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Die Wortfolge bei kroatischen und serbischen

Wenden wir uns jetzt der Frage zu, welche Auffassungen über die Wortfolge sich bei den muttersprachlichen Linguisten entwickelten. Für das Kroatische läßt sich allgemein eine lange Tradition der Grammatikschreibung und des grammatischen Denkens feststellen. Vor fast 400 Jahren wurden die ersten kroatischen Grammatiken und Wörterbücher geschrieben. Über die Wortfolge wurde allerdings im Kroatischen kaum g e a r b e ite t.A u c h die

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meisten Grammatiken des 20. Jh. tradieren, außer einigen wenigen Anderun- gen und Zusätzen, die herkömmlichen Erkenntnisse und versuchen nicht, die Theorien der modernen Linguistik zur Anwendung zu bringen. Erst seit den 1960er Jahren wurde allmählich durch Wissenschaftler wie Jonke, Katicic^*

und andere־’ das Theoriegebäude der Prager Schule, und später auch die Generative Transformationsgrammatik, allerdings nur in Ansätzen und sehr frei inteф retiert, aufgegriffen. Auf das Serbische wurde in den letzten Jahren sogar das Modell der Dependenzgrammatik anzuwenden versucht.

Die schon immer zögerliche Übernahme theoretischer Erkenntnisse durch kroatische und serbische Grammatiker wird im Verlaufe des 20. Jh.

immer deutlicher, der Rückstand hinter der rasch fortschreitenden theoreti- sehen Linguistik immer größer. Nach Tafra blieben die kroatischen Gramma- tiken hauptsächlich im Rahmen der traditionellen Schulgrammatik stehen;

ihre Darstellung von Phonetik, Wortarten in der Morphologie und Syntax

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basierte auf dem Kanon der griechisch-lateinischen Grammatikkunde.^* Als Ausdruck dieser Beharrung findet sich in der gesamten grammatischen Lite- ratur zur Wortfolge die notorische Behauptung, das Kroatische und das Ser- bische als südslavische Sprachen verfügten über eine freie W ortfolge.”

Zwar ist die Wortfolge in der Tat weitaus freier als in Sprachen mit einer

‘festen’ Stellung, aber auch hier genießen manche Satzelemente nur eine

‘begrenzte Freiheit’. Von einer gänzlich ‘freien’ Stellung kann nicht die Rede sein.

Das fiir die Untersuchungen zur Wortfolge herangezogene Material ver- festigte die einseitige Auffassung von der freien Stellung weiter. Wurden am Anfang meistens Texte der Volksliteratur benützt, so beschränkte man sich später vorwiegend auf die Auswertung von Belletristik. Der Versuch, ein ob- jektiveres Bild durch die Untersuchung unterschiedlicher Textarten zu gewin- nen, wurde nicht unternommen. Einseitige und oft auch falsche Ergebnisse waren die Folge.“

Mit dem Illyrismus setzte eine Phase intensiverer Auseinandersetzung mit der kroatischen Sprache ein: Grammatiken wurden vermehrt geschrieben und insgesamt wurde eine Systematisierung und Standardisierung der Sprache angestrebt. Diese Periode fand im wesentlichen mit dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. ihr Ende (mehr darüber wird im Kapitel über die Stan- dardisierung des Kroatischen zu sagen sein).

Die hier unternommene Übersicht beginnt mit der Darstellung eben die- ser für die Standardisierung des Kroatischen äußerst wichtigen Periode. In der Tat hat der Illyrismus Grammatiken in so großer Zahl (mehr als in der gesamten vorausgehenden Zeit oder im 20. Jh.) hervorgebracht, als hätte

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“ TA FR A (1993, 10).

Siehe Tabellen la-Ic.

״ Eines ist aber charakteristisch für alle drei Phasen. M an untersuchte die W ortstellung auf Grund von Texten aus d er schöngeistigen Literatur oder (in der älteren Phase) der Volkspoesie.

( ...) Obwohl diese Forderung [daß die Standardsprache, die Sprache der Gebildeten insgesam t analysiert werden soll; Anm. L j.R .] gestellt wurde und heute überall in der W elt fiir diese Zw ecke nur die Standardsprache beschrieben w ird, haftet man in d er Forschung noch im m er an der alten Tradition, und die meisten neueren Arbeiten der Linguistik befassen sich doch noch im m er ausschließlich mit der schöngeistigen Literatur. Die Schlüsse, die aus solchen Analysen gezogen wurden, können nicht als eine Norm begründend angesehen w erd en .“ (M R A Z 0V 1Č , 1982, 130: ״ Pogrešno je dakle izvoditi zakljucke samo na analizi tekstova jedne vrste, j e r se m o ie doći do jednostranih i nepotpunih zaključaka.“ (JO N K E, 1965, 168).Ljiljana Reinkowski - 9783954790364

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jed er Intellektuelle jener Zeit sich zur Frage der Sprache äußern wollen. Zu den bedeutendsten Autoren dieser Zeit zählen V. Babukié, A. Mažuranič und A. W e b e r .V o n Mažuranič wird nur im Kapitel über die Enklitika die Rede sein, da er sich nicht mit Syntax und Wortfolge beschäftigt hat.

Babukić darf als der Sprachkodifikator des Illyrismus gelten. Die Mehr- zahl der zu dieser Zeit erschienenen Grammatiken entstanden unter dem Ein- fluß der ersten Grammatik von Babukić.^־ Seine Ilirska siovnica aus dem Jahr 1854” beinhaltet, im Unterschied zu seinen anderen Grammatikwer- ken, auch einen Teil über die Syntax. Am Ende des ersten Abschnitts über den einfachen Satz kommt er auf die Wortfolge zu sprechen. Babukić unter- scheidet für den einfachen Satz zwischen Aussage-, Frage-, Optativ- (po- zjudna) und Imperativsatz (zapovjedna), wobei in seiner Wahrnehmung die Wortfolge von der Art des Satzes abhängig ist. Die korrekte Wortfolge (iz- pravni rëcoslëd) ist ihm zufolge diejenige, bei der an erster Stelle das Sub- jekt, an zweiter das Aussagewort (izréaca) und an dritter Stelle das ‘Ausge-

sagte’ (izrecenó) steht.

Babukić versucht eine Kompromißlösung, indem er Kategorien der funktionalen Satzperspektive einführt: izrečeno und izrečica als semantische

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Äquivalente für Rhema׳, anstelle von Thema aber beläßt er das Subjekt als grammatische K a te g o rie .S o m it spricht Babukić eigentlich über die Stel- lung des Subjekts und das Rhema. Neben der korrekten Folge (izpravni red) existiere auch die invertierte Wortfolge (preobratjeni rëcoslëd), die man ver- wende, wenn ein Teil des Satzes betont werden solle.” Nach Babukićs Auf- fassung verfügt die Wortfolge im Kroatischen über eine große Freiheit, die für die poetische Sprache eine besonders geeignete Struktur zur Verfügung

Der N am e des Sprachw issenschaftlers W eber taucht in der Literatur auch als ‘V eber’ oder in der kroatischen V ariante ‘T kalcevic’ auf. Der Fall, daß jem and seinen Familiennamen selbst kroatisierte, kam dam als öfters vor. In dieser Arbeit wird der Variante ‘W eber’ d er Vorzug gegeben.

’־ TAFRA (1993,10).

” ״ ‘Ilirska siovnica’ iz 1854. prvi je pokušaj cjelovite znanstvene gram atike и H rvata, s

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stellt. Jachnów, der sich insbesondere mit den kroatischen und den serbischen Grammatiken des 17., 18. und 19. Jh. beschäftigt hat, schreibt Babukić eine bedeutende Rolle zu:

״ Bis ins frühe 19. Jahrhundert begegnen wir einer mechanistischen Auf- fassung des Satzes, nach der dieser eine sprachliche Einheit ist, die sich aus einer (linear) geordneten Menge von W örtern zusammensetzt, die wiederum als Konstituente des Textes aufgefaßt werden kann (so bei Glubuschi (1742)). Danach taucht ein psychologisch orientiertes Satzver- ständnis auf, das den Satz als Träger eines abgeschlossenen Gedankens sieht. Dieses Verständnis bleibt während des 19. Jahrhunderts dominie- rend, ist aber nicht absolut. Kriztianovich (1837) vertritt einen kommuni- kativen Satzbegriff (Satz als zusammenhängende Rede) und W eber (1859) betont den Fragmentaritätscharakter des Satzes als Bestandteil eines um- fassenderen Textes, d.h. er stellt damit die Eigenständigkeit der kommu- nikativen Einheit ‘Satz’ in Frage. Nach Divkovié (1879) ist der Satz aus dem Blickwinkel der logischen Syntax ein Urteil. Besondere Erwähnung verdient Babukić (1854), der mit seinem Hinweis darauf, daß der Satz der wichtigste Gegenstand der Grammatik sei, scharf mit der üblichen Morphologieorientierung der zeitgenössischen Grammatik bricht. [Her- aushebung L j.R ].““

Weber, der als der Hauptvertreter der sogenannten Zagreber philologi- sehen Schule gilt, hat in seiner Grammatik der Wortfolge relativ viel Platz eingeräumt. Die kroatische Sprache beschreibt er als Sprache mit ft־eier Wortfolge und unterscheidet dabei zwischen einer ‘natürlichen’ (naravni) und einer ‘künstlichen’ (umétni) Wortstellung. ‘Natürlich’ ist diejenige Wortstel- lung, die die Entstehung eines Gedankenganges reflektiert, während die

‘künstliche’ einen Gedanken expressiver auszudrücken versucht oder eine stilistische Prägung ermöglicht.” Die Struktur des Satzes versucht Weber dahingehend zu definieren, in welchem Verhältnis die anderen Satzelemente zu Subjekt und Prädikat stehen, sowohl bei der ‘natürlichen’ als auch bei der

‘künstlichen’ Wortfolge. Weber beschäftigt sich auch ausführlich mit den möglichen Stellungen der Enklitika und beschreibt sie als Satzelemente mit einer festen Stellung - eine Auffassung, die nach ihm die meisten anderen Grammatiker ebenfalls pflegen werden. Gerade die von W eber aufgestellten Regeln werden eine sehr wichtige Rolle in der späteren Auffassung von der

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ג* JA CH NÓ W (1991, 73).

” W EBER (1862, 148). Ljiljana Reinkowski - 9783954790364

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Stellung der Enklitika im Satz und überhaupt in der Standardisierung der kroatischen Sprache spielen. Davon wird später noch die Rede sein müssen.

1.2.1.2 Zwei Leitfíguren der traditionellen Grammatik:

Djordjevié und Maretić

Die Forschungssituation im und zum Serbischen kann mit folgender Aussage von Jachnów eingeleitet werden: ״ Insgesamt korrespondiert das Spektrum des Satzbegriffes in der serbischen Grammatikschreibung in hohem Maße mit dem der kroatischen“ .^® Der erste Linguist, der sich mit der Wortfolge im Serbischen beschäftigte, war P. Djordjevic. Er hat diesem Teil der Syntax viel Aufmerksamkeit gewidmet und auch versucht, die Wortfolge, au f der Grundlage der damals aktuellen linguistischen Theorien, eingehend im Rahmen einer Monographie zu bearbeiten.^’ Generell beschreibt Djordje- vie die serbische Sprache als eine Sprache mit freier Wortfolge, wobei diese aber keineswegs als Unordnung zu verstehen sei.'‘® Djordjevic gehört zu den Linguisten, die eine Lösung in der Verbindung von Linguistik und Psycholo- gie suchten, also auf den theoretischen Arbeiten von Hermann Paul aufbau- ten.“" So sieht er den Satz einerseits von einem inneren, oder psychologi- sehen, und andererseits von einem äußeren, oder syntaktischen, Standpunkt bestimmt. Zuerst müsse man also erfassen, wie sich die Gedanken aneinan- derfugen, und danach, wie die W örter, als Materialisierung dieses Gedan- kens, aufeinanderfolgen. Die von zwei unterschiedlichen Betrachtungsebenen ausgehende Analyse der Wortfolge ist dem traditionellen Ansatz schon ein gutes Stück voraus und auch ein bemerkenswerter Versuch, neue Antworten auf alte, von der traditionellen Grammatik nicht beantwortete Fragen zu fin- den.^־ Gemäß Djordjevics psychologischer Betrachtungsweise werden die

’״ JA C H N Ó W (1991, 82).

״ ...d ie erste gründliche M onographie über die W ortfolge im serbischen S a tz ...“ (O N D RU S, 1957. 514).

DJORDJEVIC (1898, 171).

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W örter immer so organisiert, daß man den natürlichen Weg - vom Bekann- ten zum Unbekannten - geht. Möglich sei aber auch die ‘umgekehrte, unre- gelmäßige Stellung’ (obrnut, neredovan red), in der zuerst über das Neue und dann über das schon Bekannte gesprochen werde. Demnach müsse die regelmäßige grammatisch-psychologische Reihenfolge einerseits und die psy- chologisch-grammatische Inversion andererseits unterschieden werden. In die- sem Zusammenhang benutzt Djordjevié die Termini ‘grammatisches Subjekt’

und ‘grammatisches Objekt’ und führt zusätzlich die neuen Termini bakva und meta ili cilj ein, ״die den Termini Thema und Rhema entsprechen“ .“^

Eine entscheidende Rolle in der Positionierung der W örter spielt der Satzak- zent, da er uns sagt, ob es sich um eine regelmäßige oder inverse Reihenfol- ge handelt. Die regelmäßige Akzentuierung, hier obično, slabije, gramatičko genannt, ist demnach diejenige, die am Satzende aufscheint. Sie entspricht der regelmäßigen psychologischen Reihenfolge. Die stärkere und rhetorische Akzentuierung am Satzanfang entspricht der psychologischen Inversion, ohne Rücksicht auf die grammatische Wortfolge. Die Hervorhebung ist somit am deutlichsten, wenn die psychologische Inversion mit der grammatischen über- einstimmt.““ Im zweiten Teil seiner Arbeit beschäftigt sich Djordjevié aus- führlicher mit der syntaktischen Seite der ‘traditionellen’ Wortfolge, und zwar unter den vier Gesichtspunkten“* des (a) prädikativen, (b) attributiven, (c) konstruktiven und (d) kopulativen Verhältnisses der Wörter innerhalb des Satzes. Der prädikative Gesichtspunkt untersucht, in welchem Verhältnis das Subjekt zum Prädikat steht, der attributive beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Adjektiven und Substantiv, der konstruktive mit dem Verhältnis zwischen Verbergänzungen (direktes und indirektes Objekt und Adverb) und

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doppelte Betrachtungsweise nicht beachtet haben.“ (M R A ZO V IČ , 1982, 16). Im U nterschied zu M razovié haben manche Linguisten Djordjevié auch kritisiert - siehe dazu in Fußnote 46 die Be- merkungen von Ondrus.

‘י M RAZOVIČ (1982, 15).

^ D J0R D JEV 1Č (1898, 185).

** Djordjevié nim mt hier Delbrück (Altindische Syntax, 1888, 15-16) als Vorbild und versucht,

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dessen Regeln a u f die serbische Sprache zu übertragen. Eines ״ einfacheren Ü berblicks“ wegen reduziert e r £>elbrücks sieben Regeln au f vier (prädikativ, attributiv, konstruktiv und kopulativ).

״ Ispitujući spomenuti konstruktivni odnoSaj, tj. odnošaj s predikativnim dopunam a, Djordjevié je za starije doba jezika о položaju objekta došao do istih rezultātā kao i D elbrück, tj. objekt и tradicionalnom redu riječi stoji ispred predikata ( ...) ^ danas je redovno i jedno i drugo: i predi•

kat ispred objekta i objekt ispred predikata.“ (JO N K E, 1965, 168).Ljiljana Reinkowski - 9783954790364

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Verb. Die kopulative Regel gibt schließlich Auskunft über Konjunktionen, Präpositionen, Verbkopula und Relativpronomina. In diesem letzten Teil des Regelwerkes werden auch die Enklitika und ihre Satzstellung ausführlich bearbeitet.

(a) prädikativ: Für die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt ist die A rt des Satzes entscheidend. Die Wortfolge ist demnach im interrogativen, imperativen und Optativen Satz jeweils unterschiedlich. Djordevic schließt daraus allgemein, daß die Folge Subjekt-Prädikat dreimal häufiger vorkommt als die Folge Prädikat-Subjekt, so wie es auch in der ursprünglichen indo- europäischen Sprache der Fall war.

(b) attributiv: Ob das Attribut vor oder nach dem Substantiv steht, wird vom Satzakzent bestimmt. Das Possessivadjektiv steht aber hinter dem Sub- jekt, laut Djordjevic eine Erscheinung der modernen Sprache.

(c) konstruktiv: Das konstruktive Verhältnis sei wegen der zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten am schwersten zu fassen. Trotzdem könne be- obachtet werden, daß nunmehr (also zu Djordjevics Zeit) die Stellungen 0 -P und P-O gleichmäßig vorkämen, während früher nur die Stellung 0 -P exi- stierte. (Zu (d) mehr im nächsten Kapitel).

Djordjevic hat, wie damals üblich, für seine Untersuchung die volks- tümlichen Sprichwörter, Redewendungen und Vuk Karadžičs Texte benützt.

Die Analyse eines solchen Sprachk0ф u s hat zu Ergebnissen geführt, die für das Serbische nicht als objektiv und allgemein gültig betrachtet werden kön- nen."**

Auf kroatischer Seite war zu gleicher Zeit Tomo Maretić der bedeu- tendste und einflußreichste Sprachwissenschaftler. Obwohl ihm zufolge die Satzanalyse keine besondere Aufmerksamkeit verdient,‘*^ hat seine Syntax

“ ״ Eine andere Sache ist allerdings die Frage, inwieweit P.P. Djordjevic das Studium des Satzes im Hinblick a u f die W ortfolge gelungen ist. Es muß gleich gesagt werden, daß ihm das nicht in vollem Umfange geglückt ist, und zw ar aus m ehreren Gründen. Bei Lösung des Verhältnisses zwischen der psychologischen und der syntaktischen G liedem ng des Satzes w ar er zw ar au f dem richtigen W ege, aber e r verschloß sich dadurch, daß e r die Sprichw örter und Redensarten als ur-

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und darunter seine Beschreibung der Wortfolge eine bedeutende Rolle in der weiteren Entwicklung der kroatischen Gramniatikschreibung gespielt. Mit oder auf Grundlage dieser Grammatik wurden ganze Generationen geschult.

Zugleich hat sie die Vereinheitlichung und Standardisierung des Kroatischen und des Serbischen entscheidend beeinflußt. Gerade aus diesem Grund wird Maretié übrigens in den letzten Jahren heftig kritisiert. Am deutlichsten wird der Einfluß von Maretić bei der Frage der Enklitika und der Standardisierung des Kroatischen. Im Gegensatz zu Djordjevié bleibt Maretić in seiner Deu- tung der Wortfolge dem traditionellen Ansatz treu. Die Wortfolge im Kroa- tischen sei ‘ziemlich frei’, und sichere Regeln könnten nur für die Stellung von Verben, Präpositionen und Enklitika gegeben werden.‘‘® Er unterschei- det grammatische und rhetorische Wortfolge. In der grammatischen Wortfol- ge scheinen die Wörter so auf, wie ״ wie sie uns in den Sinn kommen“ (kako nam na pamet dolaze), und es wird nicht versucht, einen Teil besonders zu betonen. Die rhetorische Wortfolge hebt im Gegensatz dazu einen Satzteil heraus, in dem sie ihn an die exponierten Stellungen des Satzanfangs und - endes verschiebt. Diese Positionen sind aber nicht die allein entscheidenden, weil manche Wörter durch den Satzakzent zusätzlich betont werden können.

Maretić zieht daraus den Schluß, daß es für die rhetorische Wortfolge keine festen Regeln geben kann, und vertieft deswegen auch nicht seine Analy- se.“*’ Als Untersuchungsmaterial hat Maretić vorwiegend Texte aus der Volksliteratur herangezogen und ist dadurch wie Djordjevié zu einseitigen und heute nicht mehr gültigen Ergebnissen gekommen.

1.2.1.3 Die Fortsetzung un d V erfestigung des traditionellen Regelwerks

Die anderen kroatischen Grammatiker in der ersten Hälfte des 20. Jh.

gehen in ihrer Beschreibung der Wortfolge im Kroatischen und im Serbi- sehen nicht weiter, d.h. sie bleiben dem traditionellen Ansatz treu und he- dienen sich mehr oder weniger der schon bekannten Terminologie und des zugrundeliegenden theoretischen Verständnisses. In chronologischer

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nepotrebna, ne može и ovoj knjizi biti m jesta.“ (M A R ETIĆ, ’ 1963, 421).

♦*Ibid., 453.

‘י Ibid. 454. Ljiljana Reinkowski - 9783954790364

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follge sollte zuerst Florschütz erwähnt werden, der zur Wortfolge (wie üblich) sagt, daß sie ״ allgemein ziemlich frei“ sei.^° Er unterscheidet zwischen einer ‘regelmäßigen’ (redovan) bzw. ‘grammatischen’ (gramatički) und einer

‘uimgekehrten’ (obrnut) bzw. ‘rhetorischen’ (govornički) Wortfolge.

Rešetar ist einer der Linguisten, die eine Kroatisch-Grammatik für Aus- länder zu verfassen unternommen haben. Aus diesem Grund bemüht er sich, die Wortfolge kontrastiv zu beschreiben, aber schon seine erste Bemerkung ist recht oberflächlich: ״ Die Wortfolge im Serbokroatischen ist im großen un<d ganzen dieselbe wie in allen modernen Sprachen, doch freier als im Deutschen, da sie die gebundene Stellung des Verbums nicht kennt“ .*' Rešetar erwähnt keinen Unterschied zwischen normaler und invertierter Wortfolge und versucht auch nicht zu beschreiben, wo bestimmte Satzele- mente im Satz gewöhnlich zum Stehen kommen. In seiner Beschreibung der Wortfolge im Kroatischen widmet er den meisten Raum den Enklitika und ihrer Stellung, so daß auch hier der Eindruck entsteht, als ob die Problematik von Wortfolge und Enklitika dieselbe sei.

Meillet und Vaillant haben ebenfalls eine Grammatik für Ausländer ver- faßt. Allerdings sind sie selbst Nichtmuttersprachler und haben daher die Chance, die Sprache aus einem anderen Winkel zu betrachten. Die Wortfolge wird von ihnen als ״ nicht streng“ beschrieben:*־ Das Subjekt steht meistens vor dem Verb, dem die Verbkomplemente (VK) folgen, also S-V-VK. Ande- re Arten der Wortfolge sind aber auch möglich: S-VK-V, V-S-VK, VK—

V-S.*^ Meillet und Vaillant weisen zudem daraufhin, daß die Literaturspra- che ihren eigenen rhythmischen Gesetzen unterliege und deswegen auch die Wortfolge verschieden sei. Damit wird zum ersten Mal in einer Grammatik des Serbokroatischen auf den Unterschied zwischen verschiedenen funktiona- len Stilen hingewiesen. Die Grammatik unterscheidet sogar zwischen der

*0 FLORSCHÜTZ (M940, 7).

*י REŠETAR (M959. 111).

״ La flexion est riche, mais elle n ’est pas com plètem ent poursuivie; il y a beaucoup de formes

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‘Belgrader’ und ‘anderen’ Sprachen, und zwar gerade im Hinblick auf die Enklitika. Diese Abweichungen können nach Meillet und Vaillant als Beleg für den Unterschied zwischen der kroatischen und der serbischen Sprache überhaupt aufgefaßt werden.

In der Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis 1990 wurden in Kroatien nur

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wenige neue Grammatiken geschrieben (Brabec, Hraste, Zivkovic; Težak- Babic; Katičič; Barié et al.), die aber alle mehrere Ausgaben erlebten. Die ersten beiden unterscheiden sich bei der Darstellung der Wortfolge kaum, während Katičič und Barié et al., gestützt auf die Erkenntnisse der Prager Schule und ansatzweise der Generativen Transformationsgrammatik, die Fragestellung der Wortfolge neu aufzurollen versuchen. Auch nach 1990, dem Beginn der Eigenstaatlichkeit Kroatiens und der Deklarierung seiner kul- turellen Unabhängigkeit, hat sich die Lage der kroatischen Linguistik kaum verbessert.^ Nur eine einzige neue Grammatik wurde verfaßt, die allerdings von sich selber behauptet, sie beinhalte Elemente einer deskriptiven und funktionalen Grammatik und zeige viele Neuigkeiten im Vergleich zu den bisherigen Grammatiken.^^

Brabec, Hraste und Zivkovié (fortan; BHZ) beschäftigen sich in ihrer Grammatik nicht sonderlich eingehend mit der Wortfolge. Die Hälfte der Darstellung ist den Enklitika gewidmet, so daß diese eigentlich zum zentralen Gegenstand der Wortfolge werden. Zwar wird nicht ausgeführt, wie es sich mit der Wortfolge im Kroatischen allgemein verhält; es heißt aber, einerseits kämen die Wörter im Satz nicht zufällig nebeneinander zu stehen, sondern ordneten sich nach den Regeln der Wortfolge, andererseits sei die Wortfolge in den Aussagesätzen sehr frei.** Die Wortfolge ist demnach von der Art der Sätze abhängig. Diese Auffassung konnten wir schon vorher bei Babukié

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^ ״ Kad je rijec о gramatickom opisu, treba naprije priznati da nam sadašnji gram aticki prim e- nici kvalitativno zaostaju Čak i za prošlostoljetnima (da spom enem o npr. sam o M areticevu Gramatiku iz 1899. od kője još uvijek nije napisana boíja). U strojstvo hrvatskoga jezika и mno-

^ ״ Kad je rijec о gramatickom opisu, treba naprije priznati da nam sadašnji gram aticki prim e- nici kvalitativno zaostaju Čak i za prošlostoljetnima (da spom enem o npr. sam o M areticevu Gramatiku iz 1899. od kője još uvijek nije napisana boíja). U strojstvo hrvatskoga jezika и mno-