• Keine Ergebnisse gefunden

Teil 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

B. Objektive Schutzverpflichtung zugunsten einer freien

III. Objektive Gewährleistungsziele

3. Schutz der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft

Vor diesem Hintergrund gebietet die objektiv-rechtliche Wertentscheidung aus Art 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von freier Wissenschaft insgesamt zu schützen. Denn etablieren sich Praktiken, die die Neutralität, Verlässlichkeit und Unvoreingenommenheit wissen-schaftlicher Aussagen untergraben, schadet dies nicht nur der Reputation der einzelnen Forschenden, sondern der Glaubwürdigkeit der Wissen-schaft insgesamt.

a) Risiken für die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft durch Missbrauch Auch Auftragsforschung oder Auftragsgutachten leisten wertvolle Bei-träge zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, wenn die Modalitäten der Beauftragung einer Beurteilung nach wissenschaftlichen Kriterien, die auf methodengeleitete Erkenntnis gerichtet sind, nicht strukturell entge-genstehen. So werden Gutachtenaufträge oftmals (wie auch im Fall des vorliegenden Gutachtens) völlig ergebnisoffen erteilt, weil man verlässliche

288 Oben Teil 1, A. I. 3. a) aa).

289 S. zu einem praktischen Fall eines Steuerrechtsprofessors der Universität Müns-ter Votsmeier/Iwersen, Handelsblatt Nr. 147 v. 2.8.2017, S. 30 f. Der Vorgang ist ein-gehend dokumentiert in: Beschlussempfehlung und Bericht des 4. Untersuchungsaus-schusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes v. 20.6.2017, BT-Drs. 18/12700, S. 89, 103, 110 f., 184 ff., 291, 351, 409 ff., 512 ff. Der Aufsatz, der den Gutachtenhintergrund nicht kenntlich macht, wurde sogar in einem finanzgerichtlichen Verfahren in Hessen als Anlage zu einem Anwaltsschriftsatz in Druckfahnenfassung eingereicht. Später stellte ein befasster Betriebsprüfer hierzu fest, dass „die den Aufsatz vorlegende Partei den Eindruck erwecken“ wollte, bei dem Autor habe es sich „um einen unabhängigen Drit-ten handelt, der die steuerliche Problematik [. . .] rein wissenschaftlich beleuchtet. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Veröffentlichung um ein Auftragsgutachten handelt“ (BT-Drs. 18/12700, S. 411). Ein anderer Steuerrechtsprofessor aus Leipzig ließ sich dahingehend ein, dass er zwar von dem Rechtsanwalt der begünstigten Auftragge-berin nicht direkt aufgefordert worden sei, etwas gezielt zu veröffentlichen, aber „dass es durchaus Anregungen gegeben habe, zu bestimmten Themen etwas zu schreiben“

(BT-Drs. 18/12700, S. 187).

290 So die Einlassung des Betroffenen gegenüber Journalisten: Votsmeier/Iwersen, Handelsblatt Nr. 147 v. 2.8.2017, S. 30.

Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen benötigt. Bisweilen werden mit Aufträgen zwar Hoffnungen auf die Bestätigung von bestimmten Hypo-thesen verbunden; dies bleibt jedoch unschädlich, wenn sich Auftragge-ber an Forschende wenden, die Auftragge-bereits einschlägige, unvoreingenommen zustande gekommene Forschungsergebnisse veröffentlicht haben. Es ist nicht zu beanstanden, dieses Wissen dann anlassbezogen abzugreifen.

Schließlich werden auch bei fördernden Unternehmensstiftungen in der Regel ein Mäzenatentum sowie die damit verbundenen positiven Imageer-wartungen Triebfeder sein, nicht die Beeinflussung von Wissenschaft. Die Freiheit der Wissenschaft nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt es, sich um solche Förderquellen zu bemühen, wenn diese freie Forschung oder Lehre ermöglichen.288

Die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft wird aber beschädigt, wenn sich die Forschenden freiwillig dieser Freiheit begeben. Betreibt beispiels-weise ein Hochschullehrer unter dem Zeichen seiner Hochschule eine Industriekooperation, in der einseitig interessengeleitet (oder gar mani-pulativ) geforscht wird, um Gegenleistungen (Vergütungen, Förderung, Zurverfügungstellung von Infrastruktur) zu erlangen, beschädigt dies die Verlässlichkeit von Forschung der Hochschule insgesamt. Wenn bei-spielsweise ein Steuerrechtsprofessor für gutachtenbasierte, nach außen scheinbar neutrale Aufsatzveröffentlichungen von interessierten Auftrag-gebern, die so ihre angreifbaren „Steuersparmodelle“ jedenfalls mit dem Schein von Legalität übertünchen konnten, Honorare in Höhe weit über einem W3-Jahresgehalts erhält,289 ist dies kein allein der „Privatsphäre zuzuordnender Umstand“290; vielmehr schädigt dies – jedenfalls durch

291 Der Fall spielte an einer nordrhein-westfälischen Hochschule, die nach § 2 Abs. 3 Satz 2 HSchG NW dienstherrenfähig sind.

292 Hierzu nur BVerfGE 43, 154 (165 f.); 46, 97 (117); 83, 89 (100); 106, 225 (232).

293 Geis, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 3. Aufl. (2017), Kap. 6 Rn. 11.

294 Ein vergleichender Blick auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung bestätigt diese Wertung. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte hat zwar bestehende Industriekoope-rationen in der Regel nicht als Hindernis angesehen, als neutraler Sachverständiger in Gerichtsverfahren aufzutreten. Grundsätzlich gelte, dass Industriekooperationen bei Hochschullehrern auf Gebieten der Ingenieurs- und Naturwissenschaften allgemein zu erwarten und deshalb für sich allein nicht geeignet seien, die Besorgnis der Befangen-die Nichtoffenlegung des hintergründigen Interesses – das Ansehen der Steuerrechtswissenschaft als verlässlichen Navigator in einer unübersicht-lichen Rechtsmaterie sowie das der Universität als Dienstherrin291, die als haushaltsfinanzierte sowie grundrechtsgebundene Institution für eine glaubwürdige Wissenschaft einzustehen hat. Die Unterbindung solcher Praktiken dient daher zugleich – für beamtetes Personal als Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn292 – dem Schutz redlicher Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler gegen eine Diskreditierung ihrer fachlichen Tätigkeit durch diejenigen, die ihre Freiheit auf Kosten der Reputation ihres Faches missbrauchen.

b) Beispiele: Nebentätigkeit und Glaubwürdigkeit von Gutachtern So können beispielsweise Nebentätigkeiten von Hochschullehrenden nach Maßgabe des allgemeinen Beamten-Nebentätigkeitsrechts unter-sagt werden, wenn diese „Funktionsfähigkeit und Neutralität des Hoch-schulwesens“ gefährden, weil Interessenkonflikte erzeugt werden, die dem Gemeinwohlauftrag der Hochschulen zuwider laufen.293 Dies ist namentlich dort der Fall, wo der Anschein entsteht, dass Wissenschaft ihre notwendige Distanz zu den Akteuren verliert und hierdurch insge-samt unglaubwürdig wird. Solche Konflikte entstehen in der Regel nicht, wenn eine Nebentätigkeit schon objektiv nicht in Anspruch nimmt, Wis-senschaft zu sein, sondern transparent in einer anderen Rollenfunktion gehandelt wird (etwa Unternehmensberatung, Prozessvertretung oder Moderation einer Fernsehshow). Auch entgeltliche Stellungnahmen (z. B.

Rechtsgutachten, Expertise als Sachverständiger) stellen die Glaubwür-digkeit der Wissenschaft nicht in Frage, solange die Beauftragung trans-parent gemacht wird und Dritte daher den Hintergrund des Auftrags bei der Würdigung der Erkenntnisse kritisch berücksichtigen können. Indus-triekooperationen können hiernach mithin unzulässig werden, wenn sie zu einer Verfestigung von Strukturen führen, die die wissenschaftliche Unabhängigkeit dauerhaft untergraben.294

heit zu begründen. BGH, Beschl. v. 26.7.2005 – X ZR 108/04, Rn. 5 (juris); Beschl. v.

23.10.2007 – X ZR 100/05, GRUR 2008, 191 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.4.2011 – I-2 U 78/09, 2 U 78/09, Rn. 6 (juris); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.3.2012 – 13 W 13/12, Rn. 23 (juris). Bei einer längerfristigen Verfestigung von Kooperationsbeziehungen könne dies indes geeignet sein, Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverstän-digen zu begründen. So BGH, Beschl. v. 23.10.2007 – X ZR 100/05, GRUR 2008, 191 f.

c) Zwischenergebnis

Verallgemeinernd lässt sich insoweit festhalten, dass Forschungstätigkeit in Kooperation mit Unternehmen oder interessierten Dritten dann jedenfalls einer hinreichenden Kontrolle, Beobachtung und ggf. Einhegung bedarf, wenn entweder dauerhafte Abhängigkeiten entstehen (z. B. durch perio-dische Neubewilligung von Fördermitteln oder Zugang zu Infrastruktur) oder die Modalitäten der Kooperation ein Interesse an ergebnisorientierter Forschung nahelegen. Die Schutzpflicht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ver-langt, dass es Verfahrensregelungen und materielle Standards gibt, die – bei Anerkennung der Handlungsfreiheit auch von Hochschulpersonal, ihre Fähigkeiten in der Freizeit außerhalb wissenschaftlicher Forschung ein-zusetzen, wenn dies transparent gemacht wird – Missbrauchsrisiken hin-reichend eindämmen. Die Erfüllung des Schutzauftrags aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kann folglich auch mit Freiheitseinschränkungen derjenigen einhergehen, die interessengeleitet forschen wollen. Im Einzelnen obliegt es im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Gestaltung durch den parla-mentarischen Gesetzgeber bzw. konkretisierend durch die Hochschule als Satzungsgeberin, wie die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu sichern ist. Der Schutz der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist als Konsequenz verfassungskonformer Rechtsanwendung zudem bei der Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts – nicht zuletzt bei Abwägungen, bei der Gestaltung von Kooperationsverträgen und bei der Bestimmung dienstli-cher Interessen – maßgeblich zu berücksichtigen.

4. Schutz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler