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Die Grundzüge der 9. AHV-Revision

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 187-193)

Vorbemerkung:

Am 24. Juni 1977 haben die eidgenössischen Räte das Bundesgesetz über die neunte AHV-Revision verabschiedet, der Nationalrat mit 124 gegen 9 Stim-men und der Ständerat mit 34 gegen 1 Stimme. In der Folge hat ein Aktions-komitee mehr als die vorgeschriebene Zahl von Unterschriften für ein Referen-dumsbegehren gesammelt und diese rechtzeitig der Bundeskanzlei eingereicht.

Dieses Referendumsbegehren bewirkt, dass die neunte AHV-Revision nicht wie geplant auf den 1. Januar 1978 in Kraft treten kann, sondern einer Volks-abstimmung unterstellt wird, die am 26. Februar 1978 stattfindet. Im Hin-blick auf diese Volksabstimmung veröffentlichen wir die nachstehenden Grundzüge der neunten AHV-Revision, die wir zum Teil der Botschaft des Bundesrates vom 7. Juli 1976 entnehmen.

1. Die von der Bundesverfassung gesetzten Ziele

Vor fünf Jahren, am 3. Dezember 1972, stimmten Volk und Stände mit grossem Mehr einem neuen Artikel 34quater der Bundesverfassung zu, wel-cher Ziel und Wege der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge pro-grammässig festlegt. Hinsichtlich der AHV- und 1V-Renten schreibt er vor:

- «Die Renten sollen den Existenzbedarf angemessen decken.»

- «Die Höchstrente darf das Doppelte der Mindestrente nicht übersteigen.»

- «Die Renten sind mindestens der Preisentwicklung anzupassen.»

In Artikel 11 der 'Obergangsbestimmungen zur Bundesverfassung wird der Bund verpflichtet, den Kantonen Beiträge an die Finanzierung von Ergän-zungsleistungen auszurichten, «solange die Leistungen der eidgenössischen Versicherung den Existenzbedarf im Sinne von Artikel 34quater Absatz 2 nicht decken». Ferner sieht die neue Verfassungsbestimmung vor, dass der Bund aus Mitteln der AHV «Bestrebungen zugunsten Betagter und Hinter-lassener unterstützt», womit die Förderung der Altershilfe ganz allgemein gemeint ist.

Die achte AHV-Revision hatte im wesentlichen die Abkehr von der frühe-ren Basisfrühe-rente in der Richtung auf die existenzsichernde Rente hin gebracht.

Nicht gelöst wurde damals jedoch das Problem der Anpassung dieser Rente an die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Von den Postulaten der Alters-hilfe wurden lediglich die Beiträge an den Bau von Altersheimen verwirklicht.

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Bei der neunten AHV-Revision steht nicht der Leistungsausbau im Vorder-grund. Sie möchte vor allem das Erreichte festigen und für verschiedene noch anstehende Probleme Lösungen treffen, die einerseits der AI-I\' eine gedeih-liche Weiterentwicklung sichern, anderseits aber den Staat und die Wirtschaft nicht überfordern.

2. Die Massnahmen zur Konsolidierung der Finanzlage der AHV

Die Finanzlage der AHV wäre heute durchaus gesund, wenn der Bund in der Lage gewesen wäre, die finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, die er mit der achten AHV-Revision auf sich genommen hatte. Angesichts der leeren Kassen musste er aber in den Jahren 1975, 1976 und 1977 seinen Beitrag an die AHV um rund 550 Mio Franken jährlich kürzen. Diese massive Beitrags-kürzung führte zwangsläufig zu Fehlbeträgen in der AHV-Rechnung (vgl.

Ziffer 5 hienach), wobei sich natürlich auch die in die gleichen Jahre fallende wirtschaftliche Rezession auswirkte.

Um die Finanzlage der AHV zu verbessern, hatte der Bundesrat bereits auf den 1. Juli 1975 eine ihm mit der achten Revision eingeräumte Befugnis aus-geschöpft und die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber leicht er-höht. Die neunte AHV-Revision sieht weitere Massnahmen zur Rechnungs-verbesserung vor:

Ausdehnung der Beitragspflicht auf erwerbstätige A ltersrentner

Bezüger von Altersrenten, die noch eine Erwerbstätigkeit ausüben, sollen inskünftig weiter Beiträge an die AHV/IV/EO entrichten, wie dies schon vor 1954 der Fall war. Es ist jedoch ein Freibetrag von 750 Franken im Monat oder 9000 Franken im Jahr vorgesehen. (Geschätzte Mehreinnah-men: 100 Mio Franken bei der AHV, 12 Mio Franken bei der IV.) Beitragssatz der Selbständigerwerbenden

Die im Jahre 1969 in der AHV eingeführte allgemeine Beitragsermässi-gung für Selbständigerwerbende soll teilweise wieder aufgehoben werden.

Anstelle des normalen AHV-Beitrages von 8,4 Prozent (wie er für Ar-beitnehmer und Arbeitgeber zusammen gilt) hätten die Selbständigerwer-benden inskünftig einen solchen von 7,8 Prozent des Erwerbseinkommens (anstatt nur 7,3 Prozent wie bisher) zu entrichten. Gleichzeitig wird aber die obere Grenze der sinkenden Beitragsskala von 20 000 auf 25 200 Franken erhöht, so dass sich für die bisher von dieser Skala Begünstigten keine Beitragserhöhung ergibt. (Geschätzte Mehreinnahmen bei der AHV:

30 Mio Franken; Mindereinnahmen bei der IV 6 Mio Franken.)

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- Mindestbeitrag der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen Um das frühere Verhältnis zwischen Mindestbeitrag und Mindestrente wieder herzustellen, wird der Mindestbeitrag von 84 Franken im Jahr (100 Franken einschliesslich IV und EO) auf 168 Franken (200 Franken) verdoppelt. (Geschätzte Mehreinnahmen: 2,5 Mio Franken bei der AHV, 0,5 Mio Franken bei der IV.)

- Weitere Massnahmen auf der Beitragsseite

Hier ist vor allem die Einführung von Verzugszinsen bei verspäteter Bei-tragszahlung vorgesehen (Geschätzte Mehreinnahmen: 7,5 Mio Franken bei der AHV, 0,5 Mio Franken bei der IV.)

- Einführung des Rückgriffs auf haftpflichtige Dritte

Die geltende gesetzliche Regelung lässt es zu, dass ein Gesundheits- oder Versorgerschaden mehrfach gedeckt wird, nämlich einerseits durch den haftpflichtigen Verursacher oder dessen Versicherung (insbesondere bei Verkehrsunfällen) und anderseits durch die AHV/IV über die Ausrich-tung von Invaliden- oder Hinterlassenenrenten und Hilflosenentschädi-gungen sowie über die Gewährung von Eingliederungsmassnahmen. Die-sen stosDie-senden Überentschädigungen soll dadurch begegnet werden, dass der AHV/IV, nachdem die Differenz zwischen ihrer Leistung und dem Schaden ausgeglichen wurde, das Rückgriffsrecht auf den haftpflichtigen Dritten bzw. auf seine Versicherung eingeräumt wird, was die AHV/IV entlasten wird. (Geschätzte Mehreinnahmen: 30 Mio Franken in der AHV, 40 Mio Franken in der IV.)

- Zusatzrenten für Ehefrauen und Grenzalter für die Ehepaarrente

Das heutige Grenzalter von 45 Jahren, das den Anspruch auf eine Zu-satzrente für die Ehefrau eröffnet, wird schrittweise auf 55 Jahre hinauf-gesetzt. Von dieser Massnahme werden jedoch nur Frauen betroffen, die nach dem 30. November 1933 geboren sind. Zugleich soll die Höhe dieser Zusatzrente von 35 auf 30 Prozent der einfachen Altersrente ermässigt werden. Das anspruchsbegründende Frauenalter für die Ehepaaralters-rente wird ebenfalls schrittweise heraufgesetzt, und zwar ab 1. Januar 1979 von 60 auf 61 Jahre und dann ab 1. Januar 1980 auf 62 Jahre.

Damit entfällt die viel kritisierte Begünstigung der verheirateten Frau gegenüber der alleinstehenden. (Geschätzte Einsparungen: 85 Mio Fran-ken bei der AHV, 20 Mio FranFran-ken bei der IV.)

- Weitere Einsparungen auf der A usgabenseite

Der Bundesrat wird ermächtigt, das Verhältnis zu anderen Sozialversiche- 518

rungszweigen zu ordnen und ergänzende Vorschriften zur Verhinderung von ungerechtfertigten Uberentsch ädigungen zu erlassen. Vorgesehen sind ferner strengere Kürzungsregeln bei Überversicherung innerhalb der AHV/IV und eine Neuregelung des Anspruchs auf ausserordentliche Renten für Ehefrauen. Zudem ist beabsichtigt, auf dem Verordnungsweg das Teilrentensystem neu zu ordnen. (Geschätzte Einsparungen: 20 Mio Franken bei der AHV, 5 Mio Franken bei der IV.)

- Neuregelung der Beiträge des Bundes

Nach dem geltenden Gesetz hätte der Bund bis Ende 1977 einen Beitrag von 15 Prozent und ab 1978 einen solchen von 18,75 Prozent an die jährlichen Ausgaben der AI-IV zu leisten. Durch den Bundesbeschluss vom 12. Juni 1975 wurde der Beitrag für die Jahre 1976 und 1977 auf neun Prozent herabgesetzt. Die neunte AHV-Revision will diese Herab-setzung stufenweise wieder aufheben, indem der Bundesbeitrag für die Jahre 1978 und 1979 auf 11 Prozent, für die Jahre 1980 und 1981 auf 13 Prozent und ab 1982 wieder auf 15 Prozent festgesetzt wird. Die da-durch bewirkten Mehreinnahmen für die AHV belaufen sich im Jahre 1978 auf rund 200 Millionen Franken und steigen in den späteren Jahren entsprechend an. Würde der Bundesbeitrag nicht neu geregelt, so träte wieder das ursprüngliche Gesetz in Kraft. Das hätte zur Folge, dass der Bund ab 1978 einen Beitrag von 18,75 Prozent oder jährlich rund eine Milliarde Franken mehr als heute aufbringen müsste, was ihm bei seiner gegenwärtigen Finanzlage nicht zugemutet werden kann.

3. Die künftige Anpassung der Leistungen an die wirtschaftliche Entwicklung

- Nächste Rentenerhöhung

Das Gesetz über die neunte AHV-Revision verpflichtet den Bundesrat in den Übergangsbestimmungen, eine Erhöhung der ordentlichen AHV-und 1V-Renten um rAHV-und fünf Prozent anzuordnen, sobald der Landes-index der Konsumentenpreise den Stand von 175,5 Punkten erreicht hat (Stand Ende Oktober 1977 = 169,0 Punkte). Diese Rentenerhöhung soll

«auf den nächstmöglichen Zeitpunkt» nach Erreichen der erwähnten Schwelle erfolgen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Vorbereitung einer solchen Aktion in der Regel eine Zeit von sechs Monaten erfordert.

Es müssen nämlich nicht nur die ordentlichen Renten erhöht werden, sondern im gleichen Zug auch die ausserordentlichen Renten und die für die Berechnung der Ergänzungsleistungen massgebenden Einkommens-grenzen.

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Spätere Rentenanpassungen

Nach der oben dargelegten ersten Erhöhung sollen die ordentlichen Ren-ten inskünftig einem Mischindex folgen, der das arithmetische Mittel aus dem Landesindex der Konsumentenpreise und dem BIGA-Lohnindex darstellt. Die Anpassung erfolgt normalerweise alle zwei Jahre, aus-nahmsweise schon früher, wenn der Preisanstieg in einem Jahr mehr als acht Prozent beträgt, oder später, wenn der Preisanstieg in zwei Jahren weniger als fünf Prozent ausmacht. Zeitpunkt und genaues Ausmass der Erhöhung werden durch den Bundesrat bestimmt. Diese Methode er-laubt es, laufende und neu entstehende Renten im gleichen Ausmass anzupassen, wobei die Belastung der Versicherung nicht grösser ist als bei der sogenannten Teildynamisierung (= Anpassung der laufenden Renten an die Preise und der neuen Renten an die Löhne). Im Vergleich mit der Teildynamisierung begünstigt die vorgeschlagene Methode in geringem Masse die älteren Rentnergenerationen gegenüber den jünge-ren. (Näheres über den Mischindex siehe ZAK 1977, S. 395.)

Bei den ausserordentlichen Renten soll der Bundesrat die Befugnis er-halten, die Einkommensgrenzen der Preisentwicklung anzupassen. Auch bei den Ergänzungsleistungen soll die Befugnis zur Anpassung der Ein-kommensgrenzen und der nach Gesetz zulässigen Abzüge dem Bundes-rat übertragen werden.

4. Die Leistungsverbesserungen

- Abgabe von Hilfsmitteln an invalide A ltersrentner

Bei der heutigen engen Verbindung von AHV und IV wird es nicht ver-standen und führt immer wieder zu stossenden Härten, dass nur jene Personen Anspruch auf Hilfsmittel (Prothesen, Rollstühle, Hörgeräte usw.) erheben können, bei denen die Invalidität vor Erreichen des AHV-Rentenalters eintritt. Mit der neunten AHV-Revision erhält der Bundes-rat daher die Befugnis, auf dem Verordnungsweg Bestimmungen über die Abgabe von Hilfsmitteln an Altersrentner zu erlassen. (Geschätzte Mehrausgaben in der AHV: 20 Mio Fr.)

- Beiträge zur Förderung der A ltershilfe

Auf den 1. Januar 1975 wurden Bau- und Einrichtungsbeiträge für Al-tersheime und ähnliche Institutionen eingeführt. Ein zweiter Schritt folgt nun mit der Ausrichtung von Förderungsbeiträgen für die offene Alters-hilfe. Diese sollen mithelfen, die Betagten möglichst lange in ihrer ge-wohnten Umgebung zu belassen und den Heimeintritt so lange wie mög- 520

lich aufzuschieben. Im einzelnen handelt es sich um Beiträge an die Personal- und Organisationskosten für die Durchführung ganz bestimm-ter Aufgaben zugunsten der Betagten, nämlich von Beratung, Betreuung und Beschäftigung, von Kursen, von Hilfeleistungen (Haushalthilfe, Hilfe bei der Körperpflege, Mahlzeitendienst usw.) und von Aus- und Weiter-bildungsmassnahmen für das in der Altershilfe benötigte Personal. (Ge-schätzte Mehrausgaben in der AHV: 20 Mio Fr.)

Ausdehnung des Anspruchs auf Hilf losenentschädigung in der IV

Das Änderungsgesetz ermächtigt den Bundesrat, den Anspruch auf Hilf-losenentschädigung etwas auszudehnen, um damit Schwerinvaliden, die für den Kontakt mit der Umwelt einer besonderen Hilfe bedürfen (z. B.

Blinden), helfen zu können. (Mehrausgaben in der IV: 1 Mio Fr.)

5. Die finanzielle Lage der AHV und IV

Die im Jahre 1975 beschlossene Herabsetzung der Bundesbeiträge an die AHV hat bewirkt, dass dieses Sozialwerk seither in seiner Rechnung Fehl-beträge ausweisen musste. FehlFehl-beträge ergeben sich auch bei der IV, doch liegt hier die Ursache nicht bei einer Verminderung der Beiträge der öffent-lichen Hand, sondern bei der unverhältnismässig starken Entwicklung der Kosten. Wie die nachstehende Übersicht zeigt, hätte die neunte AHV-Revi-sion ab 1978 eine spürbare Verbesserung der Finanzlage beider Sozialwerke bringen sollen:

Fehlbeträge in Mio Franken AHV IV zusammen

1975 gemäss Rechnung 169 49 218

1976 gemäss Rechnung 211 47 258

1977 gemäss Vorausberechnung 426 68 494

1978 gemäss Vorausberechnung 27 17 44

Da aber die neunte AHV-Revision nicht wie vorgesehen auf den 1. Januar 1978 in Kraft treten kann, erhöhen sich die Fehlbeträge des Jahres 1978 zufolge Wegfalles von Einsparungen und Mehr-

beiträgen der Versicherten um 150 42 192 983 223 1206

Bei einer Ablehnung der neunten AHV-Revision in der Volksabstimmung vom 26. Februar 1978 würde sich das Defizit in den kommenden Rechnun- 521

gen von Jahr zu Jahr noch vergrössern, weil das Gewicht der vorgesehenen, aber nicht realisierten Einsparungen (z. B. die schrittweise Erhöhung des Frauenalters bei der Rente) immer spürbarer würde.

Sollte ausserdem der Beitrag des Bundes an die AHV weiterhin nach dem bisherigen Ansatz von 9 Prozent der Versicherungsausgaben bemessen wer-den, so müsste sich der Fehlbetrag in der AHV in den Jahren 1978 und 1979 um je rund 200 weitere Millionen Franken erhöhen, was eine nicht mehr verantwortbare Schmälerung des Fondsbestandes zur Folge hätte. Der Aus-gleichsfonds der AHV fiele damit unter den Betrag einer Jahresausgabe.

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