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Distribution: Buchhandel und Postwesen

Das frühmoderne Mediensystem

4. Distribution: Buchhandel und Postwesen

Im Prozess der Zirkulation der Nachrichten steht zwischen dem Autor eines Berichts und dem Leser der organisatorische, technische und logistische Fer-tigungsprozess des Schriftstücks, das am Ende rezipiert und auch archiviert werden kann, so dass es – in vielen Fällen – bis heute zur Verfügung steht.

Der Buchdruck stellte dabei ein Element der longue durée dar, denn seine technische Entwicklung war bereits im Laufe des 15. Jahrhunderts in einer Weise verfeinert, dass sein Betrieb in den folgenden mehr als 350 Jahren im Wesentlichen ähnlich verlief௘1. Grundlegende Weiterentwicklungen fan-den erst im frühen 19. Jahrhundert statt, so dass das Verfahren an dieser Stelle nicht ausgebreitet zu werden braucht2. Dies bedeutete aber keinesfalls das Fehlen von Ausdifferenzierungsprozessen im Druckgewerbe. Im Gegen-teil lässt sich bereits für das 16. Jahrhundert eine beträchtliche Vielfalt der druckgewerblichen Berufe feststellen. Im Ständebuch des Jost Amman von 1568, einem kulturhistorisch wichtigen Überblick über die Berufswelt in den großen oberdeutschen Städten, finden sich nicht weniger als acht unter-schiedliche Berufe, die im Rahmen der Druckwerkeproduktion mitwirkten:

Der Schriftgießer, der Holzschnittzeichner (Reißer), der Formschneider, der Buchdrucker, der Buchmaler (Brieffmaler), der Buchbinder und der Perga-mentmacher (»Permennter«)3. Hinzu kam die professionelle Herstellung des bedruckten Materials, wobei das aufwendig zu erstellende und daher teure Pergament weitgehend durch Papier ersetzt wurde – auch der Papiermacher (»Pap\rer«) fehlte bei Amman nicht௘4.

1 Claus W. GERHARDT, Warum wurde die Gutenberg-Presse erst nach über 350 Jahren durch ein besseres System abgelöst?, in: Ders., Beiträge zur Technikgeschichte des Buchwesens. Kleine Schriften, 1969–1976, Frankfurt a.M. 1976, S. 77–100; WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 13.

2 Zu Gutenberg und zum Verfahren: DOBRAS, Gutenberg – aventur und Kunst, pas.; FÜSSEL, Gutenberg und seine Wirkung, pas.; Hans-Jürgen WOLF, Schwarze Kunst. Eine illustrierte Geschichte der Druckverfahren, Frankfurt a.M. 21981; GIESECKE, Der Buchdruck in der frü-hen Neuzeit, pas.; Hans BOHRMANN (Hg.), Zeitungsdruck. Die Entwicklung der Technik vom 17. zum 20. Jahrhundert. Mit Beiträgen von Martin WELKE und Boris FUCHS, München 2000.

3 Jost AMMAN, Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden / Hoher und Nidriger / Geist-licher und WeltGeist-licher / Aller Künsten / Handwercken und Händeln [...], Frankfurt a.M. 1568;

ND: ders., Das Ständebuch. Herrscher, Handwerker und Künstler des ausgehenden Mittelal-ters. 114 Holzschnitte mit Versen von Hans SACHS, Köln 2006.

4 Vgl. den Überblick zur Papierherstellung von Günter BAYER / Karl PICHOL, Papier. Produkt aus Lumpen, Holz und Wasser, Reinbek b. Hamburg 1986; Günter BAYERL, Die Papiermühle.

Vorindustrielle Papiermacherei auf dem Gebiet des alten deutschen Reiches. Technologie, Arbeitsverhältnisse, Umwelt, 2 Bd., Frankfurt a.M. u.a. 1987.

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4.1 Messen, Buchführer und Kolporteure

Der offizielle Buchhandel war im Reformationszeitalter bereits voll eta-bliert, erfuhr aber wegen der zunehmenden Quantitäten an Büchern eine starke Ausdehnung. Diese Branche bestand aus Kaufleuten, die eine Spezi-alisierung im Kauf und Verkauf von Büchern hatten5. Die Händler waren in ihrer jeweiligen Heimatstadt offiziell als Bürger etabliert, meistens in einer Korporation (Zunft oder Kaufmannsverbindung) organisiert und unterlagen der obrigkeitlichen Aufsicht. Der Verkauf am Wohnort stellte allerdings nur einen Teil ihrer Tätigkeit dar, daneben spielte im Reformationsjahrhundert der Wanderhandel noch eine zentrale Rolle6. Der Beruf wird als äußerst kräf-tezehrend beschrieben:

Diese Strapazen des Reisebuchhandels dürfen nicht unterschätzt werden – während die kleinhandwerklichen Buchbinder ein zwar kümmerliches, doch hohes Armen-häusleralter zu erreichen pflegten, und die gutsituierten Buchdruckerherren – nach den Porträtstichen zu schließen – hauptsächlich von der Fettleibigkeit bedroht waren, starben zahlreiche Buchhändler ausweislich ihrer Leichenpredigten entkräftet und abgearbeitet im besten Mannesalter7.

Drucker und Verleger arbeiteten an der Schnittstelle zwischen drei sozialen Großgruppen der Frühmoderne. Während die Drucker dem Handwerk ent-stammten, rechneten sich die Verleger den kaufmännischen Berufen zu. Die Autoren und auch die Leser ihrer Produkte hingegen entstammten überwie-gend den gebildeten Ständen, vor allem dem Adel und dem akademischen Bürgertum. Es lag daher nahe, dass die Fremdwahrnehmung der Druck-gewerbetreibenden durch gebildete Autoren eher distanziert war. Ein ver-breiteter Topos unterstellte diesem Berufsstand blanken Materialismus und schonungsloses Gewinnstreben. Martin Luther darf als Patron für diese Anschauung gelten, denn er schrieb im Sommer 1521 von der Wartburg an Spalatin: »Was scheint denn ein solcher Drucker zu denken als: Mir genügt es, dass ich Geld mache: die Leser mögen sehen, was sie wie lesen«8.

Anders als die Theologie oder andere Wissenschaften war die Buchdru-ckerei zunächst eine ökonomische Betätigung, die hohe Kapitaleinsätze

5 Michael Giesecke spricht vom »Handelsnetz als Medium der typographischen Kommunika-tion«: GIESECKE, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 391–399.

6 Zum frühen Buchhandel: Heinrich GRIMM, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs und ihre Niederlassungsorte in der Zeitspanne 1490 bis um 1550, in: AGB 7 (1967), Sp. 1153–1772;

vgl. dazu auch WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 31.

7 Zitat nach WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 85.

8 Brief an SPALATIN vom 15. August 1521, zit. nach Horst WENZEL, Mediengeschichte vor und nach Gutenberg, Darmstadt 2007, S. 20.

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erforderte. Johannes Burkhardt formulierte diesen Umstand wie folgt: »Die Druckkunst war trotz allem noch teure Spitzentechnologie mit beschränktem Bedarf«9. Viele gelernte Drucker begannen ihre Selbstständigkeit mit gro-ßem Engagement und ebensogroßen Hoffnungen, um wenig später bankrott zu gehen. Insofern sind an die Entwicklung des neuen Mediums auch wirt-schaftsgeschichtliche Maßstäbe anzulegen: Wissenstransfer hatte zunächst einen ganz profan finanziellen Unterbau, um durchführbar und später dauer-haft zu werden. Drei Aspekte trafen zusammen und bedurften im Laufe der Medienentwicklung immer wieder der Austarierung: Zum einen die Idee, der Text, den der Autor oder eine interessierte gesellschaftliche Gruppe verviel-fältigt sehen wollte, zum anderen die Ökonomie der Medienproduzenten, die jedesmal fragten: Wer bezahlt das alles – der Markt oder doch der Verfasser?, und drittens die Obrigkeiten geistlicher und weltlicher Ausrichtung, die arg-wöhnten, durch eine neue Idee in gebundener Fassung könne die überkom-mene Ordnung in Gefahr geraten.

Buchdruck war praktisch nicht ortsgebunden. Das erscheint auf den ersten Blick als paradox, waren die Druckerpressen doch in die tragende Holzstruk-tur der Gebäude eingefasst, um den notwendigen Anpressdruck erzeugen zu können. Drucklettern und sonstiger Zubehör ließen sich allerdings nicht nur über Land transportieren, sondern auch gegen Geld leihen. Die fertigen Druckprodukte waren ebenfalls transportabel – wenn auch in beiden Fällen wegen der hohen Kosten Beschränkungen bestanden. Zwischen den übrigen Gewerben der frühneuzeitlichen Städte und den Buchdruckern bestand ein Spannungsverhältnis: Da der Buchdruck erst entstanden war, als die übri-gen Handwerke bereits auf eine beträchtliche organisatorische Tradition zurückblicken konnten, fiel eine nahtlose Integration schwer. Auch eignete sich das hergestellte Gut, das bedruckte Blatt oder Buch, nicht zum gleich-förmigen Gebrauch: Im Gegensatz zu einem Schuh oder einem Brot besaß ein Druckwerk einen höheren Grad von Individualität – die auch durch die Gleichförmigkeit der Drucke einer Auflage nicht zunichte gemacht wurde.

Die Kunden dagegen strebten nach dem »Gebrauch« des vorigen Buches den Kauf eines neuen, anderen Buches an. Dadurch unterlag die Buchproduk-tion von Anfang an einer sehr viel höheren Dynamik als alle anderen Hand-werke, in denen zwar auch Veränderungen eintraten, jedoch mit langsame-rer Geschwindigkeit. Michael Giesecke stellt ausführliche Überlegungen zur eigentlich unhandwerklichen Struktur der Buchproduktion und -distribution an: Nicht die Sicherung von Subsistenz in Gestalt einer Produktion für einen geschlossenen Markt war das Ziel des Buchdrucks, sondern immer weitere Expansion – ein Ideal, das nicht vom »Gemeinwohl«, sondern vom

»Eigen-9 Vgl. zur ökonomischen Dimension des Buchgewerbes im 16. Jahrhundert: BURKHARDT, Refor-mationsjahrhundert, S. 25.

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nutz« geprägt war௘10! Winfried Schulze hat für das 16. Jahrhunderts ein star-kes Anwachsen des Eigennutz-Gedankens konstatiert. Das bedeutete nicht, dass Eigennutz vorher nicht vorgekommen wäre, aber nun waren auch die Theoretiker willens, dem Eigennutz eine positive Konnotation zuzuschrei-ben, wo zuvor die christliche Orientierung auf das jenseitige Gottesreich und auf den Nächsten unumstößlich gewesen waren11.

Die Dynamik koppelte die Buchherstellung auf diese Weise stärker an die Marktgesetze: Zusätzlich zum Bestreben der Bedarfsdeckung der Nachfrage nach Büchern generell konkurrierten Bücher verschiedenen Inhalts mitein-ander. Die Gestaltung eines Druckes konnte ihm auch in Fällen, in denen ein Überangebot von Druckwerken auf die Kunden wartete, gute Marktchancen eröffnen. Die zeitliche Entstehung nach der berufsständischen Organisation der zünftigen Handwerke und die damit gelegentlich verbundene Gering-schätzung von Seiten der älteren Professionen war mit den bekannten Här-ten verbunden. Das Problem der »Überbesetzung« trat hier besonders früh und scharf in Erscheinung und wurde noch dadurch gemehrt, dass zahlrei-che »Brot- oder Stellungslose« in diese Profession strebten12. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Methoden, mit denen die Druckgewerbetreiben-den bei ihrer Konkurrenz zu Werke gingen. Klagen und Prozesse um falsche Auflagenzahlen, unfertige oder unkorrekt gearbeitete Bücher, verschleierte Druckorte, Fehler bei der Paginierung, Pseudonyme, unrechtmäßige Nach-drucke und geistiger Diebstahl in breitem Umfang waren so häufig, dass sie keinesfalls als Ausnahmen bezeichnet werden können. »Schleuderer«,

»Höckerer«, »Marks-Sänger« oder »Scarteken-Träger« wurden die Abweich-ler von der Norm genannt, Begriffe, die Adrian Beier 1690 in seiner Beschrei-bung des zeitgenössischen Buchwesens zur pejorativen Kennzeichnung einer ökonomischen Verwilderung der Verkehrssitten verwandte13. Beier sah klar die Doppelfunktion des Buchhändlers, Kaufmann und Gelehrter in einem sein zu müssen, mit allen daraus resultierenden Problemen. Die Studie ist vor allem deshalb heute noch wertvoll, weil Beier nicht in das Gejammer vie-ler Gelehrter einstimmte, die im Chor das Lied von der ständigen Verach-tung und Benachteiligung des eigenen Standes gesungen haben, und dies mit einer Lautstärke, die jeden Protestruf anderer sozial bedrängter Personen oder Gruppen der Zeit mühelos übertönte. Trotz dieser internen Härten

bil-10 Vgl. die zahlreichen Bemerkungen hierzu bei: GIESECKE, Der Buchdruck in der frühen Neu-zeit, S. 331–333, 393–399 u. 468.

11 Zur Entwicklung des »Eigennutz«-Gedankens im ökonomischen Denken des 16. Jahrhun-derts: Winfried SCHULZE, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: HZ 243 (1986), S. 591–626.

12 Hinweis von ESTERMANN, Memoria und Diskurs, S. 49.

13 Adrian BEIER, Kurtzer Bericht von Der Nützlichen und Fürtrefflich Buch-Handlung und Deroselben Privilegien, Jena 1690, S. 14, zit. nach ESTERMANN, Memoria und Diskurs, S. 48, Anm. 5.

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deten die Buchdrucker nach außen ein besonderes Selbstbewusstsein aus: Sie hielten sich nicht für Handwerker, sondern betrachteten den Buchdruck als eine »freie Kunst«, sich selbst mithin als Künstler.

Bei Reinhard Wittmann werden drei Phasen der Verkehrsformen des Buchhandels unterschieden, wobei er sich auf die klassische Buchhandels-studie von Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich stützt: 1. Periode des Wanderverkehrs von 1450 bis 1564; 2. Periode des »Meß- und Tauschhan-dels«, beginnend mit dem ersten Willerschen Messkatalog 1564; 3. Periode des Konditionssystems, das 1764 durch Philipp Erasmus Reich in Leipzig eingeführt worden ist௘14. Die Übergänge waren, so Wittmann, in Wirklich-keit nicht so scharf, dass fixe Daten angegeben werden könnten. Stets habe es mehrere gültige Handelssysteme gegeben. Der Tauschhandel habe sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts als beherrschendes System durchgesetzt15. Diese Form begann allerdings schon Jahrzehnte vor 1764 nach und nach zu zer fallen16.

Reinhard Wittmann zählt vier Gruppen auf, die im 17. und 18. Jahrhun-dert mit Büchern handelten: 1. Der reguläre Buchhändler (»Verlegersorti-menter«), der zu den Messen nach Frankfurt und Leipzig mit seinem Sor-timent reiste. Normalerweise tauschte er seine Bücher gegen die anderer Produzenten ein. Ziel war dabei, ein Sortiment nach Hause zu bringen, von dem er sich hinreichende Marktchancen erwartete17. 2. Die »Druckerverle-ger«, von denen ebenfalls viele die Messen besuchten. Oft standen sie in dauerhaften Beziehungen zu öffentlichen Einrichtungen des Staates oder der Kirche, als Hof-, Kanzlei-, Universitäts- oder Ratsbuchdrucker. Ihre Herren hatten sie nicht selten mit einem Monopol in ihrer Heimatstadt ausgestattet.

Ihre Druckereien bedienten vor allem den lokalen Markt. Sie druckten mehr-heitlich keine wissenschaftliche Literatur, sondern »kurrente Materien«, d.h.

Gebet- und Erbauungsbücher, Ratgeberliteratur, Prognostiken, Flugschriften oder Gelegenheitsgedichte sowie Schulreden und obrigkeitliche Verlautba-rungen, auch die lokalen Zeitungen18. 3. Die Buchbinder stellten mit 1.500 Firmen bereits eine größere Gruppe, von der einige ebenfalls mit Büchern handelten. Ihre Gewerbe waren allerdings klein, normalerweise waren sie in einer Zunft stadtweit oder landesweit organisiert. Die Buchbinder hatten

14 WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 75. – Bezug: Friedrich KAPP / Johann GOLDFRIEDRICH, Geschichte des deutschen Buchhandels, 4 Bd. u. Registerbd., Leipzig 1886–

1923 (ND Leipzig 1970).

15 Verfahren im Tauschhandel: WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 89–91.

16 Reinhard Wittmann hat diesen Prozess am Beispiel der Nachdruckproblematik um die Mitte des 17. Jahrhunderts nachgezeichnet: WITTMANN, Der gerechtfertigte Nachdrucker, S. 293–320.

17 Die »Verlegersortimenter« bildeten 1650 138 Firmen; 1740 waren es 187: Ders., Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 78–81.

18 Die »Druckerverleger« bildeten ca. 330 Firmen: Ebd., S. 81f.

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das Monopol, als einzige mit gebundenen Büchern Handel treiben zu dürfen.

Auch ihr Programmschwerpunkt lag auf der intensiven Literatur, auf den Kalendern oder erbaulichen Schriften, aber auch auf kleinen Romanen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gerieten einige von ihnen in Beziehungen zu Ver-legern und wurden deren Filialen. Buchbinder traten auch als Wanderhänd-ler in Erscheinung19. 4. Die »Auch-Buchhändler«, d.h. Gewerbetreibende, die außer anderen Handelsgütern auch gedruckte Schriften anboten. Daneben kamen Kupferstecher, Geistliche oder Studenten infrage. Auch die große, heterogene Gruppe der Wanderhändler oder Kolporteure führte nicht selten Schriften mit sich20.

Daneben gab es die »Buchführer« oder »Umträger«, d.h. fahrende Buch-händler, die mit ihrem Sortiment vor allem leicht transportabler Texte über Land zogen. Heinrich Grimm zählte mehr als 1.000 derartige fliegende Händler für den Zeitraum von 1490 bis 155021. Sie verstießen nicht nur gegen die Zensur, sondern auch gegen Gewerbeordnungen, da sie in der Regel nicht regulär an Märkten und anderen Verkaufsgelegenheiten akkreditiert waren.

Einige prominente fliegende Buchhändler bezahlten ihre Tätigkeit mit dem Leben. Ein prominentes Beispiel war der Nürnberger Buchführer Hans Her-got. Er reiste 1527 mit Flugblättern und Nachdrucken durch die sächsischen Territorien, um auf Märkten seine Waren anzubieten. In Leipzig wurde er von zwei Studenten denunziert, bei denen die Flugschrift Von der neuen Wand-lung eines christlichen Lebens gefunden worden war. Im Rahmen der folgen-den Ermittlungen legte man ihm weitere »aufrührerische« Traktate zur Last.

Hergot wurde zum Tode verurteilt und mit dem Schwert hingerichtet௘22. Der illegale »fliegende« Buchhandel hatte etwas Transitorisches: Beson-ders in Zeiten des Umbruchs, der staatlichen und kulturellen Unordnung blühte diese Form des Vertriebs. Sie profitierte von Schwächen der staat-lichen Marktkontrolle, die jeweils nur für eine bestimmte Zeit galt. Anschlie-ßend bekamen die Behörden die Verhältnisse wieder »in den Griff«, wäh-rend die regulären Buchhändler ihren Handelsbereich ebenfalls wieder besser kontrollieren konnten. Der Kolporteur wurde wieder in eine Rand-rolle zurückgedrängt – bis zur nächsten Umbruchsphase. Wie ein Nachklang aus dem konfessionellen Zeitalter erscheint der § 9 des bayerischen Zensur-mandats von 1769, in dem es hieß, dass »die Erfahrung lehret, daß die meis-ten schäd lichen Bücher und Broschüren durch die herumhausirenden Krä-mer und sogenannten Kräxenträger in Unsere Lande hereinschleichen«23.

19 Die Buchbinder bildeten ca. 1500 Firmen: Ebd., S. 82f. – Zum Monopol des Handels mit gebundenen Büchern: Ebd., S. 94.

20 Die »Auch-Buchhändler« lassen sich nicht quantifizieren: Ebd., S. 83f.

21 GRIMM, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1153–1772.

22 SCHWITALLA, Flugschrift, S. 22; WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 48.

23 Zit. nach LINDEMANN, Deutsche Presse bis 1815, S. 36.

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Übrig blieben die meist kleineren Buchhändler, die ihr Sortiment vor allem auf »kurrente Waren« ausrichteten, die regelmäßig an das Publikum in der eigenen Region verkauft werden konnten. Dazu gehörte das erbauliche Schrifttum, soweit es die herrschenden Bekenntnisse betraf. Daneben wur-den aber auch Kalender oder Sensationsschriften aller Art regelmäßig ver-kauft. Die Buchhändler wussten, dass es hierfür unabhängig von medialen Großwetterlagen stets einen Markt gab.

Durch den Dreißigjährigen Krieg wurde der Buchhandel, wie die meis-ten Handelsbranchen, schwer geschädigt, und zwar sowohl durch die Verar-mung der Kundschaft als auch durch die Bedrohungen und Schäden infolge der Unsicherheit der Verkehrswege. Erst um 1720 hatte sich im Allgemeinen der Vorkriegszustand wieder eingestellt. Einige Großtrends allerdings setz-ten sich fort, vor allem der Rückgang des Lateinischen zugunssetz-ten der deut-schen Volkssprache und des Französideut-schen als wichtigster Fremdsprache, der Rückgang der theologischen Literatur insbesondere nach 1730 von ca. 40 % auf nur noch 6 % um 1800. Die historischen Themen machten ca. 16 % des Handelsvolumens aus24. Dass dieser ökonomische Einbruch das Zeitungswe-sen ausließ, wurde oben bereits erwähnt.

Die wichtigsten Termine des internationalen Buchhandels in Mitteleuropa waren die Buchmessen in Frankfurt a.M. und Leipzig25. Im frühen 16. Jahr-hundert trafen sich mehr als 200 Buchhändler aus 70 bis 80 europäischen Städten in Frankfurt a.M. zur Messe, wo sich auch Papierhändler, Typengie-ßer, Buchbinder sowie schreibende und lesende Kundschaft einfanden. Die Frankfurter Ostermesse begann mit dem Sonntag Judica, der interessierte Tross konnte nach Ostern weiter nach Leipzig ziehen, wo ab dem Sonntag Jubilate Bücher gehandelt wurden. Die Herbstmessen folgten in ähnlicher Weise aufeinander: Zuerst wurde ab Mitte September in Frankfurt gehandelt, dann ab dem Sonntag nach Michaelis in Leipzig26. Gehandelt wurde offi-ziell acht Tage lang, die sich durch hektisches Treiben auszeichneten. Alle

24 WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 77f.

25 Buchmessen in der Frühmoderne: KOCH, Brücke zwischen den Völkern; Wolfgang BRÜCKNER, Die Gegenreformation im politischen Kampf um die Frankfurter Buchmessen. Die kaiserliche Zensur zwischen 1567 und 1619, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 48 (1962), S. 67–86; Monika TOELLER, Die Buchmesse in Frankfurt am Main vor 1560. Ihre kommunika-tive Bedeutung in der Frühdruckzeit, Diss. München 1983; Augustinus H. LAEVEN, The Frank-furt and Leipzig Book Fairs and the History of the Dutch Book Trade, in: Christiane BERK

-VENS-STEVELINCK u.a. (Hg.), Le Magazin de l’Univers. The Dutch Republic as the Center of the European Book Trade, Leiden 1992, S. 185–197; Jürgen SCHLIMPER, Nachrichten für die Mes-sestadt aus fernen Ländern. Zum Zusammenhang von Leipziger Presse- und Stadtentwick-lung zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Hartmut ZWAHR / Thomas TOPFSTEDT / Günter BENTELE

(Hg.), Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel, Umbrüche, Neubeginn, Bd. 1, Köln / Wei-mar / Wien 1997, S. 167–179.

26 Zu den Terminen: LAEVEN, The Frankfurt and Leipzig Book Fairs, S. 186f. – In Frankfurt wurde der Beginn der Messe 1710 / 11 auf den Sonntag Quasimodogeniti verschoben und

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Handelspartner hatten schon zuvor Kataloge gefertigt und am besten schon verteilt, so dass die Handelstage den Autopsien der Bücher und den Preis-verhandlungen samt Kreditierungen und Tauschvereinbarungen vorbehal-ten blieben. Mit Einholung der Handelsflagge und Glockenklang am letzvorbehal-ten Tag mussten der Handel eingestellt werden, wenigstens offiziell. Zwar beob-achteten die Obrigkeiten – der Frankfurter Magistrat, der Bücherkommissar des Erzbischofs von Mainz, später die Kaiserliche Bücherkommission – das Handelstreiben intensiv, doch war bei allen herrschaftlichen Eingriffen nicht beabsichtigt, dass der Buchhandel sich verlagerte.

Erst die Verfestigung der prokatholischen Dominanz in Frankfurt a.M.

nach dem Westfälischen Frieden führte allmählich dazu, dass sich das Schwergewicht des Buchhandels nach Leipzig verlagerte, insbesondere das norddeutsch-protestantische Bezugsfeld. Monika Estermann spricht von einem »Auseinanderdriften« der Handelsverhältnisse in einen vorwärtsstre-benden Nordosten mit Zentrum Leipzig und einen zurückbleivorwärtsstre-benden Süd-westen, zu dem auch Frankfurt a.M. gehörte, aber immer weniger domi-nierte27. Dazu trugen die verschiedenen konfessionellen Medienkulturen bei:

Während in Frankfurt trotz des lutherischen Bekenntnisses der Bürgerschaft die Dominanz der katholischen kaiserlichen Bücherkommission mit gleich-zeitigem starkem päpstlichen Einfluss ungebrochen war, genoss Leipzig als

Während in Frankfurt trotz des lutherischen Bekenntnisses der Bürgerschaft die Dominanz der katholischen kaiserlichen Bücherkommission mit gleich-zeitigem starkem päpstlichen Einfluss ungebrochen war, genoss Leipzig als