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1 Einleitung

1.3 Wirkstofftransport und Wirkstofffreisetzung

Kontrollierter Wirkstofftransport und gezielte Wirkstofffreisetzung sind wichtige Faktoren bei der medikamentösen Behandlung von Erkrankungen. Bei konventioneller Applikation werden Medikamente meist oral oder intravenös verabreicht, wobei Wirkstoffe durch Darm oder Blut aufgenommen und systemisch im Körper verteilt werden. Dadurch ergeben sich am Wirkort vergleichsweise geringe Konzentrationen, obwohl dort für eine wirksame Behandlung relativ hohe Wirkstoffkonzentrationen benötigt werden (therapeutisches Fenster, vgl. Abbildung 4) um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Hierfür wird meist eine Verabreichung von hohen Dosen benötigt, um eine systemische Konzentration zu erreichen, die im therapeutischen Fenster liegt. Dies kann mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu unerwünschten (toxischen) Nebenwirkungen führen (Abbildung 4). Bei konventioneller Verabreichung von Medikamenten werden Wirkstoffe meist schnell metabolisiert und/oder ausgeschieden, wodurch eine Verabreichung in kurzen zeitlichen Abständen erforderlich wird, um die Wirkstoffkonzentration im therapeutischen Fenster aufrecht zu halten und so eine ausreichende Wirkung zu erzielen (Abbildung 4). Neben einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen kommt es dann auch zu weiteren Einschränkungen des Patienten im Alltag (130). Um diese Problematik zu umgehen, wurden in den 1970er Jahren die ersten kontrollierten Wirkstofftransportsysteme zur retardierten Wirkstofffreisetzung auf den Markt gebracht (131), und nicht einmal 20 Jahre später (1997) brachte der Vertrieb von modernen Wirkstofftransportsystemen allein in den USA über 14 Milliarden Dollar ein (130, 132).

Diese schnelle Entwicklung ist vor allem auf die vielen Vorteile zurückzuführen, die Wirkstofftransportsysteme mit kontrollierter Wirkstofffreisetzung im Vergleich zu konventioneller Verabreichung aufweisen. So ergibt sich eine erhöhte Wirksamkeit und therapeutische Aktivität des Medikaments, da durch das schützende Trägermaterial keine sofortige Metabolisierung stattfinden kann. Außerdem kann durch die kontinuierliche Freisetzung die initiale Verabreichungsdosis reduziert werden, was zu verminderter Toxizität und somit zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Nebenwirkungen führt. Des Weiteren wird durch eine kontinuierliche Wirkstofffreisetzung im therapeutischen Fenster die Patientenkonformität verbessert, da die Verabreichungsintervalle in geringeren zeitlichen Abständen stattfinden können. Dabei ist das Ziel von modernen Wirkstofftransportsystemen die zielgerichtete Steuerung eines

Wirkstoffs hin zum Wirkort und somit die generelle Verbesserung von medikamentösen Therapien (133). Wirkstofftransportsysteme werden dabei in zwei Arten eingeteilt:

a) Temporal kontrollierte Freisetzung

Bei einer temporal kontrollierten Freisetzung werden Wirkstoffe über einen ausgedehnten, definierten Zeitraum während der Behandlung freigesetzt. Dabei wird der verabreichte Wirkstoff immer noch systemisch im Körper verteilt, aber kontinuierlich freigesetzt, so dass die systemische Konzentration über einen gewünschten Zeitraum konstant und im therapeutischen Fenster liegt (Abbildung 4). Die Freisetzungsrate entspricht hier der Eliminierungsrate des Medikaments und ist somit die optimale Freisetzungsart für Wirkstoffe, die schnell metabolisert und ausgeschieden werden. Eine signifikante Verbesserung von Medikamententherapien wird vor allem für die Verabreichung von Schmerzmitteln für Tumorpatienten im Endstadium erreicht (130).

Abbildung 4: Temporal kontrollierte Wirkstofffreisetzung durch Verabreichung kontrollierter Wirkstofffreisetzungssysteme; Eine einmalige Medikamentenverabreichung kann die systemische Wirkstoffkonzentration im Körper über längeren Zeitraum im therapeutischen Fenster halten, während konventionelle Verabreichung nur kurze Zeit die benötigte Wirkstoffkonzentration liefert. Modifiziert nach (130) mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus K. E. Uhrich, S. M. Cannizzaro, R.

S. Langer, K. M. Shakesheff, Polymeric systems for controlled drug release. Chemical Reviews 99, 3181 (1999). Copyright (1999) American Chemical Society.

b) Verteilungskontrollierte Freisetzung

Bei der verteilungskontrollierten Freisetzung zielen Wirkstofftransportsysteme auf die Freisetzung von Substanzen an einem bestimmten Wirkort ab. Dies ist vor allem von Bedeutung, sobald konventionelle Applikationen dazu führen, dass Wirkstoffe auf gesundes Gewebe treffen und dort starke Nebenwirkungen verursachen und im

schlimmsten Fall einen Abbruch der Therapie erfordern (z.B. Abbruch der Chemotherapie bei Angriff der Zytotoxika auf die Knochenmarkzellen) (130). Eine weitere Indikation für verteilungskontrollierte Wirkstofffreisetzung liegt dann vor, wenn bei konventioneller Verabreichung durch die natürliche Verteilung des Wirkstoffs der Wirkort nicht erreicht werden kann (z.B. Moleküle, die an einem Rezeptor im Gehirn wirken, selbst aber die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten können) (134). Dabei werden in der verteilungskontrollierten Freisetzung Wirkstofftransportsysteme gezielt an den Wirkort geleitet oder können nur dort die geladenen Substanzen freisetzen. Im restlichen Körper bleibt die Wirkstoffkonzentration dabei im optimalen Fall so gering, dass die systemische Wirkstoffkonzentration unterhalb der Konzentration bleibt, die Nebenwirkungen hervorruft (Abbildung 5) (130).

Abbildung 5: Verteilungskontrollierte Wirkstofffreisetzung; Durch eine Verabreichung des kontrollierten Wirktstofffreisetzungssystems wird der Wirkstoff nur am gewünschten Wirkort abgegeben während die systemische Konzentration gering bleibt. Modifiziert nach (130) mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus K. E. Uhrich, S. M. Cannizzaro, R. S. Langer, K. M. Shakesheff, Polymeric systems for controlled drug release. Chemical Reviews 99, 3181 (1999). Copyright (1999) American Chemical Society.

Die einfachste Methode, um eine Freisetzung von Wirkstoffen direkt am Wirkort zu erreichen ist das Implantieren von stationären Wirkstoffcontainern (135). Dies ist jedoch nur dann von Vorteil, wenn der Wirkort leicht und ohne Risiko für den Patienten erreichbar ist und der Wirkstoff diesen nicht verlassen kann. Für die meisten Krankheiten muss jedoch ein System angewendet werden, bei dem der verwendete Wirkstofftransporter zu einem bestimmten Wirkort gelangen kann (130).

Sowohl in der temporal kontrollierten, als auch der verteilungskontrollierten Freisetzung werden häufig kolloidale Wirkstofftransportsysteme (Mikro- oder Nanopartikel) verwendet (18). Bei systemischer Verabreichung müssen Wirkstoffe durch das wässrige Milieu im Körper des Patienten diffundieren, um an den Wirkort zu gelangen und dort ihre Wirkung zu entfalten. Wirkstofftransporter können dabei Wirkstoffmoleküle schützen und zu einem längeren Verbleib im Körper führen (136). Hierfür können verschiedene Arten von Wirkstofftransportsystemen verwendet werden (Abbildung 6).

Abbildung 6: Arten von temporal kontrollierter Wirkstofffreisetzung bestimmt durch die verwendete Matrix.

Modifiziert nach (130) mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus K. E. Uhrich, S.

M. Cannizzaro, R. S. Langer, K. M. Shakesheff, Polymeric systems for controlled drug release. Chemical Reviews 99, 3181 (1999). Copyright (1999) American Chemical Society

So kann zum einen eine Freisetzung des Wirkstoffs erst durch das Auflösen des Trägermaterials möglich sein. Die Freisetzung ist dann zeitlich durch den Degradationsprozess der Trägermatrix limitiert. Eine weitere Möglichkeit bietet die diffusionskontrollierte Freisetzung des Wirkstoffs, wobei sich das Trägermaterial nicht auflöst, sondern die Freisetzungsrate durch die Interaktion zwischen Wirkstoff und Matrix

bestimmt wird. Bei der flusskontrollierten Freisetzung wird ein Gradient von osmotischen Potentialen an einer semipermeablen Membran genutzt, um Wirkstofflösungen freizusetzen. Dabei wird durch die Diffusion von H2O in eine Kapsel (den Wirkstoffträger) der Druck auf die Kapsel erhöht, wodurch die Lösung nach außen fließen kann. Durch die Größe der Poren wird dann die Flussrate und somit die Freisetzungsrate der Wirkstoffe bestimmt (Abbildung 6).

Für eine verteilungskontrollierte Wirkstofffreisetzung spielen noch zusätzliche Faktoren eine Rolle. So können Wirkstofftransporter sowohl durch passive, als auch durch aktive Signale am Wirkort akkumulieren (drug targeting). Beim passiven drug targeting werden die physiologischen Bedingungen des Körpers genutzt, um bestimmte Wirkorte zu erreichen. So zeigen zum Beispiel erkrankte Gewebe physiologische Veränderungen, die für eine Aufnahme von Wirkstofftransportern genutzt werden können. Eine dieser Veränderungen bildet eine unvollständig ausgebildete und löchrige Vaskularisation in entzündetem und tumorösem Gewebe, die es ermöglicht, partikuläre Transportsysteme durch die Wand der Blutgefäße in das erkrankte Gewebe zu schleusen. Dieses Phänomen der passiven Anreicherung von Makromolekülen, Liposomen oder Nanopartikeln wird als EPR-Effekt (engl. enhanced permeability and retention = „erhöhte Permeabilität und Retention“) bezeichnet. Um diesen Effekt für eine erfolgreiche Therapie zu nutzen, müssen Wirkstofftransportsysteme verschiedene Anforderungen erfüllen. So können nur Partikel mit einem maximalen Durchmesser von ca. 400 nm aus Blutgefäßen in tumoröses Gewebe geschleust werden (137), wobei der optimale Durchmesser für Wirkstofftransportsysteme von der jeweiligen Erkrankung und dem damit verbundenen Gewebe abhängt. Neben der Größe spielt auch die Oberflächenladung und Form der Transportsysteme eine große Rolle und bestimmt die Halbwertszeit, Zirkulationszeit und den Zeitraum, in dem die Partikel im Gewebe zurück gehalten werden. Die Oberflächenladung von Partikeln, die zum Wirkstofftransport verwendet werden, hat einen sehr starken Einfluss auf dessen Aufnahme in Zellen. Kationische Partikel haben dabei eine relativ geringe Halbwertszeit aufgrund von verstärkter Interaktion mit Proteinen im Blutstrom. Es wurde jedoch in vergangenen Studien gezeigt, dass generell Partikel mit Oberflächenpotentialen kleiner als 15 mV nur in geringen Maßen von Macrophagen aufgenommen werden und somit ausreichend lange Zirkulationszeiten im Körper aufweisen. Weitere Faktoren, wie Geometrie und Hydrophilie spielen eine weitere wichtige Rolle bei der Verteilung von Wirkstofftransportsystemen im Körper des Patienten (18, 138, 139).

Beim aktiven drug targeting bietet sich durch Modifikation und Funktionalisierung der Trägermatrix eines Wirkstofftransporters mit Peptiden, Antikörpern, Zuckern oder Lektinen die Möglichkeit, Rezeptoren von Zellen in einem bestimmten Gewebe direkt anzusteuern. Dabei sind vor allem Rezeptoren von großer Bedeutung, die in erkranktem Gewebe vermehrt produziert werden (18).

Zusätzlich zum EPR-Effekt können beim passiven drug targeting auch diverse interne Stimuli genutzt werden, wie zum Beispiel Unterschiede im pH und Redoxpotential (niedriger pH und hohe Glutathion-Konzentrationen in tumorösem Gewebe), um Wirkstoffe ausschließlich am Wirkort freizusetzen (137, 140-142).

Sobald ein Wirkstoff den Wirkort erreicht hat, kann dieser entweder intra- oder extrazellulär agieren. Bei intrazellulärer Wirksamkeit reicht es daher nicht, dass der Wirkstofftransporter ein spezifisches Gewebe erreicht. Für eine gezielte Freisetzung ins Cytosol können Modifikationen der Trägermatrix mit so genannten CPPs (engl. Cell Penetrating Peptides = zellmembrandurchdringende Peptide) genutzt werden (143). CPPs umfassen eine Klasse von meist kationischen Peptiden, die aus 5-30 Aminosäuren zusammengesetzt sind (144-146). Verschiedene Studien zeigten, dass für eine effektive Penetration der Zellen mindestens acht positive Ladungen benötigt werden (147, 148).

Wobei für manche kationische CPPs, wie z.B. das R8-Peptid, sogar Kernlokalisierungs-Eigenschaften beschrieben wurden (148, 149).

Generell werden positiv geladene Transportsysteme schneller in den Zellen aufgenommen als negativ geladene. Dies ist vor allem auf elektrostatische Wechselwirkungen mit den negativ geladenen Phospholipid-Kopfgruppen der Zellmembran zurückzuführen (138, 150, 151). Dennoch zeigen Partikel mit negativer Oberflächenladung eine erhöhte Aufnahmeeffizienz verglichen zu neutralen Partikeln (18).

Neben CPPs oder positiv geladenen Gruppen kann auch die Peptidsequenz Arginin-Glycin-Asparaginsäure (RGD), ein Ligand des Zelladhäsionsproteins Integrin ανβ3, zu erhöhter Effizienz von intrazellulärem Wirkstofftransport beitragen (152, 153).

Für die Anwendungen von Wirkstoffen der neuesten Generation, wie z.B. Peptide und siRNA, sind Wirkstofftransportsysteme unerlässlich, da diese Art von Biomakromolekülen bei konventioneller Anwendung vor Erreichen des Wirkorts abgebaut wird (130)