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Zentrale Aussagen des Zhongjing

Im Dokument Zhong 忠 und das Zhongjing 忠經 (Seite 100-116)

Abschnitt 4: Der Untertan

4.3. Zentrale Aussagen des Zhongjing

Der Aufbau des Zhongjing sowie Zitate und Anspielungen wurden bereits im vorigen Kapitel

ausführlich untersucht. Dieser Abschnitt der Untersuchung soll sich ausschließlich mit dem

Inhalt und den Aussagen des Zhongjing beschäftigen. Bei der inhaltlichen Analyse hilft die im

vorigen Kapitel festgestellte Zusammenstellung der einzelnen Kapitel in Themenbereiche, die

ich hier zum besseren Überblick nochmals in Kurzform wiedergeben möchte. Zudem

erschließt sich bei der genauen Lektüre der einzelnen Kapitel, daß der Autor sich innerhalb

der einzelnen Themengruppen jeweils um kapitelübergreifende einheitliche Stilmittel bemüht hat, um die Zusammengehörigkeit des Blocks zu demonstrieren:

Kapitel Abschnitt im

Gesamtwerk

Stilistische Abgrenzung

Kap. 1: 天地神明 Himmel, Erde und lichte Götter

Einleitung:

Das Ideal

Drei Stufen der Einheit: Person, Familie, Staat

Kap. 2: 聖君 Der weise Fürst

Kap. 3: 冢臣 Der herausragende Untertan

Kap. 4: 百工 Die hundert Ämter Kap. 5: 守宰 Die Gebietsverwalter

Kap. 6: 兆人 Alle Menschen

Abschnitt 1:

Hierarchie des Reiches

Kapitelende:

- 蓋聖君之忠也. Dies ist nun die Loyalität des weisen Fürsten.

- fehlt

- 蓋百工之忠也. Dies ist nun die Loyalität der hundert Ämter.

- 蓋守宰之忠也. Dies ist nun die Loyalität der Gebiets-verwalter.

- 此兆人之忠也. Dies ist [nun] die Loyalität aller Menschen.

Kap. 7: 政理 Regierungsordnung Kap. 8: 武備 Militärische Vorbereitungen

Kap. 9: 觀風 Die Gebräuche beobachten

Abschnitt 2:

Der Fürst:

Einteilung in Rangstufen und Aufzählungen:

- Drei Rangstufen und Methoden der Regierung - Sechs Methoden, um das Heer zu disziplinieren

- Vier Eigenschaften, um den Beamtenapparat auszurichten

Kap. 10: 保孝行 Den pietätvollen Lebenswandel bewahren

Mitte

Kap. 11: 廣為國 Erweiterungen zum Handeln für den Staat Kap. 12: 廣至理 Erweiterungen zur höchsten Ordnung

Kap. 13: 揚聖 Das Verbreiten der Weisheit

Kap. 14: 辨忠 Nach Loyalität unterscheiden

Abschnitt 3:

Der Fürst und sein Untertan

Textverweise:

- Anspielung auf Shujing und Zuozhuan (Herzog von Zhou und Herzog von Shao, acht Yuan, acht Kai)

- Anspielung auf Laozi (wu wei)

- Anspielung auf Shujing und Shijing (Gao Yao bzw. Herzog von Zhou, Ji Fu)

- Anspielung auf Zhongyong (Eigenschaften ren, zhi, yong)

Kap. 15: 忠諫 Loyale Ermahnung Kap. 16: 證應 Der Beweis der Antworten

Kap. 17: 報國 Dem Staat [die Wohltaten] vergüten

Abschnitt 4:

Der Untertan

Einteilung in Rangstufen und Aufzählungen:

- Drei Rangstufen und Methoden der Ermahnung

- fehlt (evt. Anspielung auf Shujing: fünf Beweise für Gunst, fünf Beweise für Verderben)

- Vier Wege, dem Staat die Wohltaten zu vergüten

Kap. 18: 盡忠 Äußerste Loyalität Schluß:

Erreichen des Ideals - Sechs Konsequenzen des loyalen Handelns

Wie sieht nun das Idealbild aus, das uns der Autor im ersten Kapitel vermitteln möchte?

Der Weg der Loyalität habe in den Zeiten des geordneten Altertums darin bestanden, daß Fürst und Untertan dieselbe moralische Gesinnung de 德 besaßen und durch diese Harmonie die Gunst des Himmels sichergestellt werden konnte. Loyalität ist die bei allen menschlichen Beziehungen wichtigste Eigenschaft, da sie für das Allgemeinwohl sorgt und Eigennutz abgelegt wird. Die ganze Welt funktioniert ohne Eigennutz: Der Himmel ist nicht eigennützig, weswegen die Jahreszeiten in Harmonie aufeinander folgen. Die Erde ist nicht eigennützig, weswegen die Lebewesen in Harmonie geboren werden. Verhält sich der Mensch dementsprechend, dann trägt er zu dieser Harmonie bei. Das läßt den Umkehrschluß zu, daß wenn der Mensch sich nicht gemäß dieser natürlichen Ordnung verhält und kein moralisches Verhalten an den Tag legt, die kosmische Ordnung gestört wird und aus dem Gleichgewicht gerät. Deshalb ist es wichtig, daß die Loyalität zunächst in jedem selbst entsteht, sich dann auf die Familie ausweitet und schließlich auf den Staat übertragen wird. Das hat mehrere positive Folgen: Die Menschen im Staat werden durch gutes Beispiel reformiert, die Götter spenden Segen und die Harmonie im kosmischen Gefüge wird bewahrt.

Der erste Schritt in diese Richtung ist, seine Gesinnung zu einen:

Zhongjing 1: „忠也者, 一其心之謂也.“

„Loyal sein, damit ist gemeint, „seine Gesinnung einen“.“

Das bedeutet konkret, nur eine und nicht mehrere (möglicherweise verborgene) Absichten zu haben. Eine weitere Definition von Loyalität ist, die Mitte zu halten oder, im übertragenen Sinne, die Harmonie in der Balance zwischen Himmel und Erde zu bewahren.

Zhongjing 1: „忠者, 中也.“

„Was die Loyalität betrifft, so bedeutet sie „die Mitte [zu halten]“.“10

Das heißt, daß aus der moralischen Integrität der einzelnen Person heraus eine Kettenreaktion entsteht, die schließlich zur Harmonie zwischen Mensch, Staat und Göttern führt:

Æ 1. Menschen werden reformiert Person: Person einen Æ Familie: Familie einen Æ Staat: Staat einen Æ 2. Segen der Götter

Æ 3. Harmonie („die Mitte bewahren“)

Das ist das Idealbild, welches das Zhongjing entwirft.

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In den nächsten Kapiteln erklärt der Autor, wie das funktionieren kann. Der nächste Themenabschnitt nach dieser allgemeinen

10 Siehe Forke (1), 1964, S. 146, der mit „Treue bedeutet Innerlichkeit“ übersetzt.

11 Hsiao, 1966, S. 506; Ning & Jiang, 1994, S. 89; Niu, 1996, S. 30+32; Wang, 1999, S. 218; Jin, 2001, S. 127;

Zhu, 2003, S. 138; Forke (1), 1964, S. 146 hat eine teilweise Übersetzung des 1. Kapitels.

Einleitung beschäftigt sich mit der Struktur des Staates und der Verteilung der Aufgaben und Pflichten auf die einzelnen Positionen. Er beginnt mit dem Fürsten selbst. Der Fürst ist das erste Beispiel im Land, auf das jeder Untertan blickt. Seine primäre Aufgabe ist es, Himmel, Erde und Ahnen zu verehren. Wenn die Menschen erkennen, daß der Fürst zwar die oberste weltliche Instanz im Reich ist, aber seinerseits ebenfalls Pflichten gegenüber noch höher stehenden Institutionen und Wesen hat, dann werden sie sich sein Verhalten zum Beispiel nehmen und ihre Verehrung in Loyalität umwandeln. Die Aufgabe des Fürsten ist es, durch Ehrerbietigkeit seine moralische Autorität zu steigern. Ist die moralische Autorität gesteigert, dann wird es ihm möglich sein, die richtigen Leute anzustellen, was wiederum zu positiver Einflußnahme führt, die Gunst der Götter erwirkt und die Ahnen zum Strahlen bringt.

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Zhongjing 2: „任賢陳化, 君之要也.“

„Würdige [Männer] in Ämter anstellen und Einfluß nehmen, das ist das Wichtigste für den Fürsten.“

Für den Untertanen oder Minister, den nächsten in der Hierarchie, gilt, daß sein Dienst am Fürsten die Grundlage der Loyalität bildet, deren Errichtung die Reform erst ermöglicht:

Zhongjing 3: „為臣事君, 忠之本也. 本立而後化成.“

„Als Untertan dem Fürsten zu dienen ist die Grundlage der Loyalität. Wenn diese Grundlage errichtet ist, kann später die Einflußnahme zur Vollendung gebracht werden.“

Er muß zusammen mit dem Fürsten wie ein Mann agieren und durch seine Handlungen das Vertrauen des Fürsten rechtfertigen. Für ihn steht der Dienst über allen Verpflichtungen, auch denen familiärer Art, und geht notfalls bis zum Tode. Das ist allerdings nur die selbstverständliche Loyalität. Darüberhinaus muß der Untertan Pläne vorbringen, die dem Staat und seinen Menschen zum Nutzen gereichen und Glanz und moralische Autorität des Fürsten steigern und verbreiten. Am Ende dieses dritten Kapitels wird darauf hingewiesen, daß der Untertan zwar positiven Einfluß auf den Fürsten nehmen kann, aber letztlich die moralische Autorität des Fürsten, und damit seine Fähigkeit, die richtigen Leute anzustellen, entscheidend für das Staatswohl ist.

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Zhongjing 3: „君明則臣良, 臣良則事康.“

„Wenn der Fürst klarsichtig ist, dann ist der Untertan fähig. Ist der Untertan fähig, dann werden alle Dienste harmonisch versehen.“

Dasselbe gilt für alle Beamten ganz grundsätzlich: sie sollen Ideen und Vorschläge einreichen, wenn sie meinen, damit Familien und Staat nützen zu können. Wer einmal in den Staatsdienst eingetreten ist, der soll wie ein Beamter denken, auch wenn er sich zu Hause befindet. Das

12 Hsiao, 1966, S. 506-7; Niu, 1996, S. 30; Wang, 1999, S. 215+218.

13 Hsiao, 1966, S. 507; Niu, 1996, S. 30; Wang, 1999, S. 219; Ning & Jiang, 1994, S. 89; Ge, 1998, S. 108;

Forke (1), 1964, S. 148 hat eine Übersetzung einiger Sätze des 3. Kapitels.

hängt vor allem von der richtigen Einstellung und Haltung des Beamten ab. Furchtlos muß er an der Pflicht festhalten und zum Nutzen des Staates beitragen, indem er die drängenden Probleme anspricht. Nur wer so handelt, ist loyal, und trägt wiederum zur moralischen Autorität des Fürsten bei.

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Die Beamten, die Gebiete verwalten, sollen drei Eigenschaften verkörpern: Klarsichtigkeit, Ausgewogenheit und Reinheit. Die Reinheit des eigenen Selbst dient als Vorbild für die zu verwaltende Bevölkerung. Klarsichtigkeit und Ausgewogenheit sind diejenigen Eigenschaften, die bei der Verwaltung zu Gleichbehandlung führen. Deutlich weist der Autor darauf hin, daß zu wenig Klarsicht Korruption mit sich bringt, während zu wenig Ausgewogenheit die Ursache für Unzufriedenheit ist, was speziell auf die Gerichtsbarkeit gemünzt ist. Dies und die zusätzliche Einhaltung der herrscherlichen Regierungsanordnungen führt zur Ordnung im Volk. Darüberhinaus findet sich im Mittelteil des Kapitels ein Exkurs über die Eigenschaften des Edlen, der Frieden bringen und mit seiner Lehre das Volk bereichern, Menschlichkeit und Rechtschaffenheit verkörpern sowie durch Sitten und Musik anleiten soll. Für den Autor des Zhongjing verkörpern die Gebietsverwalter zweierlei Positionen: einerseits sind sie eigenständige Verwalter eines Territoriums und müssen damit die Pflichten des Herrschers erfüllen, andererseits unterstehen sie aber einer höheren Instanz, dem Kaiser oder einem anderen übergeordneten Herrscher. Wenn man, wie vom Autor favorisiert, als Idealzeit die Zhou-Dynastie heranzieht, dann wären die Gebietsverwalter die Herzöge und Lehnsfürsten, die alle zumindest theoretisch einem Zhou-König unterstellt waren. Deshalb wird in diesem Kapitel sowohl auf die Pflichten des untergebenen Gebietsverwalters gegenüber seinem Fürsten hingewiesen als auch auf seine Verantwortung dem Volk gegenüber, das er wie seine Kinder behandeln soll.

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Das einfache Volk ist angewiesen auf die moralische Autorität des Herrschenden, von der wiederum Frieden, die Ausgewogenheit von Yin und Yang, Wind und Regen und die vier Jahreszeiten abhängen. Der Fürst schafft die Rahmenbedingungen für das Leben der Menschen und wenn die Bedingungen stimmen, dann können die Menschen ihre Pflicht tun, die darin besteht, die Gesetze einzuhalten, nach den Regeln der Kindespietät und Brüderlichkeit zu leben, ihre Felder zu bestellen und Steuern zu zahlen.

Zhongjing 6: „是故祗承君之法度, 行孝悌於其家. 服勤稼穡, 以供王賦, 此兆人之忠也.“

„Folglich [müssen] die Gesetze und Statuten des Fürsten respektvoll eingehalten werden und in der eigenen Familie [muß nach den Regeln der] Kindespietät und Brüderlichkeit gehandelt werden.

14 Hsiao, 1966, S. 507; Wang, 1999, S. 219-20; Ge, 1998, S. 108; Forke (1), 1964, S. 148 hat eine Übersetzung einiger Sätze des 4. Kapitels.

15 Hsiao, 1966, S. 507; Wang, 1999, S. 220; Ge, 1998, S. 108.

Bereitwillig [die Felder] säen und ernten und sich [dabei] plagen, um damit zu den Steuereinnahmen des Königs beizutragen; dies ist [nun] die Loyalität aller Menschen.“

Die Harmonie zwischen Fürst und Volk führt dazu, daß das Volk sich moralisch reformiert und dem Herrscher mit Loyalität dient.

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Kap. 2: 聖君 Der weise Fürst moralische Autorität des Fürsten Æ Fähige anstellen Æ Einflußnahme auf die Menschen Æ Gunst der Götter Æ Glanz der Ahnen

Kap. 3: 冢臣 Der herausragende Untertan loyaler Untertan Æ Dienst am Fürsten, notfalls bis zum Tod Æ Pläne vorbringen, dem Staat nützen Æ moralische Autorität des Fürsten steigern und seinen Glanz verbreiten

Kap. 4: 百工 Die hundert Ämter loyaler Beamter Æ Pläne vorbringen Æ Pflichterfüllung auch gegen Widerstände und als Privatmann Æ Nutzen für oben und unten Æ moralische Autorität des Fürsten zum Glänzen bringen

Kap. 5: 守宰 Die Gebietsverwalter loyale Gebietsverwalter Æ Klarsichtigkeit, Ausgewogenheit, Reinheit + Umsetzung der Regierungsanordnungen Æ das Volk durch Frieden, Reichtum, Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Sitten, Musik leiten Æ Ordnung im Volk und Liebe der Menschen Æ moralische Autorität des Fürsten verbreiten

Kap. 6: 兆人 Alle Menschen Fürst schafft Rahmenbedingungen Æ Volk lebt nach Gesetz, Kindespietät, Brüderlichkeit Æ Bestellen der Äcker, Steuern zahlen Æ Harmonie zwischen Fürst und Volk

Die Hierarchie, die das Zhongjing in diesen ersten fünf Kapiteln vermittelt, ist relativ einfach, genauso wie die Aufgabenverteilung: Oben steht der Fürst, dessen Hauptverantwortung es ist, moralische Autorität zu besitzen, um die richtigen Leute anzustellen. Hat er die Fähigen und Würdigen verpflichtet und erschöpfen diese ihre Loyalität gemäß der ihnen zugedachten Aufgaben, dann läuft alles wie von selbst, der Glanz der Regierung wird verbreitet und aufgrund dessen geben die Götter ihren Segen dazu. Jeder der Beteiligten, auch der Fürst, hat seinen persönlichen Anteil an der Gesamtloyalität, der sich nach seinen Pflichten richtet.

Letztlich läuft das System auf ein wechselseitiges Steigern der jeweiligen moralischen Fähigkeiten hinaus, wobei der Auslöser bei der moralischen Autorität des Fürsten liegt. Das Zhongjing vermittelt bis zu diesem Kapitel ausschließlich ein Idealbild eines harmonischen Staates und richtet einen Appell an alle, die in seiner Hierarchie dienen.

In den nächsten Kapiteln umreißt der Autor die Aufgaben des Fürsten konkreter in Bezug auf drei Teilbereiche: den administrativen, den militärischen und den zivilen Bereich.

Die Regierungsordnung wird in drei Qualitätsstufen unterteilt: An oberster Stelle steht Einflußnahme durch moralische Autorität, an mittlerer das richtige Handeln durch Regierungsanordnungen herbeizuführen, und an unterster Stelle findet sich die Verbesserung

16 Hsiao, 1966, S. 507; Niu, 1996, S. 30; Wang, 1999, S. 220-1.

durch Strafen. Die Begründung für diese Einteilung liegt in der Wirkung der jeweiligen Maßnahme: Beeinflussung ist langanhaltend und dauerhaft, das gute Beispiel ändert die Menschen zum Besseren, ohne daß sie es überhaupt wahrhaben. Regierungsanordnungen ändern das Handeln der Menschen, indem sie sie zur Anstrengung bringen; trotzdem könnte der Wunsch nach einem Beenden des Handelns entstehen – da es sich aber um eine Anordnung handelt, dürfen die Leute nicht damit aufhören. Strafen bedingen ausschließlich Zwang, sie erzeugen Furcht und es ist nicht die veränderte Gesinnung, die die Leute zum richtigen Handeln bringt, sondern nur die Angst vor Repressalien. Wichtig ist es, die einzelnen Qualitätsstufen fein aufeinander abzustimmen. Die moralische Autorität des Fürsten ist der wichtigste Aspekt. Sie muß von größter Güte sein, weil sein positiver Einfluß sonst keine Wirkung zeigt, sondern sich verläuft. Wenn die Regierungsanordnungen nicht klar und einfach gehalten sind, dann wird sie keiner befolgen, sei es, weil die Ausführung zu kompliziert ist, sei es, weil keiner ihren Sinn versteht. Deshalb müssen sie immer wieder überprüft und verbessert werden. Wenn die Strafen überhand nehmen, dann werden sie entweder nicht mehr ernst genommen oder ersticken jegliche Aktivität im Keim; deshalb muß man im richtigen Moment die richtigen Maßnahmen ergreifen und die Anwendung der Strafen sorgfältig überprüfen.

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Der zweite Bereich im Staat betrifft das Militär. Grundsätzlich ist ein tüchtiges und vorbereitetes Heer notwendig zur Abschreckung nach außen.

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Zhongjing 8: „王者立武, 以威四方, 安萬人也.“

„Der Herrschende baut seine Kriegstüchtigkeit auf, um sich in den vier [Himmels]richtungen Respekt zu verschaffen und die zehntausend Menschen zu befrieden.“

Das Ziel des moralischen Herrschers darf es aber nicht sein, durch Strafexpeditionen sich Vorteile zu verschaffen, geschweige denn Angriffskriege zu führen. Vielmehr ist sein oberstes Gebot die Verbreitung von Frieden, mit dem Ziel, daß dieser alle angrenzenden Völker soweit

17 Hsiao, 1966, S. 507.

18 Hartman, 1986, S. 122: „The almost universal acclaim for the examination system as a major stimulus to the growth of T’ang literature should not becloud the fact that this growth came at the expense of those martial qualities that had been so important to the early T’ang spirit. There was throughout the course of the dynasty a steady shift in emphasis among officials of the central government from martial (wu) to literary (wen) values.“ Siehe dazu Fairbank, 1974, S. 8-9, der dieselbe Meinung für die gesamte chinesische Geschichte nach der Han-Zeit vertritt: „It also followed that expansion through wen, the arts of peace and especially the sagehood of the ruler, was natural and proper; whereas expansion by wu, brute force and conquest, was never to be condoned.“ Handelt es sich hier und in Kap. 11 des Zhongjing („化行文被, 夷服武偃.“ „Wird Einfluß auf den Lebenswandel [genommen], dann ist Kultivierung wie [übergeworfene] Kleidung, haben sich die Yi-[Barbaren]

unterworfen, werden die militärischen [Aktionen] aufhören“) möglicherweise um eine Aufforderung an die Adresse der Tang-Herrscher, das Verhältnis von wu und wen wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen?

durchdringt, daß sie sich freiwillig unterwerfen, um Anteil an der moralischen Autorität des Fürsten haben zu können.

Dazu muß die Armee vorbildhaft vorbereitet werden, was sich gemäß des Zhongjing mithilfe von sechs Eigenschaften bzw. Methoden bewerkstelligen läßt:

Menschlichkeit, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihnen das Leben zu erleichtern;

Rechtschaffenheit, die durch eigene Leidenschaft zu ermutigen und anzufeuern weiß; Riten, um Regeln und Anleitungen zu schaffen und eine hierarchische Reihenfolge einzuteilen;

Vertrauenswürdigkeit, um bei allen Handlungen gegenseitige Verläßlichkeit zu ermöglichen;

Belohnungen, um einen Anreiz zu bieten; Strafen, um Achtung und Respekt zu erwirken.

Zhongjing 8: „仁以懷之. 撫其疾苦. 使之咸懷. 義以厲之. 示其慷慨. 使其激勸. 禮以訓之. 明其節制.

使之有序. 信以行之. 審其遠近. 使之有序19. [使之必行.] 賞以勸之. 懸其爵賞. 使之慕功. 刑以嚴之.

威其鈇鉞. 使之懼罪. 行此六者. 謂之有利. 六者竝用. 闕則失之. 故晉將用師, 子犯曰未知信之類, 是也.“

„[Der Herrscher braucht:] Menschlichkeit, um sie zu hegen. Er [muß] ihre Krankheiten und Bitternisse lindern und ihnen umfassende Pflege zukommen lassen. Rechtschaffenheit, um sie zu disziplinieren. Er [muß] Leidenschaft und Inbrunst beweisen und [für] seine Ermunterung und Ermutigung nutzen. Riten, um sie anzuleiten. Er [muß] ihnen Einteilung und Regeln deutlich machen und sie dazu bringen, eine Reihenfolge einzuhalten. Vertrauenswürdigkeit, um sie zum Handeln [zu bewegen]. Er [muß] das Ferne und Nahe untersuchen und sie dazu bringen, eine Reihenfolge einzuhalten. Belohnungen, um sie zu ermutigen. Er [muß] ihnen Würden als Belohnung in Aussicht stellen, um den Wunsch nach Verdienst in ihnen zu erwecken. Strafen, um ihnen Respekt einzuflößen. Er [muß] ihnen Achtung vor Beilen und Streitäxten beibringen und ihnen Furcht vor Verbrechen einflößen. Handelt er [gemäß] dieser sechs Punkte, [dann] bedeutet das Erfolg für ihn. Die sechs Punkte [müssen] gemeinsam angewandt werden;

[bleiben] Defizite, wird er verlieren. Folglich sagte Zi Fan, als Jin die Armee einsetzen [wollte]: „Sie kennen noch nicht die Vertrauenswürdigkeit“ und dergleichen. Genau so ist es.“

Wenn alle Soldaten den Anweisungen folgen, dann wird die Armee Erfolg haben. Eine vorbereitete Armee muß nicht benutzt werden, eine nichtvorbereitete Armee kann aber in einem Ernstfall niemals genutzt werden.

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Der letzte Bereich im Staat, um den sich der Fürst zu kümmern hat, ist der zivile Bereich. Um die Kontrolle über diesen Bereich zu behalten und den Beamtenapparat auf seine Bedürfnisse hin auszurichten, sollte der Herrscher verläßliche Beamte entsenden, die ihn über die Bräuche und Zustände im Reich unterrichten können. Diese Gesandten fungieren als Augen und Ohren des Herrschers und es ist essentiell, daß der Gesandte versteht, was er hört und durchschaut, was er sieht, sonst sind diese Berichte verzerrt. Der Fürst soll möglichst unvoreingenommen an diese Berichte herangehen und versuchen mit ihrer Hilfe die Ordnungen und Angelegenheiten des Reiches zu erkennen, um Loyalitäten und Parteienbildung wahrzunehmen. Dazu muß er sich von eigenen schlechten Eigenschaften freimachen: Es gilt,

19 Baizi quanshu hat shi zhi bi xing 使之必行, „und sie dazu bringen, unbedingt [danach] zu handeln.“. Im obigen Text handelt es sich wahrscheinlich um einen Übertragungsfehler, da sich die Stellen hier jeweils stark ähneln.

20 Forke (1), 1964, S. 147-8 hat eine Übersetzung einiger Sätze des 8. Kapitels.

sich von Eigennutz zu befreien und die Haltung aufzurichten, die naturgegebene Ordnung zu bewahren, sich nicht von Einflußnahme abschrecken zu lassen und nur dem Guten zu folgen.

Solchermaßen sorgt der Fürst für allgemeine Gerechtigkeit. Wird dies so angewandt, dann hat der, der im Amt aufsteigt, Erfolg, und wer in die Provinz auszieht, muß sich keine Sorgen machen. Alle Ämter werden dementsprechend mit der nötigen Ehrerbietigkeit ausgeübt und Frieden breitet sich im Land aus.

Kap. 7: 政理 Regierungsordnung A: Einfluß durch moralische Autorität gewinnen Æ allumfassend und beständig B: Richtiges Handeln durch Regierungsanordnungen Æ einfache, sinnvolle Anweisungen

C: Verbesserung durch Strafen Æ sparsamer, maßvoller Einsatz Abstimmung der drei Methoden Æ Ordnung der Menschen Kap. 8: 武備 Militärische

Vorbereitungen

A: Menschlichkeit, um sie zu pflegen.

B: Rechtschaffenheit, um sie zu disziplinieren.

C: Riten, um sie anzuleiten.

D: Vertrauenswürdigkeit, um sie zum Handeln [zu bewegen].

E: Belohnungen, um sie zu ermutigen.

F: Strafen, um ihnen Respekt einzuflößen.

Sechs Methoden, gemeinsam angewandt Æ Erfolg bei militärischen Unternehmungen Kap. 9: 觀風 Die Gebräuche

beobachten

A: Eigensucht aufgeben + Haltung aufrichten Æ Egoismus + Übles bleiben fern B: Ordnung nicht zerstören + Dinge nicht verletzen Æ verkrustete Strukturen werden aufgebrochen

C: Nicht vor Einfluß[reichen] zurückschrecken Æ Posten aufgrund von Talent besetzen D: Gutes geben + Übles beseitigen Æ Gutem zuraten, Schlechtes verwerfen

Verwirklichung der vier Punkte Æ Ausübung der Ämter mit Ehrerbietigkeit

Im Anschluß an die Fürstenkapitel steht ein Kapitel, das sich thematisch weder zu den Fürstenkapiteln noch zu den nachfolgenden Kapiteln, die das Verhältnis zwischen Fürst und Untertan beschreiben, zählen läßt, und es bildet die Mitte des Zhongjing. Inhaltlich beschäftigt es sich mit der Kindespietät.

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Es gibt zwei Gründe, warum es sich an dieser zentralen Stelle befindet: Der erste ist, daß die Kindespietät eine Eigenschaft ist, die sowohl für den Fürsten als auch für die Untertanen zu gelten hat. Deshalb würde sich die Thematik als Überleitung zwischen den beiden Kapitelgruppen anbieten. Der zweite Grund ist wesentlich banaler, aber wahrscheinlich der ausschlaggebende: Auch im Xiaojing ist das zehnte Kapitel eines, das sich in speziellem Maße mit der Kindespietät beschäftigt: 紀 孝 行 „Pietätvolles Verhalten aufzeichnen“. Wie der nächste Abschnitt der Untersuchung des Zhongjing zeigen wird, folgt das Zhongjing im Aufbau relativ streng dem Xiaojing.

21 Lee, 1990, S. 130 hat eine Übersetzung einiger Sätze des 10. Kapitels.

Im Dokument Zhong 忠 und das Zhongjing 忠經 (Seite 100-116)