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4. Umsetzung in der EU – Richtlinie zur Bekämpfung von

4.2. Zinsschranke - Ausnahmen und Escape-Klauseln

Die Grundregel zur Abzugsbeschränkung wird vom Gesetzgeber erweitert, um auf unternehmens- und branchenspezifische Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Zudem soll die Zinsschranke nur jene Unternehmen erfassen, bei denen ein Risiko der missbräuchlichen Verwendung von Zinszahlungen zur Gewinnverkürzung und -verlagerung ausgemacht wird.126 Zu erwähnen ist außerdem, dass die Erweiterungen Kann-Bestimmungen sind, die

123 Vgl. Zöchling, Die Zinsschranke gem Art 4 Anti-BEPS-Richtlinie, Ein Paradigmenwechsel für das österreichische Steuerrecht, in Kirchmayr ua (Hrsg), Anti-BEPS-Richtlinie: Konzernsteuerrecht im Umbruch?1 (2017), 45.

124 Anti-BEPS-Richtlinie, Art 2 Abs 3.

125 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 2 Abs 4.

126 Vgl. OECD, Limiting Base Erosion Involving Interest Deductions and Other Financial Payments, Action 4 - 2016 Update (aufgerufen am 26. 4. 2017), 19.

den Mitgliedsstaaten Spielraum offen lassen, um auf nationale Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen.

Zunächst wird eine Freigrenze festgelegt, die kleinere Unternehmen von der Zinsabzugsbeschränkung ausschließen kann. Sie liegt bei überschüssigen Fremdkapitalkosten iHv 3 Mio Euro.127 Die EU erhöht diese Freigrenze im Vergleich zum Vorschlag der OECD (1 Mio Euro), was den Unternehmen entgegenkommen kann. Durch dieses Anheben auf 3 Mio Euro wären mehr Steuerpflichtige ausgenommen, als dies die OECD vorsieht. Bei KMU wird ein geringeres Risiko für BEPS gesehen, weshalb diese möglichst nicht betroffen sein sollen.128 Letztlich soll die Zinsschranke nur große Unternehmen erfassen, weshalb die Freigrenze angehoben wurde.

Neben der Freigrenze berücksichtigen Erweiterungen die individuellen Verhältnisse der Steuerpflichtigen. Der Anwender vergleicht eine unternehmensspezifische Kennzahl mit einer gruppenbezogenen Kennzahl. Diese Erweiterungen machen die Zinsschranke zielgerichtet und treffsicher. Ein BEPS-Risiko besteht in erster Linie bei jenen Unternehmen, die mehr Fremdfinanzierung aufweisen als der Durchschnitt der Gruppe. In Art 4 Abs 5 Anti-BEPS-Richtlinie fixiert der Rat der EU die sog Group Ratio Rule, welche dem Vorschlag der OECD gleicht. Die Daten zur Berechnung entnimmt der Steuerpflichtige aus dem Konzernabschluss der Gruppe, wobei sich die Ermittlung wie folgt gestaltet.129

Group Ratio = Nettozinsaufwand Gruppe / EBITDA Gruppe

Formel 6: Group Ratio (EU)

Obergrenze Zinsabzug = Group Ratio * EBITDA

Formel 7: Obergrenze Zinsabzug, wenn Group Ratio größer als Fixed Ratio (EU)

127 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 3 Lit a.

128 Vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (28.4.2016), C 264/94.

129 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 5 Lit b.

Zunächst wird das Verhältnis von Nettozinsaufwand zu EBITDA auf der konsolidierten Gruppenebene berechnet. Ist die ermittelte Zahl höher als die Fixed Ratio, ist die Grundregel außer Kraft gesetzt und die neu errechnete Group Ratio ist der Maßstab für die Abzugsfähigkeit des Zinsaufwandes. Diese wird mit Hilfe der Formel 7 dann neu ermittelt.

Diese Erweiterung hat den Effekt, dass die spezifischen Verhältnisse einer Unternehmensgruppe für sich Berücksichtigung finden. Liegt es bspw in der Natur der Branche, dass überdurchschnittlich viel Fremdkapital benötigt wird, fließt dieser Umstand in die Beurteilung über die Abzugsfähigkeit mit ein. Die Zinsschranke betrifft damit nur Gruppenmitglieder, die verhältnismäßig viel Zinsaufwand ausweisen. Solchen Unternehmen kann ein erhöhtes Risiko der missbräuchlichen Gestaltung zugesprochen werden, wobei dies aber nicht zwangsläufig der Fall sein muss.

Eine zusätzliche Erweiterung der Grundregel stellt die Equity Escape Klausel dar. Dabei wird die Eigenkapitalquote des einzelnen Gruppenmitglieds mit jener der Gruppe verglichen. Der Gesetzgeber erkennt diese Quote als gleich hoch oder höher an, wenn sie aus Sicht des einzelnen Unternehmens bis zu zwei Prozentpunkte unter der Konzernquote liegt.130 Hier ist ein Unterschied zum OECD-Vorschlag zu finden. Der europäische Gesetzgeber kommt den Unternehmen durch diese zwei Prozentpunkte entgegen. Bemerkenswert ist auch, dass der Steuerpflichtige Mitglied einer (für Rechnungslegungszwecke) konsolidierten Gruppe sein muss, ansonsten kann die Equity Escape Klausel nicht angewandt werden. Für diese Klausel bestimmt sich die konsolidierte Gruppe nach IFRS oder den nationalen Gesetzen eines Mitgliedsstaates und nicht nach der 25-%-Grenze aus Art 2 Abs 4 Anti-BEPS-Richtlinie.131 Die folgende Formel stellt diese Erweiterung zusammengefasst dar.

wenn: [(EK / GK) + 0,02] ≥ (EK / GK) Gruppe , dann: unbeschränkter Zinsabzug

Formel 8: Equity Escape Rule (EU)

Zusätzlich bestimmt die Regelung diverse Ausnahmetatbestände. Die Richtlinie enthält zunächst eine Bestandschutzklausel, wodurch sie nur auf zeitlich neuere Sachverhalte ausgerichtet ist. Zinsen für Kredite, die vor dem 17. Juni 2017 geschlossen wurden, sind jedenfalls abzugsfähig.132 Eine solche Ausnahme enthält der OECD-Bericht nicht. Zusätzlich exkludiert die Regelung Fremdkapitalkosten für die Finanzierung langfristiger, öffentlicher

130 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 5 Lit a.

131 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 8.

132 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 4 Lit a.

Infrastrukturprojekte.133 Dies bezieht sich auf Maßnahmen im allgemeinen öffentlichen Interesse, wo der Projektbetreiber und die (umfassenden) Vermögenswerte innerhalb des Gebietes der EU ansässig bzw gelegen sind. Auch eine solche Ausnahme schlägt die OECD nicht vor.134 Des Weiteren haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, Finanzunternehmen von der Richtlinie auszunehmen.135 Das sind Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Investmentfonds und ähnliche Unternehmen.136 Für sie werden eigene Regelungen geschaffen, die auf die jeweiligen Gegebenheiten der Branche abgestimmt sind.

Darüber hinaus gewährt der Gesetzgeber den Vortrag ungenutzter Zinsaufwendungen, wobei die zeitliche Begrenzung nicht genau festgelegt wird.137 Der Vortrag zur Glättung von Volatilitäten kann unbegrenzt, über drei Jahre oder über fünf Jahre ermöglicht werden. Diese Möglichkeit gleicht Schwankungen im Zeitverlauf aus. Wenn der Abzug wegen eines hohen Zinsaufwandes oder eines geringen EBITDA in einem Wirtschaftsjahr eingeschränkt wird, gleicht sich der steuerliche Nachteil in den folgenden Perioden wieder aus, sofern es sich nur um eine kurz- bis mittelfristige Schwankung handelt. Dies führt dazu, dass die Zinsschranke langfristig gesehen jene Unternehmen beeinflusst, die dauerhaft hohe Zinsaufwendungen oder ein niedriges EBITDA ausweisen. Auch diese Freigrenze erhöht die Treffsicherheit der Zinsabzugsbeschränkung. Ein hohes EBITDA impliziert eine hohe Wertschöpfung. Diese wiederum legt die Vermutung nahe, dass dieses Unternehmen keine Zweckgesellschaft ist, um BEPS zu betreiben. Ein niedriger Nettozinsaufwand lässt auf Ähnliches schließen, nämlich ein geringes BEPS-Risiko. Schließlich ist noch anzufügen, dass die Mitgliedsstaaten hier wiederum Spielraum in der jeweiligen nationalen Umsetzung haben. Der Art 4 Abs 3 Anti-BEPS-Richtlinie ist eine Kann-Bestimmung.

In diesem gesamten Kontext ist nochmals zu erwähnen, dass die Richtlinie ein Mindestschutzniveau zur Verhütung von BEPS festlegt. Die Implementierung der Maßnahmen liegt im Ermessen der einzelnen Staaten.138 Die Grundregel aus Art 4 Abs 1 Anti-BEPS-Richtlinie ist umzusetzen, wobei ein Mitgliedsstaat auch unter 30 % gehen kann. Die Erweiterungen und Ausnahmen stellen Kann-Bestimmungen im Sinne eines Vorschlages dar. Der Umfang der Zinsschranke kann von den einzelnen Mitgliedsstaaten selbst bestimmt werden.139 Das wird begründet mit der Unterschiedlichkeit der einzelnen

133 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 4 Lit b.

134 Vgl. Gruber/Jann in Hofmann ua, 87.

135 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 7.

136 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 2 Abs 5.

137 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 4 Abs 6.

138 Vgl. Kofler, Konzernsteuerrecht im Umbruch?, Von BEPS (OECD) zur Anti-BEPS-RL (EU) in Kirchmayr ua (Hrsg), Anti-BEPS-Richtlinie: Konzernsteuerrecht im Umbruch?1 (2017), 2.

139 Vgl. Anti-BEPS-Richtlinie, Art 3.

Steuersysteme der EU-Mitgliedsstaaten.140 Die Richtlinie ist allgemein gehalten, um den nationalen Gesetzgebern ein flexibles, auf lokale Bedürfnisse und Begebenheiten abgestimmtes Vorgehen zu ermöglichen. Dies steht einer Vollharmonisierung der Vorschriften zur effektiven Bekämpfung von BEPS entgegen.141 Durch das Mindestschutzniveau können unterschiedlich ausgestaltete Zinsschranken im EU-Binnenmarkt entstehen, wodurch sich den Steuerpflichtigen Möglichkeiten zur Arbitrage bieten. Steuergestaltung innerhalb der EU bleibt wohl weiterhin möglich.

Schließlich stellt sich noch die Frage nach der Frist zur Umsetzung in nationales Recht. Dies geschieht bis 31. Dezember 2018, wodurch die Zinsschranke ab 1. Jänner 2019 anzuwenden ist.142 Zusätzlich enthält die Richtlinie eine Sonderregel für Staaten, die bereits Maßnahmen ähnlich der Zinsschranke in ihren Gesetzen verankert haben. Hier verlängert sich die Frist zur Umsetzung um fünf Jahre auf den 31. Dezember 2023.143 In Österreich kommt dafür § 12 Abs 1 Z 10 KStG in Frage. Ob diese Zinsabzugsbeschränkung ausreichend ist, um die Frist zur Umsetzung um fünf Jahre zu verlängern, ist noch offen.144

Zusammenfassend stellt sich heraus, dass sich der Gesetzgeber in der EU im Wesentlichen an den Vorschlägen der OECD zu Aktionspunkt 4 des BEPS-Programms orientiert. Bei der Grundregel enthält die Zinsschranke den höheren Satz von 30 %, was eine höhere Abzugsfähigkeit bedeutet. Die Erweiterungen und Ergänzungen werden übernommen, wobei im Detail einige Abweichungen festzustellen sind.