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Abschnitt 10 gibt ein Beispiel für die Bedeutung des Begriffes in Han Feizi und ist aufgrund der beispielhaften Anekdote wert, genauer betrachtet zu werden. In diesem Abschnitt werden

4. Das Zhongjing

Wie am Ende des vorherigen Kapitels angedeutet, möchte ich mich in diesem Abschnitt der Arbeit ausführlicher mit dem formalen Aufbau und Inhalt des Zhongjing beschäftigen.

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Der erste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Verhältnis zwischen Text und Kommentar.

Wie am Ende des vorherigen Kapitels angedeutet, gibt es kaum Merkmale, die darauf schließen lassen, daß es sich um zwei getrennte Texte handelt bzw. der Kommentar erst nach dem Text hinzugekommen sein soll. Weiterhin möchte ich kurz auf den formalen Aufbau des Textes eingehen und hier insbesondere die Zitierfreude des Autors genauer betrachten. Der dritte Abschnitt wird sich mit den inhaltlichen Aussagen des Zhongjing beschäftigen, speziell mit einer Untersuchung des Ideals, das der Autor dem Leser über die wechselseitige Beziehung zwischen Fürst und Untertan vermitteln möchte. Der abschließende Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Zhongjing und Xiaojing: das Zhongjing baut deutlich auf das Xiaojing auf und vervollständigt dessen Inhalt an vielen Stellen, wenn es ihm nicht gar zu widersprechen versucht.

1 Kurze inhaltliche Studien zum Zhongjing finden sich bei Forke (1), 1964, S. 144-8; Hsiao, 1966, S. 506-7;

Ning & Jiang, 1994, S. 89; Niu, 1996, S. 30+32; Ge, 1998, S. 108; Wang, 1999, 215-22. Zur Rezeption des Zhongjing in späterer Zeit gibt es nicht viel zu sagen: Über die Siku Quanshu-Datenbank lassen sich einige Textzitate ausfindig machen: Viele davon stehen in Reimlexika, wie dem Peiwen yunfu 佩 文 韵 府, und Enzyklopädien. Kommentare zum Zhongjing, von dem vermeintlichen Kommentar Zheng Xuans abgesehen, existieren nicht. Der Index zu den zwanzig wichtigsten Literaturkatalogen Yiwen zhi ershi zhong zonghe yinde 藝文志二十種綜合引得 des Harvard Yenching Institute Sinological, Series No. 10, nennt keine Werke, die sich eindeutig als Kommentare zum Zhongjing bzw. Zhong- und Xiaojing gemeinsam identifizieren lassen. Wang, 1999, S. 291-2 listet einige Werke ab der Yuan-Zeit auf, die zhong im Titel tragen – es handelt sich aber durchweg um Theaterstücke, Opern bzw. Erzählungen und Biographien, die nichts mit dem Zhongjing zu tun haben.

4.1. Der Kommentar zum Zhongjing

Fast alle Ausgaben

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des Zhongjing, die mir vorlagen, enthalten Text und Kommentar. Wie bereits oben festgestellt, gibt es keinerlei Hinweise darauf, wer den Kommentar verfaßt haben könnte, wenn man die Zuschreibung an Zheng Xuan außer Betracht läßt. Bei der Übersetzung des Textes wurde klar, daß es zwischen Text und Kommentar kaum Brüche gibt. Die Inhaltsangabe, die sich im Siku quanshu zum Zhongjing findet, beschreibt diese Auffälligkeit:

Siku quanshu tiyao zum Zhongjing: „經與註如出一手.“

„Klassiker und Kommentar gleichen sich, als würden sie aus einer Hand stammen.“3

Bei Kommentaren zu klassischen Texten ist es beispielsweise üblich, ungewöhnliche Ausdrücke oder seltenere Zeichen mit Glossen zu versehen, die den Gebrauch der Worte zu erklären suchen.

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Meist erläutern die Glossen zunächst die Aussprache des Zeichens und erklären dann die Bedeutung, indem sie dafür einen bekannteren Begriff anführen oder andere Texte heranziehen, in denen die Begriffe erklärt werden. Die dazu übliche Formel lautet: „A, B 也 .“ („A bedeutet B“). Im Kommentar zum Zhongjing finden wir nicht eine einzige solche Worterklärung. Eine Stelle, die einer Glosse am nächsten kommt, gibt es in Zhongjing 1. Die vermeintliche Glosse steht aber nicht im Kommentar, sondern im Text:

Zhongjing, 1: „忠者, 中也.“

„Was die Loyalität betrifft, so bedeutet sie „die Mitte [zu halten]“.“

Man könnte nun argumentieren, daß der Text eben keine erklärungsbedürftigen Passagen enthalte, aber einerseits spricht die Liste der ungewöhnlichen Ausdrücke, die ich in Kapitel 3.3. angeführt habe, dagegen, andererseits gibt es von möglichen Glossen abgesehen genügend Anspielungen auf Klassikertexte, philosophische Schriften und Anekdoten, die man

2 Im einzelnen habe ich die folgenden Ausgaben, in denen das Zhongjing aufgeführt ist, untersucht und verglichen. Varianten und Textabweichungen sind in den Fußnoten der Übersetzung kenntlich gemacht, kommen aber grundsätzlich nicht sehr häufig vor und sind in den meisten Fällen nicht sinnändernd: Congshu jicheng叢書集成, Baibu congshu jicheng 百部叢書集成, Baizi quanshu百子全書, Han Wei congshu 漢魏叢書, ICS Ancient Chinese Texts Concordance Series, Collected Works No.1, Philosophical Works No. 36. Das Han Wei congshu enthält nur den Text, aber keinen Kommentar. Darüberhinaus sind zwei weitere Ausgaben ohne Kommentar über das Siku quanshu in den folgenden Collectanea erhalten: Shuo fu 說郛und Han Wei Liuchao baisan mingjia ji 漢魏六朝百三名家集. Weiterhin ist der Text in der Datenbank CHANT mit Kommentar aufgeführt. Der Text findet sich noch in einigen anderen Congshu, die mir aber nicht zugänglich waren. Siehe hierzu Shanghai tushuguan: Zhongguo congshu zonglu 中國叢書綜錄, 1959, 中華書局, Shanghai, Vol. II, S.

715.

3 Siehe Appendix 2, ab S. 189. Für alle weiteren im Folgenden aufgeführten Ausschnitte und Übersetzungen aus dem Zhongjing gilt, daß der gesamte kritische Apparat im Anhang zu finden ist, und hier nicht ein weiteres Mal wiedergegeben wird, es sei denn, der Sinn eines Satzes würde durch die fehlende Erklärung völlig unverständlich.

4 Zu Glossen siehe Simson, 2006, S. 163-6, wo sich eine kurze Zusammenfassung zu diesem Thema findet.

erklären könnte. Es bleibt festzuhalten, daß dem Kommentar jegliches Element der herkömmlichen chinesischen Textkritik abgeht, sondern darin ausschließlich das vorher im Text Gesagte erweitert wird.

Der Kommentar fügt sich flüssig in den „Haupt“-Text ein und wäre ohne die vorgenommene visuelle Unterteilung kaum zu unterscheiden.

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Man kann die Aussagen im Kommentar als inhaltliche Ergänzungen zum Haupttext verstehen, sie könnten in vielen Fällen aber genausogut einen erläuternden Nebensatz innerhalb des Haupttextes bilden. Dafür spricht auch die Tatsache, daß sich der Kommentar längenmäßig kaum vom Haupttext unterscheidet. Die ersten beiden Kapitel des Zhongjing enthalten beispielsweise im ersten Kapitel 162 Zeichen für den Haupttext und 197 für den Kommentar, bzw. im zweiten Kapitel 113 und 120 Zeichen. Im Gegensatz zu anderen Werken, in denen der Kommentartext den Text an Länge bei weitem überschreitet, besteht im Zhongjing ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden Teilen, auch innerhalb der einzelnen Abschnitte.

Ohne die vorgenommene Unterteilung wäre an vielen Stellen nicht festzustellen, wo der Text endet und der Kommentar anfängt. Einige Beispiele:

Zhongjing 4: „T: 故君子之事上也. 入則獻其謀. K: 公家之利, 知無不言. T: 出則行其政. K: 既在其位.

職思其憂. T: 居則思其道. K: 益國之道. T: 動則有儀. K: 百事之儀.“

„Wenn der Edle folglich dem Herrscher dient, bringt er beim Dienst im Palast seine Pläne vor und wenn er weiß, was zum Nutzen der Öffentlichkeit und der Familien gereicht, dann [darf es] nichts geben, was er nicht anspricht. Beim Dienst [in der Provinz], wird er gemäß der Regierung[sanordnungen des Herrschers] handeln. Da er sein Amt eingenommen hat, besteht seine Aufgabe darin, die Sorgen [des Herrschers] zu bedenken. Ist er zu Hause, [soll] er über seinen/dessen Weg nachdenken, nämlich den Weg des Staates zu fördern. Ist er [als Beamter] in Bewegung, dann muß er die [richtige] Haltung besitzen, die [richtige] Haltung für die hundert Aufgaben.“

Zhongjing 9: „T: 惟善是與, 惟惡是除. K: 善雖讎必薦, 惡雖親必去. T: 以之而陟則有成. K: 君子效 能也. T: 以之而出則無怨. K: 小人伏罪也.“

„[Er darf] nur das Gute geben, Übles [muß er] beseitigen und auch wenn das Gute von einem Feind kommt, muß er ihm unbedingt zuraten; auch wenn das Schlechte von einem Elternteil kommt, muß er es unbedingt verwerfen. Wendet er dies an, wird er, der [im Amt] aufsteigt, Erfolg haben, denn der Edle verwirklicht seine Fähigkeiten. Wendet er dies an, wird er, der [in die Provinz] auszieht, sich über nichts bekümmern, denn der gemeine Mann wird [seine] Bestrafung erleiden.“

Zhongjing 11: „T: 邪則不忠, 忠則必正. K: 忠則不邪, 正則必忠.“

„[Wer] falsch [ist, ist] nicht loyal, [wer] loyal [ist, ist] gewiß aufrecht. [Wer] loyal [ist, ist] nicht falsch, [wer] aufrecht [ist, ist] gewiß loyal.“

5 Congshu jicheng叢書集成: Unterteilung in große und kleine Zeichen, sowie Ein- und Zweispaltigkeit von Text und Kommentar; Baibu congshu jicheng 百部叢書集成: ebenso; Baizi quanshu百子全書: ebenso; ICS Ancient Chinese Texts Concordance Series, Collected Works No.1, Philosophical Works No. 36: Dem Kommentar steht „鄭 玄 註“ voran. CHANT: ebenso. Die oben beschriebene Darstellung des „eingelas-senen“ Kommentars (注; 註) läßt auf eine spätere Entstehungszeit des Textes schließen, da sie sich erst ab Ende der Han-Zeit bzw. in erhaltenen Texten ab der Zeit der Streitenden Reiche findet. Siehe dazu Simson, 2006, S.

108-11.

Zhongjing 14: „T: 施之於邇, 則可以保家邦. K: 以有閫域. T: 施之於遠, 則可以極天地. K: 以無空 窮.“

„Wendet man [die Loyalität] in der näheren [Umgebung] an, dann können damit Familie und Land bewahrt und die inneren Gebiete erreicht werden. Wendet man dies für die Ferne an, dann können damit die Grenzen von Himmel und Erde erreicht werden und man meidet Leere und Armut.“

Es wird schnell klar, daß ohne die Hilfestellung durch die Buchstaben ‚T’ und ‚K’ nicht mehr zu unterscheiden wäre, an welchen Stellen es sich hier um Text und an welchen um Kommentar handelte.

Die Beispiele zeigen auf, daß Text und Kommentar gleiche Parallelismen verwenden oder inhaltlich kein Unterschied zwischen Text und Kommentar festzustellen ist, wenn man die einzelnen Teile mit „und“ verbindet und die Satzzeichen abändert, wie ich es an den angeführten Stellen getan habe, um den fließenden Übergang zu verdeutlichen. Derlei Passagen finden sich in jedem Kapitel. In dem Abschnitt aus dem 10. Kap. wird nur der vorhergehende Satz mit „umgekehrten Vorzeichen“ wiederholt. Vertauschte man die Teile, könnte der erste genausogut als Kommentar durchgehen.

Die Feststellung, daß „Klassiker und Kommentar sich gleichen, als würden sie aus einer Hand stammen“, läßt zwei Schlüsse zu:

Der erste ist, daß es sich hier ursprünglich um einen Text (ohne Kommentar) handeln könnte, der dann in Text und Kommentar aufgeteilt worden wäre. Da der Kommentar aber nicht an allen Stellen nahtlos mit dem Text verschmilzt, ist das kaum wahrscheinlich. Außerdem findet sich nirgends ein Hinweis auf eine solche Redaktion und alle Textausgaben mit Kommentar, die uns heute vorliegen, gliedern Text und Kommentar in derselben Weise auf. Darüberhinaus werden Text und Kommentar in der frühesten songzeitlichen Ausgabe beide erwähnt und die dortige Aufteilung der beiden Teile entspricht der uns vorliegenden.

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Der zweite und für mich wahrscheinlichere Schluß ist, daß Text und Kommentar gleichzeitig geschrieben und bereits vom Autor unterteilt wurden. Dieser Schluß legt nahe, daß das Zhongjing gezielt verfaßt oder „rekonstruiert“ worden ist. Der Begriff der Fälschung scheint mir an dieser Stelle zu hart, da der Inhalt des Zhongjing auf einen klassischen Bildungshintergrund und konfuzianische Wertvorstellungen schließen läßt. Das könnte bedeuten, daß der Autor der Meinung war, den Text im Sinne von Ma Rong und Zheng Xuan

6 Das Vorwort von Huang Zhen macht deutlich, daß bereits in der südlichen Song-Zeit um 1020-40 das Zhongjing in einen Text und einen Kommentar unterteilt war: „前漢南郡太守馬融所撰忠經, 倣孝經, 亦有十 八章, 至漢末大司農鄭玄所注.“ „Das vom Gouverneur der südlichen Kommandantur der früheren (!) [Dynastie] Ma Rong verfaßte Zhongjing ähnelt dem Xiaojing und umfaßt auch 18 Kapitel; gegen Ende der Han-[Dynastie] kommentiert vom Oberlandwirtschaftsminister Zheng Xuan.“ Guoli zhongyang tushuguan shanben xuba jilu, 1994, Bd. 1, S. 45, Vorwort von Huang Zhen.

zu verfassen und deren Wertvorstellungen wiederzugeben, ohne dabei eine böswillige Fälschungsabsicht zu haben.

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Die Feststellung, daß Kommentar und Text eine Einheit bilden, bedeutet im Folgenden für die Untersuchung des Textes, daß ich zwischen Text und Kommentarstellen nicht unterscheiden werde, sondern beide gleichwertig behandle und sie, soweit nicht unbedingt erforderlich, nicht kenntlich machen werde.

4.2. Aufbau und Zitate

Das Zhongjing besteht aus insgesamt 18 Kapiteln, die jeweils eigene Überschriften haben, in denen die Kernaussage des folgenden Inhalts kurz zusammengefasst ist. Fast jedes der Kapitel besitzt ein Endzitat aus dem Shujing oder Shijing, das auf das vorher Gesagte Bezug nimmt, dessen Inhalt unterstreicht und, zusammen mit dem darauffolgenden Kommentar, den abschließenden Höhepunkt des Kapitels bildet.

Der Aufbau des Zhongjing gliedert sich in Kapitel-Gruppen. Der Autor beginnt im ersten Kapitel mit einer allgemeinen Untersuchung über den Zustand der Loyalität im Altertum, welches das Idealbild präsentiert. Dann geht er die Pflichten der einzelnen Akteure des Reiches und ihre Aufgabenbereiche in Bezug auf die Loyalität durch: Fürst, Untertan/Minister, Beamten, Gebietsverwalter, alle Menschen. Dabei zieht er vom Fürsten ausgehend immer größere Kreise bis er schließlich beim gewöhnlichen Volk anlangt. Er untersucht deren Tätigkeitsbereiche und inwieweit die einzelnen Pflichten wiederum die Aufgaben anderer Bereiche beeinflussen und direkte Konsequenzen für die handelnden Personen mit sich bringen. Ab dem siebten Kapitel beschäftigt er sich mit den politischen und administrativen Pflichten des Fürsten und deren Auswirkungen auf den Untertanen. Diese konkreten Aufgaben dienen dazu, das Staatswesen zu stärken und zu regulieren, und ihre korrekte Ausführung nützt sowohl dem Staat als auch dem Fürsten, auf den der Glanz des funktionierenden Reiches schließlich zurückfällt. Danach folgt das für sich stehende zehnte Kapitel, das sich mit der Kindespietät beschäftigt, deren Einhaltung für alle Personen im Reich gilt. Der vorletzte Abschnitt beschreibt das Verhältnis zwischen der moralischen Autorität des Fürsten und der gleichzeitig damit einhergehenden positiven Einflußnahme auf den Untertanen. Im letzten Teil werden die Aufgaben des Untertanen ausgeführt und deren

7 Zu „lauteren Absichten“ beim Verfassen von Fälschungen siehe Vogelsang, 2007, S. 255-7. S. 256:

„Fälschungen geschahen demnach aus einem Gefühl der Billigkeit, das die Vergangenheit an als rechtmäßig empfundenen gegenwärtigen Maßstäben orientiert.“

Einfluß wiederum auf den Fürsten. Mit dem 18. Kapitel ist das Zhongjing abgeschlossen und der Idealzustand erreicht. Ist der Fürst tugendhaft und der Untertan loyal und reformiert, dann herrscht überall höchster Friede und Harmonie, und das spiegelt sich wie im Altertum in den Liedern wider, die der Nachwelt auf ewig erhalten bleiben werden.

Kapitel8 Abschnitt im Gesamtwerk

Kap. 1: 天地神明 Himmel, Erde und lichte Götter

Einleitung: Das Ideal

Beschreibung des Altertums, des Idealzustands und der allgemeinen Zusammenhänge

Kap. 2: 聖君 Der weise Fürst

Kap. 3: 冢臣 Der herausragende Untertan Kap. 4: 百工 Die hundert Ämter

Kap. 5: 守宰 Die Gebietsverwalter Kap. 6: 兆人 Alle Menschen

Im Dokument Zhong 忠 und das Zhongjing 忠經 (Seite 86-91)