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Produktion: Autoren, Drucker, Verleger

Das frühmoderne Mediensystem

3. Produktion: Autoren, Drucker, Verleger

3.1 Autorenschaft und Originalität der Texte

Die Autorenschaft der frühmodernen politischen Publizistik ist schwierig zu untersuchen, weil von zahlreichen Presseerzeugnissen gar kein Autor nam-haft gemacht werden kann. Dies liegt nicht nur am fortgesetzten Verstoß gegen die Impressumspflicht, sondern auch an der Methodologie der Nach-richtenerhebung und Berichtserstellung. Die im Mediensystem umlaufen-den Inhalte beruhten nämlich nur teilweise auf Recherchen, zum größeren Teil hingegen handelte es sich um abgegriffene Neuigkeiten, die im internen Kommunikationsystem der Macht, in der »Machtöffentlichkeit«, zirkulier-ten1. Über diesen Umstand wird im übernächsten Kapitel über die Leser-schaft noch zu sprechen sein, wenn der Hof als Leser in den Blick genommen wird. Besser fassbar sind die Informationsprozesse, die sich in Regensburg am Immerwährenden Reichstag abspielten2. Auch hier gab es die Machtöf-fentlichkeit der Weisungen und Berichte zwischen den Fürstenhöfen und ihren Gesandten in der Reichstagsstadt, daneben den Schriftverkehr in Gestalt von Deduktionen, der sich auf anhängige Konflikte bezog. Die Mehr-zahl der Deduktionen wurde von der interessierten Partei angestoßen: In sel-tenen Fällen setzte sich ein Fürst selbst an die Arbeit und verfasste einen Text, dies ist etwa von Friedrich dem Großen in mehreren Fällen überliefert3. Normalerweise wurde eine Person, zumeist rechtsgelehrt, aufgefordert, eine derartige Schrift zu verfassen. Dies konnte im Rahmen einer Diensttätigkeit oder auf Honorarbasis geschehen. Andere Schriften entstanden durch ambiti-onierte Jungjuristen, die sich durch die Unterstützung eines herrschaftlichen Anliegens ein Entree in den Fürstendienst erschreiben wollten4.

Daneben schrieben allerdings auch zahlreiche Agenten und Novellanten Texte, die teilweise auf Originalschriften aus den Gesandtschaftskanzleien

1 Zur Entwicklung und Ausfüllung des Begriffs: KÖRBER, Öffentlichkeiten der Frühen Neuzeit, S. 53–164.

2 Vgl. über die Formen der Kommunikation in Regensburg die fundamentale Studie von FRIED

-RICH, Drehscheibe Regensburg, bes. S. 158–193.

3 Z.B. Friedrichs Memorandum zum Einmarsch in Schlesien »Raisons qui ont déterminé le Roi à faire entrer ses troupes en Silésie«, Dezember 1740, abgedruckt in: Johann Gustav DROY

-SEN u.a. (Hg.), Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit Friedrichs II., 3 Bd., Berlin 1877–1892, hier Bd. 1, S. 74–78. – Vgl. dazu auch Johannes KUNISCH, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, S. 185–187.

4 Zu den Jungjuristen als Traktatautoren schreibt Wolfgang Burgdorf: »Die (Rück-)Wirkun-gen der Schriften auf die Verfasser konnten verheerend sein und biographische Katastro-phen auslösen; oft jedoch bildeten sie, zumal bei jungen Autoren, das Fundament einer Kar-riere. Ungezählt sind die Publizisten, die durch die Veröffentlichung von Tendenzschriften

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aufbauten, anderenteils auf mündlichen Mitteilungen des Kanzleipersonals beruhten. Sie schufen dadurch einen ständigen Strom der Informationen für eine Rezipientenschaft, die ursprünglich nicht zur Reichsöffentlichkeit gehören sollte. Da besonders der Kurfürstenrat und die Mainzer Direkto-rialkanzlei vielfach gegen den Informationsabfluss vorzugehen versuchten, lag es nahe, dass niemand, der sich an diesem Transfer beteiligte, namentlich genannt und damit an den Pranger gestellt werden wollte.

Daher setzen Untersuchungen zu den Autoren der politischen Gelegen-heitsschriften und Periodika meist einen Abschnitt später ein, bei den Auto-ren im Umfeld des jeweiligen Produzenten (Druckers oder Verlegers). Der Forschungsstand zu diesen Autoren ist äußerst heterogen. Dies unterscheidet sich stark von der Erforschung literarischer Autoren. Diese standen in den sprachwissenschaftlichen Disziplinen naheliegenderweise im Vordergrund des Forschungsinteresses, ähnlich wie Künstler in der Kunstgeschichte und Komponisten in der Musikwissenschaft5. Zeitungs- und Zeitschriftenautoren haben längst nicht dieselbe Aufmerksamkeit errungen. Im Gegenteil – nicht selten wurde an sie der literarische und künstlerische Maßstab der Origina-lität oder GeniaOrigina-lität angelegt, dem sie nicht standhielten. Dies brachte ihnen herabwürdigende Kommentare ein. Kein Geringerer als der italie nische Phi-losoph Benedetto Croce (1866–1952) etikettierte journalistisches Schreiben als unoriginell und flach, es sei allen anderen literarischen Genres unter-legen. Croce hielt Oberflächlichkeit und Improvisation für kon stitutiv im journalistischen Gewerbe, die Betreiber mussten seiner Ansicht nach einen Mangel an mentalen Skrupeln und ästhetischer Sensibilität aufweisen, um erfolgreich zu sein6. In diesem Zusammenhang geht es aber nicht um litera-rische Größe, sondern um die Art und Weise, wie die Verfasser publizisti-scher Texte ihre Rolle und Funktion wahrnahmen. Viele Autoren hatten ihre Gründe, anonym zu bleiben. Rudolf Stöber nennt »die Furcht vor der Zen-sur, die Furcht renommierter Autoren vor Prestigeverlust, das Bemühen der Autoren, durch das Verschweigen des eigenen Namens die Aussagen als

all-ihre Übernahme in ein festes Dienstverhältnis beförderten. Publizisten, die sich bereits in Diensten befanden, wurden mit Beförderung oder gar mit einem Adelstitel belohnt«: BURG

-DORF, Reichskonstitution und Nation, S. 25; vgl. auch Burgdorfs Überlegungen zu den Auto-ren: Ebd., S. 26–29.

5 Vgl. die Überlegungen von Klaus GARBER, Der Autor im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 11 (1981), H. 42, S. 29–45. – Vom Autor zum Schrift-steller: Hans-Jürgen HAFERKORN, Der freie Schriftsteller, in: AGB 5 (1962 / 64), Sp. 523–712.

– Zur beklagenswerten Vernachlässigung der Autoren: WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 64–68 (Autoren im konfessionellen Zeitalter) u. 96–102 (Autoren im Barock-zeitalter).

6 Benedetto CROCE, Il giornalismo e la storia della letteratura, in: Ders., Problemi di estetica e contributi alla storia dell’estetica italiana, Bari 1910, S. 128, zit. nach Brendan DOOLEY, From Literary Criticism to System Theory. Twenty Years of Journalism History, in: Journal of the History of Ideas 51 (1990), S. 461–483, hier S. 461.

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gemeingültig hinzustellen, bzw. die Furcht, die Nennung des eigenen – unbe-deutenden – Namens könnte den Vertriebserfolg behindern«7. Das bedeutete aber nicht, dass sie ihre Motive verborgen hätten. Zum einen stellen Vor-worte und Widmungen Einblicke ins Selbstverständnis der Autoren dar. Zum anderen sind durch zahlreiche Studien Einzelinformationen über die Verfas-ser von Flugschriften im 16. und 17. Jahrhundert zum Vorschein gekommen.

Bei diesen Autoren handelte es sich meistens um Bildungsbürger: Im konfes-sionellen Zeitalter dominierten Theologen (mit und ohne Inhaberschaft einer vollen Pfarrstelle), daneben schrieben Adlige, Juristen und andere Akademi-NHULQJHULQJHP0D‰HDXFK1LFKWDNDGHPLNHU௘8. Viele der Verfasser wollten, im Gegensatz zu Drucken und Periodika späterer Zeiten, mit ihrem Namen auf dem Druckwerk stehen, sei es aus Geltungsbedürfnis, sei es als Identi-fikations- und Wiedererkennungsmerkmal. Die Debatte um Autorenschaf-ten nichtliterater Personen kann hier nicht fortgesetzt werden9. Wichtig ist festzustellen, dass die Rezipientenschaft – und sei es bloß die intendierte – schon im Reformationsjahrhundert über die akademische Leserschaft hin-ausreichte.

Außerhalb des Bereichs der rechtserheblichen Deduktionen waren im Segment der politisch-historisch-militärischen Nachrichten die ersten Auto-ren die Korrespondenten, die gegen Honorar einmalig oder immer wieder Berichte verfassten. Diese Tätigkeit war keine reguläre Berufstätigkeit wie etwa die des Druckers oder Verlegers. Zum Korrespondenten wurde man auch nicht ausgebildet, sondern zumeist erlangte man diese Rolle durch günstige Gelegenheit. Für eine solche Gelegenheit waren zwei Bedingungen erfor-derlich: Zum einen musste die betreffende Person beruflich an einer Stelle tätig sein, wo interessante Nachrichten anfielen oder durchliefen. Zum ande-ren musste ein Kontakt zum Mediensystem hergestellt werden, was durch Anbahnung vonseiten eines professionellen Nachrichtenhändlers gesche-hen konnte oder durch aktive Maßnahmen des Korrespondenten, Personen zu suchen, die ihm seine Berichte abkauften. Dazu gehörte naheliegender-weise das Vorwissen, dass militärische, politische oder höfische Nachrich-ten in geldwerte Berichte umgewandelt werden konnNachrich-ten, die nur in geeigne-ter Weise platziert zu werden brauchten.

7 STÖBER, Deutsche Pressegeschichte, S. 49.

8 Martin Arnold verweist auf eine Stichprobe für das Jahr 1524: Damals verteilten sich die aus-gewerteten 368 Flugschriften auf 69,2 % Pfarrer und 19,4 % Laien, während der Rest uniden-tifiziert blieb: Martin ARNOLD, Handwerker als theologische Schriftsteller. Studien zu Flug-schriften der frühen Reformation (1523–1525), Göttingen 1990, S. 43f., zit. nach SCHWITALLA, Flugschrift, S. 15. – Vgl. dazu auch die Überlegungen bei WITTMANN, Geschichte des deut-schen Buchhandels, S. 36f.

9 Vgl. dazu SCHWITALLA, Flugschrift, S. 15–18.

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Auch hier war die Übernahme mehrerer Rollen innerhalb des Mediensys-tems die Regel. Der Satiriker Johann Fischart wurde bereits als Lektor, Kor-rektor und Korrespondent des Straßburger Verlagshauses Jobin vorgestellt, auch Michael von Eitzing wurde als Verfasser zahlreicher Flugschriften und als Erfinder der Messrelationen ab 1583 eingeführt10. Auf letzteren passt eine Beschreibung genau, die sich bei Georg Steinhausen über die Briefzeitungs-schreiber des 16. Jahrhunderts findet: »Wir finden solche Leute auch sonst erwähnt. Nach Hurter, Ferdinand II., gab es z.B. in Cöln einen ›vielwissen-den‹ Mann, der, wie 1584 Hans von Kobenzl seinem Erzherzog schrieb, ihm, Kobenzl, für ein Gehalt von 200 Goldgulten alle französischen und nieder-ländische Zeitungen mittheilte«11. Eitzings gesamter Werdegang und seine bekannten Aktivitäten lassen ihn wie geschaffen dafür erscheinen, zusätz-lich auch als Briefzeitungsschreiber tätig gewesen zu sein. Ein weiteres Beispiel war der Herausgeber der zweiten niederländischen Zeitung, Broer Jansz, der stolz auf seine frühere Korrespondentenzeit verwies. Im Kolo-phon seiner 1619 erstmals erschienenen Tydinghen uyt verscheide Quartie-ren rückte er stets »out Courantier int Legher van syn Princelijcke Excellen-tie« ein – Jansz war offenbar Kriegsberichterstatter in der Armee von Prinz Moritz von Oranien gewesen12.

Dieser Personenkreis darf nicht mit den offiziellen Residenten der Mächte verwechselt werden, die entweder diplomatischen Status besaßen oder auf niedrigerer Ebene für einen fremden Fürsten oder eine Stadtrepublik agier-ten. Während der offizielle Resident für einen fürstlichen Herrn arbeitete und von diesem geschützt wurde, wobei er der Regierung seines Wirkungs-bereichs normalerweise angezeigt worden war (Akkreditierung), schrieb der Korrespondent für den Medienmarkt. Der Resident mochte sich an Maß-nahmen zur Geheimhaltung beteiligen, die im gemeinsamen Interesse der lokalen Macht und seines Fürsten liegen konnte. Der Korrespondent schrieb ausdrücklich für die Öffentlichkeit, wirkte daher der Geheimhaltung in der Konsequenz entgegen. Das bedeutete nicht, dass er nicht auch Maßnah-men zur Verschleierung seines Wirkens anwandte, doch diente dies in der Regel dazu, den freien Nachrichtenverkehr gegen Zensurmaßnahmen abzu-schirmen13.

10 Vgl. die Hinweise zu Fischart auf S. 57 in diesem Buch, vgl. zu Eitzing S. 86–88.

11 Zitat: STEINHAUSEN, Die Entstehung der Zeitung aus dem brieflichen Verkehr, S. 353.

12 Vgl. Ingrid MAIER, Amsterdam und Haarlemer Zeitungen (Couranten) des 17. Jahrhunderts im Niedersächsischen Staatsarchiv zu Oldenburg, in: GutJb 78 (2003), S. 170–191, hier S. 178.

Jansz behielt diese Praxis bis zu seinem Tod 1652 bei.

13 Vgl. dazu auch die Abstufung der frühmodernen Korrespondenten vom Fürsten über den Gesandten, Agenten bis hin zum kommerziell arbeitenden Zeitungsschreiber oder Novellan-ten: BAUER, Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit, S. 34f.

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Was hier als Funktionen »Resident« und »Korrespondent« leicht zu tren-nen ist, fiel in der Realität mitunter zusammen: Johannes Weber berichtet davon, dass zahlreiche Korrespondenten entweder im Umkreis der politi-schen und militäripoliti-schen Macht verkehrten oder sogar dort beruflich tätig waren, was ihren Berichten normalerweise eine hohe Zuverlässigkeit ver-lieh14. Schon Johann Peter von Ludewig äußerte sich 1705 kritisch über das zeitgenössische Korrespondentenwesen. In früheren Zeiten, so Ludewig, hätten die Fürsten Geheimagenten an fremden Höfen unterhalten. Nach dem Westfälischen Frieden sei dann ein ausufernder diplomatischer Verkehr zwi-schen den europäizwi-schen Monarchen entstanden, woran auch zahlreiche Fürs-ten und Stadtmagistrate beteiligt worden seien, was die Grundlagen für das Umlaufen politischer Berichte gelegt habe. Zur Zeit Ludwigs XIV. sei dann ein akkreditierter Interessenvertreter jeder Macht an jedem der anderen Höfe die Norm in Europa geworden. Viele dieser Residenten hätten die Grenze zwischen dem diplomatischen Verkehr und dem kommerziellen Nachrich-tenhandel überschritten: Sie verkauften Informationen, »wie dann zu Wien, Regensburg, Wetzlar und andrer Orten viel hundert Personen sich durch sol-che geschriebene correspondentzen ihr Brod zu susol-chen [...]«15. Der Jurist ver-wies im Folgenden auf die Nachteile dieser Form der Informationsdistribu-tion: Die meisten der Korrespondenten hätten weder Zeit noch Mut, etwas Wichtiges zu kommunizieren. Sie produzierten nur Massenware, die allen-falls zur »Kurtzweil dienen« könne16. Einen Nutzen für die Fürsten selbst oder für anspruchsvolle Leser konnte Ludewig nicht erkennen: Die Fürs-ten bezögen ihre qualifizierFürs-ten Informationen von den KaufleuFürs-ten innerhalb ihrer Untertanenschaft.

Ähnlich kritisch äußert sich Paul Jacob Marperger über die Korresponden-ten. Ohne zu begründen, auf welche Weise denn Informationen anders hät-ten gewonnen werden können, schreibt Marperger, bei den Korrespondenhät-ten und Betreibern von Briefzeitungen handele es sich um »Nahrungs = begie-rige Leute«, die alles, was sie an einem Ort aufschnappen oder lesen konn-ten, aufschrieben17. Besonders betroffen seien davon regionale Zeitungen, die systematisch ausgeschlachtet würden. Gegen ein Quartal- oder Annualgeld würden die Korrespondenten diese Berichte an jeden verkaufen, der zah-lungswillig sei. Dieser Menschenschlag, so Marperger, sei bereits in jeder größeren Stadt zu finden, insbesondere in den Städten, wo Zeitungen pro-duziert würden. Die Qualität der Berichte sei häufig fragwürdig, was sich in Möglichkeitsformeln wie »könnte« oder »dürffte« im Sprachduktus zeige,

14 WEBER, Galerie der Zeitungspresse im 17. Jahrhundert, hier S. 33.

15 Johann Peter VON LUDEWIG, Vom Gebrauch und Mißbrauch Der Zeitungen / Bey Eröffnung eines Collegii geführet. Anno 1700, Halle a.d. Saale 1705 (Fotoreprint 1964), S. 88.

16 VON LUDEWIG, Vom Gebrauch und Mißbrauch Der Zeitungen, S. 88f.

17 MARPERGER, Anleitung zum rechten Verstand und nutzbarer Lesung, S. 15.

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weil die Meldungen nicht bestätigt worden seien18. Schon damals bildete sich die Regel heraus, dass eine Nachricht dann als zuverlässig bewertet wurde, wenn sie von zwei unabhängigen Quellen übereinstimmend berichtet worden war. Bereits Christian Weise hatte diese Form der Intersubjektivität gefordert, denn das Problem der interessengeleiteten Publizistik war bestens bekannt, u.a. aus der Propaganda des ludivizianischen Frankreich19. Die Bewertungen durch frühaufklärerische und kommerzialisierungskritische Medienbeob-achter sollten nicht überschätzt werden: Die Korrespondenten waren immer-hin in der Lage, die Berichte nach den Kriterien des Nachrichtenwerts auf-zubereiten und zu versenden. Auch ohne eine Ausbildung oder verbindliche Richtlinien, wie die Daten gestaltet werden sollten, kam der Informationsver-kehr in Gang und reproduzierte sich unter stetigem Wachstum.

Zeitungen und Zeitschriften hatten gemeinsam, dass sie in der Regel ohne Namensnennung des Herausgebers und des Autors des jeweiligen Artikels erschienen. So wurde es seit Beginn der Zeitungspresse gehalten, so über-nahmen es 70 Jahre später die Zeitschriften. Erst im Laufe des Aufklärungs-zeitalters wurden Zeitschriftenartikel namentlich gekennzeichnet. Dies war folgerichtig: Zeitungstexte besaßen einen geringeren Grad an Individuali-tät. Die Suche nach dem Autor einer Zeitung greift daher oft ins Leere: Zwar gab es einen Redakteur, doch war dieser nur in begrenztem Umfang der Autor. Viel eher fungierte er als Arrangeur fremder Texte, die als Nachrich-ten gekauft worden waren.

In der zeitungshistorischen Forschung ist daher normalerweise der Betrei-ber einer Zeitung besser fassbar als der tatsächliche Autor. Thomas von Wiering (1640–1703), der Begründer des Hamburger Relations-Courier (ab 1674), stammte aus einer Buchdruckerfamilie im niederländischen Deventer.

Ab 1670 betrieb er eine Druckerei in Hamburg, vier Jahre später ließ er sich vom Senat ein Privileg für die Herausgabe einer Zeitung verleihen20. »Her-ausgeber« ist daher der treffendere Begriff als »Autor« des Periodikums, selbst wenn einiges dafür spricht, dass Wiering auch Texte selbst verfasste.

Wiering hatte ursprünglich die Absicht, seine periodischen Ausgaben für eine spätere Sammlung aufzubereiten, denn die Ausgaben waren jahrweise paginiert und mit besinnlichen Einführungstexten zu Jahresbeginn und Jah-resschluss versehen. Primärnutzung als Zeitung und Sekundärnutzung aus der Rückschau als Historienwerk waren bereits im Konzept angelegt.

Auf der kurzfristigen Zeitebene allerdings wurde der Konkurrenzkampf mit anderen Blättern geführt. Wiering errang bald beträchtlichen Vorteil,

18 Ebd., S. 16.

19 Christian WEISE, Curieuse Gedancken von den Nouvellen oder Zeitungen [...] vermehret von Christian JUNCKER, Leipzig / Coburg 1706, S. 36f.

20 Vgl. zu Wiering und seiner Hamburger Tätigkeit: BÖNING, Welteroberung durch ein neues Publikum, S. 68–74.

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denn bei ihm war zum einen die Nachrichtendichte größer als bei den Kon-kurrenten: Niemand hatte soviele Neuigkeiten pro Zeiteinheit wie er. Zum anderen druckte er nachweislich auf mehreren Pressen, was ihm ermög-lichte, die erforderliche Anzahl der Exemplare in kürzerer Zeit herzustellen.

Vielfach wurde am Ende einer Zeitung die Drucktype verkleinert, weil noch eine aktuelle Meldung kurzfristig untergebracht werden musste21. Mehr als andere Blätter konzentrierte sich Wiering auf wirtschaftliche Nachrichten, die ihm zum beträchtlichen Teil die Kaufleute in Hamburg selbst vermittel-ten (teils als eigene Informationen, teils durch ihre auswärtigen Korrespon-denten). Keine Autorenschaft konnte Wiering für zahlreiche Flugschriften bzw. Traktate beanspruchen, die er auszugsweise in seine Zeitung einrückte oder separat publizierte, wobei fremdsprachige Texte übersetzt erschienen22.

Eine Ausnahme unter den Zeitungsherausgebern war der Dichter Georg Greflinger (1620–1677). Greflinger gehörte zu der Minderzahl derjenigen, die nicht aus dem Drucker- oder Verlegerberuf stammten, sondern aus dem Lager der Gelehrten23. Der Dichter, der von seiner literarischen Kunstfer-tigkeit nicht leben konnte, ließ sich in Hamburg nieder als Notarius publi-cus, Verleger und Publizist. 1664 gründete er den Nordischen Mercurius, den Holger Böning als »eine der bedeutendsten publizistischen Leistungen des 17. Jahrhunderts« charakterisiert24. Dabei konnte Greflinger auf frü-here Erfahrungen seiner Frankfurter Zeit zurückgreifen, wo er bereits Mess-relationen und Zeitungstexte sowie historisch-politische Werke verfasst hatte. Die Erscheinungsweise der Zeitung ist nicht vollständig geklärt. Vie-les spricht dafür, dass es um 1660 bereits einen Gründungsversuch gegeben hatte, der allerdings nach einer Weile scheiterte, bis das Periodikum 1664 erneut erschien. Auch wurde der Nordische Mercurius teilweise als Wochen-zeitung, teilweise als Monatszeitung herausgebracht. Weniger das Wollen des Verfassers war dafür entscheidend gewesen, sondern vermutlich ökono-mische Probleme25. Das literarische Prunkstück dabei war das Vorwort zur Januarausgabe, das dem Autor Gelegenheit bot, im Stile späterer Zeitschrif-tenherausgeber räsonnierende Gedanken zu Papier zu bringen, die nicht nur

21 Zum Nachweis feiner Unterschiede in denselben Tagesausgaben: Ebd., S. 69f.

22 Werner Kayser weist für 1706 bis 1748 nicht weniger als 433 Flugschriften nach, die im Ver-lag Wiering hergestellt worden waren: Werner KAYSER, Thomas von Wiering und Erben. Ein bedeutendes Kapitel hamburgischer Druckgeschichte, in: Auskunft. Mitteilungsblatt Ham-burger Bibliotheken 10 (1990), H. 4, S. 343–371, zit. nach BÖNING, Welteroberung durch ein neues Publikum, S. 72.

23 Zu Greflinger: Günter BERGHAUS, Georg Greflinger als Journalist und historisch-politischer Schriftsteller. Mit einem Anhang seiner Schriften über die englische Revolution, in: Wolfen-bütteler Barock-Nachrichten 12 (1985), H. 1, S. 1–14; BÖNING, Welteroberung durch ein neues Publikum, S. 40–52 (dort auch weitere Literaturhinweise).

24 Ebd., S. 40.

25 Ebd., S. 41.

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Appelle an die Leserschaft, sondern auch Besinnung über die Zeitläufte bein-halteten. Eingefügte Quellenstücke wurden erläutert, Verse und Anekdoten lockerten die Berichterstattung auf. Ansonsten war auch der Nordische Mer-curius durchpaginiert und damit erkennbar für die zeithistorische Ex-Post-Perspektive mitgestaltet26. Greflinger wollte nämlich seine Zeitung auch dem didaktischen Gebrauch öffnen, z.B. im Geographieunterricht:

Diesem wird dienstlich beygefüget: Weilen einige verständige Schulmeister / ausser- und inner Landes / auch andere vornehme Leuthe / dergleichen Novellen / nebst den Geistlichen Büchern / ihren Kindern zu lesen geben / um der Welt Zustand / wie auch der Länder / Flüsse und Städte Nahmen darauß bekannt zu machen27.

Greflinger wies bereits den Weg für die aktive Textgestaltung, die später vom Redakteur bzw. Autor einer Zeitschrift erwartet wurde: Hier verlangte das Publikum Originalität und eine eigene Bewertung der Zeitläufte. Den-noch gab sich die Leserschaft auch in diesem Periodikum lange mit der Ano-nymität der Autoren zufrieden, selbst wenn manche Verfasser mit ihrer Mas-kierung kokettierten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht selten dürfte Teamwork bei der Erstellung der Periodika eine Rolle gespielt haben. Zum einen beschäftigten Verleger einen abhängigen Autor, so wie der Leipziger Verleger und Kaufmann Johann Jacob Kees, der seine Leipziger Post- und

Greflinger wies bereits den Weg für die aktive Textgestaltung, die später vom Redakteur bzw. Autor einer Zeitschrift erwartet wurde: Hier verlangte das Publikum Originalität und eine eigene Bewertung der Zeitläufte. Den-noch gab sich die Leserschaft auch in diesem Periodikum lange mit der Ano-nymität der Autoren zufrieden, selbst wenn manche Verfasser mit ihrer Mas-kierung kokettierten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht selten dürfte Teamwork bei der Erstellung der Periodika eine Rolle gespielt haben. Zum einen beschäftigten Verleger einen abhängigen Autor, so wie der Leipziger Verleger und Kaufmann Johann Jacob Kees, der seine Leipziger Post- und