• Keine Ergebnisse gefunden

Distraktorwirkung des kritischen Stimulus

6.2 Rigidität als Ursache für das Ausbleiben eines Vorsatzeffektes?

7.2.3 Distraktorwirkung des kritischen Stimulus

Wieber und Sassenberg (2006) und Wieber (2006) konnten in einer Reihe von Aufgaben zeigen, dass das Fassen von Vorsätzen dazu führt, dass selbst in einem für den Vorsatz nicht relevanten Aufgabenkontext, der im Vorsatz spezifizierte Stimulus Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im Folgenden wird auf Studie 2 bei Wieber und Sassenberg (2006, S. 738 ff) genauer eingegangen. Das Gesagte gilt jedoch auch für Studie 1 und auch für die Studien 1, 4 und 5 bei Wieber (2006). Die Studie 2 bestand aus insgesamt drei Teilen. Der erste Teil wurde den Versuchsteilnehmern gegenüber als Übung bezeichnet, war jedoch tatsächlich

dazu da, die Zielintentionen zu manipulieren. Die Versuchsteilnehmer der Vorsatzbedin-gung fassten einen Vorsatz auf den Buchstaben d: „If I see a letter ’D/d’ I will mark it.“

In der Zielintentionsbedingung lautete die Instruktion: „I will mark all letters ’D/d’.“ In einem vom ersten Teil angeblich unabhängigen zweiten Aufgabenteil mussten die Versuchs-teilnehmer Buchstaben als Konsonanten oder Vokale kategorisieren. Bei dieser Aufgabe wurde neben dem zu kategorisierenden Buchstaben noch ein Distraktor-Buchstabe prä-sentiert (Flanker-Task). Der für die Kategorisierungsaufgabe relevante Buchstabe wurde kursiv dargeboten. Der nicht kursiv dargebotene Buchstabe war hierdurch als Distraktor gekennzeichnet und musste ignoriert werden. Das Ziel im zweiten Aufgabenteil bestand also in einer korrekten Konsonant-Vokal-Kategorisierung des relevanten Buchstabens.24

Die Autoren konnten zeigen, dass in diesem zweiten Aufgabenteil die Darbietung des kritischen Stimulus als Distraktor zu einer Verlangsamung der Kategorisierung des rele-vanten kursiven Buchstabens führte. Im dritten Aufgabenteil konnte schließlich gezeigt werden, dass Versuchsteilnehmer in der Vorsatzbedingung bei einer Buchstabensuchauf-gabe den kritischen Stimulus häufiger entdeckten - dies als Demonstration dafür, dass der Vorsatz noch aktiv war. Die Autoren fassen die Ergebnisse ihrer Studien wie folgt zusammen:

„Taken together, the present research provides evidence for the automaticity of implementation intention effects in terms of the uncontrollability of their effects on attention. Implementation intentions attracted attention even when they thereby impaired the pursuit of a different goal.“ (Wieber & Sassenberg, 2006, S. 745)

Betrachtet man die Studien genauer, so zeigt sich, dass obige Interpretation kaum durch die berichteten Ergebnisse gedeckt werden. So war die Frage danach, ob es Versuchs-teilnehmern möglich ist, trotz eines Vorsatzes keine Aufmerksamkeit auf den kritischen Stimulus zu richten, nicht Gegenstand dieser Studien. Es wurde lediglich gezeigt, dass der Vorsatz auch in anderen Aufgabenkontexten aktiv war. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Wirkung von Vorsätzen hier nicht hätte kontrolliert werden können. Weiterhin schlussfolgern die Autoren, dass das Zielstreben durch den Vorsatz beeinträchtigt wurde.

Auch diese Behauptung ist durch die Ergebnisse nicht gedeckt. So bestand das Ziel der Versuchsteilnehmer darin, Buchstaben korrekt als Vokale oder Konsonanten zu kategori-sieren (Studie 2) bzw. Stimuli in einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe als Wort oder Nicht-Wort zu kategorisieren (Studie 1). Dass diese Kategorisierungen besonders schnell erfolgen sollten, wurde hingegen nicht im Ziel spezifiziert. Wie die Analyse der Fehlerra-ten zeigte, ergaben sich keinerlei Unterschiede zwischen der ZielinFehlerra-tentionsbedingung und der Vorsatzbedingung. Hinsichtlich der Zielerreichung gab es folglich keine Unterschie-de zwischen Unterschie-den beiUnterschie-den Zielbedingungen! Man könnte die Ergebnisse von Wieber (2006) auch dahingehend interpretieren, dass Versuchsteilnehmer in der Vorsatzbedingung bei den Kategorisierungsaufgaben nicht schlechter abschnitten als Versuchsteilnehmer in der Zielintentionsbedingung und das, obwohl sie gleichzeitig noch Aufmerksamkeit auf die kri-tischen Distraktoren richteten. Die Ergebnisse dieser Studien belegen zwar einmal mehr die postulierten Wirkmechanismen von Vorsätzen, geben aber kaum Aufschluss darüber, ob vorsatzgesteuertes Zielstrebens zu Rigidität im Zielstreben führt.

24 Die genaue Formulierung des Ziels in Studie 2 wird nicht genannt. Es wird darauf verwiesen, dass die Vorgehensweise dieselbe war wie in Studie 1. Dort lautete die Beschreibung der Aufgabe: „In both conditions they formed the goal to press the left control key if they saw a flower or an unpleasant word, and to press the right control key if they saw an insect or a pleasant word.“

Diskussion des aktuellen Forschungsstandes 41 7.2.4 Vorsatzgesteuertes Zielstreben und Rigidität: Eine erste Studie

Im Rahmen ihrer Diplomarbeit ging Häfner (2000) der Frage nach, ob durch das Fassen eines Vorsatzes verhindert wird, dass eine sich unerwartet ergebende, günstige Gelegenheit zur Zielerreichung genutzt wird.

Hierzu wurden den Versuchsteilnehmern am Computer Wortpaare gezeigt. Die Aufga-be der Versuchsteilnehmer Aufga-bestand darin, möglichst schnell zu entscheiden, ob es einen Buchstaben gibt, der in beiden Worten vorkommt (Buchstabensuchaufgabe). Weiterhin wurden sie gebeten, am Ende des Experiments einen kurzen Fragebogen auszufüllen, in welchem vorgeblich Stimulusmaterial getestet werden sollte. Es wurde darauf hingewie-sen, dass dieses Stimulusmaterial für eine andere Studie evaluiert werden sollte und somit nicht in Zusammenhang mit der aktuellen Buchstabensuchaufgabe stand. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass das Ausfüllen des Fragebogens maximal 2-3 Minuten beanspru-chen würde. Die Versuchsteilnehmer der Kontrollgruppe fassten sich folgendes Ziel: „Ja, ich will den Fragebogen ausfüllen.“ Für die Versuchsteilnehmer der Experimentalgruppe wurde das Ziel um einen entsprechenden Vorsatz erweitert: „Ja, ich will den Fragebogen ausfüllen. Wenn das Experiment am Computer zu Ende ist, dann fülle ich den Fragebo-gen aus!“ Während die Versuchsteilnehmer die Buchstabenaufgabe bearbeiteten, wurde ein Absturz des Computers inszeniert. D. h. der Computer beendete die Buchstabenauf-gabe mit einer unverständlichen Fehlermeldung die den Versuchsteilnehmer zwang, die Versuchsleiterin um Hilfe zu bitten. Die Versuchsleiterin teilte dem Versuchsteilnehmer daraufhin mit, dass der Computer manchmal aus unerfindlichen Gründen abstürze und sie jetzt den Programmierer holen müsse – dies würde ungefähr fünf Minuten dauern.

Für den Versuchsteilnehmer ergab sich somit eine unerwartete, günstige Gelegenheit zur Bearbeitung des Fragebogens.

Die Ergebnisse zeigten, dass 57 % der Versuchsteilnehmer in der Kontrollgruppe die günstige Gelegenheit nutzten, während dies nur 34 % der Versuchsteilnehmer in der Ex-perimentalgruppe taten.25

Im Abschlussfragebogen wurde erhoben, ob die Versuchsteilnehmer die günstige Gele-genheit als solche erkannt hatten, und falls ja, warum diese nicht genutzt wurde. Hier zeigte sich, dass bis auf wenige Ausnahmen die unerwartete Situation als günstig erkannt wurde, dass aber v. a. die Versuchsteilnehmer in der Experimentalgruppe dachten, die Versuchsleiterin könnte etwas dagegen haben, wenn sie den Fragebogen entgegen der im Vorsatz spezifizierten Situation schon vorzeitig bearbeiten würden. Während in der Zielin-tentionsbedingung nur 12 % der Versuchsteilnehmer angaben, dass sie dachten, es wäre nicht erlaubt den Fragebogen schon vorher auszufüllen, waren es in der Vorsatzbedin-gung 43 %. Schließt man diese Versuchsteilnehmer aus der Analyse der Daten aus, so gibt es zwischen Zielintentionsbedingung und Vorsatzbedingung keinen Unterschied mehr hinsichtlich der Nutzung der günstigen Gelegenheit. Es scheint also, dass der Vorsatz zu einer Verpflichtung gegenüber der Versuchsleiterin führte, die gestellte Aufgabe mög-lichst exakt entsprechend den gegebenen Instruktionen auszuführen. Auch ein weiterer Punkt lässt dieses Paradigma zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung ungeeig-net erscheinen: Eine Bewertung der Zielerreichung über die Erhebung der Nutzung der unerwarteten Gelegenheit ist nicht möglich, da auch die Versuchsteilnehmer, welche die Pause nicht nutzten, wussten, dass am Ende des Experiments die Möglichkeit bestand, den Fragebogen auszufüllen. Das Ausfüllen des Fragebogens in der Pause kann somit nicht unbedingt als eine günstigere Möglichkeit der Zielerreichung angesehen werden. Im Gegenteil: Das Ausfüllen des Fragebogens am Ende des Experiments ermöglichte es den

25 Die Ergebnisse sind auch in Gollwitzer, Parks-Stamm, Jaudas und Sheeran (2008, S. 332) berichtet.

Versuchsteilnehmern ohne Ablenkung auf die Fortsetzung des Experiments zu warten und dies, ohne Gefahr zu laufen, von der Versuchsleiterin für das vorzeitige Ausfüllen des Fra-gebogens gerügt zu werden. Um die Nicht-Nutzung der Pause im Sinne einer schlechteren Zielerreichung interpretieren zu können müsste man ein hierarchisch übergeordnetes Ziel formulieren, das etwa wie folgt lauten könnte: „Ich versuche die gestellten Aufgaben mit möglichst wenig Zeitaufwand zu bewältigen.“ Die Aktivierung eines solchen Ziels hätte dann aber im vorliegenden Experiment mittels geeigneter Instruktionen erfolgen müssen.

Wie bereits ausgeführt: Auch die Versuchsteilnehmern, welche die Pause nicht nutzten, haben ihr Ziel erreicht; insgesamt haben alle Versuchsteilnehmer den Fragebogen ausge-füllt! In Experiment 1 der vorliegenden Arbeit wird dieses Paradigma in entscheidenden Punkten modifiziert und die Frage nach dem Erkennen und Nutzen günstiger Handlungs-gelegenheiten erneut untersucht.

43

8 Experiment 1

Nutzung einer unerwarteten, günstigen Handlungsgelegenheit

Die Gelegenheit bedarf eines bereiten Geistes.

(Louis Pasteur)

8.1 Überblick

Wie bereits in Kapitel 6.1 beschrieben, besteht ein wichtiger Aspekt flexibler Handlungs-steuerung darin, unerwartet auftretende, jedoch günstige Handlungsgelegenheiten zu nut-zen. In Experiment 1 der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, ob das Fassen von Vor-sätzen dazu führen kann, dass günstige Handlungsgelegenheiten, die nicht im Vorsatz spezifiziert wurden, ungenutzt bleiben. Inzwischen wurde vielfach gezeigt, dass Vorsätze auch außerhalb des Labors in alltagsrelevanten Bereichen erfolgreich zur Steigerung der Zielerreichungsrate eingesetzt werden können. So wurden in der Metaanalyse von Gollwit-zer und Sheeran (2006) nur 38 der insgesamt 94 einbezogenen Studien als Laborstudien kategorisiert. Im Vergleich zu Laborstudien ist Zielstreben im Alltag ein komplexer Pro-zess: Während im Labor Ziele und meist auch die Mittel zur Zielerreichung vorgegeben werden, ist die Problemsituation im Alltag weitaus unstrukturierter. So sind im Alltag in der Regel zumeist mehrere Ziele gleichzeitig aktiv, deren Prioritäten darüber hinaus stets neu festgelegt werden müssen. Geeignete Mittel und Situationen zur Zielerreichung müs-sen ausgewählt werden. Ob die gewählten Mittel auch zur Erreichung des Zieles führen, muss oftmals durch Versuch und Irrtum getestet werden etc. Neben der im Vorsatz spe-zifizierten Situation werden sich im Alltag auch noch weitere, vielleicht günstigere Hand-lungsgelegenheiten bieten. Die Frage, ob das Fassen von Vorsätzen dazu führen kann, dass an der im Vorsatz spezifizierten Handlungssituation festgehalten wird und hierdurch eine alternative, günstige Möglichkeit zur Zielerreichung verpasst wird war Gegenstand dieses Experiments. In einer ersten Untersuchung dieser Fragestellung (Häfner, 2000)26 zeigte sich, dass Versuchsteilnehmer in der Zielintentionsbedingung im Vergleich zu den Versuchsteilnehmern in der Vorsatzbedingung eine unerwartete Handlungsgelegenheit si-gnifikant häufiger nutzten (57 % vs. 34 %). Zwar wurde die unerwartete, günstige Hand-lungsgelegenheit von fast allen Versuchsteilnehmern als solche wahrgenommen, allerdings berichteten v. a. die Versuchsteilnehmer in der Vorsatzbedingung diese Gelegenheit nicht genutzt zu haben, da sie sich auf Grund des Vorsatzes der Versuchsleiterin gegenüber dazu verpflichtet fühlten, die im Vorsatz spezifizierte Gelegenheit zu nutzen. Wurden die Ver-suchsteilnehmer, die sich der Versuchsleiterin gegenüber zur Einhaltung der im Vorsatz spezifizierten Vorgehensweise verpflichtet fühlten, aus der Datenanalyse ausgeschlossen, so zeigte sich hinsichtlich der Nutzung der unerwarteten Handlungsgelegenheit kein Unter-schied mehr zwischen Zielintentionsbedingung und Vorsatzbedingung. Dementsprechend wurden die Ergebnisse der Studie von Häfner dahingehend interpretiert, dass das Fas-sen eines Vorsatzes dann zur Vernachlässigung von alternativen Handlungsgelegenheiten (d. h. Rigidität) führt, wenn sich die Versuchsteilnehmer zur Einhaltung der im Vorsatz spezifizierten Handlungsweise einem Dritten gegenüber verpflichtet fühlen. Das Ziel dieses

26 Diese Studie ist dargestellt in (Gollwitzer u. a., 2008, S. 331 ff).

ersten Experiments bestand darin, die Richtigkeit dieser Interpretation zu prüfen. Hierzu wurden mehrere problematisch erscheinende Aspekte des bei Häfner (2000) verwende-te Experimentalparadigmas modifiziert. Im folgenden Methodenverwende-teil wird das bei Häfner (2000) verwendete Experimentalparadigma beschrieben und Alternativen diskutiert. Die sich hieraus für das vorliegende Experiment ergebenden Modifikation sind in Kapitel 8.2.1 dargestellt.

8.2 Methode

8.2.1 Kritik und Modifikation des bisher verwendeten Experimentalparadigmas

In der Studie von Häfner (2000) bestand die Aufgabe der Versuchsteilnehmer darin, am Computer eine Buchstabensuchaufgabe zu bearbeiten. Zu Beginn des Experiments wur-den die Versuchsteilnehmer gefragt, ob sie bereit wären, nach dem Experiment einen zusätzlichen Fragebogen auszufüllen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Bearbeitung dieses Fragebogens maximal 2 - 3 Minuten dauern würde. Damit die Versuchsteilnehmer das Ausfüllen des Fragebogens nicht vergaßen, mussten sie einige Sätze lesen, die als Gedächtnisstütze dienen sollten. Diese Gedächtnisstütze musste zur Verinnerlichung nie-derschreiben werden. Hierdurch wurde der Zwischensubjektfaktor Ziel manipuliert. In der Zielintentionsbedingung lautete die Gedächtnisstütze: „Ja, ich will den Fragebogen ausfül-len.“ In der Vorsatzbedingung27lautete die Gedächtnisstütze: „Ja, ich will den Fragebogen ausfüllen. Wenn das Experiment am Computer zu Ende ist, dann fülle ich den Fragebogen aus!“ Daraufhin begannen die Versuchsteilnehmer mit der Bearbeitung der Buchstaben-suchaufgabe. Hier mussten die Versuchsteilnehmer jeweils per Tastendruck entscheiden, ob zwei auf dem Computer-Monitor präsentierte Worte einen Buchstaben gemeinsam hatten. Diese Aufgabe wurde als Untersuchung der Wissensrepräsentation von Stereo-typen beschrieben (Cover-Story). Nach einer Bearbeitungszeit von 7 Minuten quittierte das Computerprogramm mit der Ausgabe einer unverständlichen Fehlermeldung seinen Dienst. Die Versuchsteilnehmer riefen daraufhin die Versuchsleiterin, die ihnen mitteilte, dass sie zur Behebung des Problems den Programmierer holen müsse, und dass die Un-terbrechung ca. 5 Minuten dauern würde. Somit ergab sich für die Versuchsteilnehmer an diesem Zeitpunkt eine unerwartete, günstige Gelegenheit zur Bearbeitung des Fragebo-gens. Die Ergebnisse zeigten, dass diese Gelegenheit von den Versuchsteilnehmern in der Zielintentionsbedingung im Vergleich zu den Versuchsteilnehmern der Vorsatzbedingung signifikant häufiger genutzt wurde (57 % vs. 34 %). Im Abschlussfragebogen wurden die Versuchsteilnehmer danach gefragt, ob sie die durch den Programmabsturz verursachte Unterbrechung als günstige Gelegenheit zur Bearbeitung des Fragebogens wahrgenom-men hatten und falls ja, warum sie diese Gelegenheit nicht genutzt haben. Hier zeigte sich, dass fast alle Versuchsteilnehmer die durch den Absturz des Computers entstandene Pause als günstige Gelegenheit zur Bearbeitung des Fragebogens wahrnahmen. Allerdings gaben v. a. die Versuchsteilnehmer in der Vorsatzbedingung an, diese Gelegenheit nicht genutzt zu haben, da sie sich zuvor festgelegt hatten, den Fragebogen erst am Ende des Computerexperiments auszufüllen.

27 Im Folgenden wird verkürzt von Versuchsteilnehmern in der ’Vorsatzbedingung’ gesprochen. In der Theorie der intentionalen Handlungssteuerung wird davon ausgegangen, dass Vorsätze im Dienste von Zielen agieren und diesen hierarchisch untergeordnet sind (Gollwitzer, 1999). Somit wird durch die alleinige Nennung des Begriffs ’Vorsatz’ das Vorhandensein einer zugehörigen Zielintention impliziert.

Die mit einem Vorsatz ausgestattete Zielintentionsbedingung wird verkürzt als ’Vorsatzbedingung’ be-zeichnet. Die Unterschlagung der ’Zielintention’ sollte entschuldbar sein, da hierdurch eine Verkürzung der Schreibweise und somit eine prägnantere Darstellung ermöglicht wird.

Experiment 1 – Vorsätze und unerwartete Handlungsgelegenheiten 45 In der folgenden Analyse des bei Häfner (2000) verwendeten Experimentalparadigmas werden verschiedene Unzulänglichkeiten diskutiert und Verbesserungen vorgeschlagen.

War die unerwartete Handlungsgelegenheit günstig? Bei Häfner (2000) entstand die unerwartete Handlungsgelegenheit nach einem fingierten Absturz des Computerpro-gramms. Die Versuchsleiterin kündigte an, dass es ca. 5 Minuten dauern würde, bis sie jemanden zur Lösung des Problems geholt hätte. Die Versuchsteilnehmer hatten also die Information, dass nun eine fünfminütige Pause zu erwarten war und dass die Bearbeitung des Fragebogens ca. 2-3 Minuten dauern würde. Tatsächlich gaben im Abschlussfrage-bogen 98 % der Versuchsteilnehmer an, die entstandene Pause als günstige Gelegenheit wahrgenommen zu haben. Dies entspricht allerdings einer Beurteilung der Situation im Nachhinein. Während der Unterbrechung konnten sich die Versuchsteilnehmer nicht sicher sein, ob die Versuchsleiterin nicht schon vor Ablauf der 5 Minuten zurückkommen und sie beim Bearbeiten des Fragebogens stören würde. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ankündigung der fünfminütigen Unterbrechung durch die Versuchsleiterin von den Versuchsteilnehmern nicht als exakte Zeitangabe verstanden wurde. Weiterhin war für die Versuchsteilnehmer das Verstreichen der Pausenzeit nicht nachvollziehbar – dazu hätten die Versuchsteilnehmer nach der Ankündigung der Pause einen Blick auf ihre Arm-banduhren werfen und darüber hinaus den Ablauf der 5 Minuten verfolgen müssen. Auch konnten die Versuchsteilnehmer nicht abschätzen, ob der Fragebogen tatsächlich wie an-gekündigt in 2-3 Minuten bearbeitet werden konnte. Die Versuchsteilnehmer konnten sich also nicht sicher sein, ob sich eine Bearbeitung des Fragebogens während der Pause lohnen würde, d. h. ob die unerwartete Handlungsgelegenheit tatsächlich auch günstig war.

Wurde die Pause tatsächlich als Handlungsgelegenheit wahrgenommen? Wie bereits oben erwähnt, gaben bei Häfner (2000) beinahe alle Versuchsteilnehmer im Ab-schlussfragebogen an, die Pause als günstige Handlungsgelegenheit wahrgenommen zu ha-ben. Bei Häfner (2000, S. 53) wird berichtet, dass den Versuchsteilnehmern erklärt wurde, dass es sich bei dem Fragebogen entweder um einen Fragebogen handele, der für eine lau-fende Studie validiert werden müsse, oder aber um eine erste vorläufige Form eines neu entwickelten Fragebogens.28 Für die Versuchsteilnehmer war nicht ersichtlich, inwiefern es sich bei dem Fragebogen um eine zusätzliche Aufgabe handelte, die unabhängig vom Hauptexperiment war – zumindest wurde dies von der Versuchsleiterin nicht ausdrück-lich erwähnt. Es ist nicht auszuschließen, dass viele Versuchsteilnehmer davon ausgingen, dass es sich bei dem Fragebogen um einen Abschlussfragebogen handelte, der erst nach dem Hauptexperiment bearbeitet werden durfte. Dies könnte auch erklären, warum die Pause von den Versuchsteilnehmern in der Vorsatzbedingung im Vergleich zu den Ver-suchsteilnehmern der Zielintentionsbedingung seltener genutzt wurde – schließlich wurde im Vorsatz spezifiziert, dass der Fragebogen erst am Ende des Experiments ausgefüllt wer-den soll: „Wenn das Experiment am Computer zu Ende ist, dann fülle ich wer-den Fragebogen aus!“ Möglicherweise wurde der Vorsatz nicht als Hinweis auf eine Handlungsgelegenheit, sondern vielmehr als ein ausdrückliches, und im Zusammenhang mit dem Ablauf des Ex-periments sinnvolles, Handlungsgebot interpretiert. Bei genauerer Betrachtung des bei Häfner (2000) verwendeten Experimentalparadigmas überrascht es daher nicht, dass 43 % der Versuchsteilnehmer in der Vorsatzbedingung und 12 % der Versuchsteilnehmer in der Zielintentionsbedingung glaubten, den Fragebogen nicht in der Pause ausfüllen zu dürfen, und somit die unerwartete, günstige Handlungsgelegenheit ungenutzt verstreichen ließen.

28 Bei Häfner (2000) wurde hierdurch der Faktor Zielverpflichtung (hoch vs. niedrig) variiert. Für die hier geführte Diskussion ist dies jedoch ohne Belang.

War die Nutzung der unerwarteten Handlungsgelegenheit zur Zielerreichung notwendig? Auch ein weiterer Punkt lässt das bei Häfner (2000) verwendete Experi-mentalparadigma zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung ungeeignet erscheinen:

Eine Bewertung der Zielerreichung über die Erhebung der Nutzung der unerwarteten Ge-legenheit ist nicht möglich, da auch die Versuchsteilnehmer, welche die Pause nicht nutz-ten, wussnutz-ten, dass am Ende des Experiments die Möglichkeit bestand, den Fragebogen auszufüllen. Das Ausfüllen des Fragebogens in der Pause kann somit nicht unbedingt als eine günstigere Möglichkeit der Zielerreichung angesehen werden. Im Gegenteil: Das Ausfüllen des Fragebogens am Ende des Experiments ermöglichte es den Versuchsteilneh-mern während der Pause auf die Fortsetzung des Experiments zu warten, ohne Gefahr zu laufen, von der Versuchsleiterin für das vorzeitige Bearbeiten des Fragebogens gerügt zu werden oder den Fragebogen nicht beenden zu können, da die Pause hierfür doch nicht ausreichend war. Um die Nichtnutzung der Pause im Sinne einer Beeinträchtigung der Zielerreichung interpretieren zu können müsste ein hierarchisch übergeordnetes Ziel formuliert worden sein, z. B.: „Ich versuche die gestellten Aufgaben mit möglichst wenig Zeitaufwand zu bewältigen.“ Die Aktivierung eines solchen Ziels hätte dann aber mittels geeigneter Instruktionen erfolgen müssen. Wie bereits ausgeführt: Die Versuchsteilnehmer wussten, dass sie nach dem Experiment Gelegenheit hatten, den Fragebogen in aller Ruhe zu bearbeiten. Insgesamt haben alle Versuchsteilnehmer den Fragebogen ausgefüllt – in der Pause oder nach dem Experiment. Somit haben auch die Versuchsteilnehmer, welche die Pause nicht nutzten, das Ziel erreicht!

War die Cover-Story glaubwürdig? Einige Aspekte des Versuchsablaufs bei Häfner (2000) dürfte den Versuchsteilnehmern merkwürdig erschienen sein: So wurde ein Compu-terabsturz inszeniert, welcher die Versuchsteilnehmer veranlasste, die Versuchsleiterin zu rufen. Die Versuchsleiterin teilte dem Versuchsteilnehmer mit, dass die Unterbrechung ca.

5 Minuten dauern würde. Nach Ablauf dieser Zeitspanne wurde das Programm von der Versuchsleiterin durch Drücken der F1-Taste fortgesetzt. Diese Vorgehensweise erscheint in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen ist es schwierig, einen Computerabsturz glaubhaft zu inszenieren, v. a., wenn sich das Programm durch Drücken einer einzigen Tas-te fortsetzTas-ten lässt. Zum anderen ist davon auszugehen, dass unTas-ter den VersuchsTas-teilneh- Versuchsteilneh-mern (Studierende der Universität Konstanz) bekannt sein dürfte, dass in Experimenten des Fachbereichs Psychologie oftmals versucht wird, das tatsächliche Untersuchungsziel zu verschleiern.

War die Einbettung des Vorsatzes in den Zielkontext angemessen? Ein

War die Einbettung des Vorsatzes in den Zielkontext angemessen? Ein