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1 Einleitung

1.5 Spinnenseide

1.5.2 Rekombinante Spinnenseidenproteine eADF4

Im Hinblick auf industrielle Verarbeitung von Spinnenseidenproteinen zeigte sich schnell, dass für eine großtechnische Nutzung die natürliche Quelle nicht ausreicht. Dies liegt zum einen daran, dass von einer Spinne durch so genanntes Melken nur geringe Mengen des Rohmaterials gewonnen werden können und die Qualität der Seide von

Spinnen in Gefangenschaft im Vergleich zu der in freier Wildbahn produzierten Seide abnimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass Spinnen ein stark territoriales und kannibalisches Verhalten an den Tag legen, wodurch eine Massenhaltung dieser Tiere auf engstem Raum nicht möglich ist (205-208). Aufgrund dessen wurde angestrebt, das Material auf anderem Weg biotechnologisch herzustellen.

1.5.2.1 Rekombinante Herstellung

Für die rekombinante Herstellung von Spinnenseidenproteinen wurden Gene/Proteine konstruiert, welche die Hauptmerkmale der natürlichen Seidenproteine aufweisen, gleichzeitig aber bestmöglich für die Produktion in einem Wirtsorganismus angepasst sind (Codon Usage, Molekulargewicht, etc.). Als Wirtsorganismus zur Expression der rekombinanten Spinnenseidenproteine wurde das gram-negative Enterobakterium Escherichia coli (E. coli) gewählt, da dieser Organismus mit wenig Aufwand manipuliert und kostengünstig und schnell in hoher Zelldichte kultiviert werden kann. (209, 210).

Für die Herstellung der künstlichen Spinnenseidenproteine, die in dieser Arbeit verwendet wurden, dienten das Spinnenseidenprotein ADF4 als Vorbild, wobei die terminalen NR-Domänen bei der Konstruktion des artifiziellen Spinnenseidenproteins nicht berücksichtigt wurden (Abbildung 9) (175, 204). So wurde die Zusammensetzung der Primärstrukturmotive aus den repetitiven Teilen des Proteins ähnlich der Originalsequenz kombiniert und zum so genannten C-Modul zusammengefasst, in eine Codon-optimierte DNA-Sequenz rückübersetzt und mittels Festphasensynthese hergestellt. Um den repetitiven Charakter des ADF4 zu imitieren, wurde für die Produktion des rekombinanten Spidroins eADF4(C16) in einem nahtlosen Klonierungsverfahren die Gensequenz für das C-Modul in einem geeigneten Vektor 16-fach wiederholt und ein geeigneter E. coli Expressionsstamm mit dem Expressionsvektor transformiert (Abbildung 9) (204). Durch Fermentation der transformierten E. coli und einem anschließenden Chromatographiesäulen-freien zweistufigen Reinigungsprozess (durch Hitze- und selektive Salzfällung) konnten Ausbeuten zwischen 140-360 mg gereinigten Proteins pro Liter Zellsuspension erzielt werden (211, 212). Die rekombinante Herstellung von Spinnenseiden-ähnlichen Proteinen bietet die Möglichkeit weitere, nicht-natürliche Modifikationen in die Sequenz einzubauen.

Abbildung 9: Schematischer Aufbau des nativen Spinnenseidenproteins ADF4, der darin enthaltenen Sekundärstrukturmotiven, sowie die Grundlage und der Aufbau des davon abgeleiteten rekombinanten Spinnenseidenproteins eADF4(C16).

1.5.2.2 Assemblierungsmorphologien rekombinanter Spinnenseidenproteine Rekombinant hergestelltes eADF4 bietet nicht nur den Vorteil, in relativ großen Mengen und in für die jeweilige Anwendung maßgeschneiderten Variationen produziert, sondern auch durch geeignete Verarbeitungswege in unterschiedliche Morphologien assembliert werden zu können (Abbildung 10) (213, 214). Die Herstellung von Partikeln, Fasern und Hydrogelen kann in wässrigen Lösungen abhängig von Änderungen des pH-Werts, Menge und Art von Additiven (z.B. Kaliumphosphat, Alkohole oder Polymere), mechanischen Scherkräften oder Änderung der Temperatur induziert werden. Des Weiteren können durch Lösen und Verarbeiten der Proteine in organischen Lösungsmitteln, wie Ameisensäure oder 1,1,1,3,3,3-Hexafluoroisopropanol (HFIP), Filme oder Vliese hergestellt werden. Die Struktur der Proteine in den einzelnen Morphologien ist stark von den verwendeten Agenzien während der Verarbeitung der Proteine abhängig.

So können wasserlösliche α-helikale Spinnenseidenproteinstrukturen durch Nachbehandlung mit kosmotropen Salzlösungen (Kaliumphosphatpuffer) oder einwertigen Alkoholen (z.B. Methanol, Ethanol, Isopropanol) überwiegend β-Faltblatt-Strukturen

erzielt werden. Diese β-Faltblatt-reichen kristallinen Strukturen machen die Spinnenseidenproteinformkörper wasserunlöslich (127, 203, 215-221).

In dieser Arbeit wurden überwiegend Filme und Partikel aus rekombinanten Spinnenseidenproteinen eADF4 untersucht, weshalb im Folgenden näher auf diese Morphologien eingegangen werden soll.

Abbildung 10: Schema des Designs, der Produktion und der Verarbeitung von rekombinanten Spinnenseidenproteinen: Der Weg von der Identifikation der Bioinformation des natürlichen Materials, über das gentechnische Design bis hin zu möglichen Modifikationen. Modifiziert nach (176) mit freundlicher Genehmigung von Springer aus E. Doblhofer, A. Heidebrecht, T. Scheibel, To spin or not to spin: spider silk fibers and more. Appl Microbiol Biotechnol 99, 9361 (2015). Copyright (2015) Springer.

1.5.2.3 Partikel aus eADF4

Partikel gehören zu den am besten charakterisierten Morphologien von eADF4. Sie können durch eine gute mechanische Stabilität als Füllstoff von Kompositmaterialien, oder aufgrund der guten Biokompatibilität und geringen Immunogenität der zugrunde liegenden Proteine als Wirkstofftransporter im menschlichen Körper fungieren (176). Bei der Herstellung (Abbildung 11A) wird durch Zugabe eines Fällreagenz in Form von hohen Konzentrationen kosmotroper Ionen (wie zum Beispiel >400 mM Kaliumphosphat) ein Ausfällen der Proteine aus einer wässrigen Lösung in partikulärer Form induziert.

Abbildung 11: Partikelherstellung: (A) auf makroskopischer Ebene durch Fällung von eADF4 Proteinen mittels kosmotropen Salzlösungen (Fällreagenz) und Überführen in wässriges Milieu; (B) Modell der Partikelbildung auf molekularer Ebene.

Im Detail (Abbildung 11B) wird durch Zugabe von Kaliumphosphat den zunächst intrinsisch ungefaltet vorliegenden Proteinen in wässrigen Lösungen die Hydrathülle entzogen. Dies führt zu einer Verstärkung hydrophober Wechselwirkungen und folglich zur Phasenseparation in der Proteinlösung, wobei eine proteinreiche und eine lösungsmittelreiche Phase entsteht. Sobald eine kritische Konzentration in der proteinreichen Phase erreicht ist, bilden sich durch intermolekulare Wechselwirkungen und Strukturumlagerungen Nukleationskeime (Keimbildung, Abbildung 11B), die durch

weitere Anlagerung von Spinnenseidenproteinmolekülen (Strukturbildung) zu kugelförmigen Partikeln heranwachsen (Partikelbildung). Dieser Vorgang dauert so lange an, bis ein Löslichkeitsgleichgewicht erreicht wird und führt zu stabilen, wasserunlöslichen, β-Faltblatt-reichen Partikeln. Ihre Größe liegt zwischen 250 nm und 3 µm und ist abhängig von Mischgeschwindigkeit und Konzentrationen der einzelnen, im Herstellungsprozess verwendeten Komponenten (216, 222, 223).

Proteinpartikel, die auf diese Weise hergestellt werden, weisen jedoch meist eine starke Polydispersität auf (214, 216, 222, 224). Die Verwendung von ionischen Flüssigkeiten als Alternative zu wässrigen Lösungsmitteln führt hingegen zu einer erhöhten Kontrolle der Partikelgröße und somit einer Verringerung der Polydisperistät (225). Spinnenseidenpartikel aus eADF4(C16) sind in getrocknetem Zustand mechanisch mit einem E-Modul von ca. 1 GPa außerordentlich stabil und plastisch verformbar. Durch Hydratisierung der Partikel quellen diese auf das 2,3 fache Volumen. Dabei reduziert sich das E-Modul der Partikel um drei Größenordnungen auf ca. 3 MPa, wobei die hydratisierten Partikel nun eine elastische Verformbarkeit aufweisen. Die Verformbarkeit der Partikel kann durch Quervernetzung gesteuert werden (226). Weitere Analysen zeigten, dass wässrige Suspensionen von eADF4(C16) Partikeln eine hohe kolloidale Stabilität aufweisen (227). Dies ist auf den Aufbau der Partikel zurückzuführen. Sie bestehen aus einem festen Kern, von dem aus einzelne Proteinmoleküle in die Umgebung vorstehen.

Diese vorstehenden Proteinmoleküle ähneln einer sterischen Schicht, wie sie für Polymerpartikel häufig künstlich aufgebaut wird, um durch Interaktion mit dem Lösungsmittel und anderen Partikeln eine Agglomeration verhindern (228)

Es konnte bereits in vergangenen Studien gezeigt werden, dass Partikel aus rekombinantem Spinnenseidenprotein sowohl kleine Modelwirkstoffe, als auch größere Moleküle, wie zum Beispiel BSA (Bovine Serum Albumin) oder Lysozym, aufnehmen können (223, 227). Hierfür ist es möglich die Partikel sowohl durch Diffusion, als auch durch Copräzipitation mit den gewünschten hydrophilen Substanzen zu beladen. Während die Variante der Copräzipitation zu einer höheren Ladungseffizienz führt, beeinflusst der Weg der Partikelbeladung den Zeitraum der Substanzfreisetzung nicht (224). Allerdings konnten in den durchgeführten Studien mit eADF4(C16) Partikeln, die bei neutralem pH eine negative Nettoladung aufweisen, aufgrund von Ladungsabstoßung nur mit Substanzen beladen werden, die eine positive Nettoladung aufwiesen. Somit war die Auswahl der Substanzen die in eADF4(C16) Partikeln aufgenommen und transportiert werden können

stark eingeschränkt (223). Versuche mit neutralen, hydrophilen Substanzen zeigten zwar, dass hier ebenfalls eine Beladung der Partikel möglich ist, die Freisetzung aber ungehindert und unabhängig vom Freisetzungsmedium in sehr kurzem Zeitraum stattfindet (224). Durch eine Beladung mittels Copräzipitation konnten neben hydrophilen auch hydrophobe Substanzen, wie zum Beispiel β-Carotin in die Partikel eingebracht werden.

Dabei ergab sich der Vorteil, dass solche Substanzen in wässriger Umgebung nicht durch Diffusion freigesetzt werden, sondern eine Freisetzung erst durch hydrolytischen oder enzymatischen Abbau des Spinnenseidenproteins möglich ist (229). Die dabei entstandenen Abbauprodukte, proteinogene Aminosäuren, können vom menschlichen Körper weiter verwertet oder ausgeschieden werden. Trotz vieler Studien, in denen gezeigt werden konnte, dass eADF4(C16) gut für die Anwendung als Träger zum Wirkstofftransport geeignet ist, wird durch die negative Ladung dieses Proteins der Anwendungsbereich stark eingeschränkt.

1.5.2.4 Filme hergestellt aus eADF4

Eine weitere sehr gut untersuchte Morphologie aus rekombinanten Spinnenseidenproteinen stellen Filme dar. Sie sind transparent und unter milden Bedingungen chemisch stabil (230)

Neben der am häufigsten verwendeten Methode, dem so genannten Gießen oder Drop Casting können Filme auch durch Sprühbeschichtung (Spray Coating), Rotationsbeschichtung (Spin Coating), Tauchbeschichtung (Dip Coating) oder Rakeln hergestellt werden (230-233). Beim Gießen (Abbildung 12) wird eine Proteinlösung in eine Form gegeben, aus der das Lösungsmittel verdampft.

Abbildung 12: Herstellung von Filmen und Beschichtungen aus rekombinantem Spinnenseidenprotein eADF4 durch Gießen mit anschließender Nachbehandlung zur Generierung wasserunlöslicher Filme.

Während dieses Abdampfens entsteht vermutlich eine partielle Separation der kristallisierbaren, poly-Alanin-reichen, hydrophoben Bereiche von den Glycin-reichen Primärstrukturblöcken (234, 235). In dieser Mesophase werden abhängig vom verwendeten Lösungsmittel und den damit korrelierenden Trocknungszeiten bereits

teilweise β-Faltblatt-Strukturen gebildet. So entsteht zum Beispiel bei Verwendung von HFIP zur Herstellung der Proteinlösung eine überwiegende α-helikale Struktur, während der Anteil an β-Faltblatt in Filmen, gegossen aus Ameisensäure-Lösungen, erhöht ist (236-238). Die Filme aus rekombinantem Spinnenseidenprotein sind jedoch in den meisten Fällen nach dem Trocknen wasserlöslich. Dies ist von Nachteil, da für viele medizinische und technische Anwendungen eine Stabilität der Filme in feuchter Umgebung vorausgesetzt wird. Eine Nachbehandlung der Filme mit kosmotropen Salzen, einwertigen Alkoholen, Temperaturerhöhung oder Wasserdampf führt durch Herauslösen der verbliebenen Lösungsmittelmoleküle zu einem Bruch der intramolekularen Wasserstoffbrückenbindung und somit zu einer spontanen Umlagerung der Proteinstruktur.

Dabei entstehen überwiegend intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen und aus den verbleibenden poly-Alanin-reichen Aminosäuresequenzen werden β-Faltblatt-Strukturen gebildet. Dieses Verfahren führt dazu, dass Filme aus rekombinanten Spinnenseidenproteinen chemisch stabiler und wasserunlöslich werden (218, 230-232, 236).

Der β-Faltblatt-Anteil bestimmt aber nicht nur die chemische Stabilität der Filme, sondern auch deren mechanische Stabilität. So haben die Filme mit hohem β-Faltblatt-Anteil ein hohes E-Modul und eine hohe Festigkeit, wobei ihre Elastizität allerdings abnimmt. Die Filme werden mit höher werdendem β-Faltblatt-Anteil immer brüchiger. Um die optimalen Eigenschaften der Filme zu erreichen, kann der Anteil dieses Sekundärstrukturelements durch die Art der Nachbehandlung beeinflusst werden, wobei Wassermoleküle als Weichmacher fungieren (236, 239).