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Wirtschaftlichkeit als kollidierendes Verfassungsrecht? 61

Teil 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

A. Verletzung der individuellen Wissenschaftsfreiheit

III. Eingriffsrechtfertigung

2. Wirtschaftlichkeit als kollidierendes Verfassungsrecht? 61

Möglicherweise ließe sich damit argumentieren, dass die Hochschule, die eine Kooperationsbeziehung zur Industrie oder einer fördernden Indust-riestiftung eingeht, letztlich die Wirtschaftlichkeit ihrer Haushaltsführung schützt und damit Mittel einspart, die anderweitig der freien Forschung und Lehre zur Verfügung stehen. Die abstrakte Wirtschaftlichkeit als sol-che ist kein kollidierender verfassungsrechtlisol-cher Belang, der eine inhalt-liche Steuerung der Wissenschaft rechtfertigen würde.215 Zwar begrenzen die verfügbaren Mittel von vornherein den praktischen Aktionsradius, frei gewählte Erkenntnisziele und Methoden in aktive Forschungstätigkeit umzusetzen. Eine Hochschule kann daher Forschungsvorhaben insoweit Grenzen ziehen, als die Freiheitsentfaltungsinteressen aller Mitglieder einer Hochschule, die jeweils durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt sind, mit knappen Ressourcen gleichermaßen befriedigt werden müssen und dies Verteilungsentscheidungen voraussetzt.216 Insoweit kann es durchaus gerechtfertigt sein, auf der Grundlage einer wissenschaftsad-äquaten Verteilungsentscheidung einzelne Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler darauf zu verweisen, zur Finanzierung von Projekten, die aus ihrer Grundausstattung nicht finanzierbar sind, Drittmittel einzuwerben.

Eine Hochschule kann aber einzelne Forschende nicht verpflichten, sich hierzu in Kooperationen zu begeben, in denen ihrerseits eine freie – selbstständige und unabhängige – Forschung nicht hinreichend gesichert ist. Namentlich sind knappe Mittel kein Rechtfertigungsgrund, eine wis-senschaftsinadäquate externe Einflussnahme auf Forschungsziele und Methoden zuzulassen. Anders gewendet: Ein Verzicht auf eine Koopera-tion, die die Wissenschaftsfreiheit gefährdet, mag zwar dazu führen, dass ein Projekt im Ergebnis überhaupt nicht zu verwirklichen ist. Die Hoch-schule trägt indes keine Verantwortung dafür, möglichst die Verfolgung jedes Forschungsinteresses finanzierbar zu machen; sie ist hingegen für die Bedingungen verantwortlich, unter denen finanzierte Forschung in ihrem Einflussbereich unabhängig und allein wissenschaftlichen Erkenntniszie-len verpflichtet bleibt. Im Ergebnis taugt daher das Argument der Wirt-schaftlichkeit einer Kooperation nicht dazu, vertragliche Eingriffe in die

217 Starck/Paulus, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. (2018), Art. 5 Rn. 488.

218 Gillich, WissR 50 (2017), 234 (253).

219 Oben Teil 1, A. I. 3. b) ee).

Wissenschaftsfreiheit der an einer kooperierenden Forschungseinrichtung Beschäftigten zu rechtfertigen.

3. Forschungsfreiheit des Leitungspersonals als Eingriffsrechtsfertigung?

Als kollidierendes Verfassungsrecht kommt möglicherweise die For-schungsfreiheit des wissenschaftlichen Leitungspersonals in Betracht, das eine Kooperation anstrebt, um hierüber Forschungsmöglichkeiten zu erlangen, die diesem anderenfalls in dieser Form und diesem Umfang verschlossen blieben. Die Entscheidung, im Rahmen eines Forschungsvor-habens mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu koope-rieren, ist zunächst von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt.217 Entsprechen-des gilt für die Kooperation mit Einrichtungen, die nicht originär freie Wissenschaft betreiben (z. B. ein forschendes Unternehmen), solange und soweit die Zusammenarbeit jedenfalls den beteiligten Hochschulforschen-den neue Freiräume für Forschung und Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eröffnet. Kooperationsvereinbarungen erweitern die Möglich-keiten der Forschenden, sich wissenschaftlich zu betätigen.218 Denn mit der Kooperation geht typischerweise ein erweiterter Zugriff auf finanzielle und personelle Ressourcen bzw. außeruniversitäre Forschungsinfrastruk-turen einher, die für freie Forschung und Lehre genutzt werden können.

Der Schutzbedarf für anwendungsbezogene Forschung wird besonders deutlich, wenn sich geeignete Anwendungsfelder zur Entwicklung und Erprobung von Vorhaben überhaupt erst eröffnen, wenn mit Unterneh-men kooperiert und deren Infrastruktur genutzt werden kann. Das Argu-ment, Forschung im Rahmen von Industriekooperationen sei nicht von der Wissenschaftsfreiheit geschützt, weil sie auf Verwertung, nicht auf Veröf-fentlichung gerichtet sei, greift – wie dargelegt219 – schon allgemein und erst recht im Fall des IMB nicht durch, das durch eine Wissenschaftsstif-tung gefördert wird, die von vornherein keine VerwerWissenschaftsstif-tungsrechte erlangt.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Wissenschafts-freiheit der Professorinnen und Professoren, die eine Forschungskoope-ration eingehen, um in diesem Rahmen ihre praktischen Forschungsmög-lichkeiten zu verbessern, von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt ist. Die Wissenschaftsfreiheit des Leitungspersonals käme daher abstrakt auch als kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht, um die dargestellten Grund-rechtseingriffe zu rechtfertigen.

220 Oben Teil 1, A. II. 2. b) bb).

221 Oben Teil 1, A. II. a) bb), c).

222 BVerfGE 49, 286 (298); 65, 1 (41); 108, 282 (300); Huber, Jura 1998, 505 (507);

Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz, 2000, S. 35 ff.; Lep-sius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, S. 61 f.; Lindner,

Konkret scheidet aber eine solche Rechtfertigung aus, und zwar aus fol-genden Gründen: Es ist erstens nicht erkennbar, inwiefern es zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit der Leitungsmitglieder des IMB erforderlich ist, die dargestellten weitreichenden Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit vorzunehmen. Freie Forschung und Lehre des Direktoriums hängt nicht davon ab, dass der Stiftung weitreichender Einfluss auf die Haushaltsfüh-rung, die Beschäftigungsbedingungen und die Öffentlichkeitskommunika-tion des IMB eingeräumt wird bzw. Veröffentlichungen von einer vorheri-gen Zustimmung abhängig gemacht werden. Im Gevorheri-genteil schmälert dies gerade auch die Forschungsfreiheit der Professorinnen und Professoren, die am IMB beschäftigt sind. Es wurde bereits dargelegt,220 dass freie For-schung und Lehre nicht nur individuelle Freiheit, sondern auch indisponi-ble Dienstpflicht der wissenschaftlichen Direktorinnen und Direktoren ist.

Kann hierauf schon nicht im Eigeninteresse verzichtet werden, lässt sich der Wunsch nach einer die Wissenschaftsfreiheit schmälernden Koopera-tion erst recht nicht als Argument nutzen, Eingriffe in die Grundrechte anderer (sprich: der wissenschaftlichen Beschäftigten) zu rechtfertigen.

Dass die Stiftung möglicherweise nicht bereit gewesen sein mag, zu ande-ren – wissenschaftsfreundlicheande-ren – Bedingungen zu kooperieren (was angesichts des späteren Einlenkens keineswegs gesichert erscheint), ändert hieran nichts. Ein möglicher privater Kooperationspartner mag zwar seine Vorstellungen von einer Kooperation privatautonom formulieren und ggf.

seine Förder- oder Kooperationsbereitschaft zurücknehmen. Die sachlich nicht hinreichend gerechtfertigten Wünsche Privater, als Gegenleistung für Fördermittel oder Kooperationsvorteile die Wissenschaftsfreiheit der Beschäftigten an einer geförderten Einrichtung einschränken zu dürfen, sind aber von vornherein kein Titel, Eingriffe in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht zu rechtfertigen.

Schließlich ist auch hier – in Bezug auf den Fall des IMB – nochmals221 darauf hinzuweisen, dass zunächst ein Kooperationsvertrag zwischen Stif-tung und Universität geschlossen wurde, an dem einzelne Forschende am IMB nicht beteiligt (zunächst noch nicht einmal berufen bzw. angestellt) waren. Die Ergebnisse der Vertragsverhandlungen wurden dann letzt-lich den Berufungs- bzw. Bleibeverhandlungen als verbindletzt-licher Rah-men zugrunde gelegt, also faktisch oktroyiert. Grundrechtliche Freiheit gründet jedoch auf individueller Selbstbestimmung,222 also einer Ratio,

Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 224, 248 ff.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 283, 326.

223 Dähne, Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit, 2007, S. 228 f.

224 Oben Teil 1, A I. 3. b) dd), ee).

225 Oben Teil 1, A. I. 3.

die es verbietet, wohlmeinend diktierte Vereinbarungen als Schutz von Wissenschaftsfreiheitsinteressen derjenigen auszuweisen, die nicht gefragt wurden. Mithin ist die Forschungsfreiheit des wissenschaftlichen Direk-toriums aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG von vornherein ungeeignet, die auf-gezeigten Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen.