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Der Expertenbericht zur Teilrevision der Krankenversicherung und seine

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 72-77)

Berührungspunkte zur AHV/IV

Im Mai 1976 setzte das Eidgenössische Departement des Innern eine Ex-pertenkommission ein mit dem Auftrag, Vorschläge für eine Teilrevision der Krankenversicherung auszuarbeiten. Die Kommission hat inzwischen die Ergebnisse ihrer Beratungen in einem rund zweihundert Seiten um-fassenden Bericht niedergelegt, der am 6. September 1977 von Bundesrat Hürlimann und leitenden Beamten des Bundesamtes für Sozialversicherung der Presse vorgestellt worden ist. Im Mittelpunkt der Revisionsvorschläge steht ein neues Finanzierungssystem der Krankenpflegeversicherung sowie ein Obligatorium der Krankengeldversicherung. Nach dem Muster der AHV soll - nebst den Individualbeiträgen der Versicherten und den Subventio-nen der öffentlichen Hand - ein Lohnprozent erhoben werden, welches die Prämiengleichheit von Männern und Frauen ermöglicht, dem regionalen Ausgleich der Spitalkosten dient und für eine allgemeine Prämienreduktion verwendet wird.

Die Expertenvorschläge berühren auch die Leistungen der IV, und zwar in zwei Bereichen:

- die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld soll auf den Rentenanspruch in der IV abgestimmt werden; für den Fall, dass sich dennoch Über-schneidungen ergeben, wird der Krankenversicherung ein Rückgriffs-recht gegenüber der IV eingeräumt;

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- die medizinischen Massnahmen der IV, die bisher aufgrund von Arti-kel 12 IVG gewährt worden sind, sollen neu - durch Aufhebung dieser Bestimmung - von der Krankenversicherung übernommen werden.

Damit entfiele in Zukunft die schwierige Abgrenzung der auf Eingliede-rung gerichteten medizinischen Massnahmen von der Behandlung des Leidens an sich, welche seit Bestehen der IV die Verwaltung und die Rechtsprechung so sehr in Anspruch genommen hat.

Nachstehend werden die von den Experten angestellten Erwägungen zu den Bereichen, welche die AHV/IV berühren, wiedergegeben. Es sei ausdrück-lich darauf hingewiesen, dass es sich hier erst um Vorschläge handelt, die dem Bundesrat als - formell nicht verbindliche - Grundlage für die Er-arbeitung eines entsprechenden Gesetzesentwurfes dienen. Es besteht die Absicht, die Gesetzesvorlage auf die März-Session 1978 hin dem Parlament zuzuleiten.

These 233: Lohnprozentuale Beiträge

Die Beitragspflicht erstreckt sich auf sämtliche Personen, die AHV-Beiträge zu entrichten haben, nämlich auf die Unselbständigerwerbenden, deren Bei-trag zur Hälfte durch den Arbeitgeber aufzubringen ist, die Selbständig-erwerbenden und die Nichterwerbstätigen. Die Mittel sollen bei der Zen-tralen Ausgleichsstelle ausgeschieden und vom Bundesamt für Sozialver-sicherung den Krankenkassen zugewiesen werden.

Die Erträgnisse aus den Beiträgen sollen wie folgt verwendet werden:

- Ausgleich der Mehrkosten der Frauen

Nach geltendem Recht dürfen die Prämien der Frauen um zehn Prozent höher sein als jene der Männer. Diese Abstufung der Prämie nach dem Geschlecht soll künftig nicht mehr zulässig sein. Gemäss bundesamtlicher Statistik des Jahres 1975 sind die Krankenpflegekosten der Frauen 52,9 Prozent höher als jene der Männer. Heute werden diese Mehrkosten durch einen höheren Bundesbeitrag für die Frauen sowie durch höhere Frauen-prämien weitgehend ausgeglichen. Bei einer vollständigen Berücksichtigung dieser Mehrkosten in den individuellen Prämien der Versicherten würde die Gefahr bestehen, dass die Prämien der Männer gegenüber dem heutigen Stand so stark ansteigen, dass für Männer eine Krankenversicherung bei den anerkannten Krankenkassen nicht mehr attraktiv ist. Die Mehrkosten der Frauen sind daher den Krankenkassen aus Mitteln der lohnprozentualen Beiträge zu zwei Dritteln auszugleichen. Auf andere Weise lässt sich nach Ansicht der Kommission ein Strukturausgleich zwischen anerkannten Kran-kenkassen und anderen Krankenversicherern nicht erreichen.

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- Spitalkostenausgleich

Um einen gewissen Ausgleich zwischen den Spitalvergütungen in den ein-zelnen Kantonen zu erreichen, sollen zehn Prozent dieser Vergütungen aus den lohnprozentualen Beiträgen vergütet werden.

- Prämienermässigung

Der Betrag, der nach dem vorgeschlagenen Ausgleich der Mehrkosten der Frauen und dem Spitalkostenausgleich übrig bleibt, soll für eine allgemeine Prämienermässigung zugunsten aller Versicherten verwendet werden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der lohnprozentuale Beitrag ein eigentlicher Versicherungsbeitrag ist, von welchem jeder Versicherte profitieren soll. Auch bei einer gleichmässigen Verteilung auf alle Versicher-ten wird ein Sozialausgleich erreicht, da der Beitragspflichtige mit einem hohen Einkommen an die gesamte zur Verteilung gelangende Summe einen höheren Betrag beigesteuert hat als der Versicherte mit einem bescheidenen Einkommen.

These 313.3: Beginn und Dauer des Anspruchs auf Krankengeld

Die Festlegung des Beginns der Leistungen nach Eintritt des versicherten Risikos stellt ein besonderes Problem dar. In der Unfallversicherung werden ab dem dritten Tag nach Eintritt des Unfalles Taggelder ausbezahlt. Diese rasche Ablösung des Lohns durch die Versicherungsleistung hat sich in der Unfallversicherung eingebürgert. Dennoch kam eine knappe Mehrheit der Kommission zur Überzeugung, dass für die Krankengeldversicherung eine längere Wartefrist vorgesehen werden müsse, da Leistungen ab dem dritten Tag der Krankheit zu hohe Prämien benötigen würden. Deshalb übernahmen die Experten schlussendlich die im «Flimser Modell» vorgeschlagene Lö-sung: der Anspruch auf Krankengeld soll am einunddreissigsten Tag nach Krankheitsbeginn entstehen.

Folgerichtigerweise muss bei dieser Lösung Artikel 324a des Obligationen-rechts in dem Sinne geändert werden, dass die Lohnzahlungspflicht für jeden Krankheitsfall während vier Wochen besteht, damit keine Lücke zwischen dem Ende der gesetzlichen Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers und dem Beginn des Leistungsanspruches entsteht.

Nachdem das Prinzip des aufgeschobenen Krankengeldes feststand, musste geprüft werden, ob davon abgegangen werden könne, namentlich in Fällen, in denen schon jetzt der Arbeitgeber während mehrerer Monate den ganzen Lohn bei Krankheit auszahlt (zum Beispiel beim öffentlichen Personal).

Gemäss der Kommissionsmehrheit könnte eine Verlängerung von maximal sechs Monaten zugestanden werden, wobei jedoch selbstverständlich die 402

Dauer der Lohnzahlungspflicht um diese Verlängerung ausgedehnt werden muss. Anderseits ist auch eine vertragliche Verkürzung der Wartefrist nicht ausgeschlossen.

Besteht keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers, d. h. wenn der Ver-sicherte Entschädigungen der Arbeitslosenversicherung bezieht, soll der An-spruch auf Krankengeld ab dem auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit fol-genden Tag entstehen. Der Bundesrat wird detaillierte Bestimmungen na-mentlich über den Leistungsanspruch bei interkurrierenden Ferien oder Tätigkeiten erlassen.

Bei kürzerer Krankheit besteht der Krankengeldanspruch so lange, als der Versicherte nicht wieder mindestens zur Hälfte arbeitsfähig geworden ist.

Falls die Arbeitsunfähigkeit 360 Tage gedauert hat, kann eine ganze oder halbe Invalidenrente beansprucht werden. Wegen der Besonderheiten des 1V-Verfahrens erhält der Versicherte die Rente praktisch selten zu Beginn seines Anspruches. Aus diesem Grund soll die Frist, während welcher der Lohn oder die Krankengelder zu erbringen sind, auf 540 Tage verlängert werden, damit vermieden wird, dass der arbeitsunfähige Versicherte nichts erhält, während er auf die Leistungen der 1V wartet.

Die Experten stellten allerdings fest, dass in schwierigen Fällen, namentlich wenn ein Beschwerdeverfahren hängig ist, die Frist von 540 Tagen unge-nügend sei. Doch müsse verhindert werden, dass der Versicherte, absichtlich oder aus Nachlässigkeit, die Gewährung der TV-Rente hinauszögere, um länger in den Genuss von (höheren) Krankengeldern zu gelangen; deswegen könne die Frist von 540 Tagen kaum verlängert werden, namentlich wenn man an Personen denke, die nicht die allgemeinen Bedingungen der IV er-füllen (z. B. minimale Beitragsdauer). Daher kommt die Kommission zum Schluss, den verschiedenen Aspekten des Problems dadurch Rechnung zu tragen, dass sie während einer zusätzlichen Dauer von 180 Tagen die Ge-währung von gekürzten Leistungen vorschlägt. Der Träger der Kranken-versicherung muss jedoch vorgängig bei der 1V-Kommission nachprüfen, ob der Versicherte sich angemeldet hat und ob er die persönlichen Ver-sicherungsbedingungen der IV erfüllt. Die Höhe der gekürzten Leistungen soll gemäss der Kommission bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit auf 40 Pro-zent des versicherten Verdienstes bei alleinstehenden Personen und auf 50 Prozent des versicherten Verdienstes bei unterstützungspflichtigen Per-sonen festgesetzt werden. Diese gekürzten Krankengelder sollten ungefähr in der Höhe der TV-Leistungen liegen.

Um jegliche tiberversicherung zu vermeiden, haben die Träger der Kranken-versicherung gegenüber der IV ein Subrogationsrecht für alle gewährten Krankengelder. Somit werden praktisch alle rückwirkend zugesprochenen 403

1V-Renten von der Krankenversicherung zurückgefordert, was einerseits bewirkt, dass der Versicherte keinen Versicherungsgewinn hat und ander-seits, dass die Prämienhöhe gesenkt werden kann.

These 522: Medizinische Massnahmen der IV

In der Expertenkommission ist wiederholt auf die Schwierigkeiten hinge-wiesen worden, die der Verwaltung und den Gerichten aus der Anwendung von Artikel 12 IVG erwachsen. Die Abgrenzung der auf Eingliederung ge-richteten medizinischen Massnahmen von der Behandlung des Leidens an sich erfordere einen unangemessenen Aufwand, da auch die in den Voll-zugsvorschriften enthaltenen oder von der Praxis entwickelten Entschei-dungskriterien nicht einfach zu handhaben und für den Versicherten nicht leicht verständlich seien. Die Folge davon seien erhebliche Umtriebe und zahlreiche Streitigkeiten. Von den im Jahre 1976 beim EVG eingegangenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden betreffen denn auch rund 10 Prozent bzw.

100 Fälle den Artikel 12 IVG, das ist mehr als die Gesamtzahl der Be-schwerden aus dem Bereich der Krankenversicherung.

Schon im «Flimser Modell» wurde die Aufhebung von Artikel 12 IVG be-fürwortet (Expertenbericht S. 208 ff. und 276). Um eine Beeinträchtigung des Versicherungsschutzes zu vermeiden, wurde damals für nicht kranken-versicherte Personen, deren Behandlung Voraussetzung für eine berufliche Eingliederung ist, auf Antrag der 1V-Kommission die Aufnahme in eine Krankenkasse vorgesehen, wobei ein Vorbehalt für das betreffende Leiden ausgeschlossen war.

Die Expertenkommission nimmt diesen Vorschlag wieder auf. Vom Stand-punkt einer rationellen Durchführung der gesamten Sozialversicherung ist zweifellos die Zuweisung der medizinischen Massnahmen nach Artikel 12 IVG an die Krankenversicherung zweckmässig. Die subtile Leistungsabgren-zung entfällt. Dem Krankenversicherten entsteht daraus - namentlich bei der vorgesehenen Spitalvergütung und bei einer obligatorischen Kranken-geldversicherung - kaum ein nennenswerter Nachteil, und die Ausfälle der Spitäler und der Medizinalpersonen namentlich wegen der Tarifdifferenzen dürften nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Für Nicht-Krankenver-sicherte, deren Zahl in der betreffenden Altersstufe nicht gross ist, müsste allerdings vorgesehen werden, dass sie auf Beschluss der 1V-Kommission von einer Krankenkasse aufgenommen werden, ohne dass die für die be-rufliche Eingliederung erforderliche Behandlung eines bestimmten Leidens durch Vorbehalt ausgeschlossen werden kann. In der IV müssten ferner die medizinischen Leistungen bei der Abgabe von Hilfsmitteln etwas erweitert und angemessene Übergangsbestimmungen aufgestellt werden.

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Finanziell dürfte die Übernahme der Fälle nach Artikel 12 IVG den Kran-kenkassen im Bereich der Pflegeversicherung eine Mehrbelastung von rund 40 Mio Franken bringen. Da in der IV von diesem Betrag 20 Mio auf Kosten der öffentlichen Hand, wovon 15 Mio zulasten des Bundes, gehen, ist es folgerichtig, dass eine entsprechende Summe zur Abgeltung dieser

«Sozialhypothek» den Krankenkassen zusätzlich zugewiesen würde.

Die Deklaration der UNO über die Rechte

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