo z. B. im Beteiligungsflyer stehe: „Du kannst als Jugendlicher Projekte initiieren und umsetzen“, sage jemand wie Maria einfach: „Es ist ein geiles Gefühl, wenn du auch kriegst, was du willst.“

„Demokratische Teilhabe muss gelernt

Im Dokument „mitWirkung!“ in der Praxis (Seite 74-78)