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Zum Jahreswechsel

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 182-187)

Die schweizerische Sozialversicherung stand im Jahre 1977 wie nie zuvor im Schatten finanzpolitischer Diskussionen. In besonderem Masse gilt dies für die AHV, deren Finanzierung ab 1978 neu geregelt werden muss. Auf-grund der neunten AHV-Revision hätte der Bundesbeitrag ab 1978 suk-zessive wieder erhöht werden sollen. Nun ist jedoch gegen diese Gesetzes-änderung das Referendum ergriffen worden, so dass sie nicht auf den 1. Ja-nuar 1978 in Kraft treten kann. Als Zwischenlösung für 1978 muss daher ein dringlicher Bundesbeschluss gefasst werden. Über die weitere Marsch-richtung - oder einen Marschhalt - bei der AHV wird sich das Schweizer-volk anlässlich der Referendumsabstimmung vom 26. Februar 1978 zu äus-sern haben.

Was in den einzelnen Bereichen der schweizerischen Sozialversicherung im Jahre 1977 an bedeutsamen Ereignissen und Entwicklungen zu verzeichnen war, wird in den folgenden Abschnitten kurz beleuchtet.

Für die AHV endet mit dem Berichtsjahr das dritte Jahrzehnt ihres Be-stehens. In diesen dreissig Jahren wurden ihre Leistungen von bescheidenen Basisrenten zu weitgehend existenzsichernden Renten ausgebaut. Der er-reichte Stand gibt Anlass zur Genugtuung, ist er doch nicht einfach der langjährigen wirtschaftlichen Prosperität, sondern auch einer beachtlichen Solidaritätsbereitschaft des Schweizervolkes zu verdanken. Wie sehr ander-seits der Standard und die Entwicklungsmöglichkeiten der sozialen Sicher-heit von einer starken Wirtschaft und einem gesunden Staatshaushalt ab-hängen, zeigt deutlich die konjunkturelle Abkühlung seit 1975, verbunden mit den Finanzproblemen der öffentlichen Hand. Die damit in Zusammen-hang stehende Kürzung des Bundesbeitrages bescherte der AHV im Jahre 1975 das erste Defizit, und sie hat sich seither noch nicht aus den roten Zahlen zu lösen vermocht, wenn auch die Defizite angesichts des Gesamt-aufwandes nur einen geringen Anteil ausmachen.

Für die Rentenbezüger der AHV und IV besteht jedenfalls kein Anlass zur Beunruhigung: der Bund ist nach der Verfassung verpflichtet, den Be-tagten, Hinterlassenen und Invaliden ausreichende («existenzsichernde») Leistungen auszurichten und diese jeweils der Preisentwicklung anzupassen.

Die letzte Rentenanpassung - um grundsätzlich 5 Prozent - ist zu Beginn dieses Jahres vorgenommen worden, und zwar erstmals durch den Bundes-rat, der diese Kompetenz mit dem Bundesbeschluss über Sofortmassnahmen für 1976/77 erhalten hatte.

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Das Hauptgeschäft dieses AHV-Jahres war die neunte Revision, welche in der Sommersession von den eidgenössischen Räten gutgeheissen wurde.

Da in der Folge das Referendum ergriffen wurde, kann die Gesetzesände-rung einstweilen nicht, wie vorgesehen, auf den 1. Januar 1978 in Kraft treten; ob dies ein Jahr später der Fall sein wird oder ob die neunte AHV-Revision aus Abschied und Traktanden fällt: darüber wird der Stimmbürger am 26. Februar 1978 entscheiden. Für das Jahr 1978 gilt - wie eingangs erwähnt (s. auch S. 510) - eine Zwischenlösung.

Mit einem zweiten AHV-Geschäft hatten sich die eidgenössischen Räte zu befassen: der Volksinitiative zur Herabsetzung des Rentenalters, die von den Progressiven Organisationen der Schweiz eingereicht worden war. Der Bundesrat beantragte in seiner Botschaft vom 11. März Ablehnung des Begehrens, weil dieses keinem allgemeinen Bedürfnis entspreche und dessen finanzielle Folgen kaum tragbar wären. National- und Ständerat schlossen sich dem Antrag des Bundesrates an. Das letzte Wort wird auch hier der Stimmbürger zu sprechen haben.

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Auch bei der IV gibt die Finanzierung Anlass zu Diskussionen, denn ihre Rechnung schliesst schon seit 1973 ununterbrochen mit kleinen Fehl-beträgen ab. Da die öffentliche Hand 50 Prozent (davon 3/4 der Bund,

1/4 die Kantone) der 1V-Aufwendungen übernimmt, ist sie an einem wirk-samen Einsatz der Mittel in hohem Masse interessiert.

Auf den 1. Januar 1977 sind die Vollzugsvorschriften zur IV in zahlreichen Punkten geändert worden. Die Neuerungen tragen der Forderung nach haushälterischem Einsatz der Mittel Rechnung; ihr Hauptzweck war es in-dessen, den Ermessensbereich besser abzugrenzen (und damit die Durch-führung zu erleichtern) sowie landesweit eine einheitliche Zusprechungs-praxis zu gewährleisten.

Das Ziel, die «Effizienz» der IV zum Vorteil der Versicherten zu verbes-sern, ist einer vom Eidgenössischen Departement des Innern eingesetzten Arbeitsgruppe für die Überprüfung der Organisation der IV gestellt worden.

Die Gruppe hat ihren Schlussbericht, in welchem sie verschiedene Mass-nahmen auf Gesetzes-, Verordnungs- und Verwaltungsebene beantragt, so-eben dem Departement abgeliefert.

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Die Ergänzungsleistungen sind auf Beginn dieses Jahres von der An-passung der AHV/IV-Renten an die Teuerung mitbetroffen worden, indem die Einkommensgrenzen und die zulässigen Mietzinsabzüge erhöht wurden.

Angesichts der heutigen Finanzlage der öffentlichen Hand, welche reale Leistungsverbesserungen bei den Sozialversicherungen nicht zulässt, ist das Instrument der EL noch viel wertvoller, weil damit gezielt und wirkungs- 512

voll dort geholfen werden kann, wo die Rente der AHV oder IV nicht aus-reicht.

Bei der Erwerbsersatzordnung für Wehr- und Zivilschutzpflichtige sind im Berichtsjahr keine Änderungen erfolgt. Die EO stellt zur Zeit finanziell keine Probleme. Ein Rechnungsüberschuss ist auch für 1977 zu erwarten.

EI Die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge hat 1977 einen wichtigen Markstein erreicht: nach mehr als eineinhalbjähriger Vor-beratung durch seine Kommission hat der Nationalrat den Gesetzesentwurf in der Herbstsession behandelt und gutgeheissen. Nun wird sich noch der Ständerat damit zu befassen haben.

Die Kommission für die Ausarbeitung eines Verordnungsentwurfes, welche parallel zu den Beratungen auf Gesetzesebene tätig ist, hat wegen der Kom-plexität der Materie mehrere Ausschüsse für die Bearbeitung einzelner Sach-gebiete gebildet. Es handelt sich um Ausschüsse für durchführungstechnische Fragen, für die Frage der Anerkennung von Vorsorgeeinrichtungen, für Rechtsfragen, für Anlageprobleme, für die steuerliche Behandlung der be-ruflichen Vorsorge und der Selbstvorsorge sowie für die Förderung des Erwerbs von Wohneigentum.

Beim heutigen Stand der Dinge ist ein Inkrafttreten der Vorlage im Laufe des Jahres 1978 praktisch nicht möglich; auch für das Jahr 1979 lässt sich diesbezüglich keine günstige Prognose stellen. Sollte das Referendum gegen das geplante Bundesgesetz ergriffen werden und sollte das Schweizervolk dem Gesetzeswerk zustimmen, so wäre eine Inkraftsetzung auf den 1. Januar 1980 denkbar.

Am 1. April 1977 ist die revidierte Arbeitslosenversicherung in Kraft getreten. Dank der Mitwirkung der AHV-Ausgleichskassen beim Beitrags-bezug konnte der Übergang zum Versicherungsobligatorium für alle Arbeit-nehmer ohne nennenswerte Schwierigkeiten vollzogen werden. Bei der nun-mehr geltenden Regelung handelt es sich um eine auf fünf Jahre begrenzte Übergangsordnung. Diese soll anschliessend durch eine umfassendere Re-vision, insbesondere auf der Leistungsseite, den neusten Erkenntnissen und den Erfahrungen der Praxis angepasst werden.

LII Die zwischenstaatlichen Beziehungen im Bereich der sozialen Sicherung waren im Berichtsjahr unvermindert lebhaft. Drei Abkommen sind in Kraft getreten: ein neues Abkommen mit Portugal (1. März), das revidierte Ab-kommen mit Belgien (1. Mai) und ein ZusatzabAb-kommen mit Luxemburg

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(1. Dezember). Ausserdem hat die Schweiz drei mehrseitige internationale Vertragswerke ratifiziert, nachdem diese in der Frühjahrs- bzw. Herbst-session von den eidgenössischen Räten gutgeheissen worden sind. Es handelt sich um die Übereinkommen 102 und 128 der Internationalen Arbeits-organisation sowie um die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit des Europarates. Die Entwicklung der Sozialversicherungsgesetzgebung in den letzten Jahren erlaubte es der Schweiz, die Verpflichtungen dieser Über-einkommen mit bestimmten Vorbehalten zu übernehmen.

Als Novum im Bereich der AHV ist soeben - am 9. Dezember - ein vier-seitiges Abkommen mit den Nachbarstaaten Bundesrepublik Deutschland,

Liechtenstein und Österreich unterzeichnet worden. Ein weiteres neues Ab-kommen wird zurzeit mit Norwegen ausgehandelt, und auch mit den USA sind Kontakte im Hinblick auf den Abschluss eines Abkommens aufge-nommen worden. Ferner fanden Besprechungen betreffend die Revision der Abkommen mit der Türkei, Jugoslawien und Schweden sowie mit den Rheinanliegerstaaten zur Revision des Rheinschifferabkommens statt.

Die Bestrebungen zur Teilrevision der Krankenversicherung sind im Jahre 1977 ebenfalls einen Schritt weiter gediehen. Die im Mai 1976 ein-gesetzte Expertenkommission erstattete am 5. Juli ihren Bericht zuhanden des Bundesrates. Dieser wird den eidgenössischen Räten voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 1978 eine Revisionsvorlage unterbreiten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Finanzierung und die Kosteneindämmung im Bereich der Krankenpflegeversicherung sowie die Neugestaltung der Kran-kengeldversicherung.

Die Vorlage über die Neuordnung der Unfallversicherung liegt beim Nationalrat. Im Laufe des Jahres widmete die vorberatende Kommission dem Geschäft vier Sitzungen. Die Beratungen werden zu Beginn des näch-sten Jahres fortgesetzt.

El Die Arbeiten für eine Revision der Militärversicherung sind im Berichts-jahr nicht weitergeführt worden, da der Zeitplan von allen Interessierten als ungünstig erachtet wurde. Der von einer Expertenkommission ausge-arbeitete Entwurf für Änderungen am geltenden MVG ist im Interesse der Koordination mit den andern Zweigen der Sozialversicherung zurückgestellt worden.

Die Übersicht über das sozialpolitische Jahresgeschehen zeigt, dass sich gegenwärtig fast alle Zweige der Sozialversicherung in Überprüfung bzw.

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Änderung befinden. Das oft genannte Ziel der Konsolidierung ist - gesamt-haft betrachtet - noch lange nicht erreicht. Für die Verwaltung bedeutet das, dass sie nicht in der Routine der Alltagsarbeit erstarren darf - und auch gar nicht kann -‚ sondern stets offen sein muss für Neuerungen und Verbesserungen. Die Durchführungsstellen der AHV/IV, der EL, der EO und der Familienzulagen haben sich diesen Anforderungen stets gewachsen gezeigt; nur so war es möglich, dass sich ihr Aufgabenbereich, vom Wehr-mannsschutz der vierziger Jahre ausgehend, zum heutigen Umfang ent-wickeln konnte. Mit der Übernahme des Beitragsbezuges der Arbeitslosen-versicherung haben sie ein weiteres Mal ihre Anpassungsfähigkeit bewiesen.

Das Bundesamt für Sozialversicherung dankt allen, die an der Durchführung unserer Sozialwerke beteiligt sind, für ihren unablässigen Einsatz und wünscht ihnen sowie den übrigen Lesern der ZAK frohe Festtage und ein glückhaftes neues Jahr.

Für die Redaktion der ZAK Albert Granacher

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