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Zur Zirkularität des Nachrichtensystems

Das frühmoderne Mediensystem

1. Zur Zirkularität des Nachrichtensystems

Im Rahmen der Untersuchungen zur frühmodernen politischen Publizistik hat sich herausgestellt, dass ein Verfahrensprozessieren in zirkulärer Weise – systemtheoretisch auch »autopoietisches Prozessieren« genannt – in mar-kanter Weise feststellbar ist. Im Gegensatz zu früheren Überlegungen ist an vielen Stellen beobachtbar, dass politische, administrative und militärische Prozesse nicht nur von Herrschaftsträgern und ihren verbeamteten Dienern beachtet und beschrieben wurden, sondern auch von Personen außerhalb der Herrschaftsapparate, die mit dem Nachrichtensammeln ihr Brot verdienten1.

Nach dem Blick auf die Zeitungsproduzenten stellt sich die Frage: Wo kamen eigentlich die Nachrichten her? Gerade die abstrakten Elemente, die zirkulierenden Bestandteile des Systems, machten Kommunikation inner-halb des Mediensystems aus. Aus dem politischen und militärischen Han-deln, das in diesem Zusammenhang interessiert, gingen ständig Nachrich-ten hervor. Der Begriff »NachrichNachrich-ten« wird hier bewusst verwendet, um eine kommunizierbare Information innerhalb des politischen, militärischen oder höfischen Systems zu bezeichnen: Nachrichten im Sinne dieser Überlegun-gen sind vorjournalistische Bedeutungsinhalte, die noch einer fachlichen Bearbeitung bedurften. Nachrichten waren übrigens keineswegs Produkte des frühmodernen Mediensystems: Schon in der Antike und im Mittelalter gab es überlieferte Neuigkeiten, sie sind damit älter als dieses System.

Diese Nachrichten gelangten als Elemente der Fremdreferenz von außen in das politische Mediensystem hinein. Außerhalb, im politischen System, vollzogen sich laufend Ereignisse, von denen einige, bei Weitem nicht alle, ins Mediensystem übernommen wurden. Durch diese Übernahme (input) begannen sie ihre »Medienkarriere«, den Umlauf durch das System. Die Nachrichten entstammten mehrheitlich nicht der systematischen Recherche durch Journalisten, sondern der Zusendung von Informanten. Dies konn-ten Mitarbeiter von Behörden oder der Schreibstelle von Streitkräfkonn-ten sein, Insider aus geistlichen, weltlichen oder gewerblichen Korporationen sowie Presseagenten in einer fernliegenden Stadt. Auch konnten Nachrichten in herrschaftlichem Auftrag bereitgestellt werden oder sogar mit einer Publika-tionsanordnung in den Kreislauf eingespeist werden.

1 An dieser Stelle sei auf die Überlegungen zur Kommerzialität des frühmodernen Medien-wesens bei Karl Tilman Winkler verwiesen: Karl Tilman WINKLER, Wörterkrieg. Politische Debattenkultur in England 1695 bis 1750, Stuttgart 1998, bes. der Hauptteil II: Ökonomie und Diskurs, S. 117–320.

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Sieht man von der letzten Art der Nachricht ab, die im Medium reprodu-ziert werden musste, wurden die anderen Nachrichten durch die Person des

»Gate Keepers« – so genannt von Kurt Lewin2 – zunächst doppelt bearbeitet:

Zum einen fand eine Übersetzungsleistung statt, die aus der Nachricht einen Bericht machte, das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium im frühmodernen politischen Mediensystem. Dieser Prozess fand als die selbst-referenzielle Einfügung der Nachricht in die Usancen des Verfahrensprozes-sierens im politischen Mediensystem statt, es handelt sich damit um eine

»Konstruktion von Wirklichkeit«3. Im systemtheoretischen Sinne beschreibt sich dieser Prozess als die Erstellung von Differenz, wobei die Leitdifferenz LQGHU8QWHUVFKHLGXQJYRQ,QIRUPDWLRQXQG1LFKWLQIRUPDWLRQEHVWHKW௘4. Sie bezieht sich nicht nur auf Nachrichten, die neu ins Informationssystem ein-traten (bzw. nicht aufgenommen wurden), sondern auch auf solche, die schon im System herumgereicht worden waren und durch ihren »Verbrauch«, d.h.

durch ihr Bekanntsein, an Berichtswert verloren hatten und in letzter Konse-quenz zu Nichtinformationen wurden5. Der Ort der Transformation von der Nachricht zum Bericht war nicht festgelegt: Er konnte schon beim Nachrich-tenmakler liegen, aber auch erst beim Zeitungsredakteur. Dabei handelte es sich ausdrücklich nicht um eine Manipulation, sondern um eine Notwendig-keit, um die Berichte verständlich zu halten: Nur durch Reduktion von Kom-SOH[LWlWZDUGLH=HLWXQJOHVEDUXQGYHUVWHKEDU௘6. Um diese Qualität zu erhal-ten, musste der Bericht zunächst einmal in die Denkwelt des Zeitungs- oder Zeitschriftenredakteurs passen.

Zum anderen erforderte der schnell eintretende Überfluss an übersetzba-ren Nachrichten eine Reihung nach Wichtigkeit mit dem Ziel, die wichtigs-ten Nachrichwichtigs-ten zu Berichwichtigs-ten umzuarbeiwichtigs-ten. Das Kriterium für diese

Rei-2 Zur Begriffsbildung, ihrer Entstehung und Bedeutung: Andreas BÖHN / Andreas SEIDLER, Mediengeschichte. Eine Einführung, Tübingen 2008, S. 68. – Zur Forschungsentwicklung:

David Manning WHITE, The »Gate Keeper«. A Case Study in the Selection of News, in: Jour-nalism Quarterly 27 (1950), S. 383–390; Joachim Friedrich STAAB, Nachrichtenwert-Theorie.

Formale Struktur und empirischer Gehalt, Freiburg / München 1990, S. 12–26. – Zur prak-tischen Anwendung der Gate-Keeper-Funktion in modernen Nachrichtenagenturen: Jürgen WILKE / Bernhard ROSENBERGER, Die Nachrichten-Macher. Zu Strukturen und Arbeitsweisen von Nachrichtenagenturen am Beispiel von AP und dpa, Köln / Weimar / Wien 1991, S. 25.

3 Darauf machte bereits Walter Lippmann 1922 aufmerksam: Walter LIPPMANN, Public Opinion, New York 1922, S. 338–347, zit. nach STAAB, Nachrichtenwert-Theorie, S. 40f.

4 Die binäre Codierung setzt sich bis in die moderne Massenpresse fort: LUHMANN, Die Realität der Massenmedien, S. 36f.

5 Zum Zeitfaktor, durch den Nachrichten der Inaktualität oder eingetretenen Bekanntheit ver-fallen: ebd., S. 41.

6 Zur »Konstruktion der Realität«: ebd., S. 138–157. Die vermeintliche »Manipulation« der Presse ist übrigens ein Schema der Öffentlichen Meinung: LUHMANN, Die Politik der Gesell-schaft, S. 303.

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hung wird als »Nachrichtenwert« bezeichnet7. Entscheidend waren in diesem Zusammenhang ebenfalls zunächst nicht politische Vorgaben (die eher als Fremdreferenzen zu betrachten sind), sondern die systemimmanenten Tradi-tionen der Nachrichtenverarbeitung. Was gebracht wurde und was nicht, was an prominentere Stelle rückte und was an eine Randposition, das entschieden die beteiligten Herausgeber und Verleger der politischen Druckschriften. Die Groth’schen Kategorien der Aktualität, Periodizität, Universalität und Publi-zität wurden dabei stets mitgedacht und boten Entscheidungshilfen8.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht die Zensur am Beginn der Nachrichtenauswahl stand, sondern das Phänomen des Überschusses an Meldungen und des begrenzten Platzes beim anschließenden Medium. Der horror vacui, die Vorstellung des Verfassers vor dem leeren Blatt, dem kein Satz einfällt, stammt eher aus dem Kontext der fiktionalen Literatur – kei-nesfalls aus dem Innenbereich der Journalistik. Hier war stets mehr an inter-essantem Geschehen berichtenswert, als später gedruckt werden konnte. Das Blatt war in Umkehrung des Bildes vom unglücklichen Literaten eher voll, und es waren noch Meldungen übrig. Dies bot dem Zeitungsherausgeber die Gelegenheit, zu den nicht übertragenen Nachrichten diejenigen zu zählen, deren Publikation Anstoß erregen konnte – beim Leser, bei den Berufskol-legen und nicht zuletzt bei den Obrigkeiten. Das, was später mit der Meta-pher »Schere im Kopf« bezeichnet worden ist, hat die Zeitungsherstellung seit jeher begleitet. Ob es als eine so schwere Last auf den Prozessbeteiligten gelegen hat, dass es ihre Freiheit der Berichterstattung einschränkte, darüber muss an gesonderter Stelle nachgedacht werden. Vieles spricht dafür, dass die obrigkeitliche Medienkontrolle nicht über das Maß an Reglementierung hinausreichte, das die frühmodernen Untertanen auch sonst in ihrer alltägli-chen Lebensführung erfuhren und hinzunehmen hatten9. Mit der Hochauf-klärung änderte sich die Perspektive, die Reglementierung nahm zu, aller-dings auch der Widerstand dagegen.

7 Jürgen Wilke hat in seiner Habilitationsschrift die Kriterien für den Nachrichtenwert in einer neuzeitübergreifenden Längsschnittstudie herausgearbeitet: WILKE, Nachrichtenauswahl und Medienrealität in vier Jahrhunderten, pas. – Hierfür wird manchmal der Begriff »Agenda set-ting« verwendet, der sich aber auch als manipulativer Eingriff der Politik oder wirtschaftli-cher Public Relations-Bemühungen verstehen lässt. Vgl. dazu die diskussionswürdigen Aus-führungen bei BÖHN / SEIDLER, Mediengeschichte, S. 69.

8 Vgl. zu den vier Kategorien: Otto GROTH, Geschichte der deutschen Zeitungswissenschaft.

Probleme und Methoden, München 1948, S. 339f.

9 Dieser Befund wird bestätigt durch jüngere Tagungsergebnisse zur Frage der Zensur im Auf-klärungszeitalter, inbesondere durch die Beiträge von Jürgen WILKE, Pressezensur im Alten Reich, in: HAEFS/ MIX, Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 27–44 u. Ernst FISCHER,

»Immer schon die vollständigste Preßfreiheit«? Beobachtungen zum Verhältnis von Zensur und Buchhandel im 18. Jahrhundert, in: Ebd., S. 61–78.

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Ein weiteres Unterscheidungskriterium ergab sich aus der Personalisie-rung: Was immer Personen betraf, die entweder ein hohes Amt innehatten oder über die schon früher berichtet worden war, das konnte gebracht wer-den. Daneben wurden Nachrichten goutiert, die entweder eine anschlussfä-hige Angelegenheit betrafen, zahlenmäßige Quantitäten beinhalteten oder mit Konflikten oder Normenverstößen zusammenhingen10. Im Unterschied zur heutigen Presse war der Lokalbereich aus der Berichterstattung ausge-schlossen; darin sind sich Presseprivilegien und auch spätere politische und gerichtliche Interventionen einig11. In der früheren Forschung war lange angenommen worden, dass dies eine Folge der Zensur gewesen sei. Inzwi-schen betont Holger Böning hingegen, dass es angesichts der personellen Überschaubarkeit der Ober- und Mittelschichten in den deutschen Städten der Frühmoderne nicht vorrangig gewesen sei, kommunale Ereignisse in der Zeitung zu reproduzieren, die vielfach schon vor Erscheinen der nächsten Ausgabe auf mündlichem Wege allgemein bekannt geworden seien12.

Durch die Umwandlung von Nachrichten in Berichte und die Reihung nach Nachrichtenwert wurde Anschlussfähigkeit für das Gesamtsystem erzielt. Das Vorverständnis und Vorwissen auf beiden Seiten der politischen Medienproduktion, bei den Verlegern und Herausgebern ebenso wie bei der adligen und bürgerlichen Kundschaft, schuf die Voraussetzung dazu, dass weitere Nachrichten portionsweise eingespeist und angeschlossen werden konnten13.

Für die Verarbeiter der Berichte über politische, höfische oder militärische Sachverhalte gab es noch keine feste berufliche Zuordnung. Ein »Zeitunger«, wie der Betreiber eines Periodikums im 17. Jahrhundert gelegentlich genannt wurde, war zunächst nicht nur der Herausgeber eines Periodikums, sondern schon der Sammler von Neuigkeiten mit der Absicht, diese gegen Geld zu verbreiten. Dies konnte ein Buchdrucker, ein Verleger, ein Postmeister oder eine Person mit anderer Hauptbeschäftigung sein. Viele Personen, die in die-sem Bereich des Mediensystems arbeiteten, hatten gleichzeitig oder nachei-nander verschiedene Funktionen.

10 Die Auflistung der frühmodernen Zeitungsinhalte stimmt weitgehend mit Luhmanns Beob-achtungen hinsichtlich der modernen Massenpresse überein: LUHMANN, Die Realität der Mas-senmedien, S. 58–72.

11 Dies galt von Anbeginn der Presseberichterstattung mit der Ausnahme der Wiener »Ordent-lichen Postzeitungen« (seit 1622): WELKE, Johann Carolus und der Beginn der periodischen Tagespresse, S. 31.

12 Holger BÖNING, Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002, S. 171f.

13 Karl Tilman Winkler beschreibt die Zirkularität der Tagespresse im Oranier-England mit den Worten: »Man verkaufte serielles und nicht-serielles Tagesschrifttum über mehrere Schritte, als ob es eine Kette durchlief«: WINKLER, Wörterkrieg, S. 317.

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Das System des systematischen Nachrichtensammelns hatte sich bereits im 16. Jahrhundert herausgebildet. Zwar gab es noch keine regelmäßig erschei-nenden Periodika: Hinter dem zeitgenössischen Begriff »Neue Zeitungen«

verbargen sich ephemere Druckschriften berichtenden oder räsonnierenden Inhalts, die sich zu aktuellen politischen, militärischen oder konfessionellen Themen äußerten. Daneben berichteten sie über allerlei Sensationsthemen, die heute dem journalistischen Bereich des Boulevards zugeordnet würden14. In beispielhafter Weise profitierte das Straßburger Verlagshaus des Bern - (h)ard Jobin (vor 1545–1593) von der günstigen Lage an der Schnittstelle politischer Mächte und verschiedener europäischer Sprachen15. Straßburg lag nicht nur an der Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem Französi-schen, sondern auch der Rhein als Verkehrsader zwischen Oberitalien und den Niederlanden inmitten der »Blue-Banana«-Region bot weitreichende Verbindungen für den Verkehr mit materiellen wie immateriellen Gütern16. In den Studien über Jobins Schwager, Autor und Korrektor Johann Fisch-art (1546–1590) lässt sich die Systematik ersehen, mit der im Straßburger Medienunternehmen Schriften aus England, Frankreich, den Niederlan-den und dem Heiligen Römischen Reich so komplett wie möglich erwor-ben wurden, um durch deren Auswertung neue Texte zu erstellen. Dabei lag das Schwergewicht noch auf der Mediengattung der Flugschrift. Aber auch Historienschriften oder – wie besonders im Fall Fischarts – Satiren politi-scher und religiöser Art konnten hier konzipiert, verfasst und anschließend gedruckt und vertrieben werden17. Zusätzlich übersetzte Fischart Werke von

14 Vgl. dazu: Helmut W. LANG, Die Neue Zeitung des 15. bis 17. Jahrhunderts. Entwicklungsge-schichte und Typologie, in: BLÜHM / GEBHARDT, Presse und Geschichte, Bd. 2, S. 57–60; Kris-tina PFARR, Die neue Zeitung. Empirische Untersuchung eines Informationsmediums der frü-hen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung von Gewaltdarstellungen, Diss. Mainz 1994;

Doris STOLL, Die Kölner Presse im 16. Jahrhundert. Nicolaus Schreibers »Neue Zeitungen aus Cöllen«, Wiesbaden 1991. – Für das Spätmittelalter: Birgit STUDT, Neue Zeitungen und politi-sche Propaganda, in: ZGO 143 (1996), S. 145–219.

15 Der Vorname findet sich in französischer und deutscher Schreibweise. – Biographischer Über-blick: Josef BENZING, Bernhard Jobin, in: NDB, Bd. 10, Berlin 1974, S. 444.

16 Zum »Blue-Banana«-Interpretament: Roger BRUNET, Les villes Européennes, Paris 1989;

ders., Lignes de force de l’espace européen, in: Mappe Monde 66 (2002), H. 2, S. 14–19.

17 Zu Bernard Jobin: WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 65. Zu Johann Fisch-art und seiner Tätigkeit für Jobin: Adolf HAUFFEN, Johannes Fischart. Ein Leitbild aus der Zeit der Gegenreformation, 2 Bd., Berlin / Leipzig 1922, bes. Bd. 2, S. 21; Wolfgang RAINER, Johann Fischart 1546–1590, in: Heinz-Dietrich FISCHER (Hg.), Deutsche Publizisten des 15. bis 20. Jahrhunderts, München 1971, S. 59–69; Harry OELKE, Konfessionelle Bildpropaganda des späten 16. Jahrhunderts. Die Nas-Fischart-Kontroverse 1568 / 71, in: ARG 87 (1996), S. 149–

200. Zu Fischart aus literaturwissenschaftlicher Sicht: Wilhelm KÜHLMANN, Johann Fischart, in: Stephan FÜSSEL (Hg.), Deutsche Dichter der Frühen Neuzeit. Ihr Leben und Werk (1450–

1600), Berlin 1993, S. 589–612. – Zur Straßburger Buchdruckkultur im 16. Jahrhundert:

Miriam Usher CHRISMAN, Lay Culture, Learned Culture. Books and Social Change in Stras-bourg, 1480–1599, New Haven / London 1982.

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Justus Lipsius oder Philipp van Marnix aus dem Lateinischen oder Nieder-ländischen ins Deutsche18.

Es darf davon ausgegangen werden, dass diese Methoden sich in den beiden folgenden Jahrhunderten zwar verfeinert, aber nicht grundlegend geändert haben. Darauf verweist auch Else Bogel am Beispiel der Züricher Bodmer-Zeitung. Dieses Periodikum, das die Familie Bodmer seit 1628 her-ausbrachte, war das bedeutendste Schweizer Blatt des 17. Jahrhunderts. Die Redaktion dieser Zeitung war ebenfalls über andere Zeitungswerke bestens informiert. In Züricher Sammelbänden von Zeitungsbänden des 17. Jahr-hunderts finden sich zweimal je drei Zeitungen zusammengebunden: Neben der Bodmer-Zeitung waren dies die Straßburger Relation und die Frankfur-ter Postzeitung. Die Exemplare der Straßburger und FrankfurFrankfur-ter Zeitungen waren mit handschriftlichen Notizen versehen, die sich bei näherem Hinse-hen als Druckanweisungen erwiesen. Tatsächlich sind in der Bodmer-Zeitung der jeweils nächsten Folge die redigierten Texte aus den beiden anderen Peri-odika eingerückt auffindbar. Dabei war diese Form der medialen Sekundär-verwertung weder anrüchig noch verboten, solange das eigene Periodikum nicht vollständig daraus bestand. Die Ausgaben der Bodmer-Zeitung von 1633 und 1634 trugen den Hinweis in ihren Titeln: »[...] auß allerhand glaub-würdigen anderstwo getruckten Zeitungen / vnd gewissen Sendbriefen«19.

Das nächste Element der Zirkulation war die Distribution der Berichte.

Aus Nachrichten waren inzwischen Berichte geworden, formuliert und aus-gewählt nach vorgegebenen Kriterien. Um diese Berichte der Leserschaft zukommen zu lassen, bedurfte es der Mithilfe anderer gesellschaftlicher Teil-systeme. Auch zu Zeiten des etablierten gedruckten Zeitungswesens wurden die Nachrichten auf zweierlei Weise weitergegeben: Für den gewöhnlichen Erwerber der gedruckten Blätter, den Abonnenten, wurde nach einem etwas anderem Schema selektiert als für den privilegierten Empfänger von zusätz-lichen Briefmitteilungen. Ein Disproportionierungsprozess ist beobachtbar:

Alles, was gedruckt publizierbar war, schied bald aus den geschriebenen Berichten aus, die dazu tendierten, nur noch das »Undruckbare« zu vermit-teln, d.h. jene Informationen, die in irgendeiner Weise hätten Anstoß erre-gen können, wenn sie auf dem freien Medienmarkt vermittelt worden wären.

Nachdem die Entscheidungen über die Berichte im Verlagshaus in zwei-erlei Gestalt gefallen waren, mussten die Texte nun ihren Weg zum Leser finden. Die Aufgabe des Transfers von Zeitungen übernahm das frühmo-derne Postwesen, das damit eine zentrale Rolle für die Mediengeschichte

18 WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 65.

19 Dies gilt besonders für die Bände Q 478 und Q 481 in der Zentralbibliothek Zürich: Else BOGEL, Schweizer Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Beiträge zur frühen Pressegeschichte von Zürich, Basel, Bern, Schaffhausen, St. Gallen und Solothurn, Bremen 1973, S. 16.

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einnahm20. Auf die Geschichte dieses Prozesses wird später noch einzuge-hen sein. Hier ist die Bedeutung für die Zirkulation der Berichte wichtig.

Die Beteiligung der Post an der geregelten Zeitung war medienhistorisch ein Novum: Der Verkauf von Büchern und der Vertrieb von Flugschriften gehörte nämlich nicht zum klassischen Postgeschäft. Die klassischen »Buch-führer« bedurften noch keiner fremden Logistik, sondern sie handelten mit ihren gefalteten, aber noch nicht gebundenen Druckbögen auf Messen, um das erstandene gemischte Sortiment nach Rückkehr an das Lesepublikum der eigenen Stadt zu veräußern. Traktate und Bildflugblätter wurden hinge-gen durch sog. »Kolporteure«, fahrende Kleinhändler, meist junge Männer, gelegentlich auch handeltreibende Frauen, vertrieben. Auch Hausierer, Bil-der-, Kalender- oder Landkartenträger verbreiteten Traktate, vor allem sol-che, die mit dem Aberglauben der Bevölkerung in einen Zusammenhang gebracht werden konnten. Gerade im Reformationsjahrhundert bot diese Form des Verkaufs am ehesten die Gelegenheit, unliebsamen Reaktionen der kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten auf die missliebigen Texte aus dem Weg zu gehen21. Die fest etablierten Buchhändler scheuten oft das Risiko, offen brisante Flugschriften zu vertreiben, sondern legten den Schwerpunkt ihrer Kontroversliteratur auf die Texte, die im Sinne der eigenen Landes- oder Stadtobrigkeit argumentierten22.

Die Post beförderte Briefe, Druckwerke und später auch Personen. Einmal mehr bestätigt sich der Zusammenhang von Brief und Zeitung: Beide nutzten dasselbe Vertriebssystem. Während der Brief der klassische Transportgegen-stand der Post war, bürgerte sich bei der Zeitung der Abonnementsverkauf durch den jeweiligen Postmeister ein. Die Preise für ein Jahresabonnement einer Zeitung lagen günstigenfalls bei zwei Gulden23. Die Postmeister waren damit Kommunikatoren in beide Richtungen: Sie erfuhren nicht nur, was in der Welt geschah, so dass viele von ihnen selbst Zeitungen gründeten, son-dern sie erfuhren auch, was die Leser der Zeitungen erfahren wollten. Daher betrieben sie nicht nur Werbung für die Abonnements (die sie zu Partizipan-ten der Einkünfte aus dieser Mediengattung werden ließen), sondern sie hör-ten auch die Rückmeldung der Kundschaft. Die ansonshör-ten unvermeidliche Anonymisierung der periodischen Medienproduktion wurde hier aufgelöst:

20 BEHRINGER, Im Zeichen des Merkur, pas. Hier wird auch die Forschungsentwicklung ausführ-lich erläutert.

21 Beispiele bei WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 48f.

22 Beispiele: Annette SCHREIBER-EICKHOFF, Die Bücher- und Pressezensur im Herzogtum Würt-temberg (1495–1803), Diss. Hagen 1981, S. 199; STOLL, Die Kölner Presse im 16. Jahrhun-dert, S. 18; Harry OELKE, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter, Berlin 1992, S. 121–125.

23 Rudolf STÖBER, Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S. 69–72.

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Während im Gegensatz zum Briefzeitungssystem gedruckte Zeitungen für eine möglichst große anonyme Leserschaft produziert wurden, kannte der 3RVWPHLVWHUYRU2UWWDWVlFKOLFKGHQDERQQLHUHQGHQ/HVHU௘24.

Der intendierte Leser stellt die Schlüsselfigur innerhalb der Zirkularität des Systems der politischen Publizistik dar: Von seiner Reaktion, von sei-ner Neigung, weitere Exemplare eisei-ner Zeitung oder gar ein neues Abonne-ment zu kaufen, hing die Funktionsweise des Mediensystems entscheidend ab. Im systemtheoretischen Sinn bietet der Käufer die Möglichkeit der ope-rativen Schließung des Systems. Dieser Umstand wurde bereits von Hans Natonek anerkannt, der formulierte: »Über jedem Redaktionspult schwebt der Geist des Zeitungslesers, nicht des Redakteurs«25. Auch Martin Welke betont diesen Umstand, wobei er konzediert, dass sich dies »entgegen einer verbreiteten Auffassung« so verhielt26. Durch die Entscheidung zum Kauf bzw. zum Weiterbezug eines Periodikums signalisierte der Kunde Einver-ständnis, durch die Abwendung vom Produkt sein Missfallen über das, was ihm geboten worden war. Der Herausgeber einer Zeitung konnte durch die Summe der Rezeptionsakte ersehen, ob er auf Zustimmung stieß oder nicht, ob der Grad der Zustimmung wuchs oder abnahm. Waren die Kunden zufrie-den, konnte der Herausgeber sein Produkt belassen oder vorsichtig optimie-ren, ansonsten musste er etwas verändern oder vom Markt verschwinden.

Der intendierte Leser stellt die Schlüsselfigur innerhalb der Zirkularität des Systems der politischen Publizistik dar: Von seiner Reaktion, von sei-ner Neigung, weitere Exemplare eisei-ner Zeitung oder gar ein neues Abonne-ment zu kaufen, hing die Funktionsweise des Mediensystems entscheidend ab. Im systemtheoretischen Sinn bietet der Käufer die Möglichkeit der ope-rativen Schließung des Systems. Dieser Umstand wurde bereits von Hans Natonek anerkannt, der formulierte: »Über jedem Redaktionspult schwebt der Geist des Zeitungslesers, nicht des Redakteurs«25. Auch Martin Welke betont diesen Umstand, wobei er konzediert, dass sich dies »entgegen einer verbreiteten Auffassung« so verhielt26. Durch die Entscheidung zum Kauf bzw. zum Weiterbezug eines Periodikums signalisierte der Kunde Einver-ständnis, durch die Abwendung vom Produkt sein Missfallen über das, was ihm geboten worden war. Der Herausgeber einer Zeitung konnte durch die Summe der Rezeptionsakte ersehen, ob er auf Zustimmung stieß oder nicht, ob der Grad der Zustimmung wuchs oder abnahm. Waren die Kunden zufrie-den, konnte der Herausgeber sein Produkt belassen oder vorsichtig optimie-ren, ansonsten musste er etwas verändern oder vom Markt verschwinden.