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4 Bildungsbegriff und Geschlechtergleichheit?

3.2 Zur Ebene politisch relevanter Kompetenzen

Werden die durch geschlechtstypische Sozialisationsprozesse erworbenen Kompetenzen von Frauen einbezogen, erhalten auch die Konkretisierungen der entsprechenden Kategorien eine "Ganzheitlich-keit", was sowohl im Interesse von Gesellschaft liegt, indem alle vorhandenen und nötigen Ressourcen genutzt werden, als auch ermöglicht, den einzelnen Subjekten gerechter zu werden. Aufgrund der

hier gebotenen Kürze sollen zu den jeweiligen Kompetenzen unterschied-liche Aspekte von "Ganzheitlichkeit" aufgezeigt werden.

3.2.1 Sprachliche Kompetenz

Mädchen erwerben im Unterschied zu Jungen einen eigenen, 'zweiten' Sprachstil, der sich durch Reziprozität und durch Verständigungen über Gesprächsbeziehungen auszeichnet (Fried 1990). Er stellt eine vernünfti-ge Disposition für politisches Agieren und Urteilen innerhalb ihrer Peer--Group dar, denn "gutes" politisches Handeln setzt solche diskursiven Kompetenzen voraus. Diesen Sprachstil bezeichnet Fried als 'weib-lich-privaten' im Gegensatz zum 'männlich-öffentlichen', bei dem weniger die Selbstbestimmung im Gespräch als Inhalte und die Einhaltung forma-ler Regeln zentral sind. Da letzterer sowohl im Kindergarten als auch in der Schule dominant ist, lernen Mädchen den männlich-öffentlichen Sprachstil zwar auch, wenden ihn aber nicht generell an, sondern nur in entsprechenden Kontexten, da er als 'unweiblich' identifiziert wird. Sie üben ihn also weniger bzw. trauen sich ihn weniger zu. Nach Senta Trömel-Plötz kann es zu einer double-bind-Situation kommen: Frauen müßten wie ein Mann reden, damit sie ebenso ernst genommen werden, aber dann würden sie als Frau nicht mehr anerkannt (Trömel-Plötz 1981 u. 1982). Mädchen und Jungen entwickeln also je spezifische Ausprägun-gen von Konflikt- und DurchsetzungsvermöAusprägun-gen, Machtverhalten und Interessenartikulation; und zwar schon im Kindesalter. Hier ist metho-disch einzugreifen, so daß beide Geschlechter beide Sprachspiele können (vgl. Dahmen 1987).

3.2.2 Rationalitätskompetenz

Außer den genannten Denkbewegungen sei hier noch die Reduktion von Rationalität erwähnt: In der Kultur haben sich eine technisch-ökonomi-sche Rationalität (instrumentelle Vernunft) und eine politisch-gesell-schaftliche Rationalität (kommunikative Vernunft) herausgebildet, wobei typischerweise erstere den Männern, letztere den Frauen zugeordnet wird (Kulke 1994). Weitere Aufspaltungen zeigen sich in kulturell verankerten Dichotomien, die Rudolf zur Lippe im wesentlichen mit drei Trennungs-strategien charakterisiert - auch sie entsprechen Trennlinien zwischen der sog. Weiblichkeit und Männlichkeit: Die Subtraktionsanthropologie

isoliert Sinneswahrnehmungen gegen den Verstand und verdrängt damit zugleich eine Verwandtschaft der menschlichen Wesen zu anderen Wesen der Natur (Lippe 1987, 18). Die Geometrisierung richtet sich gegen Momente von Bewegung, indem sie die Welt "als Durchgangsstation von einem vollendeten Anfangs- zu einem vollendeten Endzustand" darstellt (Lippe 1987, 18). Stattdessen seien Bewegungen als "Veränderung im vergleichbar bleibenden Zusammenhang" zu betrachten (Lippe 1987, 19) und sich selbst und andere seien als Momente eines Zusammenhangs zu verstehen, der nicht völlig zu beherrschen, zu setzen oder zu kontrollieren ist. Die Theoretisierung von Erkenntnis läßt die Theoretisierenden zu Zuschauern werden, die scheinbar nicht an den Vorgängen der Erkenntnis teilhaben. Theorie als aufgehobene Erfahrung sollte jedoch "mit der Fülle im Leben herantretender Erscheinungen und Vorgänge" verbunden bleiben (Lippe 1987, 19), so daß sich Gegensätze von Begriff und Realität, Allgemeinheit und Besonderheit, Verstand und Sinnlichkeit auflösen. Hoffnungen, Visionen, Träume und Begierden, aber auch Verletzungen und Leiden, körperliche Präsenz und Triebdynamik können dann für Rationalität konstitutiv werden.

3.2.3 Technologische Kompetenz

Das in Teilphasen parzellierte technische Handeln begünstigt Macht-willen (Manipulationen, Zerstörungen oder Risikopotentiale durch Technik); die mit der Technik gegebenen Risiken sind gesellschaftlich ungleich verteilt - Technik ist ein Politikum (vgl. Böhme 1992, 194). Ein adäquater Umgang mit Neuen Technologien wendet sich gegen die Über-macht zweckrationalen und profitorientierten Handelns in Bereichen, in denen dies zu Gewalt gegen und zur Beeinträchtigung von Menschen führt, in denen also gegen universale Prinzipien der Ethik wie z.B. der Menschenrechte verstoßen wird. Ganzheitlichkeit kann hier für Grund-schulunterricht bedeuten, daß "das technisch-leibliche Handeln als Gestal-tung im Zentrum (steht), nicht die spezialisierten Formen, nicht die Teil-phasen technischen Tuns ... und nicht die vergegenständlichten Resultate"

(Möller/Wiesenfarth 1992, 169). Damit wird eher dem Interesse von Mädchen entsprochen, die an technischen Auswirkungen auf Menschen -und damit letztlich an politischen Aspekten von Technik - interessiert sind.

3.2.4 Friedensfähigkeit

Formen struktureller Gewalt, die u.a auf der Ungleichheit zwischen Men-schen basieren, sind abzubauen und auf Gleichberechtigung basierende Konfliktlösungsstrategien und Formen des Miteinander zu entwickeln.

3.2.5 Ökologische Kompetenz

An dieser Stelle sollen Gemeinsamkeiten zwischen feministischer Päd-agogik und ökologischem Lernen verdeutlichen, wie sich in einem mehr-perspektivisch angelegten Sachunterricht verschiedene fachdidaktische Prinzipien gegenseitig unterstützen können:

− Dichotomien aufbrechen: Ähnlich wie die Mann - Frau - Gegenüber-stellung führt die von Natur und Mensch zu Reduzierungen, nämlich zum zweckorientiertem Umgehen mit äußerer Natur, die allein den vermeintlichen Interessen der Menschen dient. Sie schlägt jedoch 'zu-rück', indem die innere Natur der Menschen verleugnet und damit zer-stört zu werden droht: z.B. die Bedürfnisnatur, die leiblichen Bedürf-nisse werden ignoriert oder gar mit Tabletten zum Wach-Werden, zum Einschlafen usw. manipuliert.

− Rekurs auf die geschichtliche Gewordenheit: Die Mechanismen der Frauendiskriminierung in den jeweiligen Gesellschaften sind als im historischen Prozeß entstandene aufzuzeigen, damit sie nicht als natürliche angesehen werden. Die Mechanismen der Naturunter-drückung sind als Prozesse eines sich wandelnden Verhältnisses der Menschen zur Natur aufzuzeigen, also als "Zerfallsprozeß des ein-heitlichen harmonischen Bildes von der Natur", damit es nicht zu einer vorschnellen, falschen Versöhnung mit einer zur "wahren" Natur (v)erklärten Naturerscheinung kommt (vgl. de Haan 1985, 186).

− Erweiterung von Handlungsbegriffen: Ethisch-moralische Dimen-sionen sind zu berücksichtigen: Für feministische Forderungen heißt dies, moralische Konzepte wie Fürsorglichkeit und Pflege in Hand-lungsbegriffe zu integrieren, die sonst lediglich männlichen Prinzipien der Gerechtigkeit folgen und insofern einseitig, also reduziert sind (vgl. Gilligan 1984). In ökologischer Sichtweise bedeutet dies, Selbsterhaltung in Selbstbestimmung nicht als ein technisches Pro-blem zu definieren. Praktisch-technische Fertigkeiten sollten nicht systemimmanent optimiert werden, also nicht lediglich durch eine

größere Sensiblität für verursachte Störungen oder gar durch eine Angleichung des Denkens an Strategien effektiver Technik. Es ist eine Ethik der Fürsorge und des Pflegens so zu integrieren, daß sich das Denken selbst ändert.

− Bislang Unterdrücktes zur Geltung bringen: Eine Ehrfurcht vor dem Leben zu entwickeln hieße, die Ausbeutung der Natur und des Weibli-chen zu stoppen, sie nicht zu Objekten von Beherrschungen verkom-men zu lassen.

− Das Prinzip, Subjekte nicht unter Bestehendes zu subsumieren: Stereo-type in Denkmustern entlarven, die Frauen 'zurichten' bzw. das Verfü-gungswissen über Natur reproduzieren, welches Naturzerstörung ver-ursacht. Es ist daher das scheinbar Objektive der (Natur-)Wissenschaf-ten, die scheinbare objektive Forschungslogik der Wissenschaften als interessegeleitet zu erkennen, die u.a. der Machtgewinnung und -er-haltung und damit letztlich der Zerstörung dienen.

− Die Schwierigkeit, nicht zu wissen, wie das Künftige sein soll und wie künftige Anforderungen aussehen werden: Offenheit bzgl. der Zukunft und der künftigen Anforderungen. Wir wissen heute weder, wie künftige Mädchen sein werden noch wie überhaupt die Entwicklung von Individuen und Gesellschaft aussehen wird. Feministische Erzie-hung muß daher dem Vorwurf der Instrumentalisierung von Lernenden begegnen und auf Leitbilder verzichten. Auch im ökologischen Bereich ist die Zukunft offen, d.h. vom jetztigen Stand-punkt aus läßt sich die Zukunft nicht konkretisieren. Sicher ist nur, daß die bisherigen (wissenschaftlichen und technischen) Methoden der Naturaneignung und -verwertung nicht beibehalten werden dürfen (hierzu: de Haan 1985, 202).

Als weitere Kompetenzen, die entsprechend auszuformulieren wären, seien hier nur noch stichwortartig genannt:

− Teamfähigkeit, d.h. u.a. Kommunikationsverhalten und Gruppen-verhalten: Während Jungen in Prozessen der Abgrenzung ihrer Gruppe von anderen lernen, leistungsbezogen zu agieren, analytische Fähig-keiten und ein stabiles Selbstwertgefühl erwerben, lernen Mädchen stärker den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe (Müller-Fohrbrodt/-Liss-Mildenberger 1993). Beide Fähigkeiten sind wichtig und zu fördern.

− Selbst- und Wahrnehmungskompetenz, wozu u.a. die Erziehung zum adäquaten Umgang mit Massenmedien gehört - das Medium für die Vermittlung und Gestaltung von Politik (hierzu: Flaig u.a. 1993).

− Utopiefähigkeit: "Die Emphase für's Unbestimmte, Unsichtbare ...

(im) feministischen Konzept wurde in ihrem Wert für die Pädagogik bisher noch nicht erkannt" (Prengel 1993, 129). Die Option für Frei-räume ist eine höchst demokratische Option.