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3.2 Differenzierung und Reformulierung des Wissens

3.2.1 Die Frauenbewegung jenseits der großen Zentren

Wir wissen inzwischen manches über die "großen Frauen" und die Zentren der Frauenbewegung: Gertrud Bäumer, Helene Lange, Alice Salomon - Hamburg, München, insbesondere Berlin sind präsent.

Wie aber stand es in den kleineren Ländern des Deutschen Reiches, in den kleinen Städten, gar auf dem platten Lande? War die soziale Bewegung der Frauen um ihre Befreiung, war vielleicht der Kampf um die Ausweitung der Rechte vornehmlich eine Sache der Metropolen?

Offensichtlich nicht, wie meine Ausführungen zeigen. Wer also waren die Frauen, die die Bewegung jenseits der großen Zentren trugen? Aus welchen Motiven heraus brachen sie auf? Woher nahmen sie ihre Kraft?

Welche Widerstände wurden ihnen entgegengesetzt? Gelang es, diese zu überwinden; wenn ja - wie? Wichtig in diesem Zusammenhang: Wie hielten die Frauen Kontakt? Was bedeutete der Kontakt? Und allgemein:

Wie lebten sie?

Vieles, was wir bereits wissen, wird in der Geschichte Willa Thorades be-stätigt: die Motivation der bürgerlichen unverheirateten Frau für das soziale Engagement; die Ausbeutung dieses Engagements durch den Männerstaat; die grenzenlose Bereitschaft der Frauen zu öffentlichem Einsatz um mühsamster Fortschritte in der Sicherung und Ausweitung ihrer öffentlichen Tätigkeit willen. Einige Punkte sollen, wenn auch nur knapp, vertieft werden:

Motivation und Unterstützung: In ihrem familiären Umfeld hat Willa Thorade vermutlich Vorbild und Förderung erfahren. Dreh- und Angel-punkt ist dabei ein Mann - ihr Vater, der sich selber mit seinem kritischen sozialen Engagement an die Grenzen seiner gesellschaftlichen Rolle als Repräsentant der bürgerlichen Führungsschicht gewagt hatte. Ihm war die Tochter in ihrem öffentlichen Handeln intensiv verbunden, möglicherweise bis hin zur inneren Verpflichtung, die Handlungsalternativen einschränkte. Zwischen beiden Biografien gibt es

erstaunliche Parallelen. Auch die lebenslange Förderung durch die Mutter könnte sich von hierher erklären: Möglicherweise sah sie in der Tochter das Erbe des Ehemannes fortgeführt, vielleicht auch das eigene -schließlich war sie ebenfalls sozial aktiv gewesen. Sicher scheint, daß der Mutter die Arbeit der Tochter insgesamt imponierte; möglicherweise war sie aber auch ganz einfach froh, daß sie, die alleinstehende Witwe, diesen

"unruhigen Geist" (Willa über sich selbst) ein Leben lang um sich hatte.

Berührt wird hier auch die Frage nach der psychischen und sozialen Konstellation: Mutter und Tochter als Zweckgemeinschaft oder (auch) als symbiotische Gruppe - um nur zwei von vielen Möglichkeiten zu nennen.

Unterstützung erfuhr Willa übrigens auch von einem anderen Mann, von Dr.Jakob Stöcker, dem Feuilleton- und dann Chefredakteur der demokra-tischen Oldenburgischen Landeszeitung. Im Rückblick charakterisierte sie den 15 Jahre jüngeren Journalisten, einen überzeugten Linksdemokraten und Pazifisten als einen "Streiter für den Fortschritt, für die Demokratie, nicht nur in der Politik, sondern auf allen kulturellen Gebieten" (Thorade 1946,10). Zwischen beiden scheint sich in den Jahren der Weimarer Republik um politische und kulturelle Interessen herum eine enge Geistesfreundschaft entwickelt zu haben (vgl. Fleßner 1995,322f.).

Stöcker war es wohl auch, der Willas journalistische Arbeit förderte und sie für die Redaktion der Frauenbeilage zur Oldenburgischen Landeszeitung gewann. Stärke erfuhr Willa ferner durch die intensive Identifikation mit Helene Lange und Gertrud Bäumer. Es sollte nicht unterschätzt werden, was es für eine so eigenständige, aber doch auch durch Isolation bedrohte Frau bedeutet haben mag, mit den großen Vorbildern nicht nur in engem geistigem Kontakt zu stehen, sondern sie gelegentlich auch bei sich zu Gast zu haben oder ihnen einen Freundschaftsdienst leisten zu können - etwa zu Helene Langes Geburtstag im Notjahr 1920 einen Schinken zu besorgen.

Willas Freundschaftsnetz war doppelschichtig gespannt. Enge Freundschaften zu Frauen, auch im Sinne eines Arbeitsgespanns, wie wir es aus der sozialen Arbeit durchaus kennen (z.B. von Anna von Gierke und Martha Abicht, Gertrud Bäumer und Helene Lange) scheinen nicht darunter gewesen zu sein; die Funktion einer solch engen Freundschaft könnte zeitweise Jakob Stöcker ausgefüllt haben. Die Freundschaften zu den bekannten Frauen entsprachen eher der Verehrung von Vorbildern.

Gleichzeitig war Willa eingespannt in ein feingegliedertes Netz familiärer,

nachbarschaftlicher und kultureller Alltagsbeziehungen, in denen ihr aber offensichtlich eine sehr eigenständige Rolle zugestanden wurde. Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber den vielen Menschen ihrer Umgebung scheinen aber immer wieder auch Spannungen auf, denn Willa Thorade war vermutlich keine ganz einfache, gelegentlich sogar eine anstrengende Frau. Sie formulierte hohe Ansprüche an sich, war schwer zufriedenzustellen und auf diese Weise eine, die auf ihre Umgebung durchaus auch Druck ausübte.

Widerstände wurden ihrer Arbeit zumeist entgegengesetzt, wo sie in Männerdomänen eindrang, wo sie Frauenrechte materiell durchsetzen, wo sie politisch gesteckte Grenzen überschreiten wollte. Beispiele sind: ihre Vorstöße zur Besetzung von Positionen in Schulen und Amtsleitungen der kommunalen Wohlfahrt mit Frauen statt mit Männern; ihre Versuche, die Bezahlung von Fürsorgerinnen durchzusetzen oder die weitere Herabstufung der Lehrerinnengehälter zu verhindern; ihre Unterschrift unter die Frauenwahlrechtspetition im Namen des Vaterländischen Frauenvereins; ihr Vorstoß, die Männer aus der nationalen Leitung des VFV zurückzudrängen. Mit diesen Widerständen ging Willa Thorade zupackend und taktisch um; immer wieder wagte sie kritische öffentliche Vorstöße, wenn sie von der Sache überzeugt war.

Unter dem Stichwort "Widerstände" darf jedoch auch das Verhältnis der aktiven Frauen zueinander nicht ausgespart bleiben. Willa Thorades be-sonderen Organisationsfähigkeiten und ihre enorme Arbeitsenergie, gepaart mit Ironie und steter Kritikbereitschaft, dazu das über Jahrzehnte gewachsene Know-How in der Wohlfahrtspflege und in der Frauenbewegung machten sie - zumindest in Oldenburg - zu einer dominanten Persönlichkeit, neben der es andere Frauen wohl schwer haben mochten, einen Platz zu erobern (vgl. Fleßner 1995,325). Ein Problem, das nicht nur Willa Thorade betraf. Wie, so läßt sich im Anschluß fragen, haben die engagierten Frauen ihrer Generation, ihres Zuschnitts und ihrer Kompetenz die jungen Frauen in die Arbeit einbezogen? Wer folgte diesen Aktivistinnen der Frauenbewegung nach?

Wie haben sie sich der Jugend präsentiert? Möglicherweise waren diese sich ständig bis an den Rand des Erträglichen abarbeitenden

Aktivi-stinnen für Frauenrechte von der Art Willa Thorades alles andere als at-traktive Vorbilder für moderne junge Frauen der zwanziger Jahre.8 Vernetzung: Netzwerke sind keine Erfindung der heutigen Frauenbewe-gung. Die erste Frauenbewegung hatte eine ihrer bedeutendsten Stärken in der Entwicklung von sozialen Netzen - und das war damals schwerer als heute. Oldenburg war über Personen wie Willa Thorade und Henny Böger in das nationale Frauen-Netzwerk einbezogen. Die erstere bildete insofern einen wichtigen Knotenpunkt, als sie in ihrer Person die Verbindung zwischen bürgerlicher Frauenbewegung und Vaterländischem Frauenverein herstellte. Darin sah sie eines ihrer politischen Ziele.