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Die Ausdifferenzierung der Medien im Alten ReichMedien im Alten Reich

Das frühmoderne Mediensystem

2. Die Ausdifferenzierung der Medien im Alten ReichMedien im Alten Reich

2.1 Vor- und frühperiodische politische Medien im Heiligen Römischen Reich

2.1.1 Nachrichtenbriefe – geschriebene Zeitungen

Politische Herrschaft, die über Räume hinweg wirksam sein wollte, benötigte schriftliche Medien, um den herrscherlichen Willen an entfernte Untergebene vermitteln zu können und von dort Berichte zu empfangen. Die traditionelle Form der Überlieferung war der Brief, wie er in vielfältiger Weise als offi-zielle diplomatische Mitteilung zwischen politischen Potenzen vorkam. Der Brief benötigte keinen personellen Apparat, sondern nur das Vorhandensein der Trägermaterialien Feder, Tinte und Papier sowie die Beherrschung der Kulturtechnik des Schreibens. Schreibfähigkeit kann bei adligen und bürger-lichen Elitenangehörigen beiderlei Geschlechts für den Untersuchungszeit-raum angenommen werden. Der Brief war nicht auf herrschaft liche Korres-pondenz beschränkt, sondern kam auch als wirtschaftliche Information, als wissenschaftlicher Fachbeitrag, als bloßer persönlicher Kontakt oder in zahl-UHLFKHQDQGHUHQ9DULDQWHQYRU௘1.

Während normalerweise ein Brief einen Verfasser mit einem Adressa-ten verband, ging es beim NachrichAdressa-tenbrief darum, eine größere Anzahl von Personen mit seinem Inhalt vertraut zu machen. Der Aspekt der Multipli-kation von Informationen führte zur Institutionalisierung und

Kommerzi-1 Zur allgemeinen kulturgeschichtlichen Bedeutung: Werner BÜNGEL, Der Brief. Ein kultur-geschichtliches Dokument, Berlin 1939; Franz-Josef WORSTBROCK (Hg.), Der Brief im Zeital-ter der Renaissance, Weinheim 1993. Zum Briefwesen im SpätmittelalZeital-ter: Heinz-DieZeital-ter HEI

-MANN/ Ivan HLAVÁCEK (Hg.), Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, Paderborn u.a. 1997; Cornel ZWIERLEIN, Gegenwartshorizonte im Mit-telalter. Der Nachrichtenbrief vom Pergament- zum Papierzeitalter, in: Jahrbuch für Kommu-nikationsgeschichte 12 (2010), S. 3–60. – Zum Kaufmannsbrief: Marianne GEBELE, Geschichte des deutschen Kaufmannsbriefes bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Diss. München 1949 (Mschr.); Theodor Gustav WERNER / Friedrich-Wilhelm HENNING (Hg.), Das kaufmännische Nachrichtenwesen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit und sein Einfluß auf die Entstehung der handschriftlichen Zeitung, in: Scripta mercaturae 2 (1975), S. 3–51. Der Brief im ausgebildeten Mediensystem der Frühmoderne: Wolfgang BEHRINGER, Postamt und Brief-kasten, in: Klaus BEYRER / Hans-Christian TÄUBRICH (Hg.), Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation. Ausstellung des Museums für Post und Kommunikation Frankfurt a.M. und Nürnberg (1996 / 97), Heidelberg 1996, S. 55–63; Angelika EBRECHT u.a.

(Hg.), Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990.

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alisierung des Mediums: Diese Interessenten waren bereit, für die regelmä-ßige Erhebung und Bereitstellung der Informationen zu zahlen – der einfache Briefempfänger zahlte hingegen normalerweise nicht, sondern antwortete mit einem eigenen Brief.

Die politischen Publizisten, seit dem ausgehenden Mittelalter »Avisen-schreiber« oder »Novellisten« genannt, beobachteten fortwährend den Nach-richtenstrom, der aus politischem und militärischem Handeln im weitesten Sinne überall entstand. Die Beobachtung verlief arbeitsteilig, d.h. Nachrich-ten konnNachrich-ten in mündlicher oder schriftlicher Form zufällig an einen Publi-zisten gelangen, oder sie konnten auch bewusst durch Korrespondenten erho-ben werden. Das bewusste Nachrichtensammeln war dabei eine »Arbeit« in dem Sinne, dass sie honorierungsfähig war. Die Erhebung von Nachrichten verursachte damit Kosten, ein wichtiger Aspekt, der später für den Gedan-ken eines Eigentums an Informationen wieder aufgegriffen werden soll. Wer nur Informationen bearbeitete, für die er nichts bezahlt hatte, wer sich nur aus anderen gedruckten Medien mit Stoff für sein eigenes Periodikum ver-sorgte, zog sich die Kritik derer zu, die die Kosten für ihre Korrespondenten hatten aufbringen müssen2.

Informanten konnten viele sein: Gemeint sind hier weniger professio-nelle Diplomaten3, sondern vielmehr waren Reisende, Kaufleute, private Briefschreiber ebenso dabei wie angestellte Personen in fremden Regierun-gen oder Armeen. Mit zunehmender Zeit gewannen allerdings spezialisierte Kräfte immer mehr an Gewicht, die als Mittler für Nachrichten auftraten:

Sie verfügten über Kontakte in ihrem Umfeld, durch die sie Nachrichten erhielten, bei hinreichendem Geschick auch solche, die eigentlich nicht für die Medienvermittlung gedacht waren. Die Gruppe dieser Nachrichtenmak-ler, in der Regel Einzelpersonen und noch keine Agenturen, ist bislang nur in einigen Beispielen bekannt und bedarf noch weiterer systematischer Unter-suchungen4. Allerdings weiß man von vielen Einzelpersonen, dass sie auch

2 In der Zeitungsbranche hieß dies: Zeitungen »ausschreiben«, eine verächtliche Charakterisie-rung vor allem kleiner Blätter durch Kritiker, die für ihre Produktionen größeren Aufwand betrieben.

3 Zur Diplomatie und den Diplomaten: Matthew S. ANDERSON, The Rise of Modern Diplomacy 1450–1919, London / New York 1993; DUCHHARDT, Balance of Power und Pentarchie, bes.

S. 19–40. – Zur kaiserlichen Diplomatie: Erwin MATSCH, Der Auswärtige Dienst von Öster-UHLFK௘௘8QJDUQ±.|OQ:LHQ

4 Für diesen Hinweis danke ich Johannes Weber, Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung Deutsche Presseforschung an der Universität Bremen. – Überblicke über Forschungsstand und Desiderate: Jürgen WILKE, Korrespondenten und geschriebene Zeitungen, in: Johan-nes ARNDT / Esther-Beate KÖRBER (Hg.), Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neu-zeit 1600–1750, Göttingen 2010, S. 59–72; Holger BÖNING, »Gewiss ist es / dass alle gedruck-ten Zeitungen erst geschrieben seyn müssen«. Handgeschriebene und gedruckte Zeitung im Spannungsfeld von Abhängigkeit, Koexistenz und Konkurrenz, in: Daphnis 37 (2008), S. 203–242; vgl. auch die darauf aufbauenden Überlegungen: Ders., Handgeschriebene und

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oder zeitweise als Nachrichtenmakler tätig gewesen sind. Darunter konn-ten Personen sein, die selbst in einem öffentlichen Dienstverhältnis stan-den (Verwaltungsbeamte, subalterne Höflinge, Schreiber bei militärischen Einheiten) oder solche, die selbstständig waren, aber viele Kontakte in die Behörden besaßen5.

Diese Personengruppe konnte für einzelne Nachrichten bezahlen, norma-lerweise genügten allerdings die kommunikativen Kontakte, um Informatio-nen zu bekommen. Erst die Weitergabe der Nachrichten von den Maklern an die organisierten Nachrichtenverbreiter wurde bezahlt. Dabei bürgerte sich ein, dass die Nachrichtenmakler befristete Pauschalhonorare erhielten (oft für ein viertel, ein halbes oder ein ganzes Jahr), und dafür in vereinbarter Frequenz (z.B. einmal pro Woche) einen Bericht für ihren Auftraggeber ver-fassten. Diese Tätigkeit berührte die Aufgaben der sog. »Agenten«: Viele Fürsten, Ständeversammlungen oder Städte unterhielten an politisch wichti-gen Orten Verbindunwichti-gen zu Personen, die dort ihre Interessen unterhalb der politischen Entscheidungsebene vertraten. Zu dieser Tätigkeit gehörte auch das Verfassen regelmäßiger Berichte. Agenten konnten in erweiterter Form für ihre Auftraggeber tätig werden, indem sie z.B. Kunstgegenstände oder Bücher beschafften6.

Bislang wurde in der Forschung vor allem auf die offizielle diplomatische Ebene geblickt, wo akkreditierte Diplomaten ihre Regierungen vertraten und zu diesem Zweck über offizielle Beglaubigungen und zahlreiche Rechte ver-fügten. Im 16. und 17. Jahrhundert konnten sich die deutschen Reichsstände ein weitverzweigtes Diplomatennetz in Europa nicht leisten. An den großen königlichen Höfen wären ihre Vertreter wegen des bestehenden Standesun-terschieds auch kaum akkreditiert worden. Ein inoffizieller »Agent« hinge-gen hatte den Vorteil, dass man ihn weder offiziell einstellen noch schulen musste, sondern dass man auf bereits tätige Personen vor Ort zurückgreifen konnte. Nachrichtenagenten wirkten vielfach für mehrere Auftraggeber und versorgten diese mit Informationen. Nicht die hochoffizielle Aktion war ihr

gedruckte Zeitung im Spannungsfeld von Abhängigkeit, Koexistenz und Konkurrenz, in: Hol-ger BÖNING / Volker BAUER (Hg.), Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011, S. 23–56. Dazu im selben Sammelband: Heiko DROSTE, »Einige Wiener briefe wollen noch publiciren«. Die Geschriebene Zeitung als öffentliches Nachrichtenmedium, in: Ebd., S. 1–22.

5 Kaspar Stieler rechnet die »Zeitungsschriften« zu den höfischen Informationsschreiben, die um der Einfachheit willen von den strengen Regularien der Titulaturen freigestellt waren:

Kaspar STIELER, Teutsche Sekretariat=Kunst: was sie sey, wovon sie handele [...], 2 Bd. in 4 Tlen., Nürnberg 1673 / 74, hier Bd. 1, Tl. 3, S. 624, zit. nach BAUER, Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit im Alten Reich, S. 32.

6 Zu Agenten mit kulturellem Beschaffungsauftrag: Hans COOLS / Marika KEBLUSEK / Badeloch NOLDUS (Hg.), Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe, Hilversum 2006. Lei-der spielen Nachrichtenagenten in diesem Sammelband keine prominente Rolle.

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Aufgabenbereich, sondern nur die reine Information. Diese konnte normaler-weise ohne Interessenkonflikte erfüllt werden.

Dies lässt sich am Beispiel einiger Briefzeitungen zeigen, wie Ludwig Salomon bereits vor über hundert Jahren nachgewiesen hat7. Als Zentren hat-ten sich schon im 15. und 16. Jahrhundert mehrere größere Handelsstädte im Reich herauskristallisiert, vor allem Wien (für den Balkan), Augsburg (für Italien, Schweiz und über Venedig für den Orient), Köln (für die Nieder-lande, England, Frankreich und Spanien), Hamburg (für Skandinavien) sowie Danzig, Breslau und Prag (für Osteuropa)8. Die Korrespondenten versorgten allerdings zunächst nur konkrete Auftraggeber; idealiter schrieb ein Korres-pondent für einen Auftraggeber exklusiv9. Aus dem wirtschaftlichen Bereich sind in diesem Zusammenhang die Korrespondenzen des Handelshauses Fugger, die sog. Fugger-Zeitungen, bekannt. Aus wirtschaftlicher Motiva-tion heraus wurde über politische und kirchenpolitische Belange berichtet, soweit sie Hinweise auf künftige Knappheiten lieferten10.

Auf der politischen Ebene ist von Herzog August d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579–1666) bezeugt, dass er mindestens 18 Korrespondenten an verschiedenen wichtigen Orten in Europa unterhielt. Für deren Dienste gab er jährlich 1.750 Rtl. aus11. Lore Sporhan-Krempel konnte den Nürnber-ger Korrespondenten Georg Forstenheuser namhaft machen, der einer von +HU]RJ$XJXVWV%ULHI]HLWXQJVVFKUHLEHUQZDU௘12. Alle Briefpartner des

Her-7 Ludwig Salomon geht zwar davon aus, dass das Genre »Briefzeitung« im frühen 18. Jahrhun-dert wiederbelebt worden sei, doch erscheint es angesichts der Verwandtschaft mit dem regu-lären diplomatischen Residentenwesen wahrscheinlicher, dass es mit unterschiedlicher Inten-sität während der gesamten Frühen Neuzeit bestanden hat: Ludwig SALOMON, Geschichte des deutschen Zeitungswesens von den ersten Anfängen bis zur Wiederaufrichtung des deutschen Reiches, 3 Bd., Oldenburg 1900–1906, hier S. 170–174. Vgl. dazu auch Margot LINDEMANN, Deutsche Presse bis 1815. Geschichte der deutschen Presse, Tl. 1, Berlin 1969, S. 15–22.

8 Ebd., S. 27.

9 Zur politischen Frühberichterstattung durch Briefzeitungen vgl. auch Richard WOLFF, Berliner geschriebene Zeitungen aus dem Jahr 1740. Der Regierungsanfang Friedrich des Großen, Ber-lin 1912, S. VIII.

10 Editionen: Viktor VAN KLARVILL (Hg.), Fugger-Zeitungen. Ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568–1605, Wien / Leipzig / München 1923; Christl KARNEHM / Maria Gräfin VON PREYSING (Hg.), Die Korrespondenz Hans Fuggers von 1566–1594. Regesten der Kopierbücher aus dem Fugger-Archiv, 3 Bd., München 2003. – Interpretationen: Regina DAU

-SER, Informationskultur und Beziehungswissen. Das Korrespondentennetz Hans Fuggers (1531–1598), Tübingen 2008; Oswald BAUER, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568–1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011; Christl KARNEHM, Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531–1598), in: Johannes BURKHARDT / Christine WERK

-STETTER (Hg.), Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005, S. 301–311.

11 Elger BLÜHM, Die deutschen Fürstenhöfe des 17. Jahrhunderts und die Presse, in: August BUCK

u.a. (Hg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 3, Hamburg 1981, S. 595–

600, hier S. 595.

12 Zu Georg Forstenheuser: Lore SPORHAN-KREMPEL, Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwi-schen 1400 und 1700, Nürnberg 1968, S. 107.

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zogs übten diese Tätigkeit im Nebenamt aus, während sie normalerweise als Beamte, Diplomaten oder Kaufleute ihr Auskommen hatten. Nicht nur hand-schriftliche Briefe allein gingen in Wolfenbüttel ein, sondern auch Druck-werke, die die Korrespondenten vor Ort erstanden hatten und dem hochadli-gen Auftraggeber als erweiterte Informationen zukommen ließen.

Aus diesem bezahlten Korrespondententum für jeweils einen Potentaten entwickelte sich eine Versachlichung der Korrespondenz: Dabei verfasste jeder Korrespondent seine Texte zunächst für wenige weitere zahlende Emp-fänger, die ihn im Erfolgsfalle weiterempfehlen konnten. Ob der ständische Unterschied, der in Nürnberg festzustellen ist zwischen Angehörigen der Oberschichten, die an auswärtige Fürsten schrieben, und den »Novellanten«, die als Schreibkundige aus der Mittelschicht Berichte an jeden gegen Bezah-lung schickten, auch für andere Städte gilt, bedarf noch weiterer Studien13. Die Frequenz der Texte war nicht willkürlich, sondern hing in der Regel vom Postkursus ab, der normalerweise an den medienrelevanten Standorten Z|FKHQWOLFKYHUOLHI௘14.

Der limitierende Faktor für geschriebene Zeitungen war dabei das Quan-tum, das ein Korrespondent im Laufe einer Woche eigenhändig leisten konnte, und dies waren kaum mehr als 10 bis 15 Kopien15. Allerdings sind auch zahl-reichere Korrespondenzen von bis zu 60 Kopien pro Woche bekannt gewor-den, vermutlich hatte der Korrespondent dafür mehrere Schreiber unter Vertrag16. Der Personalaufwand wirkte sich auf den Preis aus, so dass der Zugang zu diesen Informationen nur zahlungskräftigen Kunden offenstand.

Während des 17. Jahrhunderts kosteten geschriebene Zeitungen aus Nürn-berg – dort entstand erst 1673 eine gedruckte Zeitung – durchgängig zwi-VFKHQXQG*XOGHQLP-DKUHVDERQQHPHQW௘17. Jeder Interessent konnte sich gegen Honorar mit Berichten aus ganz Europa beliefern lassen. Lore Spor-han-Krempel nennt mehrere Beispiele, bei denen sich einige Personen zu einer frühen Zeitungslesegesellschaft zusammenschlossen und das jeweilige Exemplar umlaufen ließen18. Die frühere Vorstellung, in den geschriebenen Zeitungen habe das Geheime gestanden, in den gedruckten der langweilige

13 Lore Sporhan-Krempel teilt die Briefzeitungsschreiber in dieser Weise auf: SPORHAN-KREM

-PEL, Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700, S. 77–112 (16 »Korrespon-denten«) u. 113–127 (14 »Novellanten«).

14 BÖNING, Handgeschriebene und gedruckte Zeitung, S. 208.

15 Johannes WEBER, Galerie der Zeitungspresse im 17. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt:

Geschichte der frühen Leipziger Zeitungen, in: Arnulf KUTSCH / ders. (Hg.), 350 Jahre Tages-zeitung. Forschungen und Dokumente, Berlin 2002, S. 23–136, hier S. 33.

16 Susanne FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007, S. 412 mit mehreren Nachweisen.

17 Vgl. SPORHAN-KREMPEL, Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700, S. 126f.

und Tab. 1, S. 200.

18 Vgl. SPORHAN-KREMPEL, Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700, S. 126f.

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Rest, ist nach jüngsten Forschungen unzutreffend: Beide Mediengattungen unterlagen der herrschaftlichen Zensur, wie auch in beiden Fällen die jewei-lige Obrigkeit gegenüber anderen, sich beleidigt fühlenden Obrigkeiten für Satisfaktion sorgen musste19.

Ein Dreischritt aufeinander folgender Korrespondenzen ist konstatier-bar, wobei jede neue Korrespondenz nicht die frühere ersetzte, sondern zu ihr hinzutrat: 1. personalisierte Korrespondenz zwischen zwei Partnern; 2.

versachlichte Korrespondenz zwischen mehreren bis vielen Partnern, die immerhin noch namentlich benannt wurden; 3. kommerzialisierte Korres-pondenz zwischen einer großen Zahl von Marktteilnehmern, die über Han-dels- und Logistikorganisationen miteinander Kaufbeziehungen unterhiel-ten, ohne sich persönlich oder namentlich zu kennen20.

Handschriftliche Zeitungen oder Briefzeitungen werden mit Bedacht die-sem Kapitel zugeordnet: Zwar sind sie in einigen prominenten Fällen als Vor-läufer gedruckter Zeitungen bekannt geworden – der Inhaber des ersten frü-hesten bislang bekannten Zeitungsprivilegs, Johann Carolus aus Straßburg, war zuvor Briefzeitungsproduzent21 – doch wichtig ist in diesem Zusammen-hang, dass sie auch im Zeitungszeitalter weiterhin eine bedeutende Rolle spielten. Es handelt sich damit um einen Ausdifferenzierungsprozess, wie er in der Medienentwicklung vielfach auftrat: Das Medium des Briefes wurde technisch optimiert und vervielfältigt, daneben blieb der Brief als Hand-schrift, d.h. als Unikat mit allenfalls einigen eigenhändigen Abschriften des Verfassers, als altes Medium weiterhin erhalten. Für künftige Briefzeitungs-schreiber bedeutete das eine Entlastung: Was in den allgemeinen gedruck-ten Zeitungen stand, musste nicht mehr kommuniziert werden, das Schwer-gewicht rückte auf darüber hinausgehende, spezielle Informationen. Zudem war es beispielsweise für einen Hamburger Residenten nicht mehr erforder-lich, seinem Auftraggeber in Wien mitzuteilen, was er über Venedig oder Nürnberg erfahren hatte, denn diese Nachrichten dürften dort schon frü-her eingetroffen sein22. Allenfalls legte der Resident über sonstige Neuigkei-ten, die er erfuhr, seinem Auftraggeber ein Exemplar der diesbezüglichen gedruckten Zeitung als Anlage bei. Zahlreiche Zeitungsexemplare aus dem 17. Jahrhundert haben sich auf diese Weise als Einzelstücke in herrschaft-lichen Archiven erhalten23. Eine der wichtigsten Sammlungen von

Brief-19 BÖNING, Handgeschriebene und gedruckte Zeitung, S. 228.

20 Vgl. dazu DORN / VOGEL, Geschichte des Pressevertriebs, S. 15.

21 Vgl. die Schilderung der Laufbahn Carolus’ als Zeitungsmacher bei Johannes WEBER,

»Un ther thenige Supplication Johann Caroli / Buchtruckers«. Der Beginn gedruckter politi-scher Wochenzeitungen im Jahre 1605, in: AGB 38 (1992), S. 257–265.

22 Auf diesen Spezialisierungseffekt verweist Karl Heinz KRANHOLD, Frühgeschichte der Danzi-ger Presse, Münster 1967, S. 183.

23 Vgl. zu einigen frühen Exemplaren der »Danziger Ordinari Freytags Zeitung« von 1667 im Königlichen Archiv in Stockholm: KRANHOLD, Frühgeschichte der Danziger Presse, S. 189.

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zeitungen, von den Herzögen von Braunschweig-Wolfenbüttel hinterlassen, liegt im Staatsarchiv Wolfenbüttel und wurde bereits vor mehreren Jahrzehn-ten von Johannes Kleinpaul ausgewertet24.

Ein Brief konnte durchaus Aufsehen erregen, vor allem wenn er ein Geheimnis zu beinhalten schien. So berichtete die Zeitungsbeilage zur Mer-curii Relation im Februar 1692 von einem verschlüsselten Brief, der in Hei-delberg angelangt war. Die Kurpfalz war damals wegen der umstrittenen Erbansprüche Ludwigs XIV. Kriegsgebiet, und das Interesse an militärisch relevanten Informationen war existenziell. Die Pressenachricht lautete:

Auß Heydelberg / vom 5. Februar. – Verschinen Freytag und Sambstag hatten wir allhier einen grossen Allarm / welcher aus dem intercipirten / und mit lauter Ziffern geschribenen Briff entstanden / woraus man nach geschehener Dezifferirung so vil vernommen / daß eine grosse Verrätherey auff hiesige statt / Mayntz und Franckfurt vorhanden gewesen / weßhalben man die Verräther / mit allem Fleiß auffzusuchen JHWUDFKWHW௘25.

Eine Woche später wurde die Mitteilung nachgeschoben, dass in Frankfurt einige Verdächtige bereits verhaftet worden seien und dass die Hauptperson noch in Mainz vermutet und dort gesucht würde.

Das Schreiben von Briefzeitungen war überall in Europa gebräuchlich, während die Maßnahmen der Regierungen, diesen Nachrichtenfluss zu unterbrechen, periodischen Schwankungen unterlagen. In der Europäischen Fama wird berichtet, dass gerade im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrie-ges in Paris eine besonders scharfe Verfolgung der Novellisten erfolgte. Die Zeitschrift kommentiert die Bemühungen der französischen Regierung mit Häme:

Damit man vor dem Volcke, und vielleicht auch vor dem Könige selbsten, den wahren Zustand der auswärtigen Begebenheit verbergen möchte, so seyend alle geschriebenen Zeitungen, welche in Paris pflegen herumgetragen zu werden, ernstlich verboten wor-den; inmasen man dem bereits 50 biß 60 Zeitungs=Schreiber in Verhafft genommen

24 Johannes KLEINPAUL, Der Nachrichtendienst der Herzöge von Braunschweig im 16. und 17.

Jahrhundert, in: Zeitungswissenschaft 5 (1930), S. 82–94. Vgl. von Kleinpaul auch den Ver-gleich mit anderen Höfen der Zeit: Ders., Das Nachrichtenwesen der deutschen Fürsten im 16.

und 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschriebenen Zeitungen, Leipzig 1930.

Vgl. zur Vernachlässigung der Forschung auch: DORN / VOGEL, Geschichte des Pressevertriebs, S. 15f.

25 Beilage »Extract Schreiben / Auß Wien / Ungarn / Pariß / Engeland / Polen / Heydelberg / Berlin und Cöln / etc. Mitbringend: Was weiter Neues in diesen Orthen vorbey gangen«, o.O. 1692 (Februar 16).

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hat. So verhindert man auch auf alle ersinnliche Weise, dass keine Zeitungen aus dem Königreich in andere Länder verschicket werden; dahero man alle Briefe auff der Post beschauet, und alle diejenigen, welche verdächtig seyend, eröffnet26.

Zwei Jahre später taucht das Thema erneut in der Europäischen Fama auf, und wieder ernten die Bemühungen der französischen Regierung um sym-bolische Kriegführung gegen die Medienmacher Spott und Hohn des Her-ausgebers Sinold von Schütz: »Warum wollen sich aber Se. Allerchristlichste Maj. deswegen schämen, daß Dero Krieges=Glücke nur auf drey Beinen gehet, und warum seynd Sie so sorgfältig, die Schwindsucht Ihres Staates zu verbergen«27?

Zentrum der Briefzeitungsproduktion im Reich des 17. und 18. Jahrhun-dert dürfte Regensburg gewesen sein, spätestens, seit dort der Reichstag in Permanenz tagte. Johann Peter von Ludewig vermerkte 1705, dass in der Stadt der Reichstage »[...] viel hundert Personen durch [...] geschrieben Corre-spondentzen ihr Brot« verdient haben sollen28. Die kommunikativen Zusam-menhänge sind inzwischen durch eine ältere und eine jüngst erschienene Studie gut erhellt. 1936 konstatierte Hans Gstettner, dass von Geheimhal-tung keinerlei Rede sein konnte: »Von dem Netz politischen Nachrichten-dienstes, das von Regensburg aus über ganz Deutschland, ja über Europa gesponnen war, haben wir den erhaltenen Fäden nach kaum eine zu große Vorstellung«29. Inzwischen hat Susanne Friedrich eine voluminöse Disser-tation über Regensburg als »Drehscheibe« der politischen Kommunikation im Reich und in Europa vorgelegt und dabei die Schwatzhaftigkeit als Prin-zip mit zahlreichen Beispielen bestätigt30. Der politische Geheimnisverrat vor allem durch subalterne Kanzleibedienstete der reichsfürstlichen Gesand-ten war epidemisch und viel beklagt, konnte aber durch periodisch wieder-kehrende Verbote nicht eingedämmt werden31. Der englische

Zentrum der Briefzeitungsproduktion im Reich des 17. und 18. Jahrhun-dert dürfte Regensburg gewesen sein, spätestens, seit dort der Reichstag in Permanenz tagte. Johann Peter von Ludewig vermerkte 1705, dass in der Stadt der Reichstage »[...] viel hundert Personen durch [...] geschrieben Corre-spondentzen ihr Brot« verdient haben sollen28. Die kommunikativen Zusam-menhänge sind inzwischen durch eine ältere und eine jüngst erschienene Studie gut erhellt. 1936 konstatierte Hans Gstettner, dass von Geheimhal-tung keinerlei Rede sein konnte: »Von dem Netz politischen Nachrichten-dienstes, das von Regensburg aus über ganz Deutschland, ja über Europa gesponnen war, haben wir den erhaltenen Fäden nach kaum eine zu große Vorstellung«29. Inzwischen hat Susanne Friedrich eine voluminöse Disser-tation über Regensburg als »Drehscheibe« der politischen Kommunikation im Reich und in Europa vorgelegt und dabei die Schwatzhaftigkeit als Prin-zip mit zahlreichen Beispielen bestätigt30. Der politische Geheimnisverrat vor allem durch subalterne Kanzleibedienstete der reichsfürstlichen Gesand-ten war epidemisch und viel beklagt, konnte aber durch periodisch wieder-kehrende Verbote nicht eingedämmt werden31. Der englische