• Keine Ergebnisse gefunden

4 Bildungsbegriff und Geschlechtergleichheit?

2.2 Der Mikrozensus

Neben der Schwerbehindertenstatistik können die Ergebnisse der letzten amtlichen Mikrozensuserhebung von 1989 Auskunft über die soziale Lage der behinderter Mitbürger geben. Die Ergebnisse des Mikrozensus von 1992 hat das Statistische Bundesamt noch nicht veröffentlicht. Die Erhebung nach dem sogenannten Mikrozensusgesetz zu Fragen der Behinderteneigenschaft ist ebenso wie die amtliche Statistik nach dem Schwerbehindertengesetz nur bedingt brauchbar. Denn auch in der Mikrozensuserhebung werden nur die Personen als Behinderte berücksichtigt, die selbst einen Antrag auf Anerkennung gestellt haben und denen amtlicherseits mindestens ein Grad der Behinderung von 30 v.

H. zuerkannt wurde. Im Interviewbogen zum Mikrozensus wird die Behinderteneigenschaft über die Frage erhoben: Ist für Sie eine Behinderung durch amtlichen Bescheid festgestellt oder haben Sie einen entsprechenden Antrag gestellt? In den Antworten wird differenziert nach dem Grad der Behinderung/der Minderung der Erwerbsfähigkeit und danach, ob ein Bescheid des Versorgungsamtes, ein Verwaltungs- oder

Gerichtsentscheid oder ein Rentenbescheid vorlag. Das Mikro-zensusgesetz ordnete für 1989 bei jeweils 0,5 % der Bevölkerung eine Erhebung an (Statistisches Bundesamt 1993). Es wurden Fragen unter anderem zur Wohnsituation, zum Erwerbsleben, zur Gesundheit sowie zum Einkommen gestellt. Die Informationen erlauben einen Vergleich der wirtschaftlichen und sozialen Lebenslage der behinderten Männer und Frauen mit der der übrigen Bevölkerung. Neben der Darstellung der soziodemographischen Grunddaten der Behinderten geben die Auswertungen des Mikrozensus unter anderem auch Auskunft über die Beteiligung der Behinderten am Erwerbsleben, über ihre Einkommens-situation und ihren Familienstand. Dabei können die Angaben für die be-hinderten und nichtbebe-hinderten Personen einander gegenübergestellt werden. Mit Hilfe dieser Vergleiche wird es möglich, die These von der doppelten Benachteiligung behinderter Frauen zu diskutieren. Sind Frauen mit Behinderungen im Vergleich mit nichtbehinderten Frauen und im Vergleich mit behinderten Männern sowie nichtbehinderten Männern benachteiligt?

In bezug auf die Fragen nach dem Familienstand kann die Mikrozensus-erhebung durch eine eigene wissenschaftliche Untersuchung, die auf einer Repräsentativumfrage in Rheinland-Pfalz basiert, ergänzt werden (vgl.

Niehaus 1993). Der amtliche Mikrozensus 1989 berechnete für das frühere Bundesgebiet, daß 16,0 % der behinderten Frauen im Gegensatz zu 12,6 % der behinderten Männer ledig waren. Verheiratet waren 76,4 % der behinderten Männer im Gegensatz zu 41,1 % der behinderten Frauen.

Auf die Geschiedenen entfielen 7,3 % der Frauen und 4,3 % der Männer.

Die hochgerechneten Ergebnisse sind in der Tabelle 2 ausgewiesen.

Tabelle 2: Behinderte im früheren Bundesgebiet nach dem Familien-stand; Ergebnisse des Mikrozensus 1989

Familien stand

insgesamt in 1 000

% männlich in 1 000

% weiblich in 1 000

%

ledig 901 14,1 449 12,6 452 16,0

verheiratet 3 880 60,8 2 717 76,4 1 163 41,1

verwitwet 1 245 19,5 237 6,7 1 008 35,6

geschieden 360 5,6 153 4,3 207 7,3

Insgesamt 6 386 100 3 556 100 2 830 100

Quelle: Seewald 1992

Besonders auffällig ist der hohe Anteil der Frauen unter den Verwitweten.

Er beträgt 35,6 % im Gegensatz zu 6,7 % bei den Männern. Der hohe Anteil der Witwen unter den Behinderten ist auf die längere Lebenserwar-tung der Frauen zurückzuführen. Es erscheint sinnvoll, den Familienstand in einzelnen Altersgruppen zu spezifizieren, da er sich altersabhängig ver-ändert. Die eigene Repräsentativbefragung einer Stichprobe von 227 schwerbehinderten Frauen im Alter von 18 bis 60 Jahren eröffnet die Möglichkeit, den Familienstand differenziert nach der Altersstruktur zu analysieren. Hier zeigt sich, daß die behinderten Frauen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren überdurchschnittlich häufig im Vergleich mit altersgleichen nichtbehinderten Frauen alleinstehend und geschieden sind (vgl. Braun & Niehaus 1992, Niehaus 1993). Dies gilt nicht nur im Vergleich mit nichtbehinderten Frauen, sondern auch im Vergleich mit behinderten Männern. Behinderte Frauen werden häufiger geschieden.

Eine Heirat zwischen einer behinderten Frau und einem nichtbehinderten Mann kommt anscheinend seltener vor als eine Heirat zwischen einem behinderten Mann und einer nichtbehinderten Frau.

Die geringen Verheiratungsquoten und die erhöhten Scheidungszahlen können im Zusammenhang mit den an die behinderten Frauen herangetra-genen Rollenstereotypen interpretiert werden. Betroffene Frauen sprechen davon, daß sie für das Nichterfüllen der gesellschaftlichen Ideal-vorstellung von Schönheit, körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit

"bestraft" werden. Auch bei der eigenen Erhebung stellte sich in den Interviews heraus, daß bei über der Hälfte der 227 befragten Frauen zum Zeitpunkt der Heirat die Behinderung noch nicht bestand. In die gleiche Richtung tendiert der Zusammenhang zwischen der Sichtbarkeit der Be-hinderung und dem Familienstand. Überdurchschnittlich viele behinderte Frauen, bei denen die körperliche Schädigung für andere direkt erkennbar war, waren zum Zeitpunkt der Befragung alleinstehend. Die Frauen, die zum Zeitpunkt der Befragung verheiratet waren oder in einer Partnerschaft lebten, wiesen dagegen seltener äußerlich sichtbare Beeinträchtigungen auf (vgl. Braun & Niehaus 1992, Niehaus 1993).

Geschlechtsspezifische Unterschiede machen sich auch in der Einkommenslage bemerkbar. Im Mikrozensus 1989 wurde nach dem überwiegenden Lebensunterhalt und der Einkommenssituation gefragt.

Hier wurden neben der Erwerbstätigkeit als Einkommensquelle ebenso die Renten, das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe als Lebensunterhalt berücksichtigt. Da ein großer Teil der Behinderten den höheren Altersklassen zuzuordnen ist, war der Anteil der Renten- und Pensionsbezieher mit 60,7 % besonders hoch. An zweiter Stelle folgte das Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Auf die übrigen Einkommensquellen entfielen relativ geringe Anteile. Einkommen aus Erwerbstätigkeit als überwiegenden Lebensunterhalt gaben mehr Männer (27,8 %) als Frauen (14,4 %) an. Hier spiegelt sich die geringere Erwerbsbeteiligung der behinderten Frauen im Vergleich mit den behinderten Männern sowie den nichtbehinderten Männern und Frauen wider.

Tabelle 3: Personen nach Behinderteneigenschaft und Nettoeinkommen aus Erwerbstätigkeit als überwiegendem Lebensunterhalt; Ergebnisse des Mikrozensus im früheren Bundesgebiet 1989

Personen insgesamt

Davon mit einem monatlichen Nettoeinkommen von ... bis unter ... DM

unter 600

600-1000

1000-1400

1400-1800

1800-2200

2200 u.

mehr

Absolut %

Nicht-behinderte

22 771 200

100 6,0 7,3 10,8 17,1 20,7 38,0

Behinderte insgesamt

1 313 700 100 5,2 5,1 9,0 16,6 24,0 40,1 Behinderte

Männer

932 400 100 3,1 1,8 3,8 14,3 26,6 50,4

Behinderte

Frauen

381 300 100 10,2 13,2 21,8 22,3 17,5 15,0 Quelle: Statistisches Bundesamt 1993

Bei den behinderten Frauen, die überwiegend durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt bestritten, lag das monatliche Nettoeinkommen im Durchschnitt niedriger als das der männlichen Behinderten. Fast jede zweite Frau mit Behinderung (45,2 %), die ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit bestritt, gab ein Nettoeinkommen von unter 1.400 DM an. Von den behinderten Männern war es nur ungefähr jeder Zehnte (8,7

%). Die finanzielle Situation behinderter Frauen ist bemerkenswert schlecht (vgl. Braun & Niehaus 1992). Im Zusammenhang mit der Einkommenslage steht die Erwerbsbeteiligung.

Daten über die Struktur der Erwerbsbeteiligung Behinderter werden eben-falls im Mikrozensus veröffentlicht. Als Erwerbspersonen gelten die Personen, die erwerbstätig sind (Erwerbstätige) oder eine auf Erwerb ge-richtete Tätigkeit suchen (Erwerbslose). Die Erwerbsbeteiligung kann durch die Erwerbsquote ausgedrückt werden. Hier ist immer die Altersstruktur der Personengruppen zu berücksichtigen. Da die Erwerbsbeteiligung mit zunehmendem Alter sinkt, ist es sinnvoll, altersspezifische Erwerbsquoten zu berechnen. Beispielsweise bei den 50-bis 55jährigen behinderten Männern belief sich die Erwerbsquote, d. h.

der Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung, nach dem Mikrozensus 1989 auf 72,0 %, bei den behinderten Frauen auf 50,9 % (vgl. Statistisches Bundesamt 1993). Für nichtbehinderte Männer ergab sich in dieser Altersklasse ein Wert von 96,6 % und für die Frauen von 54,9 %. Insgesamt wird deutlich, daß fast die Hälfte der behinderten Frauen im erwerbsfähigen Alter nicht erwerbstätig war. Die Zahl der erwerbslosen Behinderten nimmt kontinuierlich zu. Die Erwerbslosenquote, d. h. „der Anteil der Erwerbslosen an 100 Personen der abhängigen Erwerbspersonen“, belief sich nach Ergebnissen des Mikrozensus 1989 bei den Behinderten auf 12,9 % und bei den Nichtbehinderten auf 7,7 % (Seewald 1992, 535). Die höchste Erwerbslosenquote fand sich in der Gruppe der behinderten Frauen mit 14,9 %. Für behinderte Frauen scheint es ganz besonders schwierig zu sein im Vergleich mit gleichaltrigen nichtbehinderten Männern und Frauen, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden (vgl. Niehaus 1994c).

Hinzu kommt, daß Frauen mit Behinderung seltener an Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung teilnehmen.