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4 Bildungsbegriff und Geschlechtergleichheit?

3.3 Kategorien des Politischen

− Selbst- und Wahrnehmungskompetenz, wozu u.a. die Erziehung zum adäquaten Umgang mit Massenmedien gehört - das Medium für die Vermittlung und Gestaltung von Politik (hierzu: Flaig u.a. 1993).

− Utopiefähigkeit: "Die Emphase für's Unbestimmte, Unsichtbare ...

(im) feministischen Konzept wurde in ihrem Wert für die Pädagogik bisher noch nicht erkannt" (Prengel 1993, 129). Die Option für Frei-räume ist eine höchst demokratische Option.

Demokrati-sierung in sozialen Prozessen zu verstehen (Verhandlungen, Kom-promißsuche, Konsensfindung) und übt Kompetenzen, die sich heute als konventionelle und unkonventionelle Formen der Partizipation auf politi-scher Ebene zeigen und die schon in den jeweiligen Spielen der Kinder in unterschiedlichen Formen des kooperativen und konkurrierenden Verhal-tens gefördert werden. Dabei sind auch die unterschiedliche Inter-essenlagen zwischen Mädchen und Jungen zu berücksichtigen: Möglich-keiten der Interessenartikulation, der Bündelung und Durchsetzung der Interessen, der Beachtung konkurrierender Interessen, einfließende Moralisierungen usw.

Weitere Beispiele bieten Fragen der Modernisierung: Frauen sind zwar von wesentlichen Errungenschaften der Moderne ausgeschlossen (Selbst-bestimmung, freie Zugangschancen usw.) - Beck spricht von der Vor-Mo-derne für Frauen (Beck 1986, 179). Dennoch haben sie einen wesentli-chen Beitrag zur Modernisierung von Gesellschaft geleistet, der auch Grundschulkindern schon verdeutlicht werden kann und sollte: Die die-nende Rolle der Frau war wichtig für die Expansion des Konsums in der modernen Wirtschaft sowie bei der Reintegration bzw. Balancierung randständiger Gesellschaftseffekte (Rauschenbach 1995, 47); der Bereich der Hausarbeit ist ökonomisch relevant. Mythische Reste des 19.Jhds liefern noch heute ideologische Fundamente für Diskriminierungen, so für (politische) Bedeutungen und Funktionen von "Weiblichkeit",

"Mütterlichkeit" oder der "Naturhaftigkeit der Frau", welche zur restrikti-ven Verortung und Rollenzuschreibung für Frauen, zur "Ausbürgerung der Frau" aus der politischen Kultur führten und führen. Ansatzweise läßt sich dies im Zusammenhang mit öffentlichem und privatem Leben thema-tisieren: Arbeits- und Berufsleben, Hausarbeit und Erwerbsarbeit, haus-wirtschaftliche Tätigkeiten (vgl. hierzu Kaiser 1992), Unsichtbarkeit von weiblicher Arbeit sind Inhalte, die Kindern durch ihr Elternhaus meistens vertraut sind. Die Komplexität des privaten Lebensbereichs ist zu verdeutlichen, d.h. sein Management, seine rechtlichen Bedingungen und moralischen sowie sozialen Entscheidungen, ohne ihn aber als feststehen-den Bereich für Mädchen und Frauen zu akzeptieren.

Strukturelle Dimensionen lassen sich als Rahmenbedingungen für sozia-les und politisches Verhalten aufzeigen:

− Als Lebenszusammenhänge, die Personen funktional in Gesellschaft einbinden, die zu bestimmten Formen des Moralbewußtseins und Erfahrungen führen und andere verhindern. Die eigene Sozialisation im Sinne von Aktionsforschung als gesellschaftlich-politisch beein-flußte sowie individuell besondere politische Sozialisation zu beleuch-ten, kann Einsichten vermitteln zum einen über die eigene Existenz als Mädchen und als Junge - und zwar im Zusammenhang mit dem programmatischen Selbstverständnis der Moderne (Gleiche Zugang-schancen zu allen Institutionen der Gesellschaft, keine Diskrimi-nierungen aufgrund des Geschlechts usw.), die z.T. im positiven Recht verankert sind -; zum anderen über gesellschaftliche Entwicklungen, so daß sie Kompetenzen erwerben können, an diesen gesellschaftspolitischen Prozessen demokratisch teilzuhaben.

− Als rechtliche Zusammenhänge im Leben der Kinder, die die struktu-relle Dimension des Politischen verdeutlichen und sich geschlech-terdifferenzierend aufbereiten lassen, wie z.B. Jungen und Mädchen als Träger (universeller) Menschenrechte und als Rechts-Subjekte mit Rechtsansprüchen (Kinder- und Jugendschutz5, Kindschaftsrecht (BGB) oder Folgewirkungen durch den Familienlastenausgleich, Vor-schriften wie Mutterschaftsgeld, Erziehungsurlaub etc.).

− Als Handlungsrahmen für Unterrichtssituationen ist die Institution Schule selbst ein Politikum. Fragen der Schulgestaltung können zu Themen von Sachunterricht werden (Koedukation, Lehrpläne bzw.

Rahmenrichtlinien oder die rechtliche Stellung von Lehrenden, der heimliche Lehrplan usw.) sowie Ideen entwickelt werden für künftige Gestaltungen, z.B. der Entwurf eines Schulprofils mit dem Ziel der Gleichberechtigung der Geschlechter.

Zu den Inhalten des Politischen gehört eine Aufklärung über Ziele feministischer Politik, d.h. über Transformationen individueller Lebens-zusammenhänge und der Gesellschaft als ganzer (List 1989, 10). Dies geht über das Thematisieren herkömmliche Orte und Verfahrensweisen politischer Interessendurchsetzung hinaus. Inhalte müssen, wie oben

5 Hier sind folgende Bereiche geregelt: Kinderarbeit, Schutz vor Mißhandlungen sowie vor Alkohol, Drogen und Spielsucht, Medienschutzvorschriften und Kinder im Hochleistungs-sport. Dies ist für Kinder verständlich dargestellt in Eichholz 1991; methodische Anregungen finden sich u.a. in "Die Rechte der Kinder. Freinet-Pädagogik".

schon angesprochen, Begründungen für soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern als auch für die gesellschaftliche Konstruktion des Ge-schlechts aufgreifen. In politischen Inhalten finden sich geGe-schlechtsdis- geschlechtsdis-kriminierende kulturelle, soziale und individuelle Handlungs- und Deu-tungsmuster, die als Stereotype explizit oder subtiler aufgrund mangeln-der 'Gegensteuerung' zu finden und zu kritisieren sind.

Bei den Inhalten ist aufgrund mangelnder Vorschläge in der Literatur bis-lang die Phantasie der Lehrenden gefragt. Lassen sich mit Grundschulkin-dern folgende Themen aufbereiten?:

Was bedeutet die Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" mit Blick auf Kinder und Frauen?

Wieso schweigen Gewerkschaften zur Kinderarbeit, die für Mädchen und Jungen jeweils unterschiedlich aussieht?

Kinderarmut in Deutschland?

Obdachlose Mädchen und Jungen - welche Möglichkeiten ihrer Rein-tegration gibt es?

Werden im Wohnungsbau die Interessen von Mädchen und Jungen berücksichtigt?

Wie sehen kinderfreundliche Arbeitszeiten der Eltern aus und welche Veränderungen ergäben sich für Mädchen und Jungen?

4 Perspektiven

Als Teil der Lebenswirklichkeiten von SchülerInnen und als Sozialisa-tionsfaktor sind bzw. sollten Politik, das Geschlechterverhältnis und politische Sozialisation für Sachunterricht inhaltlich und didaktisch-me-thodisch relevant sein: Politische Prozesse in Kindheiten sind sichtbar zu machen, indem auch die Relevanz des sozialen Geschlechts verdeutlicht wird. Anders lassen sich emanzipatorische Fähigkeiten von Mädchen und Jungen kaum wirkungsvoll fördern, denn sie bedeuten, daß sich Mädchen und Jungen aktiv an der Gestaltung und Selbstverfügung ihrer gemein-samen und getrennten Alltagswelten beteiligen können.

Da bestehende Lebensverhältnisse, Deutungs- und Handlungsmuster sowie Selbstverständnisse als Faktoren der Sozialisation von Mädchen

anscheinend kaum zur Entwicklung von politischen Interessen beitragen und sich geschlechtstypische Stereotypebildungen bei Mädchen und Jungen zu perpetuieren scheinen, ist es m.E. wichtig, in der Grundschule und im Sachunterricht Kontrapunkte gegen bestehende gesellschaftliche Realitäten zu setzen, indem Mädchen und Jungen zum politischen Denken und Handeln befähigt werden und sie lernen, ihre eigenen schulischen und außerschulischen Praxisfelder als Gegenbeispiele zu gestalten und langfristig das feministische Projekt voranzutreiben - dies bedeutet zugleich eine entsprechende politische (Aus-)Bildung der Lehr-amts-Studierenden - hier müßte dringend angesetzt werden.

Literatur

ADORNO, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschä-digten Leben. Frankfurt a.M. 1982 (Erstausgabe 1951).

ACKERMANN, Paul: Politisches Lernen in der Grundschule. München 1973.

ACKERMANN, Paul: Einführung in den sozialwissenschaftlichen Sach-unterricht. München 1976.

APPEL, Katrin: Mädchen und Jungen bauen ihre Stadt und lernen vonein-ander. In: Pfister/Valtin 1993, S. 124 - 134.

BECK, Gertrud: Politisches Lehren und Lernen in ausgewählten Schul-formen und Schulbereichen. Primarstufe. In: Mickel/Zitzlaff 1988, S. 402 - 406.

BECK, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.

Frankfurt a.M. 1986.

BÖHME, Gernot: Natürlich Natur. Über Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 1992.

BÜTTNER, Christian: Kriegsangst bei Kindern. München 1982.

CIEL-Arbeitsgruppe Reutlingen: Stücke zu einem mehrperspektivischen Unterricht. Einführung, Übersicht, Nutzungsvorschläge, Imple-mentationsprogramm. Stuttgart 1976.

CLAUßEN, Bernhard: Zur Theorie der politischen Erziehung im Elementar-und Primarbereich. Frankfurt a.M. 1976.

CLAUßEN, Bernhard: Kritische Politikdidaktik. Zu einer pädagogischen Theorie der Politik für die schulische und außerschulische Bil-dungsarbeit. Opladen 1981.

DAHMEN, Katrin: Gedanken zur Gesprächserziehung. In: Materialien zur Politischen Bildung, Heft 2/87, S.18ff.

DEUTSCHES KINDERHILFSWERK e.V. (Hg.): Parlament der Kinder.

Redaktion Brigitte Lindner/Rainer Wiebusch. Berlin 1993.

DIFF (Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen):

Frauen in der Weiterbildung - Lernen und Lehren. Dokumentation der Arbeitstagung 1992. Tübingen 1993.

Die Rechte der Kinder. Freinet-Pädagogik, hg.von der Pädagogik Koope-rative e.V., Bremen o.J.

DRECHSLER, Hanno/HILLIGEN, Wolfgang/NEUMANN, Franz: Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik. München 1992, 8. neubearb. u. er-weiterte Auflage.

EICHHOLZ, Reinald: Die Rechte des Kindes, Recklinghausen 1991.

FLAIG, Berthold B./MEYER, Thomas/UELTZHÖFFER, Jörg: Alltagsästhetik und politische Kultur. Zur ästhetischen Dimension politischer Bil-dung und politischer Kommunikation. Bonn 1993.

FRIED, Lilian: Ungleiche Behandlung schon im Kindergarten und zum Schulanfang?. In: Horstkemper, Marianne/Wagner-Winterhager, Luise (Hg.): Mädchen und Jungen - Männer und Frauen in der Schule. 1.Beiheft der Zeitschrift Die Deutsche Schule. Weinheim 1990, S.61-76.

GEIßEL, Brigitte: Politisierungsprozesse und politische Sozialisation von Frauen. Überblick und Diskussion zum Forschungsstand in der aktuellen deutschen und angelsächsischen Literatur. Unveröffent-lichtes Skript 1994.

GIESEKE, Wiltrud: Frauenfreundliche Lernformen. Lernstrategien von Frauen. In: DIFF 1993, S.77 - 93.

GILLIGAN, Carol: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. München 1984.